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Die Lage in der Ukraine, Abhör­skandal in Spanien – und in der Schweiz steigen die Hypozinsen

Das Nachrichtenbriefing informiert dich zu den Geschehnissen in der Welt – dank grosszügiger Unterstützung des Onlinemagazins Republik.
22. April 2022
Von Philipp Albrecht, Reto Aschwanden, Ronja Beck und Cinzia Venafro; Grafik: Roger Lehner

Dieses Nachrichtenbriefing wurde uns von der Republik zur Verfügung gestellt. Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.

Ukraine: Die aktuelle Lage

Das Kriegsgeschehen: Die seit dem 1. März durch die russischen Streitkräfte belagerte Küsten­stadt Mariupol steht kurz vor dem Fall. Die letzten ukrainischen Soldaten, die noch Widerstand leisten, haben sich im Stahlwerk Asowstal verschanzt, zusammen mit möglicherweise Tausenden Zivilistinnen, die in Bunkern unter dem Werk ausharren. Die genaue Anzahl ist nicht bekannt, gemäss den ukrainischen Streit­kräften sollen sich 500 Verletzte vor Ort befinden. Aufforderungen zur Kapitulation fanden im Stahlwerk bisher kein Gehör, dafür gibt es erschütternde Hilferufe. «Der Feind ist uns 10 zu 1 überlegen», sagte Kommandant Serhi Wolina in einem am Mittwoch veröffentlichten Video und bat um eine Evakuierungs­mission: «Wir stehen vor unseren letzten Tagen, wenn nicht Stunden.» Eine Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol ist gleichentags gescheitert. Der ukrainische Chefunterhändler Mykhailo Podoljak meldete über Twitter, er sei bereit, für eine «besondere Verhandlungs­runde» mit der russischen Delegation in die Hafenstadt zu fahren, um die Evakuierung der verbleibenden Zivilistinnen und Soldaten zu ermöglichen. Am Donnerstag hätten Busse die Stadt verlassen können. Über 20’000 Bewohner der Stadt sollen seit Invasions­beginn getötet worden sein, heisst es von ukrainischer Seite.

Russland hat den Schwerpunkt seines Angriffs­krieges auf den Osten der Ukraine verlagert, es ist von einer zweiten Kriegsphase die Rede. An der gesamten Frontlinie in den Gebieten Donezk, Luhansk und Charkiw ist es diese Woche zu Angriffen und heftigen Explosionen gekommen.

Luhansk soll inzwischen zu 80 Prozent von Russland kontrolliert sein, meldete der Gouverneur am Mittwoch­abend. Charkiw, die zweitgrösste Stadt des Landes, steht unter Dauer­beschuss. In den letzten Tagen sollen gemäss dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski mindestens 18 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt worden sein. In seiner Video­botschaft vom Montag verkündete der ukrainische Präsident, die «Schlacht im Donbass» habe begonnen. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheits­rates sprach in einem späteren Radio­interview von «Probe­angriffen». Es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, bis Russland seine Gross­offensive mit voller Kraft starte.

Auch im Westen der Ukraine ist es diese Woche zu russischen Angriffen gekommen. In der bisher vergleichs­weise verschont gebliebenen Stadt Lwiw haben russische Raketen erstmals Menschen getötet. Auch die Hauptstadt Kiew wurde mit Raketen beschossen. «Kiew war und bleibt ein Ziel des Aggressors», sagte Bürger­meister Vitali Klitschko. Im Vorort Borodjanka wurden derweil weitere Massen­gräber entdeckt. Einige Leichen sollen laut der Kiewer Polizei Folter­spuren aufweisen.

Gemäss den Vereinten Nationen sind seit Beginn der Invasion 5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Über 7 Millionen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, weitere 12,6 Millionen sitzen in den Kriegszonen fest. Die Uno bat diese Woche um einen viertägigen humanitären Waffen­stillstand. Russland hat dem Vorschlag an einem Treffen des Sicherheits­rates eine Absage erteilt.

Die Reaktionen: Wladimir Putin habe seinem Militär den Befehl erteilt, das Stahlwerk in Mariupol nicht zu stürmen. Ein solcher Angriff sei «unpraktisch», verkündete der russische Präsident am Donnerstag bei einer im Fernsehen übertragenen Sitzung mit Verteidigungs­minister Sergei Schoigu. Die Anlage bleibe jedoch umzingelt, man gebe den Soldaten die Chance, sich zu ergeben. Schoigu hatte zuvor verkündet, Mariupol befinde sich nun unter russischer Kontrolle. Der Bürger­meister der Stadt widersprach dem.

