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«Wir haben auf der Stadtverwaltung mehr Mut gefasst, Grünräume zu planen»

Mehr Grün statt Grau. Im urbanen Raum wird der Ruf nach Begrünung laut. Warum Bäume einer Stadt guttun, aber die Stadt ihnen nicht immer behagt: Das vierte Kolt-Treffen gab Antworten darauf.
5. Juli 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Stadtgrün
Yvonne Aellen, Lorenz Schmid und Matthias Tschopp am Kolt-Treffen in der Schlosserei.

«Baumpflanzungen in der Fussgängerzone?» – Matthias Tschopp warf diese Frage per Input in den Kolt-Maschinenraum. Antworten kann der gelernte Forstwart, der sich mittlerweile unter anderem als Baumpfleger selbstständig gemacht hat, gleich selbst liefern.

Er gab diese am vierten Kolt-Treffen, das erstmals physisch in der «Schlosserei» stattfand. Matthias Tschopp brachte ein Bild aus den Ferien mit. Darauf abgebildet: eine 650 Jahre alte Linde, die mitten im Walliser Dorf Naters steht. «Das ist ein Bild voller Widersprüche», sagte Tschopp. Er führte als Baumkenner an die Thematik heran und räumte mit falschen Denkmustern auf. «Wir könnten meinen, Stadt und Natur seien Gegensätze. Aber das Gegenteil ist der Fall: In der Stadt ist die Biodiversität vielfach höher als auf dem Land», sagte Matthias Tschopp. Dies hänge vor allem mit der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung der Natur zusammen. Die Stadt sei daher häufig ein idealer Rückzugsort für die Natur.

Der Baumpfleger erläuterte auch den Unterschied zwischen dem Mikro- und dem Makroklima. Der Baum als Klimaanlage entfaltet seine Wirkung durch den Schatten, den er spendet, und das Verdampfen der Feuchtigkeit, die er aufnimmt. «Aber einzelne Bäume haben keinen Einfluss auf das Weltklima», sagte Matthias. «Nur wenn sie als Wälder ein grosses System bilden und CO2 binden, wirkt sich dies auf das Makroklima aus.»

Matthias Tschopp sprach vom Zusammenspiel von Stadt und Natur.

Anhand der menschlichen Vorfahren erklärte er den Bezug zum Baum. Sie hätten das Land roden müssen, um eine urbane Fläche zu schaffen und Getreide anzubauen. «Es steckt also ein wenig in unseren Genen, Bäume zu fällen», sagte er. In unseren Breitengraden seien wir uns auch an eine regenerative Natur gewöhnt. Der Wald breitet sich aus, wenn wir ihm den Raum lassen.

Matthias Tschopp relativierte aber, dass die Stadt in ihrer gegenwärtigen Form kein baumfreundlicher Standort ist. «Ich kann nicht einfach ein Loch graben, einen Baum pflanzen und damit ist die Stadt begrünt», sagte er. «Ein Strassenbaum verlangt bedeutend mehr Unterhalt.» Bäume im städtischen Raum seien anfälliger auf Pilze und Schädlinge, was ihre Vitalität schwäche. Fehlt zudem ein funktionierendes Bodenleben, so zehrt dies an seiner Widerstandskraft. Die vielen versiegelten Böden im urbanen Raum führen dazu, dass der Baum weniger Wasser und Sauerstoff kriegt und sich damit schlecht entfalten kann. Durch den Klimawandel und zunehmende Hitzetage leiden einheimische Baumarten in den Städten zusehends. Gefragt sind darum hitzeresistente Arten wie etwa die Blumenesche oder der Amberbaum, welche die Stadt an der neu gestalteten Baslerstrasse und der Mühlegasse gepflanzt hat.

Möglichkeiten, um den Bäumen im urbanen Gebiet gute Standortbedingungen zu bieten, gibt es mittlerweile. Nur sind sie oftmals sehr kostspielig. Matthias Tschopp stellte ein Beispiel vor, bei welchem der Boden durch Säulen gestützt wird, um einen Hohlraum darunter zu erhalten. Die Bäume brauchen verdichtungsresistente Flächen, um darunter ihr Wurzelwerk bilden zu können. «Auch der Tiefbau einer Stadt muss überzeugt sein, damit Stadtbäume gute Bedingungen erhalten», sagte Tschopp.

