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«Ein Kunstmuseum ist für politische Uneinigkeit prädestiniert»

Das Oltner Kunstmuseumsprojekt an der Kirchgasse geht in eine entscheidende Phase. Die neue Baudirektorin Marion Rauber verteidigt im Gespräch den Nutzen des Hauses und verspricht ein lebendiges Zentrum.
19. November 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Zuvor sah Marion Rauber, wie die Sonne über Olten aufstieg. Jetzt sieht sie, wie sie sich schlafen legt. Zimmer 711. Das Büro der Baudirektorin. Der Tag legt sich, hüllt die Stadt in blaues Licht, das die nahenden Wintertage ankündigt. Die Oltnerin verliess für ihre zweite Legislatur die Sozialdirektion, verabschiedete sich von ihrem angestammten Fachgebiet. Die nächsten vier Jahre will sie ihre Heimatstadt gestalten. Dafür wagte sie den Sprung ins kalte Wasser.

«Der Arbeitsaufwand ist unvergleichbar grösser», sagt Marion Rauber in ihrem Büro. In der Baudirektion brummt das Tagesgeschäft stärker als überall sonst. Gleich mehrere Projekte stehen an, welche das Gesicht der Stadt verändern werden. Der Schulhausneubau im Kleinholz, der Bahnhofplatz, die Stadtteilverbindung Hammer … Und: das Kunstmuseum. Mit ihm will die Stadt die Kirchgasse weiter aufwerten. Eben erst entschied der Stadtrat, sich auf das Kunsthaus zu beschränken – die Liegenschaft nebenan will er über einen Wettbewerb im Baurecht an eine Investorin abgeben und von dieser entwickeln lassen.

Der Stadtrat hat entschieden, das Projekt an der Kirchgasse aufzuteilen. Aus welchen Gründen?

Dass wir nur ein Gebäude für das Kunstmuseum nutzen, war seit längerem klar. So lautet auch der politische Auftrag. Beide Gebäude im Herzen der Stadt gehören uns, beide müssen wir dringend sanieren. Der Liegenschaft Nummer 8 neben dem Kunstmuseum wollen wir einen anderen Zweck geben. Wir sehen kein Vakuum, das wir als Stadt füllen müssen. Entweder wir hätten das Gebäude selbst entwickelt, verkauft oder, wofür wir uns nun entschieden haben, es im Baurecht an einen Investor abgegeben.

Rendering: «VEDO DOVE DEVO» (1. Rang / 1. Preis), ARGE Buchner Bründler Architekten AG, Basel / Proplaning AG, Basel / Robin Winogrond Landschaftsarchitekten, Zürich

Dass die Stadt dort eine Jugendherberge oder ein offenes Kulturzentrum betreibt, war keine Option?

Nein, zu keinem Zeitpunkt. Denkbar wäre gewesen, dass wir selbst investieren, die Liegenschaft entwickeln und später Mieterinnen suchen. Der Stadtrat hat sich dagegen entschieden.

Beide Projekte müssen nun dennoch koordiniert sein.

Für das Kunstmuseum müssen wir im nächsten Schritt im Parlament den Projektierungskredit abholen. Gleichzeitig wollen wir für die Nummer 8 einen Investorenwettbewerb ausschreiben. Im Baurecht können wir Vorgaben machen. Wir möchten den Rahmen nicht zu eng stecken, aber doch kundtun, was an der Kirchgasse aus unserer Sicht möglich ist. Für die Investorin muss es gleichwohl attraktiv sein. Eine Jury wird ein Projekt auswählen. Im Gremium sollen Menschen über das Stadthaus hinaus vertreten sein, beispielsweise aus dem Gewerbe und Tourismus.

Hat der Stadtrat diskutiert, was mögliche Wunschlösungen sind?

Für mich muss das Projekt eine Aussenwirkung haben. Wir wollen kein stilles Gewerbe mit verschlossenen Fenstern. Es könnte Gastronomie oder eine Markthalle beinhalten. In den Obergeschossen ist attraktiver Wohnraum denkbar.

Sollte an dieser Lage nicht das ganze Gebäude der Allgemeinheit offenstehen?

Das erfüllen wir an der Kirchgasse 10 mit dem Kunstmuseum. An der Kirchgasse 8 wird der wichtigste Teil, nämlich das Erdgeschoss, für alle zugänglich sein. In den Obergeschossen wären beispielsweise offene Co-Workingplätze denkbar, diese gibt’s in der Stadt aber genügend. Eine Jugendherberge hatten wir vor ein paar Jahren abgeklärt, vonseiten Dachorganisation bestand kein Interesse. Wir sind grundsätzlich offen für gute Ideen. Für uns als städtische Vertretung muss vor allem ein Mehrwert für die Bevölkerung gegeben sein. Ein Investor möchte natürlich auch einen Ertrag sehen.

Die Neugestaltung des Munzingerplatzes will der Stadtrat noch nicht einbeziehen. Würde dies raumplanerisch nicht Sinn ergeben?

Der Munzingerplatz soll nicht einfach ein Anhängsel der Liegenschaften sein. Eine räumliche Abhängigkeit ist gegeben. Aber wir wollen sie nicht koppeln, damit die Liegenschaften und der Munzingerplatz eigenständig funktionieren können. In zehn Jahren ist der Zeitgeist vielleicht ein anderer.

In seinem letzten Communiqué erklärt der Stadtrat, warum Olten ein Museum braucht. Wieso unterstreichen Sie dies?