Putin gibt sich weiterhin unbeirrt in seinem Vernichtungs­krieg. Der Brigade, die in der Stadt Butscha stationiert war, als Zivilisten massakriert wurden, hat er diese Woche einen Ehrentitel verliehen. Er bezeichnete sie als «Vorbild für die Ausführung der militärischen Pflichten, für Mut, Entschlossenheit und grosse Professionalität».

Die US-Regierung hat diese Woche weitere Sanktionen erlassen, unter anderem gegen die Handelsbank Transkapital­bank und mehrere Dutzend Einzel­personen. In einem nächsten Schritt wolle man stärker auf die russische Rüstungs­industrie fokussieren. Weitere Sanktionen und Export­kontrollen sollen «Russlands Kriegs­maschinerie Stück für Stück zerlegen», so Vize-Finanzminister Wally Adeyemo. Am Donnerstag kündigte US-Präsident Joe Biden zudem zusätzliche 800 Millionen US-Dollar an militärischer Hilfe für die Ukraine an. Gemäss einer neuen Studie des Kieler Instituts für Welt­wirtschaft haben die USA im ersten Monat des russischen Angriffs­krieges mehr militärische, humanitäre und finanzielle Hilfe an die Ukraine geleistet als alle EU-Staaten gemeinsam.

In Deutschland wird zurzeit heiss über die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine debattiert, zum Beispiel Schützen­panzer oder Artillerie­systeme. Bundes­kanzler Olaf Scholz zeigt sich bisher zögerlich, die Bundeswehr habe schlicht nichts mehr übrig, das man liefern könne. Über einen sogenannten Ringtausch sollen die Waffen nun von osteuropäischen Nato-Bündnis­partnern in die Ukraine gelangen und diesen von Deutschland ersetzt werden.

Auf EU-Ebene stehen weitere Sanktionen an. Für das sechste Sanktions­paket sei eine Blockade der Sberbank vorgesehen, der grössten Bank in Russland, verkündete EU-Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen. Die USA haben die Bank vor zwei Wochen bereits sanktioniert. Auch ein mögliches Ölembargo liegt nach dem bereits beschlossenen Embargo auf Kohle weiterhin auf dem Tisch.

Die Ukraine tritt in die nächste Phase eines möglichen EU-Beitritts: Wolodimir Selenski hat diese Woche den ausgefüllten Fragebogen der EU-Kommission zurück­gegeben. Das Dokument gilt als Basis für Beitritts­gespräche, Selenski hatte es vor 10 Tagen erst erhalten.

In Finnland debattiert das Parlament seit Mittwoch über einen Nato-Beitritt. Es sei «sehr wahrscheinlich», dass Finnland ein entsprechendes Gesuch stellen werde, sagt die finnische Europa­ministerin Tytti Tuppurainen. Am Nato-Gipfel Ende Juni sollen die Bündnis­partner über das Gesuch entscheiden.

Der Raketentest: Am Mittwoch hat Russland erstmals eine ballistische Interkontinental­rakete vom Typ Sarmat getestet. Die Rakete lässt sich mit Atomspreng­köpfen bestücken und kann jedes Ziel auf der Erde erreichen. Die Gegner Russlands müssten es sich nun «zweimal überlegen», bevor sie Russland drohten, kommentierte Wladimir Putin. Der Test kam mit Ankündigung: Russland hatte ihn, so sieht es ein nukleares Abrüstungs­abkommen vor, zuvor dem Pentagon gemeldet. Die USA reagierten gelassen: Der Test sei «Routine» und nicht als «Bedrohung» für die USA und ihre Verbündeten zu sehen, so das Pentagon. Bevor die Rakete einsatzfähig sei, müsse sie nun ein Testprogramm durchlaufen, meldete Russland.

Spanien: Regierung soll Separatisten ausspioniert haben

Darum geht es: Ein Spionage­skandal erschüttert Spanien. Zahlreiche Mitglieder der katalanischen Separatisten­bewegung sollen mit der umstrittenen israelischen Spionage­software Pegasus überwacht worden sein. Wie die Organisation The Citizen Lab enthüllt, wurden die Mobil­telefone von mindestens 65 Separatistinnen gehackt, 63 mit Pegasus; darunter auch die Geräte der Ehefrau und von engen Mitarbeitern des früheren katalanischen Regional­präsidenten Carles Puigdemont. The Citizen Lab ist eine auf Cyber­sicherheit und Menschen­rechte spezialisierte Forschungs­gruppe der Universität Toronto.

