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Clickbaiting – Wildwest in Olten?

Wir reaktivieren ein altes Format und lancieren es neu: Das Lokalrauschen. Darin findest du Skurriles, Lustiges und Kritisches zur Medienberichterstattung aus oder über Olten.
2. März 2021
Text: Yann Schlegel

Wir alle beissen an. Wir alle verfallen mal dem Klickköder. «Schussabgabe am Bahnhof Olten», titelten Blick und 20 Minuten am Donnerstagabend Ende Februar. Klick.

Was hinter der Schlagzeile steckt, ist nichts als heisse Luft. Eigentlich weiss noch niemand Bescheid. Aber irgendwer auf einer Newsredaktion in Zürich schustert einen kurzen Artikel über den Vorfall zusammen. Auf welchen Quellen die Meldung fusst? Der Kantonspolizei, die vor Ort den Vorfall untersucht und bestätigt – aber weiter nichts. Und Lesereportern, die grosses Polizeiaufkommen am Bahnhof und Festnahmen beobachten und davon Videoaufnahmen an die Redaktion schicken. Eine Augenzeugin schilderte im Nachgang auf Facebook, wie sehr sie unter Schock gestanden habe. Um gegenüber 20 Minuten das Gesehene zu schildern, war sie jedoch noch genug bei Sinnen.

So geht heute Newsjournalismus: Boulevardmedien fördern Leserbeiträge dieser Art mit Prämien und kriegen im Gegenzug tausende Klicks.

Dass nur schon die ursprüngliche Schlagzeile eine Falschmeldung beinhaltete, interessiert am Tag darauf niemanden. Zur Schussabgabe kam es nämlich auf der Trottermatte. Ja, das dürfte die Oltner Familien, die sich jeweils zu Dutzenden auf dem beliebten Spielplatz einfinden, nicht unbedingt beruhigen.

Eine Schussabgabe am Oltner Bahnhof, wo täglich über 80’000 Menschen durchfahren? Eine Meldung wie diese verbreitet sich in Windeseile und zählt erfahrungsgemäss zu den meistgeklickten Artikeln auf Onlineportalen. Die Verlage verschaffen sich mit hohen Zugriffszahlen mehr Reichweite und werden attraktiver als Werbeträger.

Aber was haben die voreiligen Medienbeiträge gebracht? Nichts als Aufregung. Sie hatten nicht das Ziel, einen Mehrwert zu bieten und die Hintergründe zu analysieren. Sie haben vielmehr mit unserer Neugier gespielt. Und mit unserer Angst, unsere perfekte Welt könne einen Moment aus dem Gleichgewicht geraten. Sie entstehen nach der Maxime «Only bad news are good news».

Nichts zu schreiben wäre auch nicht die Lösung und würde den Vorfall nicht ungeschehen machen. Aber erst sollte die Polizei ihre Arbeit machen und dann können die Medien Klarheit schaffen.

Von der guten Neuigkeit schrieb am Sonntag danach niemand mehr. Zahlreiche Kinder spielten in der ersten Frühlingssonne auf dem grossen Schiff der Trottermatte, als ob nie was gewesen wäre. Stell dir mal die Blick-Schlagzeile vor: «Bunte Kinderschar auf dem Spielplatz neben dem Oltner Bahnhof». Aber diesen Beitrag würde nun mal niemand anklicken.


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