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Das Pferd ist König: Wie Delioh von Buchmatt vom Fohlen zu einem der besten Dressurpferde heranwuchs

Die Mechanisierung verdrängte das Pferd als Nutztier. Im Sport sind die lernfähigen Vierbeiner dafür umso begehrter. Die Oltnerin Carla Aeberhard gehört zu den erfolgreichsten Dressurreiterinnen der Schweiz – und ist in der Szene eine Exotin.
4. Mai 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Als ob ein Metronom den Takt vorgeben würde, setzt das dunkle Pferd im Aprilwind seine Hufe in den Sand. Geleitet durch die Zügel seiner Reiterin Carla Aeberhard. Für den Laien sind die Bewegungen nicht zu unterscheiden, welche die Oltner Dressurreiterin machen muss, um ihren Partner anzuweisen, in welchem Schritt er gehen soll. Delioh von Buchmatt aber hat über die Jahre gelernt, was von ihm erwartet wird.

Seit bald 13 Jahren ist er der treue Begleiter von Carla Aeberhard. Die gemeinsame Reise hat das Duo im letzten Jahr nach Kölliken gebracht, wo Delioh im Stall zu Falkenberg daheim ist. Entfernt ist das Rauschen der Autobahn zu hören, während eines der besten Schweizer Dressurpferde elegant über die Trainingsanlage gleitet.

In der Oltner Familie Aeberhard geben die Pferde und der Reitsport den Lebensrhythmus vor. «Das Reiten ist unser Ding», sagt Carla Aeberhard. Gemeinsam begannen die Schwestern Simona und Carla mit dem Reitsport. Heute gehören beide zur Schweizer Elite im Dressurreiten. Für die Wettkämpfe reisen sie durch ganz Europa. Im April kehrte die ältere Schwester Carla mit zwei Grand-Prix-Siegen aus dem italienischen Montefalco zurück.

«Du musst ein wenig Geduld haben, Büblein, das ist nicht so deine Stärke», sagt Aeberhard zu ihrem Pferd Delioh, als sie wieder festen Boden unter ihren Füssen hat. Der Wallach mag nach vollbrachtem Training nicht wirklich still stehen. Die saftig grüne Weide wartet.

1,5 Kilogramm …

… Mischfutter und ein halbes Kilogramm Hafer kriegt Delioh dreimal täglich zu fressen, nebst Heu und Stroh. Zusätzlich erhält er Vitamine und Mineralstoffe. Diese würden seine Leistung unterstützen – wie bei menschlichen Sportlern, erklärt Carla Aeberhard. Bei guter Witterung dürfen die Pferde im Sommerhalbjahr auf die Weide. «Bei Regen ist die Verletzungsgefahr zu gross, wenn sie dumm tüe», sagt Aeberhard, während sie den Wallach in der Stallbox striegelt. Das Nachbarspferd Zensation streckt seinen Kopf durchs Gitter und bittet um eine Streicheleinheit.

3 Grundgangarten …

… beherrschen die ausgebildeten Dressurpferde: Schritt, Trab und Galopp. Bei den internationalen Grand-Prix-Wettkämpfen unterscheidet man zwischen dem versammelten und dem starken Schritt respektive Trab und Galopp. Im Grand-Prix kommen zusätzlich noch die Piaffe und Passage, als Lektionen in der höchsten Versammlung, hinzu. Bei der Piaffe müssen die Pferde auf der Stelle treten. «Das ist für Delioh das schwierigste Element», sagt Aeberhard. An der Dressurprüfung absolviert die Reiterin ein vorgeschriebenes Programm auf ihrem Pferd. Bei der Kür hingegen ist sie völlig frei und kann zu einer ausgewählten Musik ein selbst definiertes Programm reiten, bei welchem vorgegebene Elemente vorkommen müssen. In der Schweiz hat das Springreiten eine grössere Bedeutung als das Dressurreiten. «Für die Zuschauer ist das Springreiten spannender, weil du siehst, ob die Stange runterfällt oder nicht. Im Dressurreiten entscheiden Feinheiten, die der Laie nicht erkennt», erklärt Aeberhard.

6 Monate …

… alt war Delioh von Buchmatt, als die Familie Aeberhard ihn als Fohlen an einer Auktion in Ruswil ersteigerte. Carla Aeberhards Vater wollte bereits nicht mehr weiterbieten. Die Mutter aber sagte: «Schau mal wie er glänzt am Füdli», und hielt nochmals die Hand hoch. Die Aeberhards erhielten den Zuschlag für den jungen Hengst der Rasse Schweizer Warmblut, der im Entlebuch von Thomas Lustenberger gezüchtet worden war.

