«Biodiversität erfährt zunächst oft Widerstand»
Zwischen 1985 und 2009 hat die Siedlungsfläche der Schweiz um einen Viertel zugenommen. Das entspricht der Fläche des Genfersees. Eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung wollte diese Entwicklung stoppen und nahm 2013 die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) an. Nach neuem Gesetz findet die Siedlungsentwicklung künftig nach innen statt: Verdichtetes Bauen ist das Zauberwort der Stunde. Die Gemeinden dürfen nicht mehr Bauland auf Vorrat halten. Profitieren soll davon die Landschaft und damit auch die bedrohte Artenvielfalt.
2012 hat der Bund im Kampf gegen den Verlust der Artenvielfalt die Strategie Biodiversität Schweiz lanciert. Auch Städte und Agglomerationen spielen in dieser eine Rolle. Das Ziel: Die Natur soll im bebauten Raum ihren Platz haben. Der Bundesrat gab dem Bundesamt für Umwelt 2017 den «Aktionsplan Biodiversität» in Auftrag. Seit bald vier Jahren beschäftigt sich Claudia Moll mit der Frage, mit welchen Instrumenten die Artenvielfalt im Siedlungsraum gefördert werden kann. Wir erreichen die ausgebildete Landschaftsarchitektin per Telefon im Homeoffice in Zürich.
Frau Moll, was für ein Bild kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Olten denken?
Claudia Moll: Ich muss gestehen, dass ich Olten als Pendlerin zwischen Zürich und Bern vor allem aus dem Zugfenster kenne. Dabei fällt mir die neuere Entwicklung im Bereich der Fachhochschule auf und ich frage mich, wieso alles asphaltiert sein muss. Als ich im letzten Sommer für ein Seminar in der Gegend war, haben wir festgestellt, dass der Asphalt viel Hitze speichert. Eine grünere Freiraumgestaltung mit Bäumen und Flächen, in denen Regenwasser versickern und Pflanzen wachsen können, würden hier zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen und gleichzeitig die Biodiversität fördern. Solche Überlegungen muss eine Stadt ganz zu Beginn der Entwicklung dieser Areale machen.
Einfach gefragt: Warum brauchen wir Biodiversität auch im Siedlungsraum?
Es sind verschiedene Aspekte: Wir wollen lebenswerte Städte haben, mit Freiräumen, in denen wir uns erholen können und die Identität schaffen. Sie verhelfen zu einer höheren Standortattraktivität und tragen zur Wertschöpfung bei. Artenvielfalt ist aber auch die Grundlage unseres Lebens. Sterben noch mehr Arten aus, funktionieren die Ökosysteme nicht mehr. Dass unsere Ressourcen endlich sind und wir handeln müssen, wissen wir schon lange. Noch fehlt aber das Wissen darüber, wie der Einzelne dies beeinflussen kann. Wenn ich einen Schottergarten vor dem Haus mache, schaffe ich einen monotonen Lebensraum, von dem sehr wenige Arten profitieren können. Und nicht zuletzt geht es auch sehr stark um einen emotionalen Zugang. Mit Covid-19 haben wir erfahren, dass attraktive Freiräume in Fussnähe ein Vorteil sind. Artenvielfalt heisst auch, sich in einem angenehmen Umfeld zu bewegen.
Stichwort Schottergärten. In Olten lancierten die Grünen zweimal einen Vorstoss mit dem Ziel, die sterile Gartenform zu verbieten.
Andere Gemeinden praktizieren dies bereits. Ein Verbot ist das eine, die Menschen zu sensibilisieren das andere. Viele Hausbesitzer sind mit der Pflege ihrer Gärten überfordert und wollen möglichst wenig Aufwand damit haben. Es ist ihr Recht, dies so zu entscheiden. Es gibt aber Gestaltungsarten, die einfach zu pflegen sind und trotzdem die Biodiversität fördern. Gemeinden können dies regulieren, indem sie ein Verbot von Schottergärten aussprechen. Bauvorschriften stellt niemand in Frage. Einzelne Städte schreiben etwa die Begrünung von Flachdächern vor. Es kann aber auch über eine Sensibilisierung der Bevölkerung gehen.
Wessen Aufgabe ist es, dies zu tun?
