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«Bauherren wettern lieber über Pingeligkeit»

Wer baut, braucht den Segen des Nachbars und der Stadt. Letztere kontrolliert, ob die Gesetze eingehalten sind. Legt Olten die rechtliche Basis besonders streng aus? Dies wird in Stadtgesprächen gerne behauptet. Mit den Vorwürfen gelangten wir an Stadtbaumeister Kurt Schneider.
3. September 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Mal im eigenen Garten ein kleines Dach installieren, um ein paar Velos darunter zu stellen. Ganz so einfach ist dies in der Schweiz meist nicht. Im Kanton Solothurn ist es sogar illegal. Denn im Baugesetz ist detailliert festgehalten, wofür es alles ein Baugesuch benötigt. Die Formel ist ziemlich einfach: Nahezu jegliche bauliche Veränderung muss durch die öffentliche Verwaltung geprüft sein.

Die Gesellschaft hat es so gewollt und die Gesetze erlassen. Zu unserem aller Schutz. Gäbe es sie nicht, könnte die Nachbarin unbemerkt und ohne Kontrolle einen dreistöckigen, knallfarbenen Velounterstand bauen. Die Konsequenz der Gesetze ist aber: Selbst schlichte Veränderungen, welche die Nachbarschaft kaum beeinträchtigen, werden überprüft. Die soziale Kontrolle funktioniert: Oft melden Nachbarn bei der Stadt, wenn nebenan etwas ausserhalb der Norm läuft. «Immer, wenn der ‹liebe› Nachbar eine Meldung macht, müssen wir die Situation überprüfen», sagt Stadtbaumeister Kurt Schneider. Die Ressourcen schränken die baupolizeilichen Aufgaben massiv ein. Jene, die etwas gebaut haben ohne Baubewilligung, fühlen sich dann oft vor den Kopf gestossen. Aber auch wenn der korrekte Weg eingeschlagen wird, gerät die Stadt in die Kritik. Das Verfahren sei mühsam, die Stadt lege absichtlich Stolpersteine in den Weg, so die Vorwürfe. Wir haben Stadtbaumeister Kurt Schneider mit einem konkreten Leser-Input konfrontiert.

Wieso braucht es in Olten für einen einfachen Velounterstand ein Baugesuch?

Nicht die Verwaltung entscheidet, ob es ein Baugesuch braucht oder nicht. Wir nehmen unser Pflichtenheft wahr, welches auf der kantonalen Gesetzgebung basiert. In den Baukonferenzen wurde sie detailliert ausgelegt. Im Grundsatz gilt: Was auf die Dauer angelegt ist – länger als 3 Monate – untersteht der Baugesuchspflicht. Ein Gartenbassin, ein langfristig parkierter Wohnwagen, ein Kleintierstall oder gar ein Gartencheminée: Die Liste ist lang, die Pflicht beginnt früh. Vieles hat Auswirkungen auf die Nachbarschaft. Und diese sollte mindestens wissen, wenn etwas erstellt wird.

Basel-Stadt verlangt für kleine Velounterstände kein Baugesuch. Warum ist der Kanton Solothurn hier restriktiver?

Es gibt noch strengere Baugesetze als unseres. Der Kanton Aargau zum Beispiel hat im Gesetz definiert, dass es für Kleinstbauten von bis zu zweieinhalb Quadratmetern keine Baubewilligung braucht. Der Umkehrschluss ist aber schnell: Für alles andere ist ein Baugesuch zwingend. Um den Aufwand zu reduzieren, gibt es bei uns das vereinfachte Verfahren. Wer eine Unterschrift bei der Nachbarschaft holt, braucht das Gesuch nicht zu publizieren. Beim normalen Verfahren müssen wir das Gesuch veröffentlichen. Aber hier ist der Kanton Solothurn weniger streng als manch anderer Kanton: Das Gesuch liegt nur 14 Tage auf. In den meisten Kantonen sind es 30 Tage.

Die gesetzliche Grundlage lässt Interpretationsspielraum offen. Mag es sein, dass Olten das Gesetz in der Praxis streng auslegt?

