Amtsrichterwahlen: Wenn die Parteien die Justiz an die Hand nehmen
Alle paar Jahre flattern Propagandaflyer mit austauschbaren Politslogans ins Haus, auf denen Alter und Beruf, Ausbildung, Familienstand, Parteizugehörigkeit, Hobbys und vielleicht ein Lebensmotto aufgelistet sind, von Personen, deren professionell-distanzierte Portraitfotos einen kompetenten Eindruck vermitteln sollen. Es sind Profile von Menschen, die für die anstehenden Amtsrichterwahlen kandidieren.
Bei den Adressaten lösen sie mitunter Ratlosigkeit aus. Was lässt sich aus den Lebensläufen schon ablesen? Vielleicht, ja, hat die Person ein nettes Lächeln. Oder ihre Partei steht mir nah. Oder ich kenne sie. Dann wähle ich sie. Vielleicht.
Oder aber mein Wahlzettel wandert unbesehen ins Altpapier. Weil ich über die Kandidierenden zu wenig weiss. Oder auch gar nichts: Gibt es doch auch Kandidatinnen, die auf Wahlwerbung gänzlich verzichten. Allerdings spielen bei dieser Wahl vielleicht ohnehin nicht die kandidierenden Personen die Hauptrolle. Sondern, wir kommen später noch dazu, die kandidierenden Parteien. Und das für die Besetzung von Ämtern, die keine politischen sind. Oder sagen wir: sein sollten.
Wie soll man auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen? Wir haben diese Frage eines Kolt-Lesers aufgegriffen. Und sie im Zuge der Recherche ausgeweitet, weil uns auch interessiert hat: Was tun Amtsrichterinnen und Amtsgerichtspräsidenten überhaupt? Wie funktioniert das Amtsgericht? Und ist das eigentlich gut so? In einem zweiteiligen Beitrag suchen wir nach Antworten.
Unterhalten haben wir uns unter anderem mit einer Frau, die mit dem Geschehen am Amtsgericht bestens vertraut ist: Barbara Hunkeler, 60 Jahre alt, seit 2019 Oberrichterin in Solothurn. 25 Jahre lang war sie Amtsgerichtspräsidentin in Olten.
Bevor wir uns aber Frau Hunkeler zuwenden, gilt es, ein paar Basics zu klären.
Wie das Amtsgericht funktioniert
Beginnen wir beim Amtsgericht. In anderen Kantonen heisst es Bezirksgericht, Kantonsgericht, Kreisgericht, Landgericht, Regionalgericht oder Gericht erster Instanz. Um keine Verwirrung zu stiften, befassen wir uns an dieser Stelle besser nur mit dem Kanton Solothurn.
Das Amtsgericht ist im Kanton Solothurn die erste Gerichtsinstanz für Zivil- und Strafprozesse. Jede der fünf Solothurner Amteien hat eines. Jenes der Amtei Olten-Gösgen befindet sich an der Römerstrasse 2 in Olten.
Am Amtsgericht sind sowohl Amtsgerichtspräsidentinnen als auch Amtsrichter tätig – diese Unterscheidung ist wichtig. Ausserdem Ersatzamtsrichter, Gerichtsschreiberinnen und weitere Personen. Ersatzamtsrichter springen ein, wenn die Amtsrichter keine Zeit haben, zum Beispiel aus beruflichen Gründen. Dazu später mehr.
Amtsgerichtspräsidentinnen sind Juristinnen. Sie haben ein Studium der Rechtswissenschaft abgeschlossen und ein schweizerisches Anwaltspatent. Um sich in das Amt wählen lassen zu können, müssen sie ausserdem im Kanton Solothurn stimmberechtigt und nicht älter als 65 Jahre alt sein.
Wer dagegen ein Mandat als Amtsrichter oder Ersatzamtsrichter anstrebt, muss eine einzige Voraussetzung mitbringen: Er muss in seiner Amtei stimmberechtigt sein. Das heisst: Amtsrichter sind Laienrichter.
