Hier leben die glücklichsten Velofahrerinnen der Schweiz
Pro Velo Schweiz verleiht alle vier Jahre den «PRIX Velostädte». Gleich dreimal in Folge wurde Burgdorf von seiner velofahrenden Bevölkerung zur velofreundlichsten Stadt der Schweiz gekürt – noch vor den grossen Städten wie Basel, Bern oder Winterthur. Ausserdem hat es Burgdorf auch in der Kategorie «Kleine Städte» (mit weniger als 30’000 Einwohnern) aufs Podest geschafft. Wie macht die Stadt das? Ein Interview mit Rudolf Holzer, Leiter der Baudirektion.
Herr Holzer, sind Sie heute Morgen mit dem Velo zur Arbeit gefahren?
Leider nein. Mein aktueller Arbeitsweg ist dazu schlicht zu weit.
Wie kam es, dass dem Veloverkehr in Burgdorf früh einen hohen Stellenwert beigemessen wurde?
Von 1996 bis 2006 war Burgdorf Velo- und Fussgängermodellstadt. In dieser Zeit war die Stadt ein Experimentierlabor für innovative Ansätze zur Förderung des Langsamverkehrs. Unter anderem wurde die erste Begegnungszone der Schweiz im Bahnhofsquartier realisiert und getestet. Seither sind die Themen Koexistenz der verschiedenen Verkehrsträger und gegenseitige Rücksichtnahme zentrale Elemente. Die Fussgänger als schwächste Verkehrsteilnehmer haben dabei immer Priorität.
Welche Projekte wurden in Burgdorf in den letzten Jahren realisiert, die sich für Velofahrerinnen positiv ausgewirkt haben?
Es konnten grossflächige Tempo-30-Zonen und Begegnungszonen umgesetzt werden. Mittlerweile sind alle Wohnquartiere in Burgdorf verkehrsberuhigt. Wo möglich wurden die Einbahnstrassen für die Velofahrer in Gegenrichtung geöffnet. Sogenannte Netzwiderstände, welche das Velofahren unattraktiv machen, werden im Rahmen von anstehenden Bauprojekten behoben.
Wo gibt es Schwierigkeiten?
Zum Beispiel bei den Personenunterführungen in den insgesamt vier Bahnhöfen auf dem Stadtgebiet. Aufgrund der verfügbaren Verkehrsfläche haben Fussgängerinnen Priorität. Der Raum fehlt, um diese auch für Velos zu öffnen.
In Olten ist der Weg durch die Altstadt mit einem Fahrverbot für Velofahrer belegt. Wie handhabt das Burgdorf?
Die Altstadtgassen in Burgdorf sind für den Veloverkehr durchgehend geöffnet.
Existieren in Burgdorf Schnellrouten für Velofahrer?
In Burgdorf gibt es den Veloring und die Velohochstrasse entlang des Bahntrassees. Dies sind jedoch Mischverkehrsflächen für den Langsamverkehr und nicht Schnellrouten im eigentlichen Sinn. In Planung ist zudem eine separate Verbindung für den Langsamverkehr vom Bahnhof SBB in das Industriequartier Buchmatt. Damit wollen wir dieses grosse Gewerbe- und Industriegebiet für den Langsamverkehr besser, direkter und sicherer erschliessen.
Verfügen Sie bei der Stadt über ein eigenes Kompetenzzentrum für Velo- und Fussgängerfragen?
Die Baudirektion beschäftigt sich im Bereich Stadtentwicklung mit diesen Fragen und koordiniert diese direktionsintern mit den anderen Bereichen, zum Beispiel mit dem Tiefbauamt und anderen Stellen.
Wie beziehen Sie die Bevölkerung bei der Umsetzung neuer Massnahmen ein?
Die Stadt Burgdorf verfolgt bei neuen Verkehrsberuhigungsprojekten den Ansatz, dass diese von den Quartieren initiiert werden sollen. Auf Antrag der Quartiervereine wird ein Verkehrsberuhigungsprojekt (Tempo-30-Zone/Begegnungszone) ausgelöst. Hierzu müssen über fünfzig Prozent der Quartierbewohner das Projekt unterstützen. Dies belegt der Quartierverein mittels einer Umfrage.
Wie stellen Sie sicher, dass die Interessen der Autofahrerinnen und Velofahrer nicht gegeneinander ausgespielt werden?
Wir berücksichtigen die Interessen aller Menschen im Verkehr gleichermassen. Der Konflikt zwischen Auto- und Velofahrer besteht heute inzwischen weniger, die Interessenskonflikte auf unserem Stadtgebiet sind eher zwischen Velofahrern und Fussgängerinnen zu verorten. Auch hier gilt das Prinzip: Der Schwächere hat Priorität.
Wo sehen Sie für Burgdorf Verbesserungspotenzial beim Veloverkehr beziehungsweise welche Schritte planen Sie für die Zukunft?
Die Stadt muss das Thema der Koexistenz im Bereich Langsamverkehr koordinieren und den dazu notwendigen Raum schaffen. In der laufenden Nachverdichtung des Stadtgebietes ist das eine Herausforderung. Zudem müssen die Mobilitätsbedürfnisse der Nutzerinnen der Stadt miteinbezogen und diese auf die vielfältigen Möglichkeiten und Angebote im Bereich Mobilität abgestimmt werden. Die Betrachtung des Velos allein reicht heute nicht mehr, um unsere Städte auf die zukünftigen Anforderungen vorzubereiten. Im Rahmen des kommunalen Siedlungsrichtplans “Vision Burgdorf 2035” werden auch diese Themen in den Partizipationsprozessen mit der Bevölkerung wichtig sein.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Das sind die 10 velofreundlichsten Schweizer Kleinstädte
Städte mit weniger als 30’000 Einwohner
- Burgdorf
- Reinach (BL)
- Solothurn
- Muttenz
- Riehen
- Baar
- Grenchen
- Münsingen
- Kreuzlingen
- Martigny
Olten landete im Ranking 2018 auf Platz 13 von 18 Kleinstädten. Der Schlussbericht hält fest, dass Olten während der letzten zwölf Jahre, in denen die Befragung durchgeführt wurde, «bemerkenswerte Fortschritte» gemacht habe. Am meisten kritisierten die 155 Oltnerinnen, die an der Umfrage teilgenommen haben, den mangelnden Stellenwert des Velofahrens bei den Behörden.
Die nächste Umfrage von Pro Velo Schweiz in Zusammenarbeit mit Schweizer Städten und dem Bundesamt für Strassen ist für den Herbst 2021 geplant.
Was macht das Velofahren für dich angenehm?
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Separate breite Velowege ohne Autoverkehr. Solche Wege brauchte es von jeder Himmelsrichtigung in eine Stadt!