Die Lage in der Ukraine, Abhörskandal in Spanien – und in der Schweiz steigen die Hypozinsen
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Ukraine: Die aktuelle Lage
Das Kriegsgeschehen: Die seit dem 1. März durch die russischen Streitkräfte belagerte Küstenstadt Mariupol steht kurz vor dem Fall. Die letzten ukrainischen Soldaten, die noch Widerstand leisten, haben sich im Stahlwerk Asowstal verschanzt, zusammen mit möglicherweise Tausenden Zivilistinnen, die in Bunkern unter dem Werk ausharren. Die genaue Anzahl ist nicht bekannt, gemäss den ukrainischen Streitkräften sollen sich 500 Verletzte vor Ort befinden. Aufforderungen zur Kapitulation fanden im Stahlwerk bisher kein Gehör, dafür gibt es erschütternde Hilferufe. «Der Feind ist uns 10 zu 1 überlegen», sagte Kommandant Serhi Wolina in einem am Mittwoch veröffentlichten Video und bat um eine Evakuierungsmission: «Wir stehen vor unseren letzten Tagen, wenn nicht Stunden.» Eine Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol ist gleichentags gescheitert. Der ukrainische Chefunterhändler Mykhailo Podoljak meldete über Twitter, er sei bereit, für eine «besondere Verhandlungsrunde» mit der russischen Delegation in die Hafenstadt zu fahren, um die Evakuierung der verbleibenden Zivilistinnen und Soldaten zu ermöglichen. Am Donnerstag hätten Busse die Stadt verlassen können. Über 20’000 Bewohner der Stadt sollen seit Invasionsbeginn getötet worden sein, heisst es von ukrainischer Seite.
Russland hat den Schwerpunkt seines Angriffskrieges auf den Osten der Ukraine verlagert, es ist von einer zweiten Kriegsphase die Rede. An der gesamten Frontlinie in den Gebieten Donezk, Luhansk und Charkiw ist es diese Woche zu Angriffen und heftigen Explosionen gekommen.
Luhansk soll inzwischen zu 80 Prozent von Russland kontrolliert sein, meldete der Gouverneur am Mittwochabend. Charkiw, die zweitgrösste Stadt des Landes, steht unter Dauerbeschuss. In den letzten Tagen sollen gemäss dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski mindestens 18 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt worden sein. In seiner Videobotschaft vom Montag verkündete der ukrainische Präsident, die «Schlacht im Donbass» habe begonnen. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates sprach in einem späteren Radiointerview von «Probeangriffen». Es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, bis Russland seine Grossoffensive mit voller Kraft starte.
Auch im Westen der Ukraine ist es diese Woche zu russischen Angriffen gekommen. In der bisher vergleichsweise verschont gebliebenen Stadt Lwiw haben russische Raketen erstmals Menschen getötet. Auch die Hauptstadt Kiew wurde mit Raketen beschossen. «Kiew war und bleibt ein Ziel des Aggressors», sagte Bürgermeister Vitali Klitschko. Im Vorort Borodjanka wurden derweil weitere Massengräber entdeckt. Einige Leichen sollen laut der Kiewer Polizei Folterspuren aufweisen.
Gemäss den Vereinten Nationen sind seit Beginn der Invasion 5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Über 7 Millionen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, weitere 12,6 Millionen sitzen in den Kriegszonen fest. Die Uno bat diese Woche um einen viertägigen humanitären Waffenstillstand. Russland hat dem Vorschlag an einem Treffen des Sicherheitsrates eine Absage erteilt.
Die Reaktionen: Wladimir Putin habe seinem Militär den Befehl erteilt, das Stahlwerk in Mariupol nicht zu stürmen. Ein solcher Angriff sei «unpraktisch», verkündete der russische Präsident am Donnerstag bei einer im Fernsehen übertragenen Sitzung mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu. Die Anlage bleibe jedoch umzingelt, man gebe den Soldaten die Chance, sich zu ergeben. Schoigu hatte zuvor verkündet, Mariupol befinde sich nun unter russischer Kontrolle. Der Bürgermeister der Stadt widersprach dem.