«Er war ein Sechser im Lotto», sagt Carla Aeberhard heute. Denn nicht jedes Pferd lernt alle Lektionen bis auf die höchste Stufe. Die Abstammung oder auch der Körperbau des Fohlens sind wichtige Indikatoren – Gewissheit gibt es aber nicht. «Man kauft Glück und Hoffnung», sagt Aeberhard. Ein Fohlen kostet in der Regel zwischen 3000 und 30’000 Franken. Die Familie Aeberhard gab Delioh zur Dressurreiterin Melanie Hofmann in die Grundausbildung, bis er sechs Jahre alt war.

Das jüngste Pferd der Oltner Familie ist Zaja von Buchmatt und sie absolviert momentan im Jura die Grundausbildung. Die Stute könnte dereinst Carla Aeberhards neues Wettkampf-Pferd werden, wenn Delioh in den Ruhestand kommt. Dazu müsste Zaja aber wie Delioh alle Lektionen erlernen.

6 Tage die Woche …

… steht Carla Aeberhard frühmorgens auf, um von ihrem Wohnort Sursee (und bald einmal von Rickenbach) nach Kölliken zu fahren und ihren Wallach zu pflegen und zu reiten. An einem Tag reitet die 32-Jährige mit Delioh aus. An den restlichen fünf Tagen trainiert sie mit ihrem Wallach auf den wettkampfgetreuen Anlagen des Stalls Falkenberg.

Rund drei Stunden pro Tag benötigt Carla Aeberhard, um das Pferd zu pflegen, zu reiten und den Stall aufzuräumen. Um Delioh leistungsfähig zu wahren und Verletzungen vorzubeugen, scheut sie keinen Aufwand. Bevor sie ihn auf die Weide lässt, schützt sie ihr Pferd mit Gamaschen und Glocken an Fesseln und Hufkrone. «Er war noch nie verletzt – Holz anfassen», sagt Aeberhard. «Wir geben sehr Acht, dass das so bleibt.»

Alle zwei bis vier Wochen kommt die Physiotherapeutin, halbjährlich der Osteopath. Alle sechs Wochen steht ein Besuch beim Hufschmied an, damit Delioh einen optimalen Beschlag hat. Und nach dem Training streift Aeberhard Delioh manchmal eine Elektromagnetdecken über, damit die Muskeln besser regenerieren.

7 Elite-Kadermitglieder …

… hat die Schweiz momentan nominiert. Carla Aeberhard ist die einzige Hobby-Reiterin unter ihnen. Ihre Schwester Simona gehört noch dem Perspektiv-Kader an, was aber damit zusammenhängt, dass ihr Pferd Fadora noch sehr jung und deshalb noch nicht voll ausgebildet ist. «Meine Schwester möchte dieses Jahr erstmals auf höchster Stufe reiten», sagt Aeberhard. Sie lächelt: «Wir versuchen mit den Berufsreitern mitzuhalten.»

9 Jahre …

… alt ist Fadora, Simona Aeberhards Stute. In Fadoras Alter lernen Dressurpferde die schwierigsten Lektionen. Die Dressur verlangt jahrelange Geduld: «Man muss Sorge tragen und die Pferde korrekt ausbilden, denn sie vergessen nichts.»

Fadora tobt sich auf der Weide gerne aus und wälzt sich im frischen Gras.

10 Jahre …

… alt war Carla Aeberhard, als sie in Gretzenbach gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester das Reiten erlernte. Gut zwei Jahrzehnte später sind beide im Spitzensport angelangt. Mit dem eigenen Lastwagen fährt die Familie an die Wettkämpfe. Auf dem 40-Tönner erinnert eine Silhouette von Donna Diandra, einem ihrer ersten Grand-Prix-Pferde, daran, wie alles begann. Um sich abwechseln zu können, haben alle in der Familie den LkW-Führerschein. «Ausser Simona, sie lässt sich gerne chauffieren. Mein Partner hat nächste Woche die Prüfung», sagt Carla Aeberhard und lacht.

15 Millionen Franken

Für diese enorme Summe wurde das bisher teuerste Dressurpferd in Deutschland gehandelt. Der lackschwarze Hengst trug den Namen Totilas und verstarb letztes Jahr. «Wenn ein Pferd alle Lektionen gelernt, einen schönen Gang und Körperbau hat, steigt der Preis», erklärt Carla Aeberhard. Zwischen dem teuersten Pferd und einem normalen Dressurpferd ist die Spannweite gross. «Ein voll ausgebildetes und erfolgreiches Dressurpferd hat ungefähr den Wert eines Einfamilienhauses», sagt Aeberhard.