Für die Bewilligungspflicht gibt es praktisch keinen Spielraum. Da ist die Antwort nur Ja oder Nein. Wer zum Beispiel den Garten ohne bauliche Massnahmen gestaltet, braucht keine Bewilligung. Verbietet die Politik Steingärten, wirkt sich dies auf die Bewilligungspflicht aus. Denn es gibt ansonsten keine Möglichkeit, die Vorgabe zu überprüfen.

Das mag sein, aber die Verfahren laufen individuell ab. Gemäss Rückmeldungen soll die Stadt immer wieder Stolpersteine in den Weg legen.

Wir haben den Prozess aufgezeichnet, um im Verfahren eine klare Struktur zu haben. (Kurt Schneider zeigt ein mehrseitiges Ast-Diagramm.) Vielfach sind verschiedene Beteiligte involviert, wie etwa die Abteilung Tiefbau, die Abteilung Ordnung und Sicherheit, die Feuerwehr und so weiter. Natürlich sind für die Hochhäuser im Areal Bahnhof Nord mehr Amtsstellen involviert als bei einem Veloständer. Bei einem Veloständer kann die erforderliche Grünflächenziffer ein Stolperstein sein. Oder – gerade bei einem Reihenhaus – dass der Mindestabstand von zwei Metern zum Nachbarn nicht gegeben ist. Dann ist dessen Zustimmung notwendig.

Aber es ist öfter zu hören, dass die Bauverwaltung pingelig vorgeht. Beispielsweise im Fall einer einfachen Dachsanierung hätten Sie einen Baustopp veranlasst.

Für einen Baustopp muss ein Verstoss gegen das Gesetz vorliegen. Wenn jemand ohne Bewilligung baut, sind wir verpflichtet, zu handeln. Das mögen die Betroffenen natürlich nicht, da wir laufende Bauarbeiten unterbrechen. Die Bauherrinnen erzählen dann natürlich nicht, dass sie sich rechtswidrig verhalten haben, sondern wettern lieber über Pingeligkeit. Ein einfacher Ersatz von Ziegeln ausserhalb der Schutzzone bedingt keine Bewilligung. Sofern aber das Dach neu gedämmt wird und damit sich auch die Gebäudehöhe verändert, ist ein Baugesuch notwendig. In der Regel beinhaltet ein solches Projekt noch ein neues Dachfenster oder eine neue Nutzung des Dachgeschosses. Es geht in diesen Fällen neben dem Baurecht auch um die Einhaltung des Energiegesetzes, Gewässerschutzgesetzes und der Brandschutzvorschriften.

Bei einem konkreten Fall entstand ein Velounterstand auf einem Abstellplatz. Dieser würde dadurch per Gesetz aufgehoben. Die Besitzer hätten dies im Grundbuchamt eingetragen müssen, was eine hohe Gebühr nach sich zieht. Zudem verlangt das kantonale Gesetz eine Ersatzabgabe, weil der Parkplatz aufgehoben würde. Das Gesetz impliziert noch immer, dass es für ein Einfamilienhaus einen Parkplatz braucht. Fällt er weg, muss ein Abstellplatz im öffentlichen Raum entgolten sein. Ist das Baugesetz noch zeitgemäss?

Gewisse Regeln sind generell abgefasst. Sie stimmen im Grundsatz, aber nicht in jedem individuellen Fall. Gerade in Olten, wo wir viele Reihenhäuser haben und im Vorgarten wenig Platz ist. Da kommen wir nicht darum herum, eine Auslegepraxis zu etablieren. Hier soll das überarbeitete Parkierungsreglement, das im Rahmen der Ortsplanung wieder auf den Tisch kommt, eine bessere Ausgangslage bieten.

“Willkür wird in der Arbeit der Stadtverwaltung nicht geduldet.”

Wegen des versenkten Parkierungsreglements hinkt also die Gesetzgebung der Zeit nach?

Das geltende Parkierungsreglement ist nicht mehr zeitgemäss. Die Abstellplatzpflicht schränkt ein und steht im Widerspruch zur gesellschaftlichen Entwicklung.