Das verlangt nach einem kleinen Exkurs. Dass auch Nichtjuristen Recht sprechen, ist nämlich ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurden von einem sich emanzipierenden Bürgertum an die Gerichte geholt, um der Obrigkeit auf den Richterstühlen die Stimme des Volkes entgegenzusetzen. Die Urteile sollten sich stärker an der Lebensrealität der kleinen Leute orientieren. In fast allen Kantonen gibt es heute noch Laienrichter, mancherorts wurden sie aber im vergangenen Jahrzehnt abgeschafft. Wir fragen Barbara Hunkeler später, was sie von den Laienrichtern hält.
Die Zahl der Amtsgerichtspräsidentinnen und der Amtsrichter ist gesetzlich festgelegt. In der Regel gibt es je einen Amtsgerichtspräsidenten, zwei Amtsrichterinnen und zwei Ersatzamtsrichter pro Amtei. Der Kantonsrat kann aber beschliessen, in einer Amtei zwei oder mehr Amtsgerichtspräsidenten sowie vier Amtsrichterinnen einzusetzen, wenn dort besonders viele Gerichtsverhandlungen anfallen. Olten-Gösgen als grösste Amtei hat drei Amtsgerichtspräsidentinnen, vier Amtsrichter und zwei Ersatzamtsrichterinnen.
Amtsgerichtspräsidentinnen arbeiten Vollzeit. Den grössten Teil ihrer Zeit verbringen sie mit Vorbereitung und Aktenstudium sowie der Begleitung von Fällen bis zu deren Verhandlungsreife. Ihr Lohn ist gesetzlich festgelegt. Er liegt zwischen 124’000 und 207’500 Franken jährlich, abhängig von der Anzahl geleisteter Dienstjahre.
Amtsrichter indes üben ein Milizamt aus. Sie werden in Sitzungsgeldern vergütet: Für einen Gerichtstermin, der bis zu vier Stunden dauert, gibt es 140 Franken. Zieht er sich länger hin, verdoppelt sich das Sitzungsgeld. Ausserdem erhalten sie für die Vorbereitung und das Aktenstudium pro Fall zwischen 200 und 700 Franken, je nach Aufwand und Umfang der Akten. Vom dünnen Dossier bis zu mehreren Dutzend Bundesordnern ist da alles möglich.
Wenn die Amtsrichter bereit sind anzunehmen, was die Amtsgerichtspräsidentin als Fachperson sagt, dann ist die Zusammenarbeit gut. Wenn nicht, wird es schwieriger.
Barbara Hunkeler
Wer Amtsrichter sein möchte, sollte zeitlich sehr flexibel sein. Es gibt keine Zusicherung, wann, wie oft und wie lange man aufgeboten wird. Gerichtsverhandlungen können einen halben Tag oder zwei und mehr Wochen dauern, das hängt ganz davon ab, wie komplex ein Fall ist. In Olten werden die Amtsrichter jeweils im Turnus angefragt, ob sie an einer Verhandlung teilnehmen können. Auch Ersatzamtsrichterinnern kommen in der Dreitannenstadt zunehmend zum Einsatz.
Das liegt daran, dass die Zahl der Gerichtsfälle in der Amtei Olten-Gösgen stark gestiegen ist. Auch ist es normal geworden, dass die Verhandlungen zwei Tage oder länger dauern. Wegen terminlicher Kollisionen treten die Amtsrichterinnen häufiger in den Ausstand, sodass vermehrt Ersatzamtsrichter aufgeboten werden müssen – bis vor etwa anderthalb Jahren waren sie in Olten fast arbeitslos. Aus dem Amtsgericht ist zu vernehmen, dass man heute mit vier Amtsrichtern und zwei Ersatzamtsrichtern am unteren Limit sei. Man habe Mühe, die nötigen Leute aufzubieten. Einmal musste im vergangenen Jahr sogar ein Friedensrichter aus einer Gemeinde der Amtei aushelfen, der von Gesetzes wegen als ausserordentlicher Amtsrichter fungieren darf.