Putin gibt sich weiterhin unbeirrt in seinem Vernichtungskrieg. Der Brigade, die in der Stadt Butscha stationiert war, als Zivilisten massakriert wurden, hat er diese Woche einen Ehrentitel verliehen. Er bezeichnete sie als «Vorbild für die Ausführung der militärischen Pflichten, für Mut, Entschlossenheit und grosse Professionalität».
Die US-Regierung hat diese Woche weitere Sanktionen erlassen, unter anderem gegen die Handelsbank Transkapitalbank und mehrere Dutzend Einzelpersonen. In einem nächsten Schritt wolle man stärker auf die russische Rüstungsindustrie fokussieren. Weitere Sanktionen und Exportkontrollen sollen «Russlands Kriegsmaschinerie Stück für Stück zerlegen», so Vize-Finanzminister Wally Adeyemo. Am Donnerstag kündigte US-Präsident Joe Biden zudem zusätzliche 800 Millionen US-Dollar an militärischer Hilfe für die Ukraine an. Gemäss einer neuen Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft haben die USA im ersten Monat des russischen Angriffskrieges mehr militärische, humanitäre und finanzielle Hilfe an die Ukraine geleistet als alle EU-Staaten gemeinsam.
In Deutschland wird zurzeit heiss über die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine debattiert, zum Beispiel Schützenpanzer oder Artilleriesysteme. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt sich bisher zögerlich, die Bundeswehr habe schlicht nichts mehr übrig, das man liefern könne. Über einen sogenannten Ringtausch sollen die Waffen nun von osteuropäischen Nato-Bündnispartnern in die Ukraine gelangen und diesen von Deutschland ersetzt werden.
Auf EU-Ebene stehen weitere Sanktionen an. Für das sechste Sanktionspaket sei eine Blockade der Sberbank vorgesehen, der grössten Bank in Russland, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die USA haben die Bank vor zwei Wochen bereits sanktioniert. Auch ein mögliches Ölembargo liegt nach dem bereits beschlossenen Embargo auf Kohle weiterhin auf dem Tisch.
Die Ukraine tritt in die nächste Phase eines möglichen EU-Beitritts: Wolodimir Selenski hat diese Woche den ausgefüllten Fragebogen der EU-Kommission zurückgegeben. Das Dokument gilt als Basis für Beitrittsgespräche, Selenski hatte es vor 10 Tagen erst erhalten.
In Finnland debattiert das Parlament seit Mittwoch über einen Nato-Beitritt. Es sei «sehr wahrscheinlich», dass Finnland ein entsprechendes Gesuch stellen werde, sagt die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen. Am Nato-Gipfel Ende Juni sollen die Bündnispartner über das Gesuch entscheiden.
Der Raketentest: Am Mittwoch hat Russland erstmals eine ballistische Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat getestet. Die Rakete lässt sich mit Atomsprengköpfen bestücken und kann jedes Ziel auf der Erde erreichen. Die Gegner Russlands müssten es sich nun «zweimal überlegen», bevor sie Russland drohten, kommentierte Wladimir Putin. Der Test kam mit Ankündigung: Russland hatte ihn, so sieht es ein nukleares Abrüstungsabkommen vor, zuvor dem Pentagon gemeldet. Die USA reagierten gelassen: Der Test sei «Routine» und nicht als «Bedrohung» für die USA und ihre Verbündeten zu sehen, so das Pentagon. Bevor die Rakete einsatzfähig sei, müsse sie nun ein Testprogramm durchlaufen, meldete Russland.
Spanien: Regierung soll Separatisten ausspioniert haben
Darum geht es: Ein Spionageskandal erschüttert Spanien. Zahlreiche Mitglieder der katalanischen Separatistenbewegung sollen mit der umstrittenen israelischen Spionagesoftware Pegasus überwacht worden sein. Wie die Organisation The Citizen Lab enthüllt, wurden die Mobiltelefone von mindestens 65 Separatistinnen gehackt, 63 mit Pegasus; darunter auch die Geräte der Ehefrau und von engen Mitarbeitern des früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont. The Citizen Lab ist eine auf Cybersicherheit und Menschenrechte spezialisierte Forschungsgruppe der Universität Toronto.