Weil in der Diskussion um das Kunstmuseum ein wichtiger Punkt vergessen geht: Nämlich dass wir eine namhafte Sammlung besitzen, um welche wir uns kümmern müssen. Wir hätten ein riesiges Problem, wenn wir kein Kunstmuseum mehr hätten. Was würden wir nur mit allen Kunstwerken machen, die der Stadt gehören? Teilweise sind es Schenkungen, Leihgaben und so weiter … Die Kunstwerke können wir nicht einfach in einen Keller stellen und dann vergessen. Mit dem Wegfall unseres Kunstmuseums würde ein Eckpfeiler des städtischen Kulturangebots verloren gehen.

Gewisse Politexponenten argumentieren, ein Kunstlager liesse sich günstig in der Industrie machen und in der Innenstadt könnten die Gebäude mit hoher Rendite geführt werden.

Ein Kunstmuseum gehört für mich ins Zentrum der Stadt. Die unter Denkmalschutz stehende Liegenschaft erfüllt einen sinnvollen Zweck und bleibt als öffentliches Gebäude mitten in der Stadt erhalten. Die Reichweite des Museums wird unterschätzt. Am Ende sagen Parlament und Volk, wie es weitergehen soll.

Wie wollen Sie die kritischen Stimmen überzeugen?

Ein sehr wichtiger Punkt ist für mich die neue Art von Museum, das die Kuratorinnen leben. Heute sind die Museen keine elitären Orte mehr, wo der Eintritt viel Geld kostet. Wer auf einem Stadtspaziergang ist, soll auch durchs Museum gehen können und dann weiterziehen. Dieser Aspekt sollte in der Bevölkerung mehr Resonanz kriegen. In den neuen Räumen werden sich den Kuratorinnen noch mehr Möglichkeiten bieten. Heute schon vermitteln sie den Schulklassen Kunst. Das Museum soll ein Angebot für alle sein.

Rendering: «VEDO DOVE DEVO» (1. Rang / 1. Preis), ARGE Buchner Bründler Architekten AG, Basel / Proplaning AG, Basel / Robin Winogrond Landschaftsarchitekten, Zürich

Ein offenes Museum liesse sich mit einem Begegnungszentrum verknüpfen, einer Art zweites Cultibo.

Solche Überlegungen gibt es, aber ein Kunstmuseum eignet sich nur bedingt. Die Kunsträume vollständig zu öffnen, würde nicht funktionieren. Ich sähe ein Begegnungszentrum eher mit anderen Nutzungen kombiniert. Einer Bibliothek oder einem Zentrum mit neuen Medien.

Der Stadtrat lässt das Kunstmuseum-Siegerprojekt vom Architekturbüro überarbeiten. Steht dabei auch das offene Museum im Fokus?

Primär geht es darum, Betriebsabläufe zu optimieren und das Kostendach einzuhalten. Dabei stellen sich die Fragen zu den unterirdischen Geschossflächen und den verwendeten Materialien. Das Parlament hat ein Kostendach von 14 Millionen Franken festgelegt, darin müssen wir uns bewegen.

Das Siegerprojekt war unbestritten die beste Eingabe. Der Entwurf kommt von einem Büro aus der Museumsstadt Basel, wo klassische Museen funktionieren, was dem Projekt anzusehen ist. Sollte das offene Museum für eine Kleinstadt darin nicht stärker mitgedacht sein?

Da habe ich keine Bedenken. Für mich ist ebenso wichtig, dass das Museum eine komplett eigenständige Fassade nach hinten erhält. Der Munzingerplatz ist für mich ein zentrales Anliegen und den müssen wir aufwerten. Das Museum soll eine eigene Identität haben und im Kontext zu unserer Innenstadt stehen.

Das Museum wächst in den Platz der Begegnung hinein. Damit wird auch ein grosser Baum weichen müssen.

Das ist unbestritten schade, in der Interessenabwägung aber sinnvoll. Alternativ hätten wir beide Liegenschaften fürs Kunstmuseum gebraucht. Dafür fehlt die politische Akzeptanz. Zudem hätten wir die grosse Chance verpasst, die heutige Hinterhofsituation aufzuwerten. Im Siegerprojekt ist dies besonders gut gelungen.

Das Parlament hat sich mehrmals zum Kunstmuseum bekannt. Vielleicht weil aber nie eine deutliche Mehrheit dahinterstand, gelang es jeweils nicht, vollständige politische Klarheit zu haben.

Ein Kunstmuseum ist für politische Uneinigkeit prädestiniert. Wenn wir über das Stadttheater, die Badi oder die Eishalle sprechen, erheben sich weniger Stimmen dagegen, weil man sich unbeliebt macht. Was wir etwa in unsere Sportanlagen investieren, ist aber genauso für eine Minderheit. Da geben wir auch viel Geld aus. In der Kunst und Kultur ebenso. Gewisse Bereiche sind nun mal stärker mit Polemik beladen.

Umso wichtiger wäre die Frage, wie die Stadt die Bevölkerung einbeziehen kann. Am Ende stimmt sie ab.

Unsere Aufgabe wird es sein, der Bevölkerung den Mehrnutzen zu zeigen und was sie für die Investition kriegt. Wir als Stadt sind dafür verantwortlich, das historische Erbe zu erhalten. Seien es Bilder oder Bauten.

Was bekommen Olten und die Region?

Ein offenes Kunstmuseum an bester Lage, das die Innenstadt rundherum bespielt. Sie werden die Fensterläden nicht verschliessen. Nicht alles, was lebt, muss Gastronomie oder Konzerte sein. Auch ein Museum, das sich öffnet, kann dies.


Was würdest du dir an der Kirchgasse neben dem geplanten Kunstmuseum wünschen?

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