Amtsgerichtspräsidenten treten in sämtlichen familienrechtlichen Angelegenheiten als Einzelrichter auf. Ausserdem im Zivilbereich, wenn der Streitwert unter 30’000 Franken liegt, und im Strafbereich, wenn der Strafantrag auf weniger als 18 Monate Freiheitsentzug lautet.
Werden die genannten Grenzwerte überschritten, kommt ein Dreiergremium zum Einsatz: Der Amtsgerichtspräsident, der den Prozess leitet, und zwei beisitzende Amtsrichterinnen. Diese haben es also tendenziell mit schweren Fällen zu tun. Durch das Aktenstudium verfügen sie in einer Verhandlung über dasselbe Vorwissen wie der Gerichtspräsident. Als Laienrichterinnen sind sie in ihrem Urteil aber auf das Fachwissen des Präsidenten und der Gerichtsschreiberin angewiesen.
Wie sieht diese Zusammenarbeit zwischen Fachpersonen und Laien in der Praxis aus? Fragen wir doch Barbara Hunkeler.
Richterinnen sind auch nur Menschen
«Ich habe die Zusammenarbeit mit den Amtsrichtern immer als gut erlebt. Sie waren in der Urteilsberatung immer bereit, in juristischen Fragen auf mich als Amtsgerichtspräsidentin zu hören. Ich sagte dann etwa: ‹Schaut, juristisch ist es so und so, da ist nichts zu machen, aber in der und der Frage haben wir Spielraum.› In den meisten Fällen wurden die Amtsrichter, die Gerichtsschreiberin und ich uns im Laufe der Beratung einig.
Wenn die Amtsrichter bereit sind anzunehmen, was die Präsidentin als Fachperson sagt, dann ist die Zusammenarbeit gut. Wenn nicht, wird es schwieriger. Das ist mir aber nie passiert.»
Barbara Hunkeler deutet es an: Die Möglichkeit besteht, dass die Expertin von den Laien überstimmt wird. Ein Urteil entsteht in der Diskussion, jedes Mitglied des Dreiergremiums bringt seine Meinung ein. Die Mehrheit der Stimmen ist für die Urteilsfindung ausschlaggebend. Mit beratender Stimme ebenfalls involviert ist der Gerichtsschreiber. Auch er ist Jurist, abstimmen darf er aber nicht.
Wird die juristische Praxis bei einer Verhandlung aber nicht eingehalten, ist es wahrscheinlich, dass der Fall an die nächsthöhere Instanz weitergezogen wird. Allerdings gibt es auch für ein einstimmig getroffenes Urteil keine Garantie, dass es nicht vor eine höhere Instanz gelangt – und gekippt wird.
«Es ist nicht angenehm und nicht befriedigend, wenn man unnötig von der geltenden Gerichtspraxis abweicht. Wenn ein Verfahren vors Obergericht kommt, kostet es viel mehr und es dauert locker ein halbes Jahr länger. Dann hat man vielen Leuten für nichts eine Menge Stress bereitet.»
Es gab auch schon Fälle, wo ich dachte: Dafür bin ich nicht die richtige Person. Ich komme mit diesem Angeklagten einfach nicht klar.
Barbara Hunkeler
Stress: Das Stichwort soll uns hier als Überleitung dienen, können Verhandlungen am Gericht die Psyche der Richterinnen doch arg strapazieren. Das weiss auch Barbara Hunkeler.
«Ich selbst bin nur einmal fast an meine Grenzen gekommen. Aber ich erinnere mich, dass ein Kollege 2010 mit den Amtsrichtern einen Fall verhandelte, der grosses Medieninteresse auf sich zog. Sie wurden in ihrer Freizeit persönlich darauf angesprochen. Das war für alle Beteiligten sehr belastend.
Ich hatte aber auch schon eine Verhandlung, bei der ich froh war, als sie endlich vorbei war. Ich schaute in jener Zeit zu mir und tat zum Ausgleich bewusst Dinge, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten. Psychisch bin ich relativ stabil.»