Nochmals zur Kritik an der Bauverwaltung: Je nachdem, wer am Telefon sei, werde man unterschiedlich behandelt, hörten wir. Von einer Art Willkür war die Rede. Wie können Sie dies erklären?

Wir haben jeden Montag eine Koordinationssitzung und die Arbeit ist auf wenige Köpfe verteilt. Daher kann ich diesen Vorwurf schlecht nachvollziehen. Allenfalls spielt es eine Rolle, dass in der Stadt nicht überall die gleichen Regeln gelten. Je nach Zone müssen wir unterschiedliche Bestimmungen anwenden. Es ist klar, Willkür wird in der Arbeit der Stadtverwaltung nicht geduldet.

Willkür mag ein grosses Wort sein. Die Kritik gilt nicht der Bewilligung, sondern vielmehr dem Prozess. Je nach Ansprechperson laute die Anforderung anders, heisst es.

Es gibt wie überall unterschiedliche menschliche Charakteren. Am Resultat ändert dies aber nichts.

“Wir haben eine massive Steigerung an Baubewilligungsverfahren. Die Zahl der Gesuche ist in den letzten zwei Jahren von 150 auf über 200 Verfahren angestiegen.” Kurt Schneider, Stadtbaumeister Olten

Wie stark sind Sie bei den Baubewilligungsverfahren involviert?

Ich werde immer dort einbezogen, wo die Projekte komplexer werden. Aber auch wenn Einsprachen oder Beschwerden vorliegen. Die für die Stadt bedeutsamen Areale sind zurzeit die Erweiterung von Lindt & Sprüngli, die Hochhäuser beim Areal Bahnhof Nord oder das Projekt Tertianum (bei der Usego, Anm. d. Red.). Gerade weil wir ein kleines Team sind, übernehme ich als Leiter der Direktion bei Abwesenheiten auch operative Aufgaben. Zudem bin ich die erste Ansprechstelle der Baukommission. Diese neunköpfige Kommission erteilt die Baubewilligungen der Stadt.

Im zuvor genannten Beispiel des Velounterstandes schritten Sie am Ende persönlich ein. Sie teilten der betroffenen Partei mit, der Abstellplatz müsse nicht aufgelöst werden. Das Verfahren war somit viel einfacher.

Bei dieser grossen Anzahl an Baugesuchen und der knappen personellen Ressourcen kann man die Sicht aufs Ganze verlieren. Das ist unschön für alle Seiten, darum muss hier im Interesse aller eine Änderung erfahren.

Ist dort der Haken? Fehlt eben dieser Blick aufs Ganze, weil die Verwaltung in den Aufgaben versinkt?

Wir haben eine massive Steigerung an Baubewilligungsverfahren. Die Zahl der Gesuche ist in den letzten zwei Jahren von 150 auf über 200 Verfahren angestiegen. Zudem machen die laufenden Gesetzeserweiterungen unter anderem bezüglich Energie, Umwelt und Brandschutz sowie die Rechtsprechung das Verfahren laufend komplexer. Das ist eine gewaltige Anforderung an unsere Mitarbeiter. Ein solches System ist fehleranfällig. Auch die Dauer der Bewilligungsverfahren und die psychische Belastung nehmen zu. Wir werden zusätzliche Ressourcen fordern, nachdem uns diese vor zwei Jahren nach einem Referendum verwehrt blieben. Ich möchte nochmals darauf hinweisen: Die Stelle wäre durch die Gebühren finanziert und belastet das Budget nicht.

Bauen nun wegen der Pandemie alle ein Schwimmbecken daheim?

Ein Grund für die Zunahme war bestimmt, dass die Menschen mehr zuhause waren und sich Gedanken über ihr Wohnumfeld machten. Sei es nun mit einer Pergola oder einem Veloabstellplatz. Ein anderer Grund ist aber auch, dass man Zinsen zahlen muss, wenn das Geld auf der Bank liegt. Wer kann, steckt die flüssigen Mittel lieber in eine inflationsgesicherte Investition.


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