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Soll ich wirklich kein Bier auf Wein trinken?

Den Mythen zur Kater-Prophylaxe auf der Spur tauchten wir in den Biertank der Brauerei Drei Tannen, sahen im Fläschehals nach und sind ärztlichen Ratschlägen gefolgt.
25. Mai 2022
Text: *Livia Stalder, Fotografie: Timo Orubolo

Wein auf Bier, das rat’ ich dir; Bier auf Wein, das lasse sein.

Meine Recherchen im Alkoholbusiness zeigen sofort: Dieses Sprichwort ist kein gut gemeinter Ratschlag, um den Kater am nächsten Morgen abzuschwächen.

Das erste Mal aufgeschrieben tauchte es im 18. Jahrhundert auf. Der Spruch selbst wurde schon lange Zeit vorher verwendet und verwies damals auf den sozialen Stand. «Im Mittelalter konnte das Wasser in den Städten aufgrund von Verseuchungen nicht immer getrunken werden», sagt Weinhändlerin Corinne Frauenfelder vom Fläschehals in Olten. In diesen Fällen tranken die gut Betuchten Wein und die weniger gut Betuchten Bier. Ergo kam der Wechsel von Wein auf Bier einem sozialen Abstieg gleich.

Corinne Frauenfelder im «Fläschehals»

Mehr ist nicht dran? «Ein nachweislicher Unterschied beim Kater gibt es nicht», sagt unser Arzt des Vertrauens aus Lostorf. «Entscheidend ist die Menge Alkohol im Blut, die der Körper abbauen muss.» Forschende haben das sogar in einer Studie wissenschaftlich belegt: Die eine Gruppe trank Bier und erst dann Wein, die andere vice versa. Denn auch im Englischen gibt es dieselbe Phrase: «Beer before wine and you’ll feel fine; wine before beer and you’ll feel queer.» Unterschiede beim Kater? Fehlanzeige. Um diesen vorzubeugen, nennt unser Arzt andere Tipps: nicht auf leeren Magen trinken und immer wieder zum Wasser greifen.

Also gut. Aber kann man heute dem Getränk noch den sozialen Stand ablesen?

Nein, sagen Luc Nünlist und Simon Gomm der Oltner Bierbrauerei Drei Tannen entschieden. Gegründet haben sie die Brauerei, weil die Stadt aus ihrer Sicht ein eigenes regionales Bier braucht. Mit Hopfen aus Wolfwil und aus Oltner Leitungswasser.

Doch das Bier hat in der Schweiz gegenüber dem Wein einen schweren Stand: «Das vielseitige, bewusste Biertrinken ist erst im Aufschwung», sagt Luc Nünlist und verweist damit auf das stetig wachsende Bierangebot. «Ausserdem ist die Schweiz in weiten Teilen ein Weinland. Und damit ist die gehobene Weinkultur in der Gastronomie fest verankert», ergänzt Simon Gomm.

Auf den Restaurantkarten fehlt deshalb neben dem meist grossen Weinsortiment oft die spannende Bierauswahl. Doch Bier hat viel Potential. «Beim Bierbrauen gibt es keine Grenzen», sagen die beiden Brauer, fasziniert von dessen Entstehungsprozess. «Man mischt vier Zutaten: Hopfen, Wasser, Malz und Hefe, die einzeln nicht so spannend sind. Einen Monat später hat man ein facettenreiches Getränk in der Hand.»

Wie Bier für die Brauer Kunst ist, ist es für Corinne Frauenfelder der Wein. «Es ist schlussendlich ein Naturprodukt», sagt sie, «und viele Faktoren haben Einfluss auf die Qualität des Weines: die Trauben, das Klima, der Boden und das Handwerk.» Zudem sei Wein weit mehr als nur ein Getränk: ein Prestigeobjekt.

Sie erzählt von Weinkellern mit 800 Flaschen und von Menschen, die ihn nicht trinken, sondern als Wertanlage aufbewahren. «Wein ist ein Beziehungsgeschäft», sagt Corinne Frauenfelder. «Ganz besondere Flaschen gibt es nur zu kaufen, wenn man die richtigen Leute kennt.»

Wein ist für die Händlerin ein reines Genussmittel, das sie gern in Gesellschaft mit der Familie und im Freundeskreis trinkt. Doch Alkohol kann vom Genussmittel auch zum Suchtmittel werden. «Wenn man mit Alkohol arbeitet, muss man sich dessen bewusst sein», sagt Corinne Frauenfelder. «Bei Degustationen trinken wir den Wein nicht, sondern probieren ihn nur.»

Auch der Brauerei Drei Tannen ist ein gesunder Umgang mit Gewohnheiten und ihrem Produkt wichtig. «In Zusammenarbeit mit der Stadtküche brauen wir ein Leichtbier, das verantwortungsvollen Konsum und vollen Geschmack vereint», sagt Luc Nünlist. Abstinenz scheint keine massentaugliche Lösung zu sein, aber ein bewusster Umgang schon.

Deshalb fragt auch unser Arzt bei Kontrolluntersuchungen standardisiert nach dem Trinkverhalten und fördert damit das Bewusstsein im Umgang mit Alkohol. Denn bereits der Konsum von kleinen Mengen Alkohol birgt grundsätzlich ein gesundheitliches Risiko, sagt er.

Ob Bier, Wein oder beides, es ist längst keine Frage des sozialen Standes mehr, sondern des Geschmacks und des gesunden Umgangs. In diesem Sinne, es lebe der Prosecco!

*Livia Stalder hat früher in Olten Ballett getanzt und ihr erstes Geld – äs Füfzger-Nötli – als Journalistin bei Kolt verdient. Heute tanzt sie in Zürich zu Techno, kommuniziert für eine NGO in Bern und schreibt Kolumnen für Kolt.


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