Doch das Beispiel aus Naters lehrt: Bäume sind ausdauernd, auch wenn die Bedingungen nicht immer die besten sind. Mit einem Gedankenspiel regte Matthias Tschopp an: Wenn die Linde aus Naters heute gepflanzt würde, überdauerte sie einen für uns kaum vorstellbaren Zeitraum – im Kalender stünde das Jahr 2671. «Das klingt für uns nach Fiktion», sagte Matthias Tschopp.

Die «graue» Kirchgasse

In der Stadt Olten nahm in den letzten Jahren der Ruf nach Massnahmen gegen Hitzeinseln zu. Über politische Vorstösse forderten zuletzt die SP-Parlamentarier Luc Nünlist und Florian Eberhard, dass die Stadt die vor rund acht Jahren eingeweihte Fussgängerzone auf der Kirchgasse und die Tannwaldstrasse begrünt. Auch wenn der Stadtrat diese Forderung ablehnte, sagte Lorenz Schmid: «Wir haben auf der Stadtverwaltung mehr Mut gefasst, Grünräume zu planen, auch wenn es mit Kosten verbunden ist.» Der Stadtplaner war beim Kolt-Treffen zu Besuch, um einen Einblick in die Arbeit der Stadt zu geben. Er verwies auf die Mühlegasse, die Baslerstrasse und die Hübelistrasse, wo die Stadt zuletzt bei Umgestaltungen Bäume pflanzte.

Massnahmen gegen die Folgen des Klimawandels zu ergreifen, sei anspruchsvoll, sagte Schmid. Er nannte als Beispiel die Kaltluftströme von den Jurahügeln. Um diese nicht durch Häuserzeilen abzuriegeln, brauche es eine langfristige Stadtplanung. In anderen Bereichen seien der Stadtverwaltung die Hände gebunden. In Olten fehlen derzeit etwa gesetzliche Grundlagen, um Flachdachbegrünungen vorzuschreiben. Fortschrittlich sei dagegen die Vorgabe der Grünflächenziffer bei Vorgärten.

Stadtplaner Lorenz Schmid im Gespräch.

«Das neue räumliche Leitbild wird eine deutliche Sprache sprechen», sagte Schmid. Ab Ende August kann sich die Bevölkerung bei einer Online-Mitwirkung zur neuen Ortsplanung einbringen und Wünsche äussern. Im Zuge dieser wird die Stadt auch ein Klimakonzept erarbeiten, das auf einer kantonalen Klimaanalyse basiert. Zusätzlich gefordert sei die Stadt durch die steigenden Ansprüche des Langsamverkehrs. Dieser verlange ebenfalls zusätzlichen Platz. «Wir haben diesen nicht – und an die Bäume haben wir dann noch immer nicht gedacht», sagte Schmid.

Als Zukunftsbeispiele für begrünte Räume nannte der Stadtplaner den Munzingerplatz und den Ländiweg. Der Stadtrat sei bereit, den zentralen Platz vom Verkehr zu befreien, wenn denn für die bestehenden Parkplätze Alternativen bestünden. Am Ländiweg setzt die Stadt derzeit eine doppelte Allee um, indem sie oben an der Hauptstrasse wie auch im Fussgängerbereich unten Bäume pflanzen lässt. «Ausgerechnet die Grünen wollten uns die Bäume madig machen, weil sie eine Busspur forderten», kritisierte Schmid, «wir halten aber an unserer Planung fest.»

Aus dem Publikum kam der Vorwurf, bei der Stadt fehle der Wille, beispielsweise die Kirchgasse zu begrünen. «Wenn wir die Fussgängerzone heute planen würden, würden wir wohl andere Optionen prüfen», gab Schmid zu. Vor zehn Jahren seien Hitzeinseln noch kein Thema gewesen. Aktuell gäbe es in der Stadt Olten «sehr, sehr viele Aufgaben und Pendenzen». Schmid appellierte: «Wir können nicht immer in Frage stellen, was gemacht wurde. Damit ist Energie in den Sand gesetzt.»