Die Gemeinden an und für sich sind der Dreh- und Angelpunkt, indem sie die Bevölkerung dafür begeistern können. Biodiversität erfährt zunächst oft Widerstand, was wohl mit unserem Ordnungsbedürfnis einhergeht. Mit Anlässen, beispielsweise Spaziergängen, auf welchen die Stadt Beispiele für alternative Gartenformen zeigt, kann Verständnis geschafft werden. Oder die Gemeinden gehen auf ihren eigenen Flächen mit gutem Beispiel voran. Auch Privatgartenbesitzerinnen können einen grossen Beitrag leisten, dass die Biodiversität zunimmt. Grössere Immobilienverwaltungen lehnen vielmals naturnahe Gärten ab, weil sie davon ausgehen, dass der Unterhalt viel teurer ist. Pilotstudien zeigen aber, dass dieser nicht wesentlich aufwendiger ist. Hierzu laufen zurzeit interessante Projekte wie die Plattform «Siedlungsnatur gemeinsam gestalten».
Lässt der Bund die Gemeinden mit dieser Aufgabe nicht zu sehr allein?
Die Umsetzung der Landschaftspolitik liegt nun mal bei den Kantonen und Gemeinden. Der Bund legt die Gesetze fest, erarbeitet übergeordnete Strategien und unterstützt die Gemeinden mit Sensibilisierungsmassnahmen. Je kleiner eine Gemeinde ist, umso schwieriger ist die Umsetzung von «grünen» Projekten. Oft fehlt hier eine spezialisierte Fachstelle. Anders in grossen Städten wie Zürich, wo es sehr gut ausgestattete Verwaltungen mit allen möglichen Abteilungen zu diesem Thema gibt. Olten befindet sich als Kleinstadt auf dieser Skala wohl irgendwo dazwischen.
Die Stadt hat die Umweltfachstelle 2014 aus Spargründen aufgehoben.
Der Entscheid ist bedauerlich. Eine Stadt gewinnt an Nachhaltigkeitsthemen, wenn sie hier investiert.
Was sind die grossen Hürden, wenn es darum geht, Artenvielfalt im Siedlungsraum zu fördern?
Die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes ist eine grosse Aufgabe, die Kantone und Gemeinden zu lösen haben. Was die Biodiversität angeht, sollte dieses Thema gerade bei der baulichen Entwicklung nach innen von Anfang an mitgedacht werden. Wenn eine neue Überbauung entsteht, sollte die Frage, wie Freiräume lebenswert sein können, von Beginn weg mitgenommen werden.
Klima und Artenvielfalt: Wie greifen sie ineinander, wenn es darum geht, in der Stadt Plätze zum Verweilen zu schaffen?
Es sind zwei Themenbereiche, die man unbedingt zusammen denken muss. Manchmal widersprechen sie sich jedoch: Einheimische Gehölze sind zwar aus Biodiversitätsaspekten vorzuziehen. Dem durch den Klimawandel erzeugten Hitzedruck können sie aber oftmals nicht standhalten. Es gilt also, situativ die beste Lösung für Klima und Biodiversität zu finden.
Im Fachjargon spricht man von «ökologischer Infrastruktur». Was heisst das?
Damit ist ein landesweites Netz aus ökologisch wertvollen Lebensräumen gemeint, es besteht aus Lebensräumen von hoher ökologischer Qualität und Vernetzungskorridoren. Im städtischen Gebiet können naturnah bepflanzte Grünstreifen entlang der Strassen Teil davon sein. Diese könnten im Fall von Olten zum Beispiel Waldflächen mit der Aare verbinden.
Die Genfer Agglomerationsgemeinde Meyrin gilt mit ihren Grünräumen als beispielhaft. Olivier Chatelain vom Umweltamt Meyrin sagt im Bafu-Magazin «die umwelt»: «In der Stadt haben sich viele Pflanzen- und Tierarten angesiedelt, die im umliegenden Landwirtschaftsgebiet kaum noch Lebensräume finden.» Sind wir an diesem Punkt angelangt?
Mittlerweile ist die Artenvielfalt in intensiv genutzten Bereichen tatsächlich oft höher als im angrenzenden Landwirtschaftsland. Das Siedlungsgebiet übernimmt eine wichtige Rolle bei der Förderung der Artenvielfalt.
Welche Plätze in Olten wünschst du dir naturnaher gestaltet?
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