Psychische Stärke ist wichtig in Barbara Hunkelers Beruf, geprüft werden die Gerichtsbeamten darauf aber nicht. Für ihr Wohlergehen müssen sie selbst besorgt sein. Das Personalamt des Kantons bietet bei Bedarf zwar psychologische Unterstützung, diese muss aber selbst angefordert werden.
«Es gab auch schon Fälle, wo ich dachte: Dafür bin ich nicht die richtige Person, jemand anders an meiner Stelle wäre besser geeignet. Ich komme mit diesem Angeklagten einfach nicht klar. Ich verstehe ihn nicht, weil er völlig anders gestrickt ist als ich und mir diese Dinge nicht passieren würden.
Man muss sich damit abfinden, nicht alles immer hundertprozentig zu wissen und zu verstehen, und trotzdem Entscheidungen treffen. Man muss damit leben können, dass man nicht immer richtig liegt.»
Barbara Hunkeler sagt es: Amtsgerichtspräsidentin zu sein ist ein Job, der Lebenserfahrung und Menschenkenntnis erfordert. Genau diese Eigenschaften sind es aber auch, die man Laienrichterinnen attestiert: Sie als Vertreterinnen des Volkes und des gesunden Menschenverstandes wüssten schliesslich, wie die einfachen Leute ticken würden. Wie sieht das die Oberrichterin? Oder fragen wir gleich anders: Hält sie das Laienrichtersystem eigentlich für zeitgemäss?
Nun, wenig überraschend möchte sie sich dazu nicht äussern.
«Ob wir Laienrichter haben, ist eine politische Frage. Wenn man meinen Job macht, muss man mit dem Laienrichtersystem leben, egal ob man es gut findet oder nicht. Aber die Leute hängen offenbar daran. Wenn es im Kanton alle zehn bis fünfzehn Jahre wieder mal zur Diskussion steht, wird es vehement verteidigt.»
Wieso wird daran festgehalten?
«Die Leute haben oft das Gefühl, dass Juristen im stillen Kämmerlein etwas aushecken und dann die Menschen damit vor den Kopf stossen. Dem können Amtsrichter als Volksvertreter Gegensteuer geben.»
Amtsgerichtspräsidentinnen sind aber schon auch Teil dieses «Volkes»?
«Ja, natürlich. Aber wir sind nicht mittendrin. Wir sind häufig aussen vor als Zuschauer und Lenker.
Allerdings hat man als Amtsgerichtspräsidentin mit einem Wahnsinnsspektrum von Leuten und Problemen zu tun, sodass man meiner Meinung nach nirgends mehr Lebenserfahrung und Menschenkenntnis sammelt als im Gerichtssaal.»
Die Leute haben oft das Gefühl, dass Juristen im stillen Kämmerlein etwas aushecken und dann die Menschen damit vor den Kopf stossen.
Barbara Hunkeler
Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, da sind sie wieder. Was versteht sie darunter genau?
«Es braucht ein gewisses psychologisches und kommunikatives Flair, man sollte mit den Leuten auf der Strasse genau so reden können wie mit dem Firmenchef. Es schadet auch nicht, wenn man schon etwas älter ist und einiges erlebt hat. Am Gericht sieht man vieles, mit dem man im normalen Leben nie zu tun hat. Man sollte für neue Situationen offen sein.»
Mit «man» meint sie sowohl Amtsgerichtspräsidenten als auch Amtsrichterinnen. Und Personen, die es werden wollen.
Zurück zu den Wahlen (und ein Blick auf das grosse Ganze)
Wenn nun also Amtsrichterwahlen sind im Kanton Solothurn, werden die Amteibeamten für die Dauer von vier Jahren gewählt, und zwar nach dem Majorzwahlverfahren. Sprich: Wer das absolute Mehr erreicht, erhält das Mandat.
