Skip to main content

«Corona hat für mich zu sowas wie einer Tabula rasa geführt»

Die Folgen des Virus haben die Kulturbranche gelähmt. Wie gehen die Menschen, die unserem Leben mit ihrem Schaffen Farbe geben, damit um? Zum Auftakt einer Kurzserie blickt Stadttheater-Direktorin Edith Scott zurück – und voraus.
11. Dezember 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Noch stehen die Stühle im weiten Saal. Wir treffen die Stadttheater-Direktorin am Freitagmorgen. Mitten in der Adventszeit – auf halbem Weg zu Weihnachten. Gestern waren noch 30 Sitzplätze erlaubt. Heute dürfen es noch 15 sein. «Ich bin ein wenig auf Nadeln», sagt Edith Scott im verlassenen Stadttheater. Wenige Stunden danach wird die Anspannung weg sein. Der Bundesrat verbietet Veranstaltungen. Auch die «Kulturtupfer», welche die Stadttheater-Direktorin ins Leben rief, verblassen wieder. Die Kultur gehört zu jenen Branchen, die sich monatlich, wenn nicht gar wöchentlich einer neuen Ordnung anpassen mussten. «Wir haben dieses Jahr gemerkt, dass wir keine Lobby haben», sagt Edith Scott und beginnt für die Fotokulisse die Zahl der Stühle zu halbieren. Das triste Bild entspricht nicht ihrem Seelenzustand. Sie sei «Optimistin», sagt die 32-Jährige im Gespräch immer wieder. Daran wird auch der neuerliche Lockdown für die Kultur nichts ändern.

Was bleibt, wenn Sie auf das bald vergangene Jahr zurückblicken?

Zum einen eine gewisse Sicherheit. Ich weiss, wie es um unser Haus steht. Auch wenn es keine einfache Zeit war, haben wir stark gespürt, dass wir vom Kanton, von der Stadt, von unserem Publikum und unseren Sponsorinnen getragen werden. Ich erfuhr ein sehr grosses Verständnis für die Situation und das gab mir Rückenwind. Zum anderen ist da eine andere Gefühlslage, die ich nicht auf das ganze Jahr pauschalisieren will: Langsam ist die Luft draussen. Mir kommt dabei ein Softball in den Sinn, den du zusammendrücken kannst. Bis jetzt hat er sich immer wieder mit Luft aufgesogen. Aber langsam spüre ich, wie er flach bleibt.

«Wir politisieren nicht, sondern ermöglichen Kultur. Manchmal mussten natürlich auch wir auf die Zähne beissen.»

Was war für Sie die schönste Rückmeldung in diesem Jahr?

Wir hören immer wieder von den Kunden, dass sie es nicht erwarten können, ins Stadttheater zurückzukehren. Dies haben wir mit den Kulturtupfern erfahren dürfen. Wir haben bei Null angefangen und es tat gut, zu sehen, wie schnell die Abende ausverkauft waren. Wir spürten, dass ein Drang existiert, Kultur zu erleben.

Die Positionen zwischen den Corona-«Alarmisten» und den «Verharmloserinnen» sind vielfältig. Wie gehen Sie als Vorsteherin des Stadttheaters mit diesem Spannungsfeld um?

Wir sind von der Stadt unterstützt und treten als eine der grösseren Kulturinstitutionen der Region auf, was mit einer Verantwortung gegen aussen einhergeht. Mir ist wichtig, dass wir nicht auf den Tisch klopfen. Meine Verantwortung sehe ich darin, dass wir agieren, solange es geht, und Kultur im erlaubten Rahmen bieten. Egal, ob für 30 oder für 400 Personen. Wir politisieren nicht, sondern ermöglichen Kultur. Manchmal mussten natürlich auch wir auf die Zähne beissen. Es gab viele Widersprüchlichkeiten in den Verordnungen. Sobald die Politik neue Massnahmen kommuniziert, protestieren etliche Verbände. Ich finde aber, nun müssen alle die Entscheide mittragen.

Das Stadttheater ist dank Leistungsvereinbarung mit der Stadt halb institutionell. Trotzdem: Wünschten Sie sich für die Kultur eine stärkere Lobby?

