Krieg in der Ukraine, ein zappendusterer Klimabericht – und Neues zum Ursprung von Sars-CoV-2
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Krieg in der Ukraine: Ein Überblick
Die Lage in der Ukraine: Nachdem der russische Einmarsch in den ersten Tagen stockte, haben die Generäle offenbar die Strategie gewechselt. Vermehrt wird nun in Siedlungsgebieten geschossen statt auf rein militärische Ziele. Grosse ukrainische Städte – besonders in den Grenzgebieten – sind teilweise dauerhaft und massiv unter Beschuss geraten. Besonders betroffen sind die Millionenstadt Charkiw im Nordosten und die Küstenstadt Mariupol. Am Mittwoch geriet mit Cherson die erste und strategisch wichtige Stadt unter russische Kontrolle. Auch Kiew ist unter Beschuss, wiederholt kam es zu schweren Explosionen und Luftangriffen. Ein riesiger russischer Militärkonvoi ist inzwischen bis vor die Tore der Hauptstadt vorgedrungen. «Wir bereiten uns vor und werden Kiew verteidigen!», meldete Kiews Bürgermeister Witali Klitschko über die sozialen Medien. Am Mittwoch hat die Uno-Vollversammlung den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt. Belarus, Nordkorea, Eritrea, Syrien und natürlich Russland stimmten gegen die entsprechende Resolution. «Dieses Dokument wird uns nicht erlauben, militärische Aktivitäten zu beenden», kommentierte der russische Uno-Botschafter Wassili Nebensja.
Die humanitäre Lage: Die Auswirkungen des inzwischen zehntägigen Kriegs auf die Bevölkerung sind immens: Gemäss den Vereinten Nationen sind seit Beginn der russischen Invasion über 1 Million Ukrainerinnen aus dem Land geflohen. Immer mehr Menschen fallen den Beschüssen zum Opfer: 752 Zivilisten wurden bisher getötet, meldete die Uno am Donnerstag, die ukrainischen Behörden sprechen von über 2000 toten Zivilistinnen. Auch unter den Soldaten sollen auf beiden Seiten Hunderte, wenn nicht Tausende getötet worden sein. Die Zahlen sind jedoch kaum zu verifizieren.
Die Reaktionen: Der Westen reagierte diese Woche mit Sanktionen von bisher ungesehener Härte auf die Invasion. So haben EU und USA (und die Schweiz) inzwischen nicht nur ausländische Konten von Wladimir Putin und dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow eingefroren, sondern unter anderem auch ausländische Devisen auf der russischen Zentralbank – mit verheerenden Folgen für die russische Wirtschaft. Viele Staaten, darunter die Schweiz, haben den Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt. Auch zahlreiche Grosskonzerne stoppten ihre Exporte nach Russland als Folge der Invasion. Um die Ukraine im Kampf zu unterstützen, hat die EU 450 Millionen Euro für militärische Ausrüstung freigegeben. Viele Länder liefern direkt Waffen und Munition ins Land.
Die Gegenreaktion Russlands: Putin wiederum reagierte mit Drohgebärden auf die Finanzsanktionen. Am Sonntag nahm er die «aggressiven Äusserungen» der Nato zum Anlass, seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Dennoch haben sich tags darauf erstmals Vertreter der ukrainischen und russischen Regierung an einem Verhandlungstisch in Belarus zusammengefunden in der Hoffnung auf Waffenstillstand. Doch ein Durchbruch blieb bisher aus, die Gefechte dauern an. In Russland regt sich in Form von Protesten der Widerstand gegen den Krieg, trotz massiver Repression. Tausende Demonstrantinnen wurden verhaftet. Unabhängige Medien im Land werden wegen der Verbreitung angeblicher Falschinformationen gesperrt.
