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«In der schlechtesten Zeit solltest du vorausschauen und Gas geben»

Die Folgen des Virus haben die Kulturbranche gelähmt. Wie gehen die Menschen, die unserem Leben mit ihrem Schaffen Farbe geben, damit um? Mike Zettel bringt als Oltens Mister Popkultur zahlreiche Grossanlässe in die Kleinstadt. Das zu Ende gehende Jahr schüttelte auch ihn durch, aber Zettel stand wieder auf. Teil zwei unserer Kurzserie.
29. Dezember 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Selfmade-Mann Mike Zettel beschriftet auch sein Auto selbst.

Normalerweise bringt er Menschen zusammen. Wo Mike Zettel ist, ist Popkultur garantiert. Er ist Kopf der Oltner Messe (MIO), brachte das Streetfoodfestival in die Kleinstadt und dieses Jahr wollte er Olten mit einem Adventsdorf weihnächtliche Stimmung einhauchen. In den letzten Jahren verbuchte der in Trimbach aufgewachsene Zettel mit seinen Ideen einen Erfolg nach dem anderen. Auch in der Nachbarschaft machte er auf sich aufmerksam und so berief auch Aarau ihn zum Chef der Messe.

Das Virus bremste den Aufschwung seiner Firma Kein Ding GmbH abrupt. Wenige Tage vor dem Jahreswechsel erreichen wir Mike Zettel per Videoanruf in der Quarantäne. Das Krisenjahr ging nicht spurlos an ihm vorbei. Er, der sonst kaum zu bremsen ist, erzählt: «Einmal sass ich am Abend draussen im Garten und rauchte eine Zigarette, als mir plötzlich und unerwartet die Tränen kamen.» Immerhin einen Freudenmoment erfuhr er auch im 2020. Mike Zettel konnte seine eigene Hochzeit im September feiern. «Es war das einzige Fest und das einzig Gute in diesem Jahr», sagt er lachend. Trotz Existenzängsten liess sich Zettel nicht in die Ecke treiben und nahm sich vor: «Jetzt ist der Zeitpunkt, um vorauszuschauen.»

Kein Ding rüstet sich mit einer neuen Lagerhalle in Rickenbach für die Zeit nach Corona.

Mit Ihrer Firma stehen Sie für die Devise «Wir kommen mit allem klar». Wie sind Sie mit dem vergangenen Jahr umgegangen?

(lacht) Alles war angerichtet. Wir hatten in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wachstum. Fürs Jahr 2020 waren die Auftragsbücher voll. Es wäre das Jahr geworden. Ab März wäre es losgegangen. Aber im Februar wurde aus einem vollen ein leerer Kalender. Über das ganze Jahr hinweg konnten wir ungefähr fünf kleine Aufträge erfüllen. Jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Die Unsicherheit ist noch gross und fürs 2021 haben wir bisher erst ein paar kleine Anfragen erhalten.

Was bedeutete dieser Einbruch finanziell für Sie?

Wir erzielten einen Jahresumsatz von 13 Prozent gegenüber 2019. Sogar im Gründungsjahr machten wir mehr Umsatz. Wir haben Weihnachtsbeleuchtungen hochhängen können, fürs Gewerbe Olten die grossen Tannenbäume installiert und im Sommer noch zwei kleinere Firmenprojekte sowie ein Sampling durchführen dürfen.

Fühlten Sie sich in den Maschen der Staatshilfe aufgefangen?

Nicht wirklich. Wir haben von unserer Reserve, meinem privaten Geld und einem Überbrückungskredit gelebt. Eine meiner Angestellten arbeitet mittlerweile auch nicht mehr bei uns, weil sie nicht das ganze Jahr hinweg auf Kurzarbeit sein wollte.

«Wir sind eine Dienstleistungsagentur. Ich wollte nicht plötzlich Porzellangeschirr verkaufen.»

Was konnten Sie als Eventveranstalter vom Corona-Jahr lernen?