Dass in diesem Jahr nur die Anwärterinnen auf die Amtsrichterposten Werbung verschickt haben, hat einen einfachen Grund: Sie messen sich in einer Kampfwahl, fünf Personen erheben Anspruch auf vier Sitze. Entspräche die Zahl der Kandidatinnen jener der Sitze, würden sie in stiller Wahl gewählt. Das ist heuer bei den Ersatzamtsrichterinnen der Fall.
Bei den Amtsgerichtspräsidenten läuft es anders. Tritt vor den Wahlen keiner der Stelleninhaber zurück, sind diese automatisch zur Wahl angemeldet. Im ersten Wahlgang sind nur sie teilnahmeberechtigt. Sie gelten als wiedergewählt, wenn sie das absolute Mehr erreichen, für dessen Berechnung auch die leeren Stimmzettel von Belang sind. Einmal angenommen, man wollte einen amtierenden Amtsgerichtspräsidenten abwählen: Es müssten genügend Leerstimmen eingeworfen werden, um das absolute Mehr zu verhindern. In einem solchen Fall kommt es zu einem zweiten Wahlgang. Wenn dann aber nicht mehr Kandidaten als Stellen zur Verfügung stehen, sind die Vorgeschlagenen in stiller Wahl gewählt.
«Scheinwahl» wurde dieses Prozedere schon genannt, das im ersten Wahlgang weitere Kandidaten neben den Amtsinhabern ausschliesst. Doch das Bundesgericht widerspricht: Die stille Wahl sei notwendig, weil die Amtsgerichtspräsidentinnen keine unabhängigen Urteile fällen könnten und beeinflussbar würden, wenn sie alle vier Jahre um ihre Wiederwahl bangen müssten. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist schliesslich grundlegend in einer Demokratie, in der die Gewaltenteilung hochgehalten wird.
Was uns zu einer interessanten Frage bringt, nämlich: Wird sie das denn wirklich?
Tatsächlich zeigt das Justizsystem der Schweiz, die sich so gerne ihrer demokratischen Ordnung rühmt, einige, nennen wir es einmal: Auffälligkeiten. Wir wollen hier lediglich einen kurzen Blick darauf werfen und werden uns in einem zweiten Teil zum Thema näher damit befassen. Also:
Wer in der Schweiz Richter sein will, muss nicht zwingend einer Partei angehören. Das bestätigen am Amtsgericht Olten-Gösgen gegenwärtig der parteilose Amtsrichter Markus Meyer und der parteilose Amtsgerichtspräsident Valentin Walter (der allerdings von der CVP unterstützt wird). De facto haben Parteilose aber schon auf Amtei-Ebene einen schweren Stand, denn ohne Partei im Rücken muss eine eigene Unterstützerbasis erst mühsam erarbeitet werden. An höheren Gerichten haben sie keine Chance. Weil auf Kantons- und Bundesebene nicht das Volk, sondern das Parlament die Richter wählt. Wer einen Richterposten ergattern möchte, schliesst sich deshalb einer Partei an – am besten einer, die in naher Zukunft einen Sitz zu vergeben hat.
Denn auf allen Gerichtsebenen spielt der Parteiproporz. Das heisst: Die Richterposten werden gemäss Wähleranteil auf die Parteien verteilt. Es ist ein System, das sich über die Jahrzehnte eingependelt hat. Das ist auch in der Amtei Olten-Gösgen so. Hier teilen sich SP (Eva Berset), FDP (Claude Schibli) und CVP (Valentin Walter, parteilos, aber von der CVP unterstützt) die drei Sitze der Amtsgerichtspräsidenten untereinander auf. Es ist ein stillschweigendes Abkommen, auch wenn keiner der angefragten Amteiparteipräsidenten es explizit so nennen will. Und obschon die übrigen Parteien dieses Gleichgewicht angreifen und eigene Kandidaten ins Rennen schicken könnten (so diese vorhanden sind): Bislang hat das System Bestand.
Da die gesetzlichen Anforderungen an die Amtsrichter niedriger sind, ist es auf dieser Ebene für die Parteien etwas einfacher, Kandidaten zu finden. Die Sitzaufteilung unter den Parteien ist weniger fest, die Parteien und Parteilosen sind durchmischter.