Was als Nächstes geschehen könnte: Ein baldiges Ende des Kriegs ist nicht abzusehen. Eine schnelle Machtübernahme in der Ukraine, wie sie sich Russland wohl erhofft hatte, scheint gescheitert. Das zeigen auch Aufnahmen von hungernden russischen Soldaten, die ukrainische Geschäfte plündern. Der Widerstand in der Ukraine scheint grösser, als von Putin antizipiert. Am Mittwoch rief Wolodimir Selenski die Bevölkerung dazu auf, diesen Widerstand aufrechtzuerhalten. «Wir sind ein Volk, das innerhalb einer Woche die Pläne des Feindes zerstört hat», sagte er in einer Videobotschaft. Und schmiedet selber neue Pläne: So hat Selenski diese Woche einen Beitrittsantrag für die EU gestellt und für seine Rede vor dem Europaparlament stehende Ovationen erhalten. Ein Beitritt im Eilverfahren scheint aber unwahrscheinlich.
Australien: Schwere Überschwemmungen im Osten des Landes
Darum geht es: Australien leidet unter dem schlimmsten Hochwasser seit Jahrzehnten. Betroffen sind die Bundesstaaten New South Wales und Queensland im Osten des Landes mit den Millionenstädten Sydney und Brisbane. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben, unzählige werden vermisst, Zehntausende mussten aus unzugänglichen Gebieten gerettet werden. Nach wie vor warten Hunderte auf Rettung, viele von ihnen auf den Dächern ihrer Häuser. Zehntausende Gebäude sind zerstört, über 50’000 ohne Strom, Hunderte Schulen bleiben geschlossen, der öffentliche Verkehr liegt lahm. Vor allem rund um die Stadt Lismore in New South Wales sind die Pegel rasend schnell gestiegen.
Warum das wichtig ist: Die Hochwasser sind eine Folge extremer Niederschläge aufgrund eines sich nur langsam bewegenden Tiefdruckgebiets. Extremwetterlagen nehmen in Australien besonders stark zu – laut Expertinnen eine Folge des Klimawandels. Noch im Januar war die Bevölkerung in den australischen Sommermonaten von einer Hitzewelle heimgesucht worden. Im Westen des Landes stieg die Temperatur auf über 50 Grad. Ausserdem haben die besonders verheerenden Waldbrände von 2019 und 2020 in Australien zu einer Vergrösserung des Ozonlochs geführt.
Was als Nächstes geschieht: Entspannung ist nicht in Sicht, Meteorologen warnen vor sintflutartigen Regenfällen in den kommenden Tagen. Die Rettungsaktionen dauern an. Im Mai stehen in Australien Parlamentswahlen an, doch bislang haben die Parteien den Klimanotstand kaum zum Thema gemacht. Wissenschaftlerinnen warnen, dass sich die Extremwetterlagen im Land weiter verschlimmern werden mit horrenden Kosten für die Wirtschaft und immer mehr Toten infolge von Hitzewellen, Waldbränden und Überschwemmungen.
Weltklimarat: Auswirkungen der Klimakrise sind drastisch
Darum geht es: Diese Woche erschien der zweite Band des sechsten IPCC-Sachstandsberichtes. Darin beurteilen und bewerten Hunderte Forscherinnen aus aller Welt den aktuellen Stand der Klimakrise. Im neuen Bericht untersuchen sie primär die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf den Menschen und die Natur. Die Forscher gehen davon aus, dass die Biodiversität durch die steigenden Temperaturen stark gefährdet ist. Für einige wenige Tierarten ist belegt, dass sie als Folge der Klimaerwärmung bereits ausgestorben sind. Durch schmelzende Gletscher oder tauende Permafrostböden sind ganze Ökosysteme bald nicht mehr zu retten. Ausserdem schreiben die Forscherinnen, dass bis zu 3,6 Milliarden Personen als Folge der Klimaerwärmung in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit bedroht sind. Von den Gefahren – Fluten, Wirbelstürmen, Dürren, Hitzewellen – besonders betroffen sind Menschen, die in West- und Zentralafrika, Lateinamerika und diversen asiatischen Ländern leben.