Warum das wichtig ist: Die Software war in den vergangenen Jahren in mehr als 40 Ländern entdeckt worden. Dabei standen auch höchste Stellen im Fokus, so soll es Pegasus-Attacken auf den britischen Premierminister Boris Johnson und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegeben haben. In Spanien prangert der katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès den Spionageskandal als «sehr ernsten Angriff auf die Demokratie und die Grundrechte» an.
Was als Nächstes geschieht: Die spanische Regierung wies die Vorwürfe zurück. Die Empörung über die erneute Aufdeckung von Abhöraktionen durch europäische Staaten ist gross. Ein Untersuchungsausschuss des Europaparlaments hat angekündigt, die Vorfälle zu untersuchen.
Schweiz: Wohneigentum wird immer teurer
Darum geht es: Die Hypothekarzinsen klettern derzeit in die Höhe wie seit dem Frankenschock 2015 nicht mehr. Innerhalb eines Monats stiegen sie um bis zu 0,5 Prozent, wie ein Vergleich zwischen Hypothekargebern zeigt. Dabei ist es unerheblich, ob jemand die Hypothek kurz-, mittel- oder langfristig zurückzahlen will. Ein Beispiel: Wer heute eine zehnjährige Hypothek über eine Million abschliesst, zahlt dafür jährlich 22’100 Franken Zins. Vor einem Monat lag er noch bei 16’800 Franken.
Warum das wichtig ist: Die Schweiz ist ein Land der Mieterinnen. Im internationalen Vergleich ist der Anteil der Eigenheimbesitzer mit 40 Prozent eher klein. Nur gerade 10 Prozent der Mieter könnten sich ein Eigenheim leisten. Doch die Förderung von Wohneigentum ist in der Bundesverfassung verankert. Es gibt also ein politisch legitimiertes Interesse an tiefen Hypozinsen. Das war in den letzten Jahren auch kein Problem, im Gegenteil: Dank des tiefen Zinsniveaus an den Kapitalmärkten blieben auch die Hypozinsen tief. Doch jetzt steigen auch die Zinsen für Anleihen, an denen sich die Hypozinsen orientieren. Schuld ist die steigende Inflation, die von den Zentralbanken wiederum mit Zinserhöhungen bekämpft wird.
Was als Nächstes geschieht: Die Hypozinsen werden voraussichtlich in den nächsten Monaten volatil bleiben, aber nach Ansicht von Expertinnen nicht mehr so stark ansteigen wie zuletzt. Dies, weil Fachleute nur eine moderate Zinserhöhung von der Schweizerischen Nationalbank erwarten, auch weil die Inflation in der Schweiz deutlich tiefer ist als etwa in der EU oder den USA. Zudem dürfen potenzielle künftige Eigenheimbesitzer davon ausgehen, dass die Preise für Immobilien bestenfalls noch leicht steigen werden.
Zum Schluss: Der geläuterte Schwurbler
Xavier Naidoo war früher bekannt als Sänger. Dann wurde er zum Posterboy von rechtsradikalen Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnerinnen. Er wurde als homophob kritisiert und darf laut dem deutschen Bundesverfassungsgericht als Antisemit bezeichnet werden. Doch nun hatte der selbst ernannte «PR-Agent des Herrn» (Xavier wird ausgesprochen wie saviour, also Erlöser) ein Erweckungserlebnis. Ausgelöst wurde es durch den russischen Einmarsch in die Ukraine, denn Naidoos Frau ist Ukrainerin. Vielleicht hinterfragte sich der Popstar, weil sich viele Corona-«Experten» – schwupp! – in Putin-Versteherinnen verwandelt hatten. Sicher ist, dass er ein Video publiziert hat, in dem er bekennt, dass er sich verrannt habe: «Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt. (…) Bei der Wahrheitssuche war ich wie in einer Blase und habe mich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. Das habe ich leider jetzt erst erkannt. Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.» Die Reaktionen fallen heftig aus. «Ein Schutzheiliger der Aluhutträger dankt ab», schreibt der «Spiegel» in einem ansonsten recht differenzierten Kommentar. Von ehemaligen Gesinnungsgenossen hagelt es Verratsvorwürfe und wilde Mutmassungen über seine Beweggründe; auf Social Media regnet es Häme. Da muss Naidoo nun durch. Wie heisst es in seinem bekanntesten Song: «Dieser Weg (die Strasse nach Damaskus?; d. Red.) wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.»