Warum das wichtig ist: Die Software war in den vergangenen Jahren in mehr als 40 Ländern entdeckt worden. Dabei standen auch höchste Stellen im Fokus, so soll es Pegasus-Attacken auf den britischen Premier­minister Boris Johnson und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegeben haben. In Spanien prangert der katalanische Regional­präsident Pere Aragonès den Spionage­skandal als «sehr ernsten Angriff auf die Demokratie und die Grund­rechte» an.

Was als Nächstes geschieht: Die spanische Regierung wies die Vorwürfe zurück. Die Empörung über die erneute Aufdeckung von Abhör­aktionen durch europäische Staaten ist gross. Ein Untersuchungs­ausschuss des Europa­parlaments hat angekündigt, die Vorfälle zu untersuchen.

Schweiz: Wohn­eigentum wird immer teurer

Darum geht es: Die Hypothekar­zinsen klettern derzeit in die Höhe wie seit dem Franken­schock 2015 nicht mehr. Innerhalb eines Monats stiegen sie um bis zu 0,5 Prozent, wie ein Vergleich zwischen Hypothekar­gebern zeigt. Dabei ist es unerheblich, ob jemand die Hypothek kurz-, mittel- oder langfristig zurückzahlen will. Ein Beispiel: Wer heute eine zehnjährige Hypothek über eine Million abschliesst, zahlt dafür jährlich 22’100 Franken Zins. Vor einem Monat lag er noch bei 16’800 Franken.

Warum das wichtig ist: Die Schweiz ist ein Land der Mieterinnen. Im internationalen Vergleich ist der Anteil der Eigenheim­besitzer mit 40 Prozent eher klein. Nur gerade 10 Prozent der Mieter könnten sich ein Eigenheim leisten. Doch die Förderung von Wohn­eigentum ist in der Bundes­verfassung verankert. Es gibt also ein politisch legitimiertes Interesse an tiefen Hypo­zinsen. Das war in den letzten Jahren auch kein Problem, im Gegenteil: Dank des tiefen Zinsniveaus an den Kapital­märkten blieben auch die Hypozinsen tief. Doch jetzt steigen auch die Zinsen für Anleihen, an denen sich die Hypozinsen orientieren. Schuld ist die steigende Inflation, die von den Zentral­banken wiederum mit Zins­erhöhungen bekämpft wird.

Was als Nächstes geschieht: Die Hypozinsen werden voraus­sichtlich in den nächsten Monaten volatil bleiben, aber nach Ansicht von Expertinnen nicht mehr so stark ansteigen wie zuletzt. Dies, weil Fachleute nur eine moderate Zinserhöhung von der Schweizerischen Nationalbank erwarten, auch weil die Inflation in der Schweiz deutlich tiefer ist als etwa in der EU oder den USA. Zudem dürfen potenzielle künftige Eigenheim­besitzer davon ausgehen, dass die Preise für Immobilien bestenfalls noch leicht steigen werden.

Zum Schluss: Der geläuterte Schwurbler

Xavier Naidoo war früher bekannt als Sänger. Dann wurde er zum Posterboy von rechts­radikalen Reichs­bürgern, Verschwörungs­theoretikern und Corona-Leugnerinnen. Er wurde als homophob kritisiert und darf laut dem deutschen Bundes­verfassungsgericht als Antisemit bezeichnet werden. Doch nun hatte der selbst ernannte «PR-Agent des Herrn» (Xavier wird ausgesprochen wie saviour, also Erlöser) ein Erweckungs­erlebnis. Ausgelöst wurde es durch den russischen Einmarsch in die Ukraine, denn Naidoos Frau ist Ukrainerin. Vielleicht hinterfragte sich der Popstar, weil sich viele Corona-«Experten» – schwupp! – in Putin-Versteherinnen verwandelt hatten. Sicher ist, dass er ein Video publiziert hat, in dem er bekennt, dass er sich verrannt habe: «Ich war von Verschwörungs­erzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt. (…) Bei der Wahrheits­suche war ich wie in einer Blase und habe mich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. Das habe ich leider jetzt erst erkannt. Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.» Die Reaktionen fallen heftig aus. «Ein Schutz­heiliger der Aluhut­träger dankt ab», schreibt der «Spiegel» in einem ansonsten recht differenzierten Kommentar. Von ehemaligen Gesinnungs­genossen hagelt es Verrats­vorwürfe und wilde Mutmassungen über seine Beweg­gründe; auf Social Media regnet es Häme. Da muss Naidoo nun durch. Wie heisst es in seinem bekanntesten Song: «Dieser Weg (die Strasse nach Damaskus?d. Red.) wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.»

