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Bericht aus der Zukunft

Eine positive Vision kann motivieren, sich für eine gute Zukunft einzusetzen. Dieser Gedanke hat Kolt-Abonnentin Johanna Blindow zu einem Beitrag inspiriert. Darin berichtet eine fiktive, ungefähr 85-jährige Person aus dem Jahr 2100.
15. Januar 2021
Johanna Blindow

Das Mühsamste ist der Kohl. Es gibt schon sehr viel Kohl im Winter… Und die Geschichten von früher, als man im Winter rote Erdbeeren und Wassermelonen in jedem Supermarkt kaufen konnte, wirken auf meine Enkel fast wie Märchen aus dem Schlaraffenland. Aber auch ein bisschen befremdlich.

Damals hätte ich nicht geahnt, wie viele Rezepte es mit Kohl gibt. Wie fantasievoll man ein einziges Gemüse kombinieren kann. Und dann die Desserts mit eingemachten oder gefrorenen Früchten, die einem den Duft der Sonne zurückbringen… Damit kann man gut leben. Sowieso ist Essen interessanterweise anders geworden, seit weniger Zucker in den Nahrungsmitteln ist. Der Geschmackssinn der meisten Leute hat sich verändert. Ein Apfel frisch vom Baum genügt meinem Körper, um das Gefühl zu haben, ich hätte mir eine Delikatesse gegönnt. Das werdet ihr mir wahrscheinlich nicht glauben, aber gut, ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn man es mir als Kind erzählt hätte.

Wir müssen nicht auf Luxusprodukte verzichten. Es gibt alles, woran ich mich erinnern kann, noch immer. Der Unterschied ist, dass vielleicht nicht mehr alles jederzeit verfügbar ist, oder zumindest nicht in zehnfacher Ausführung verschiedenster Marken. Ich kann weiterhin Lippenstifte kaufen, einfach nur noch jene der einen Kosmetikfirma in der Zentralschweiz. Für grössere Investitionen muss man manchmal länger sparen als früher, weil die Preise gestiegen sind. Das ärgerte anfangs einige ältere Semester, andere fühlten sich an die Jugendzeit zurückerinnert, als sie für das erste Skateboard ein paar Monate sparen, und dann auch noch auf die Lieferung warten mussten. Die neue Generation kennt sowieso nichts anderes.

Das heisst nicht, dass wir ausschliesslich regional einkaufen. Etwa 70 Prozent unserer Lebensmittel und Güter werden im nächsten Umkreis produziert, für das Übrige gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Firmen auf der ganzen Welt. Es wird Wert gelegt auf ganzheitlichen Austausch zu den Produktionsmethoden und Arbeitskulturen. Viele Transporte laufen über Zug und Schiff und es kann immer mal wieder zu unvorhergesehenen Wartezeiten kommen.

Ein Trend ist, dass viele Menschen sich eine längere Auszeit nehmen, und einen Gütertransport mitmachen. Zum Beispiel mit dem Segelschiff zur Kakaoplantage in Costa Rica. Das hat meine jüngste Nichte neulich gemacht, und dort auch 2 Monate mitgearbeitet. In ihrer Freizeit konnte sie surfen gehen.

Reisen braucht einfach mehr Zeit als früher. Bereits der Weg gehört mit zur Reise, das ist heute selbstverständlich. Die Züge haben sich unglaublich verändert, es gibt jetzt Konzerte, Fitnessräume, Cafés und Luxussuiten im Zug. Klar, den Atlantik überquert man nicht mehr mal eben am Wochenende. Aber ans Meer kann man immer noch, und man kommt bereits entspannt dort an.

Der Arbeitsmarkt ist sehr viel flexibler geworden, sodass man sich immer wieder längere Auszeiten, Teilzeitarbeit oder auch Wechsel in ganz neue Branchen ermöglichen. Bereits in der Schule wird man darauf vorbereitet, und auch die obligatorischen Einsätze für Gemeinschaft und Umwelt geben den Jugendlichen früh Einblick in verschiedene Bereiche unseres Systems. Viele neue Arbeitsplätze wurden im Bereich Gesundheit, Betreuung, Zivilschutz und Ausbildung geschaffen. So können wir schneller auf neue Krankheiten, Überschwemmungen und andere Folgen der Klimaerwärmung reagieren. Ich glaube, das Bewusstsein für die Gemeinschaft ist gewachsen, es gilt als erstrebenswert und reif, einen Mittelweg zwischen Individualismus und Gemeinschaft zu finden.

So sind auch der Eigentum und das Teilen in der Gesellschaft auf gleicher Ebene verankert. Es gibt viele Räume, die geteilt genutzt werden; in den Quartieren gibt es gemeinsame Gärten, Werkstätten, Sportplätze und vieles mehr. Auch ist es normal, Kleider, Möbel, Spiele und alles andere, was man nicht mehr möchte, weiterzugeben. Dank zahlreichen Informatikspezialisten wird hier die sinnvolle Organisation über Apps fortwährend weiterentwickelt. Ebenso ist es aber in Ordnung, gewisse Räume und Güter bewusst für sich und die Liebsten allein zu haben. Privatsphäre und Rückzug sind wichtig und respektiert.

Wohnungen sehen allerdings etwas anders aus als früher; der Trend ist: Platz sparen und möglichst beweglich leben. Cool ist, dass man den Tisch in zwei Handgriffen auch zum Bett und in einer Drehung zur Leiter umfunktionieren kann. Die Architektinnen sind bestrebt, dass die Räume trotzdem gross und hell wirken. Eine Herausforderung, der sich viele Unternehmer gerne annehmen. Man kann nach wie vor reich werden mit guten Ideen und Geschäften. Es gibt etwas weniger Produktionsfirmen und einen grösseren Dienstleistungssektor als früher. Der Begriff Luxus bedeutet heute weniger, sich viele materielle Dinge leisten zu können, sondern sich schöne Erlebnisse zu ermöglichen und freie Zeit zu haben, um sich den eigenen Bedürfnissen und den geliebten Menschen zu widmen.

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