Das Problem der Kulturszene ist ihre Heterogenität. Sie reicht vom malenden Künstler, über den Sänger, die Orchestermusikerin hin zum Veranstaltungstechniker. Jede Kunstform hat wieder eigene Bedürfnisse und diese müssten alle darin abgebildet sein. Das ist unmöglich. Als Institution hatten wir im Coronajahr das Glück, unterstützt zu werden. Jedoch gelangen die Gelder kaum bis zur einzelnen freischaffenden Künstlerin.

Was bedeutet die unsichere Zukunft für das Stadttheater?

Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf die jeweils geltenden Bestimmungen zu reagieren. Wir wollen bereit sein, um möglichst schnell wieder Kultur anzubieten, wie uns dies mit den Kulturtupfern gelang. Es geht um unsere Kunden, um unser Haus, aber auch um die Künstlerinnen. Schauspielerinnen und Musiker brauchen die Plattformen. Auch wenn es an die Substanz geht. Jedes Mal, wenn wir was Neues versuchen, dauerts einen Monat an. Kurz darauf folgt der Dämpfer.

Die bedrückte Lage bleibt wohl. Die Säle im Stadttheater dürften sich auch im Jahr 2021 nicht füllen.

Ich bin generell Optimistin und hoffe schon, dass wir ab Frühling wieder unser Programm zeigen können. Dies bedingt, dass wir gegen 200 Personen einlassen können. Das gäbe uns eine Perspektive.

Welche Erkenntnisse hat Ihnen Corona gebracht?

Wir sind ein Gastspielhaus ohne festangestellte Künstlerinnen, was Fluch und Segen ist. Wir müssen keine Festangestellten durch diese Zeit tragen. Aber die Identifikation mit unserem Haus geschieht über die Institution. Wenn unser Publikum den Künstler dahinter sieht, setzt es sich viel intensiver mit dem Stadttheater auseinander. Zudem könnten wir mit festem Ensemble viel schneller Dinge aufziehen und kreativer sein. Wenn bei uns die Türen zubleiben müssen, kann ich dem Publikum nichts bieten. In Zukunft lässt sich dies nicht ändern.

Wäre dies eine Wunschvision von Ihnen?

Nein, dafür wären wir der falsche Ort und das falsche Haus. Wir sind nicht hierfür ausgestattet. Ich habe immer bei bestehenden Formationen gearbeitet und hatte wohl darum dieses proaktive Denken verinnerlicht. Nun muss ich mir Gedanken machen, was wir während der Schliessung dennoch tun können, damit uns das Publikum nicht vergisst.

Wo zeigt sich aus Ihrer Perspektive als Stadttheater-Direktorin die Relevanz der Kultur?

Die Kultur formt unsere Gesellschaft und die Kunst ist ein Teil davon. Ohne Kultur gingen viele Werte unserer Gesellschaft verloren. Die digitalen Alternativen sind nicht zukunftsfähig. Niemand sitzt zwei Mal pro Woche für eine Oper zweieinhalb Stunden vor den Fernseher. Auch das Cüpli vor dem Liveerlebnis mit der Nachbarin oder dem Jugendfreund ist wichtig. Der gesellschaftliche Aspekt, den kulturelle Erlebnisse mit sich bringen, kann man nicht negieren.

Ihr erstes Jahr stand unter schweren Vorzeichen. Wie gingen Sie emotional damit um?

Nicht schlecht, im Wissen, dass die Situation nicht mir geschuldet ist. Das Haus hat gelitten. Meine Arbeitswelt ist davon tangiert. Natürlich schmerzt es, kaum Kultur erleben zu dürfen. Aber der selbstständige Kulturschaffende ist viel stärker betroffen als ich. Corona hat für mich zu sowas wie einer Tabula rasa geführt. Ich kann bei der zukünftigen Planung und Realisierung von Ideen unmittelbar beurteilen, was mein Agieren innerhalb der Institution bewirkt. Dies sehe ich auch als Chance, um das Haus ans Ziel zu führen.

Was wäre Ihr Ziel?

Es sind kleine Schritte. Dinge, die ich ausprobieren will. Sei es die Aufführung von gewagten Werken wie die Uraufführung einer Oper, die wir für das nächste Jahr angedacht haben – oder vielleicht die Einführung von kleineren Formaten, angeknüpft an die Kulturtupfer.


Wie spürst du in deinem Alltag die Abwesenheit der Kultur?

Comments (1)

Schreiben Sie einen Kommentar