Was sonst noch wichtig war

  • Die Corona-Lage: Vor drei Wochen sind die letzten Corona-Massnahmen in der Schweiz gefallen. Die Lage entwickelt sich dennoch positiv, bei den Fällen wie bei den Hospitalisierungen sinken die Zahlen in der Schweiz weiterhin. Gemäss Abwasser­daten dominiert in der Schweiz klar die Omikron-Subvariante BA.2. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Der Weltgesundheits­organisation WHO liegen weltweit mehrere Dutzend Fälle von den neuen Subvarianten BA.4 und BA.5 vor, unter anderem in Deutschland. Bisher zeigten sich die beiden Subvarianten weder als ansteckender noch als gefährlicher als die ursprüngliche Omikron-Variante. Dies könne sich mit steigenden Fallzahlen jedoch ändern, betont die Organisation.
  • Israel: Bei gewalttätigen Zusammen­stössen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheits­kräften auf dem Tempelberg gab es am Wochenende viele Verletzte. Daraufhin beschloss die Raam-Partei, die arabische Israelis vertritt, ihre Beteiligung an der Regierung auszusetzen.
  • Schweden: Über Ostern kam es in mehreren Städten zu heftigen Krawallen. Die Polizei setzte Schuss­waffen ein. Es gab zahlreiche Verletzte. Auslöser waren bewilligte Demonstrationen von Rechts­extremisten, die angekündigt hatten, den Koran verbrennen zu wollen.
  • Grossbritannien I: Asylsuchende sollen künftig in Ruanda auf ihren Bescheid warten. Premier­minister Johnson behauptet, er wolle die Menschen dadurch von der gefährlichen Passage des Ärmel­kanals abhalten. Menschen­rechtler und die britische Opposition reagierten empört.
  • Grossbritannien II: Ein Gericht in London hat der Auslieferung von Julian Assange an die USA zugestimmt. Nun muss die britische Innenministerin Priti Patel der Auslieferung zustimmen. Dem Wikileaks-Gründer drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft.
  • China: Der Demokratie-Aktivist Tam Tak-chi ist in Hongkong erneut verurteilt worden, diesmal zu 40 Monaten Haft. Es war der erste Prozess seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie, in dem Anklage wegen Aufruhrs nach altem Kolonial­recht erhoben worden war.
  • Türkei: Die Armee hat neue Boden- und Luftoffensiven gegen Stütz­punkte der Kurdischen Arbeiter­partei PKK im Nordirak und in Nordsyrien gestartet. Die Türkei führt seit Jahren immer wieder im Frühling solche Operationen gegen die PKK durch.

Die Top-Storys

Grenzerfahrungen Die Berichte über illegale Pushbacks an den EU-Aussengrenzen – also von Flüchtenden, die von Grenzwächtern zurückgejagt werden – sind inzwischen zahlreich. Einen weiteren liefert die «NZZ am Sonntag». Zwei Autorinnen sind in die Grenz­region zwischen Türkei, Griechenland und Bulgarien gereist und schildern erschütternde Flüchtlings­geschichten.

Krisenstatistik Wie viele PCR-Teststäbchen wurden in dieser Pandemie in Zürcher Nasen gesteckt? Wie viele SMS hat das Contact-Tracing eigentlich verschickt? In einer Daten­geschichte rückt die NZZ zahlreiche Corona-Zahlen aus dem Kanton Zürich ins Verhältnis.

Mediensterben 1993 waren sie beim «Giessener Anzeiger» noch 500 Mitarbeiterinnen. Heute sind es 24. «Die Zeit» hat Redaktionen von Lokal­zeitungen in Deutschland besucht – beziehungsweise das, was von ihnen noch übrig ist. Die Geschichte über abserbelnde Lokal­medien ist mal sehr unterhaltsam, mal sehr schockierend. Und sie könnte so ähnlich auch in der Schweiz spielen.


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