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Crowdfunding «Hauptstadt»: Neue Berner Journalismus im Realitätstest

Mit der Crowdfunding-Kampagne von 19. Oktober bis 19. November wagt das Medienprojekt «Hauptstadt» den Realitätstest: Die Macher*innen wollen wissen, ob in Bern wirklich eine Nachfrage für ein neues, professionelles Online-Portal mit lokalem Fokus besteht.
19. Oktober 2021

Vor fast genau einem Jahr, am 27. Oktober 2020, beschloss Tamedia das Ende des «Berner Modells». Auch die Lokalredaktionen, wo der Überrest der publizistischen Konkurrenz zwischen «Der Bund» und «Berner Zeitung» noch stattfand, sollten zusammengelegt werden. Das geschieht jetzt: Seit wenigen Wochen erscheinen Texte von Bund-Journalistinnen und -Journalisten in der BZ und umgekehrt, dieser Tage wird die Komplettfusion Tatsache.

Die Ankündigung vom Oktober 2020 war der indirekte Startschuss für die «Hauptstadt». Eine Gruppe von rund 15 Berner Medienschaffenden setzte dem Aderlass der Medienvielfalt ihren Unternehmergeist entgegen und begann, unter dem Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» ein unabhängiges Online-Portal für den Grossraum Bern zu konzipieren. Marina Bolzli, Joël Widmer und Jürg Steiner kündigten ihre Stellen und engagieren sich auf eigenes Risiko für die «Hauptstadt». Sie bilden das Organisationskomitee, das die Fäden der Projektgruppe zusammenhält, in der neben journalistischer auch IT-, Social-Media-, Fundraising- und Geschäftsführungs-Kompetenz versammelt sind.

Von Bern für Bern: Seit Charles von Graffenried 2007 seinen Verlag mit «Der Bund» und «Berner Zeitung» an Tamedia verkaufte, hat Bern seine Medienvielfalt ökonomisch nach Zürich ausgelagert. Die «Hauptstadt» möchte das ein Stück weit ändern und dieser Entwicklung nicht nur publizistisch, sondern auch unternehmerisch etwas entgegensetzen.

Journalismus besteht nicht bloss aus dem, was am Schluss als Text, Ton oder Bild erscheint, sondern auch daraus, wie es entsteht und warum. Deshalb verfolgt die «Hauptstadt» ein gemeinnütziges Geschäftsmodell, das nicht nur auf Klickzahlen fokussiert, sondern auf den Mehrwert für die lokale Demokratie. Die «Hauptstadt» legt Wert auf eine transparente, respektvolle und konstruktive Unternehmenskultur und übt diese schon jetzt, in der Projektphase, konsequent ein. Und die «Hauptstadt» will einen verständlichen, zugänglichen, hartnäckigen und konstruktiven Lokaljournalismus betreiben.

Das alles erfindet die «Hauptstadt» nicht neu. Neben der «Republik» auf nationaler Ebene sind mit «Tsueri» in Zürich, «Bajour» in Basel, «zentralplus» und «Kultz» in Luzern, «Saiten» in St. Gallen oder «Kolt» in Olten mindestens ein halbes Dutzend unabhängiger lokaler Online-Portale entstanden. Die «Hauptstadt» will Bern unternehmerisch wie publizistisch an diese Entwicklung anschliessen.

Sinn ergibt das allerdings nur, wenn in Bern eine Nachfrage für diese Idee besteht. Deshalb startet die «Hauptstadt» heute, am 19. Oktober, eine Crowdfunding-Kampagne, während der sie möglichst viele Menschen motivieren will, Hauptstädter*innen zu werden und für 120 Franken ein erstes Jahresabonnement zu lösen. Bei der Schwelle von 1000 Abonnierenden halten die Macherinnen und Macher die Nachfrage für ausgewiesen. Bei 4000 Abonnierenden ist das Medium praktisch selbsttragend.

Am Ziel ist die «Hauptstadt» deshalb nach dem Crowdfunding auch mit 1000 Abos noch nicht: Um wirklich starten zu können, ist eine zusätzliche Anschubfinanzierung nötig. Die «Hauptstadt» ist mit verschiedenen Unterstützern im Gespräch, die ihr Engagement unter anderem vom Erfolg des Crowdfundings abhängig machen. Für die Startredaktion rechnet die «Hauptstadt« mit einer Mindestausstattung von 5 Vollzeitstellen.

Sofern das Crowdfunding erfolgreich ist und die Anschubfinanzierung zustande kommt, plant die «Hauptstadt», im ersten Quartal 2022 publizistisch zu starten. Erreicht das Projekt die dafür notwendige finanzielle Unterstützung nicht, werden die Crowdfunding-Einnahmen zurückbezahlt.

Für die Crowdfunding-Phase betreibt die «Hauptstadt» ein Pop-up-Café im derzeit geschlossenen Restaurant Chun Hee. Die Initiantinnen und Initianten nutzen es als Co-Working-Space, offenen Diskussionsraum und Veranstaltungsort, sie werden verschiedene Feierabend-Talks und Stammtische durchführen.

Von Bern für Bern gilt bereits für die Kampagne. Das Berner Grafikbüro Büro Destruct hat das optische Erscheinungsbild mit dem Brücken-H designt, über das Thuner Startup Payrexx wickelt die «Hauptstadt» die Crowdfunding-Zahlungen ab. Wichtiges Standbein der Crowdfunding-Kampagne sind 25 Videos von Berner Persönlichkeiten aus dem ganzen Spektrum der Gesellschaft, vom PR-Unternehmer zur Klima-Aktivistin, vom Präsidenten des Wirtschaftsverbands zur aserbaidschanischen Journalistin im Exil.

19.10.2021, OK «Hauptstadt», Marina Bolzli, Joël Widmer, Jürg Steiner

Mehr auf: hauptstadt.be

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