Warum das wichtig ist: Der Weltklimarat publiziert seit 1990 alle sechs Jahre einen neuen Sachstandsbericht. Am zweiten Band des neuen Reports haben Wissenschaftlerinnen aus 67 Ländern mitgearbeitet. Er fasst die Erkenntnisse aus über 34’000 Studien zusammen und ist somit die umfangreichste Bestandsaufnahme der Klimakrise. Der neuste Bericht zeigt mit noch mehr wissenschaftlichen Belegen, wie drastisch die Auswirkungen der Klimakrise sind und sein werden. Der Klimawandel sei eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und den Planeten, sagt Hans-Otto Pörtner, einer der Leitautoren des neuen Weltklimaberichts. «Wir haben nur ein kleines Zeitfenster für den Klimaschutz und die Anpassungen.»
Was als Nächstes geschieht: Der dritte und letzte Teil des Sachstandsberichts soll im März verabschiedet werden. Er wird sich mit der Anpassung an die Klimakrise sowie der Reduktion von Treibhausgasen befassen.
Corona: Neue Hinweise zum Ursprung des Virus
Darum geht es: Aus dem Labor oder aus der Tierwelt – noch ist der Ursprung von Sars-CoV-2 nicht geklärt. Drei neue, wissenschaftlich noch nicht begutachtete Studien, weisen auf die Bedeutung des berühmtberüchtigten Markts in Wuhan hin. Viele der ersten Infizierten hätten sich gemäss den Studien in dem Teil des Marktes aufgehalten, wo lebendige Tiere dicht an dicht zum Verkauf bereitstanden. Forschende konnten gleich zwei frühe Virusvarianten dort nachweisen, das Coronavirus könnte sich also gleich zweimal von einem Tier auf einen Menschen übertragen haben.
Warum das wichtig ist: Die Frage nach dem Ursprung des Coronavirus wird seit dem Frühling 2020 heiss debattiert. Verschiedene Wissenschaftlerinnen teilten damals unterschiedliche Einschätzungen, eine prominente Gruppe lehnte aber die Laborhypothese als Verschwörungserzählung ab. Die Resultate der folgenden Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation WHO in China blieben uneindeutig. Eine weitere Gruppe von erfahrenen Fachleuten forderte darauf im Frühling 2021 verstärkte Anstrengungen: «Beide Theorien bleiben realistisch, die versehentliche Freilassung aus einem Labor und die Zoonose», schrieben sie in einem offenen Brief, den die Zeitschrift «Science» veröffentlichte, die Laborhypothese sei aber in der WHO-Untersuchung wenig berücksichtigt worden. Der Virologe Christian Drosten erklärte in der Republik, weshalb er einen natürlichen Ursprung für wahrscheinlicher hält, wofür er wiederholt angefeindet wurde. Die neuen Hinweise schliessen einen Laborunfall nicht aus, sie stützen aber die zoonotische Hypothese.
Was als Nächstes geschieht: Mit den zusätzlichen Indizien zur Bedeutung des Huanan Seafood Market ist ein Virusursprung in der Tierwelt plausibler geworden. Aber ein gut besuchter Markt könnte auch lediglich als Verstärker für einen Ausbruch anderen Ursprungs funktionieren. Wenn man künftig etwa Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut von Tieren nachweisen könnte, die auf dem Markt verkauft wurden – oder bei Tieren von Farmen, die an den Markt lieferten – wäre das ein überzeugenderes Indiz. (Bisher waren solche Proben negativ, gemäss Virologe Drosten müssten aber viel mehr solche Proben geprüft werden, gerade bei Tieren, die als mögliche Zwischenwirte infrage kommen). So oder so dürfte es sich lohnen, bei präventiven Massnahmen gegen künftige Epidemien beide möglichen Ursprünge im Blick zu behalten.
