Zukunftskultur
Kultur ist, was die Maschine nicht kann. Kultur ist, was die Natur nicht ist. Kultur, das sind unsere Geschichten über unsere Zukunft und über unsere Vergangenheit. Wenn ich hier über Kulturförderung spreche, dann wünsche ich mir mehr Geschichten, vielfältigere Geschichten. Die Mitte könnte prüfen, wie sie diese Geschichten zugänglich machen will, analog und digital. Sie könnte uns helfen, ins Erzählen zu kommen. Denn uns das abstrakt Andere vorzustellen fällt uns schwer. Deshalb könnte die Mitte im Alltäglichen kleine Verrückungen zur Gegenwart pflegen – durch eine Ästhetisierung unserer Alltagskulissen, in der Architektur, in der Art und Weise, wie wir uns im öffentlichen Raum begegnen.
Zukunftskultur als Ästhetisierung des Alltags
Helfen veränderte Kulissen unseres Alltags zu erkennen, wie es einmal sein sollte? Das Impfzentrum böte zahlreiche Möglichkeiten, um mit dem Neuen zu experimentieren. Statt Farben und futuristische Formen dominieren Grau und Warnorange. Warum hat man keine Lichtkünstlerinnen eingeladen, um die Stadthalle zu beleuchten? Warum beharrte man auf Militärzelten, statt jedes Impfzimmer auf andere Art als futuristische medizinische Praxis zu inszenieren? Warum designten Schneider keine schicken Uniformen? Warum hat man nicht gewagt, das Ganze papierlos zu denken? Richtig, das sind keine Geschichten, sondern Kulissen. Aber warum nicht mal anders Zukunft denken, statt immer «form follows function» mal «function follows form»? Dann werden Kulissen zur Grundlage, um Abläufe, Spielregeln, Verwalten neu zu denken.
Zukunftskultur ist Architektur
Brauchen wir Statuen, die für alle sichtbar die Zukunft symbolisieren? Provokative Bauten könnten uns staunen lassen, sie könnten sichtbar machen, was wir fürchten und wonach wir uns sehnen. In Olten gibt es ein einziges Gebäude, das so etwas wie Zukunft ausstrahlt: das Haus mit dem Golddach. Sonst aber fehlen Formen und Farben, die grundlegend vom quadratisch, praktisch Guten der Gegenwart abweichen. Nichts ragt in den Himmel hoch, nichts verläuft diagonal, nichts wird neu gemischt. Zwei, drei radikale Bauten würden reichen, um Olten als Zukunftsstadt ins Gespräch zu bringen. Ein Holzhochhaus, ein Wolkenkratzer, der statt in die Höhe in die Tiefe ragt. Eine Siedlung auf der Aare mit schwimmenden Tinyhouses. Einfach bitte keine weiteren Betonklötze im quadratischen Einheitsmuster der 2010er-Jahre.
Zukunftskultur ist Begegnung
Die Pandemie zeigt eindrücklich, warum wir die Zukunft nicht alleine vor dem Bildschirm verbringen wollen. Wir vermissen die zufälligen, sinnlichen, unkontrollierbaren Begegnungen mit Mitmenschen. Sie bilden die Basis für ein glückliches Zusammenleben, sind Anlass, um uns Geschichten zu erzählen. Nein, analog muss das nicht immer sein. Aber noch immer scheint es am Konzert, in der Bar, im Club, im Park besser zu funktionieren, einen Menschen, seine Gefühle und Geschichten zu erfassen, als vor einem Bildschirm. Will die Mitte diese Begegnungen fördern, investiert sie in vitale Pop-up-Museen und -Restaurants, in Konzerte und Abenteuerspielplätze. Um niemanden auszuschliessen und den Zufall zu kultivieren, fördert sie Begegnungen ohne ökonomischen Hintergrund – auf der Aare, auf Dachgärten oder futuristischen öffentlichen Plätzen.
Die Mitte – was meine ich damit?
Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.
Was bedeutet für dich «Zukunftskultur»?