So ticken Richter nicht, das sind sehr unabhängig denkende Leute. Ich kenne niemanden, der sich von einer Partei einspannen liesse, eine bestimmte Position zu vertreten.
Barbara Hunkeler
Mit der Parteizugehörigkeit eng verknüpft ist die Mandatssteuer, die jede Richterin ihrer Partei jährlich zu entrichten hat. Diese Abgabe ist weltweit einzigartig, und auch sie ist einfach gängige Praxis, gesetzlich verankert ist sie nicht. Jede Partei handhabt es ein bisschen anders: Bei der FDP ist es die Stadtpartei, die von den Oltner Amtsgerichtspräsidentinnen 500 und von den Amtsrichtern 200 Franken jährlich einfordert. Die kantonale CVP verlangt 1600 respektive 200 Franken. Und bei der SP-Amteipartei liefern die Gerichtspräsidenten 1800 und die Amtsrichterinnen 5 Prozent des im Amt erzielten Bruttojahresgehalts ab. Von den befragten Parteien kennt allein die SVP auf Stadt-, Amtei- und Kantonsebene bisher keine Mandatssteuer. Es gibt aber Überlegungen, eine solche einzuführen.
Wie in anderen Ländern, in denen Richter auf Lebenszeit gewählt werden, sind auch die Richter in der Schweiz meist Jahrzehnte im Amt. Dass sich eine Amtsgerichtspräsidentin dennoch alle vier Jahre zur stillen Wiederwahl stellen muss, hat mit der Mandatssteuer zu tun: Damit sie die «freiwillige» Abgabe pflichtbewusst bezahlt, wird ihr alle paar Jahre in Erinnerung gerufen, wem sie das Amt zu verdanken hat. Die Partei erhält Geld, im Gegenzug muss die Richterin keinen Wahlkampf betreiben. So ist beiden Seiten geholfen.
Die Antikorruptionskommission Greco des Europarates kritisiert die Mandatssteuer als Form der Rückerstattung, die gegen das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit verstosse. Keinen Gefallen findet sie auch an der Intransparenz bei der Politikfinanzierung und der fehlenden staatlichen Parteienfinanzierung in der Schweiz. Solange die Schweizer Parteien nicht vom Staat finanziert werden, wie das in Nachbarländern der Fall ist, wird die Mandatssteuer nämlich kaum abgeschafft werden. Abgaben machen schliesslich nicht nur die Richter, sondern alle Mandatsträger einer Partei. Sie sind für diese eine wichtige Einnahmequelle.
Die Greco fordert von der Schweiz nicht zuletzt, das Wiederwahlverfahren der Richter zu revidieren oder ganz abzuschaffen, um deren Unabhängigkeit zu stärken. Es dürfe keine Möglichkeit bestehen, Richtern wegen unliebsamer Urteile mit ihrer Abwahl drohen zu können. Das ist nämlich durchaus schon vorgekommen.
Und was sagt Barbara Hunkeler zu alldem? Sie findet die Parteizugehörigkeit der Richter, den Parteiproporz und die Mandatssteuer nicht grundsätzlich heikel.
«Die Gerichte sollten ein möglichst breites Spektrum von Haltungen und damit die Bevölkerung abbilden.»
Verschiedene Meinungen sollen in die Rechtsprechung einfliessen. In diesem Sinn schafft die Parteizugehörigkeit der Richter Transparenz, da sie Auskunft über deren Weltanschauung geben. Aber:
«Zum Problem würde die Parteizugehörigkeit dann, wenn die Richter von den Parteien abhängig wären. Doch so ticken Richter nicht, das sind sehr unabhängig denkende Leute. Ich kenne niemanden, der sich von einer Partei einspannen liesse, eine bestimmte Position zu vertreten.»
Ob es wirklich so einfach ist, und was es bedeutet, wenn sich Politik und Justiz vermischen, werden wir demnächst in einem zweiten Teil zum Thema untersuchen.