Zum Schluss: Putin hat uns den Appetit verdorben
Während die Ukraine unter Beschuss steht, hat der russische Präsident Wladimir Putin in seinem eigenen Land eine massive Desinformationskampagne ausgerollt. Via die russischen Staatsmedien, aber auch via SMS oder Telegram-Kanäle werden Falschmeldungen verbreitet – darüber, wie sich ukrainische Truppen ergeben hätten, wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski geflohen sei, wie das russische Militär gegen ukrainische Nazibataillons kämpfen müsse. An verlässliche Informationen zu kommen, ist in Russland zunehmend schwierig. Die Cyberaktivistengruppe Anonymous schlägt deshalb auf Twitter vor, via Google Maps mit der russischen Bevölkerung in Kontakt zu treten. Und zwar, indem man auf der Online-Karte eine Bewertung für eine Firma oder ein Restaurant in Russland schreibe – und dabei erkläre, was in der Ukraine los sei. So sollen russische Bürgerinnen über den Krieg in der Ukraine aufgeklärt werden, ohne dass Putins Regierung die Aussagen zensurieren kann. Anonymous hat dazu auch gleich noch eine russische Textvorlage für die Bewertung gepostet: «Das Essen war super! Leider hat uns Putin mit dem Einfall in die Ukraine den Appetit verdorben. Lehnt euch gegen euren Diktator auf, hört auf, unschuldige Menschen zu töten! Eure Regierung lügt euch an. Steht auf!» Tausende von Menschen folgten dem Aufruf.
Was sonst noch wichtig war
- Corona in der Schweiz: Die Fallzahlen nahmen diese Woche wieder zu. Dahinter stecken vermutlich die neuesten Öffnungsschritte sowie die Omikron-Subvariante BA.2, die noch einmal ansteckender ist und mittlerweile geschätzt 30 Prozent der Schweizer Infektionen verursacht. Was eine grössere Zunahme der BA.2-Infektionen für das Gesundheitssystem bedeuten würde, bleibt abzuwarten. Beruhigend ist, dass Impfungen gegen eine symptomatische Infektion mit BA.2 ähnlich gut zu schützen scheinen wie gegen eine Erkrankung an BA.1.
- Frankreich: Amtsinhaber Emmanuel Macron hat seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen verkündet. In Umfragen führt er seit Wochen mit 25 Prozent, gefolgt von der Rechtspopulistin Marine Le Pen (17 Prozent).
- OPEC: Die Organisation erdölexportierender Länder will die Ölproduktion weiter nur schrittweise steigern, was zu steigenden Ölpreisen führt. Die Internationale Energieagentur will nun Öl aus strategischen Reserven freigeben.
- Frontex: Die EU-Antibetrugsbehörde erhebt schwere Vorwürfe gegen die Europäische Grenzschutzagentur. Sie hat eine Untersuchung wegen Belästigung, ungetreuer Amtsführung und illegaler Pushbacks von Migrantinnen eröffnet.
- China: Hongkong meldete am Donnerstag mit 56’827 neuen bestätigten Covid-19-Fällen einen neuen Rekord. Die Behörden erwägen einen harten Lockdown. Die bis dahin erfolgreiche «Zero-Covid»-Strategie konnte die hoch ansteckende Omikron-Variante nicht mehr aufhalten.
- USA I: Der US-Präsident nominiert Ketanji Brown Jackson als Richterin am Obersten Gericht der USA. Die 51-Jährige wäre die erste afroamerikanerische Frau, die diesen Posten erhält. Sie muss noch vom Senat bestätigt werden.
- USA II: In seiner ersten Rede zur Lage der Nation thematisierte Präsident Joe Biden kurz den Krieg in der Ukraine. Danach präsentierte er innenpolitische Pläne zu Pandemie, Inflation, Infrastruktur und dem Schutz der US-Wirtschaft.
- Neuseeland: Corona-Massnahmen-Gegner haben am Mittwoch vor dem Parlamentsgebäude in Wellington ihr Protestcamp in Brand gesetzt, als dieses von der Polizei geräumt wurde. 38 Personen wurden verhaftet.
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