13 Jahre

Am 13. Mai wird Delioh 13 Jahre alt. Damit ist er im besten Alter. «Er ist in Topform», sagt seine Meisterin. Dressurpferde können Wettkämpfe bestreiten, bis sie ungefähr 16 Jahre alt sind. «Danach darf er bis ans Lebensende bei uns blieben und auf einer Altersweide sein», sagt Aeberhard. Pferde werden bis zu 30 Jahre alt.

17 Grand-Prix-Siege …

… feierte Carla Aeberhard bisher in ihrer Karriere.

32 Pferde, …

… zwei Fohlen und zwei alte Pferde sind im Stall zu Falkenberg zu Hause. Die grosszügige Anlage gehört dem Gretzenbacher Bruno Kammermann. «Er liebt die Tiere und verwöhnt sie. Sie kriegen tonnenweise Rüebli», erzählt Carla Aeberhard. Mehrere Angestellte sorgen täglich dafür, dass die Pferde rundum versorgt sind. Betriebsleiterin ist Elena Fernandez, die wie die Aeberhards zur Elite der Schweizer Dressurreiterinnen gehört. Gleich gegenüber von Delioh befindet sich die Box ihres Wallaches Sueno.

Fernandez ist zugleich auch Trainerin der beiden Aeberhard-Schwestern. In Kölliken verfügen sie über ein 20 mal 60 Meter grosses Viereck, auf welchem sie die Lektionen wettkampfgetreu üben können. Bei schlechtem Wetter trainieren die Reiterinnen in der Halle. «Solche Voraussetzungen sind selten», sagt Aeberhard.

70 Prozent

«Es war mein Traum, einmal international über 70 Prozent zu reiten», sagt Carla Aeberhard. In Montefalco hat sich dieser erfüllt – im Grand-Prix Spezial erreichte sie über 72 Prozent. Sie setzen sich wie folgt zusammen: Eine Jury bewertet die einzelnen Lektionen mit einer Note von 1 bis 10. Die Noten werden summiert und gemittelt. 70 Prozent entsprechen einer durchschnittlichen 7. «Es ist ein subjektiv bewerteter Sport», sagt Aeberhard. Die international besten Dressurreiter erreichen Spitzenwerte von über 80 Prozent. In der Kür kommen sie auf bis zu 96 Prozent, weil die Artistik miteinbezogen wird.

100 Prozent

Beide Aeberhard-Schwestern sind neben ihrem grossen Hobby voll berufstätig. Carla arbeitet in der familieneigenen Apotheke in Olten und Simona ist als Anwältin bei der Finanzmarktaufsicht (Finma) tätig. «Wir finanzieren den Sport durch unseren Beruf und unsere Eltern», sagt Carla Aeberhard. Mit den Preisgeldern der Turniere lassen sich die Ausgaben bei weitem nicht decken. Erstere belaufen sich auf ein paar hundert Franken. Berufsreiterinnen sind darum auf Sponsoren oder Mäzene angewiesen. Sie reiten jeweils 6 bis 7 Pferde und bestreiten Wettkämpfe meist mit einem gesponserten Pferd, das nicht ihr eigenes ist.

Bei den Aeberhards ist das Dressurreiten hingegen eine Familiensache. Die Eltern reisen immer mit an die Turniere und unterstützen ihre Töchter. «Alle haben ihre Aufgabe. Meine Mutter poliert beispielsweise meine Stiefel, damit sie schön glänzen», erzählt Aeberhard.

168 Zentimeter …

… gross ist Delioh von Buchmatt. Das Stockmass wird beim Widerrist an der höchsten Stelle des Rückens gemessen. Delioh zählt unter den Dressurpferden zu den kleineren. Carla Aeberhard schwingt sich mit ihren 1,60 Metern dank der Aufstiegshilfe elegant aufs Pferd.

500 Kilogramm …

… wiegt Delioh. Damit zählt er auch gewichtsmässig zu den eher feineren Pferden, die mit 4 Jahren ausgewachsen sind.

2024 …

… finden die Olympischen Sommerspiele in Paris statt. Ein Fernziel? «Vielleicht», sagt Carla Aeberhard. Delioh wird dann wohl an seinem Zenit angelangt sein. Aeberhards Fokus gilt aber der nahen Zukunft. Die Europameisterschaften im deutschen Hagen sind ihr grosses Ziel dieses Jahr. Und Tokio? «Beides ist mit dem gleichen Pferd nicht möglich, weil es zeitlich zu nah beieinander ist», sagt Aeberhard. Sie befindet sich zwar auf der Longlist und könnte sich nach wie vor für die Sommerspiele in Japan qualifizieren. Delioh würde durch die lange Reise und das Klima strapaziert – der Wallach der Familie Aeberhard ist noch nie geflogen. Darum setzt Carla Aeberhard zunächst auf das realistischere Ziel, die Europameisterschaften.


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