Nicht viel. Die Lage ist derart unsicher, dass es nichts bringt, vorauszuplanen. Du kannst einen Kundenanlass mit üblicherweise 1000 nicht einfach plötzlich mit 20 Personen durchführen. Zudem lässt sich das Liveerlebnis nicht digital ersetzen. Corona zeigte höchstens, dass man nicht wegen jedem Meeting nach Zürich fahren muss. Auch die vielen Schutzkonzepte, die ich geschrieben habe, waren lehrreich. Eines war über 48 Seiten lang. Umsatteln kam für mich hingegen nicht infrage. Wir sind eine Dienstleistungsagentur. Ich wollte nicht plötzlich Porzellangeschirr verkaufen. Also haben wir die Zeit genutzt, um die Zukunft zu planen. Wenn es wieder losgeht, wollen wir noch effizienter sein. In unserer Branche kommt meist alles zur gleichen Zeit.

Dieses spezielle Jahr stand für Sie auch im Zeichen des Umzugs aus dem zu klein gewordenen Lager in Dulliken nach Rickenbach.

Der Umzug war seit eineinhalb Jahren in Planung und die Umstände boten die Chance, uns am neuen Standort einzurichten und neue Büroräume zu bauen. Nachdem wir anfangs Februar noch sehr viel neues Material gekauft hatten, war der Zeitpunkt ideal, um das Lager neu zu strukturieren. Ich entschied mich auch dazu, in dieser unsicheren Zeit weiter zu investieren. In der schlechtesten Zeit solltest du vorausschauen und Gas geben, obwohl dies es ein grosses Risiko ist. Mit einem Investor habe ich zudem zwei Firmen aufgekauft und eine neue geschaffen.

Eine neue Firma?

Mit Furrer Gerüstbau haben wir die Event Ding AG gegründet. Wir bieten künftig auch Zelte und Festmobiliar an. Das Unternehmen ging aus zwei Lieferanten von mir hervor (Atrio Zeltvermietungen und Clarissa Festmaterial, Anm. d. Red.), die altershalber aufhören wollten. In dieser Situation hätte ich dies ohne einen Partner nicht geschafft.

Sie wären nicht Mike Zettel, wenn Sie nicht trotz Corona bereits neue Visionen hätten. Ihnen schwebte eine Eventhalle vor?

Zunächst hoffe ich, dass im Verlauf von 2021 wieder grössere Anlässe möglich werden. Die Eventhalle ist auf Eis gelegt, auch wenn Olten als Standort dafür ideal wäre. Das Projekt bleibt meine Vision. Olten hat sehr viel Nischenkultur – hier kannst du alles erleben. Popkultur wie ein Streetfoodfestival gibt’s nicht so viel. Hier will ich meinen Beitrag leisten, Olten attraktiver zu machen. Ich habe für die Zukunft zwei weitere Messen und zwei grössere Feste im Kopf…

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Wenn Simonetta Sommaruga im Frühling sagte, «wir lassen Sie nicht im Stich», so stimmt dies für unsere Branche nur bedingt. Zwar erhielten wir ein wenig Unterstützung, aber wir sind jene Branche, die seit Ende Februar stillsteht. Die Kulturbranche nimmt man nicht ernst, weil sie politisch nicht breit abgestützt ist. Ich und alle in dieser Branche hoffen nun auf die Härtefallklausel. Für die Zukunft stelle ich mir schon die Frage, wie wir damit umgehen, wenn eine neue Pandemie kommt. Abgesehen davon erhoffe ich mir, dass wir uns durch das Virus auf die Region zurückbesinnen, das lokale Gewerbe unterstützen und nicht alles online kaufen. Am Ende hilft dies uns allen. Bis die Angst weggeht, wird die Kultur nur langsam wieder Fahrt aufnehmen, aber irgendwann wird’s «chüble».


Wie spürst du in deinem Alltag die Abwesenheit der Kultur?

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