Basel, das Baumparadies

Die drittgrösste Schweizer Stadt gilt als beispielhaft, wenn es um die Begrünung von urbanem Raum geht. «Die Situation in Basel ist nicht mit vielen Städten vergleichbar», sagte Yvonne Aellen. Dies lässt sich allein schon an der Grösse der Stadtgärtnerei ablesen. Seit dreizehn Jahren leitet Aellen die Abteilung für den Grünflächenunterhalt der Stadt Basel. In dieser Funktion zählt sie alleine in ihrer Abteilung 150 Angestellte unter sich. «Basel hatte schon früh Spezialisten engagiert, die es verstanden, das Baumwachstum beizeiten zu steuern», sagte Aellen. Auch blieb in Basel – anders als in anderen Städten – die eigene Baumschule erhalten. «Da waren immer schon Leute engagiert, die ein grosses Herz für Bäume hatten.»

Die Bäume hätten in den letzten Jahren verstärkt auf den Klimawandel reagiert, berichtete Aellen. Sei es durch neue Schädlinge, die ankommen, oder durch die trockenen Frühlings- und Sommermonate. «In der Stadt spürten wir, wie Hainbuchen und Linden komisch reagierten. Sie vertrocknen nicht einfach so, es sind vor allem die Krankheiten, die sich stärker auswirken.»

Yvonne Aellen leitet seit dreizehn Jahren den Grünflächenunterhalt bei der Stadt Basel und war zuvor viele Jahre bei der Grünstadt Zürich tätig.

Um dem Klimawandel zu begegnen, passt sich die Grünstadt Basel laufend an. «Wir haben Baumalleen aus Baumhasel oder Ginko. Die Baumschule hat Verschiedenstes ausprobiert und eine Vielfalt geschaffen, die uns hilft, die Risiken des Klimawandels zu verteilen», sagte Aellen. Heute verfügt Basel in all seinen Parks, Alleen und Plätzen über 500 Baumarten. Die Baumschule suche nun vermehrt im Mittelmeerraum nach Baumarten, die Hitze und Trockenheit, aber zugleich auch Frost ertragen. Es sei spürbar, dass die Bäume sehr vom bislang niederschlagsreichen Frühling und Sommer profitierten. «Wir hoffen, die nassen Bedingungen wirken sich über mehrere Jahre positiv aus, so wie sich vorhin die andauernde Trockenheit bemerkbar machte», sagte Aellen.

Um die Hitzeinseln im städtischen Raum zu bekämpfen, verfolgt Basel zudem das Stadtplanungskonzept der Schwammstadt. «Wir versuchen, das Regenwasser möglichst gut aufzusaugen und damit haushälterisch umzugehen», erklärte die Biologin. Dies gelingt beispielsweise über Sickerflächen im Strassenraum und in Parkanlagen, über welche das Regenwasser nur langsam wieder verdunstet. Als weitere Massnahme fördert die Stadt die Fassaden- und Dachbegrünungen. Über die Vegetation lässt sich das Wasser besser speichern. Etwa in Kleinbasel stellte die Stadt an der Feldbergstrasse vor mehreren Jahren den öffentlichen Grund auf den Trottoirs den privaten Hausbesitzerinnen zur Verfügung. Sie konnten so Glyzinien pflanzen, welche die Fassaden hochkletterten. Im Frühling verwandeln sie die Strasse in eine farbenfrohe Allee. Weil der Unterhalt aufwendig ist, beteiligt sich Basel bis heute finanziell an den Kosten.

Ein grosses Thema sei auch die Bewässerung. Diametral entgegengesetzte Positionen seien jeweils vorprogrammiert: Je trockener, desto mehr Anrufe gäbe es bei der Stadt. «Wann kommt ihr endlich Wasser giessen?», fragen die einen empört. «Geht’s noch, so viel Trinkwasser zu vergeuden», beschweren sich die anderen. Die Stadt versuche, möglichst gezielt zu wässern, so Aellen. Priorität würden Jungbäume und Rasenflächen in Parks geniessen. Weil Basel aufbereitetes Rheinwasser als Trinkwasser nutzt, besteht in Basel nie Wasserknappheit. «Durch das Bewässern geben wir das Wasser nochmals in den Kreislauf», sagt Aellen und streicht den positiven Aspekt der Bewässerung hervor.

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