Was sonst noch wichtig war
- Die Corona-Lage: Vor drei Wochen sind die letzten Corona-Massnahmen in der Schweiz gefallen. Die Lage entwickelt sich dennoch positiv, bei den Fällen wie bei den Hospitalisierungen sinken die Zahlen in der Schweiz weiterhin. Gemäss Abwasserdaten dominiert in der Schweiz klar die Omikron-Subvariante BA.2. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen weltweit mehrere Dutzend Fälle von den neuen Subvarianten BA.4 und BA.5 vor, unter anderem in Deutschland. Bisher zeigten sich die beiden Subvarianten weder als ansteckender noch als gefährlicher als die ursprüngliche Omikron-Variante. Dies könne sich mit steigenden Fallzahlen jedoch ändern, betont die Organisation.
- Israel: Bei gewalttätigen Zusammenstössen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften auf dem Tempelberg gab es am Wochenende viele Verletzte. Daraufhin beschloss die Raam-Partei, die arabische Israelis vertritt, ihre Beteiligung an der Regierung auszusetzen.
- Schweden: Über Ostern kam es in mehreren Städten zu heftigen Krawallen. Die Polizei setzte Schusswaffen ein. Es gab zahlreiche Verletzte. Auslöser waren bewilligte Demonstrationen von Rechtsextremisten, die angekündigt hatten, den Koran verbrennen zu wollen.
- Grossbritannien I: Asylsuchende sollen künftig in Ruanda auf ihren Bescheid warten. Premierminister Johnson behauptet, er wolle die Menschen dadurch von der gefährlichen Passage des Ärmelkanals abhalten. Menschenrechtler und die britische Opposition reagierten empört.
- Grossbritannien II: Ein Gericht in London hat der Auslieferung von Julian Assange an die USA zugestimmt. Nun muss die britische Innenministerin Priti Patel der Auslieferung zustimmen. Dem Wikileaks-Gründer drohen in den USA bis zu 175 Jahre Haft.
- China: Der Demokratie-Aktivist Tam Tak-chi ist in Hongkong erneut verurteilt worden, diesmal zu 40 Monaten Haft. Es war der erste Prozess seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie, in dem Anklage wegen Aufruhrs nach altem Kolonialrecht erhoben worden war.
- Türkei: Die Armee hat neue Boden- und Luftoffensiven gegen Stützpunkte der Kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak und in Nordsyrien gestartet. Die Türkei führt seit Jahren immer wieder im Frühling solche Operationen gegen die PKK durch.
Die Top-Storys
Grenzerfahrungen Die Berichte über illegale Pushbacks an den EU-Aussengrenzen – also von Flüchtenden, die von Grenzwächtern zurückgejagt werden – sind inzwischen zahlreich. Einen weiteren liefert die «NZZ am Sonntag». Zwei Autorinnen sind in die Grenzregion zwischen Türkei, Griechenland und Bulgarien gereist und schildern erschütternde Flüchtlingsgeschichten.
Krisenstatistik Wie viele PCR-Teststäbchen wurden in dieser Pandemie in Zürcher Nasen gesteckt? Wie viele SMS hat das Contact-Tracing eigentlich verschickt? In einer Datengeschichte rückt die NZZ zahlreiche Corona-Zahlen aus dem Kanton Zürich ins Verhältnis.
Mediensterben 1993 waren sie beim «Giessener Anzeiger» noch 500 Mitarbeiterinnen. Heute sind es 24. «Die Zeit» hat Redaktionen von Lokalzeitungen in Deutschland besucht – beziehungsweise das, was von ihnen noch übrig ist. Die Geschichte über abserbelnde Lokalmedien ist mal sehr unterhaltsam, mal sehr schockierend. Und sie könnte so ähnlich auch in der Schweiz spielen.