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«Die Stiftung Arkadis ist absichtlich mittendrin»

Die Stiftung Arkadis wird fünfzig. Zeit für einen Besuch bei Oltens grösster sozialer Institution – und Zeit, den Fragen aus unserer Leserschaft nachzugehen. Womit beschäftigt sich die Arkadis? Wie hat sich die Stiftung entwickelt? Und weshalb kauft sie eigentlich so aktiv Immobilien? Wir trafen uns auf ein langes Gespräch mit der Direktorin.
27. Mai 2022
Text: Jana Schmid, Fotografie: Timo Orubolo

1963 taten sich in Olten die Eltern von Kindern mit Behinderungen zusammen. Sie gründeten die «Vereinigung zur Förderung geistig Invalider» und prägten fortan die Anfänge der Behindertenarbeit in der Region. Die erste geschützte Werkstätte im Kanton entstand. Es folgten Beratungs- und Behandlungsstellen, ein Freizeitklub.

1972, vor genau fünfzig Jahren, wurde aus der Vereinigung eine Stiftung.

Wer diese heute besucht, betritt ein modernes Gebäude im Herzen von Olten. «Arkadis – gemeinsam Lebensqualität schaffen» steht an der gläsernen Eingangstür, und dahinter ist ein Empfangsschalter, an dem eine freundliche Frau in den vierten Stock weist, wo wir von einer Assistentin ins klimatisierte Büro der Direktorin gebeten werden.

Dagmar Domenig nimmt sich Zeit, und sie hat viel zu erzählen. Seit 2011 prägt sie als Direktorin den Kurs der Stiftung Arkadis, die heute rund 270 Mitarbeitende beschäftigt und fast 1700 Klienten – die Mehrheit davon Menschen mit Behinderung aus dem Kanton Solothurn – betreut und begleitet.

In den elf Jahren, seit die Juristin, promovierte Sozialanthropologin und Pflegefachfrau ihre Position angetreten hat, habe sich die Stiftung Arkadis eher qualitativ als quantitativ entwickelt. «Wir müssen immer mehr wie ein klassisches Unternehmen funktionieren», sagt Dagmar Domenig.

Dagmar Domenig, Direktorin der Stiftung Arkadis

So gelten heute etwa bei der Rechnungslegung sehr strenge Vorgaben für die Stiftung, erklärt sie. Auch eine ISO-Zertifizierung hat Domenig in ihrer Amtszeit vornehmen lassen, sie hat die Digitalisierung vorangetrieben, das Personalwesen aktualisiert. «In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich die Arbeit von sozialen Institutionen stark professionalisiert», sagt sie. «Besonders bei der Rechnungslegung gelten hohe Anforderungen an Transparenz.»

Revision, Budget und Jahresabschluss müssen an den Kanton Solothurn übermittelt werden, der seit 2008 grösstenteils für die Finanzierung der Betreuungsangebote der Stiftung Arkadis zuständig ist. Daneben fungieren die kantonale Finanz- und die Stiftungsaufsicht als Kontrollorgane.

An die Elternvereinigung von damals erinnert heute also nicht mehr viel. Zumindest bei der Unternehmensführung. Und inhaltlich?

Im Wandel

«Auch im Umgang mit Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten fünfzig Jahren viel verändert», sagt Dagmar Domenig.

Der Name Arkadis kommt vom lateinischen Wort Arcus – Bogen, so sieht sich die Stiftung, indem sie sich über ein vielfältiges Angebot von Dienstleistungen spannt. Von ambulanter Therapie für Kinder bis zu vollbetreuten Wohngruppen für Erwachsene, vom lichtdurchfluteten Arcafé, wo Menschen mit Behinderungen in Küche und Service arbeiten, bis zur Wohngruppe Schärenmatte, wo 45 Personen mit schweren kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen 24 Stunden pro Tag begleitet werden.

Mitsprache, Selbstbestimmung und Inklusion seien die Herausforderungen der Stunde für die Arbeit im Behindertenbereich. Angestossen durch die UN-Behindertenrechtskonvention, die die Schweiz 2014 ratifiziert hat, befinde sich auch die Stiftung Arkadis in einem ständigen Prozess der Selbstreflexion, erklärt Dagmar Domenig.

