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«Vellkommen til Norge!» – der Weg ist das Ziel

Wenn man so an die gängigen Klischees von Norwegern und Schweizerinnen denkt, merkt man: Die sind ja gar nicht so unterschiedlich! Zurückhaltend zu Beginn, aber nach einer Weile sich dem Gegenüber öffnend, sodass man durchaus eine gute Zeit zusammen verbringen kann. Ein Attribut der Norweger, von welchem wir uns – wie ich finde – eine Scheibe abschneiden könnten, ist ihre Gelassenheit und Geduld.

Seit August lebe ich im Rahmen meines Austauschjahres in Trondheim, Norwegen. Ja, ich wusste, worauf ich mich einlasse. Die Wintertage sind tatsächlich so kurz und das Wetter tatsächlich so schlecht, wie wir uns dies vorstellen. Dafür werde ich mit atemberaubender Natur und – eben – gelassenen, geduldigen Mitmenschen entschädigt.

Schon in der Schweiz war ich ein mehr oder weniger ambitionierter Orientierungsläufer. Deshalb war es naheliegend, dass ich mich, sobald angekommen, dem örtlichen OL-Klub anschloss. Trondheims Universität NTNU hat gar einen eigenen OL-Verein nur für Studenten. In einem der ersten Trainings, an denen ich teilnahm, wurde mir dann sogleich mitgeteilt, dass in zwei Wochen die norwegischen OL-Meisterschaften stattfänden. Ob ich nicht mitkommen wolle. Das werde bestimmt lustig. In Erwartung eines in der Schweiz typischen OL-Wochenendes mit je einem Wettkampf am Samstag und am Sonntag sagte ich kurzerhand zu.

P-o-r-s-g-r-u …

Als ich mich also noch am Abend dafür anmeldete, wurde ich zum ersten Mal überrascht. Das Wettkampfwochenende bestand nicht nur aus zwei Wettkämpfen, sondern umfasste zwischen Donnerstag und Sonntag gleich alle Walddisziplinen: Langdistanz, Mitteldistanz-Qualifikation und -Final und zum Abschluss die Staffel. Das wird anstrengend, aber aufregend, dachte ich mir in bemühter norwegischer Leichtigkeit. Und den verpassten Unterrichtsstoff werde ich schon irgendwie nachholen.

Die nächste Überraschung bot sich mir, als ich den Austragungsort googelte. Porsgrunn liegt etwas südlich von Oslo. Ich würde also das halbe Land durchqueren müssen. Gewöhnt an die Annehmlichkeiten der kleinräumigen Schweiz, musste ich mir eingestehen, dass die Anreise wohl etwas anspruchsvoller werden würde, als wenn ich am Bahnhof Olten einfach in den nächstbesten Zug steige.

Schliesslich vermittelte mir jemand eine Mitfahrgelegenheit in einem Auto. Als mich die freundliche Fahrerin am vereinbarten Treffpunkt abholte, fragte ich sie, wie man sich mental auf eine neuneinhalbstündige Autofahrt vorbereitet. «Wieso mental vorbereiten?», war ihre Antwort. «Wir fahren doch nur rund neun Stunden.» Überrumpelt ob der Selbstverständlichkeit, wie sie dies sagte, erklärte ich ihr, dass ich noch nie auch nur annähernd so lange in einem Auto gesessen sei. «Velkommen til Norge!» und ein verschmitztes Lächeln war alles, was sie mir erwiderte.

Das neue Nationalgericht für zwischendurch

Was mir nach der Abfahrt als Erstes auffiel, war der Fahrstil. Während in der Schweiz der Grossteil der Automobilisten gerne mal fünf Stundenkilometer auf die Höchstgeschwindigkeit drauflegt (ich persönlich zumindest handhabe das so …), werden hier eher fünf Stundenkilometer abgezogen. Kein Wunder also, dauert das alles so lange, dachte ich mir, als wir mit durchschnittlich 75 km/h durch die norwegische Pampa tuckerten.

Es verging nur wenig Zeit, da standen wir zum ersten Mal still. Als sich die Autokolonne auch nach einer halben Stunde nicht weiterbewegte, war selbst die Geduld der einheimischen Chauffeurin erschöpft. Sie entschied sich, umzukehren und die Stelle grossräumig zu umfahren. Aber das sei ja nicht so schlimm, die Fahrt dauere nur etwa eine Stunde länger. Langsam an die Gemächlichkeit der Reise gewöhnt, konnte ich die wunderschöne Fjelllandschaft geniessen und dachte nicht mehr bloss daran, wie wir wohl etwas schneller am Ziel ankommen könnten. Als sich später herausstellte, dass die Strasse nur zehn Minuten nach unserem Wendemanöver wieder geöffnet worden war, nervte ich mich auch nicht darüber.

Nach rund sechs Stunden machten wir eine Pause und assen etwas. Es gab das norwegische Nationalgericht des 21. Jahrhunderts: qualitativ minderwertige Pizza mit viel Cocktailsauce obendrauf, damit man sie auch runterbekommt. Gestärkt setzten wir unsere Reise fort, um letztlich gegen 23 Uhr in Porsgrunn anzukommen. Zwei Stunden später als geplant.

Wie also geht man am besten eine elfstündige Reise an? Ganz einfach: Lass dich nicht stressen und sei geduldig. Der Weg ist das Ziel!

*Marius Kaiser (22) kommt aus Starrkirch-Wil und lebt seit diesem Sommer für ein Jahr in Norwegen, wo er Bauingenieurswesen studiert.

Norwegen, Klischees, Reisen

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