Das Team im Arcafé

Mitreden – und urbane Wohnung statt ländliches Heim

So hat die Stiftung etwa kürzlich einen Mitwirkungs-Rat bestehend aus Bewohnern und Klientinnen einberufen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, bei Entscheidungen mitzureden, welche sie unmittelbar betreffen.

Auch eine Entwicklung von betreuten Wohngruppen – früher klassischen «Heimen» – hin zu mehr Selbständigkeit sei ein aktueller Diskurs, so Domenig. «Menschen mit Behinderung müssen so weit wie möglich selbst wählen können, wie sie leben möchten», sagt sie. Dieser Anspruch sei in den letzten Jahren stark gewachsen.

Mehr Angebote für selbständiges Wohnen mit ambulanter Betreuung sind deshalb ein Ziel der Arkadis. Da solche Settings jedoch je nach Betreuungsbedarf teurer sein können als betreute Wohngruppen, hängt ihr Ausbau auch von den Finanzierungsmöglichkeiten durch den Kanton ab.

«Oft werden Menschen mit Behinderungen auch räumlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt», sagt Dagmar Domenig. «Die Stiftung Arkadis ist aber absichtlich mittendrin.» Sie spricht damit indirekt auch ein Thema an, das unsere Leserschaft umtreibt: Immobilienkäufe. Dazu später.

Zuerst zur Inklusion. Diese sei, so Domenig, nur möglich, wenn Menschen mit Behinderungen im regelmässigen Austausch stehen mit der breiten Bevölkerung. Und genau das werde oft verhindert, indem etwa betreute Wohn- oder Arbeitsangebote in ländlicher Umgebung ohne Nachbarschaft gebaut würden. «Das ist nicht mehr zeitgemäss.» Deshalb sucht Dagmar Domenig wann immer möglich zentrale und urbane Standorte für die Dienstleistungen der Stiftung.

Beispiele dafür sind das erwähnte Arcafé oder der Arkadis-Laden an der belebten Aarauerstrasse, direkt neben Fachhochschule und Bahnhof. Oder ein geplanter Neubau an der Oltner Von-Roll-Strasse, wo früher das Restaurant Wartburg war. Neben Büro- und Therapieräumen soll dort auch günstiger Wohnraum für Menschen mit Behinderungen mit der Möglichkeit für ambulante Betreuung entstehen.

«Mehr Sichtbarkeit ist unsere Vision», sagt Domenig, «deshalb bauen wir gezielt mitten im Quartier.»

Arbeit im Arkadis-Laden

Kontroverse Bauprojekte

Die Arkadis baut – und das irritiert manche in Olten. Nicht primär wegen ihren Klientinnen, die so stärker in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden, sondern wegen der Immobiliengeschäfte an sich. 

So wurden bereits 2013 Vorwürfe gegen den Stiftungsratspräsidenten Daniel Menzi laut im Zusammenhang mit einem Immobilienkauf der Stiftung: Das Oltner Tagblatt berichtete, wie Menzi als Verwaltungsrat einer Immobilienfirma vom Verkauf eines Hauses an der Oltner Hardfeldstrasse an die Stiftung Arkadis profitiert hatte. 

Konkret hatte die Immobilienfirma das Haus ersteigert und es danach teurer an die Stiftung Arkadis verkauft – rund eine halbe Million Gewinn soll für die Firma, in deren Verwaltungsrat Menzi sitzt, daraus hervorgegangen sein. Die Stiftung Arkadis hat das Haus umgebaut und nutzt es heute für Wohngruppen. 

Im Juni 2021 stand in einer Pressemitteilung: «Die Stiftung Arkadis will Gebiet auf rechter Aareseite städtebaulich überzeugend entwickeln.» 

Die Rede war vom erwähnten Neubau von Wohnungen an der Von-Roll-Strasse. Um damit starten zu können, reichte die Stiftung einen Gestaltungsplan für das gesamte Gebiet zwischen Von-Roll-Strasse und Wartburgweg bei der Stadt ein – das war vorausgesetzt, um eine Baubewilligung für ihr Grundstück zu erhalten. Zudem hatte die Arkadis eine weitere Liegenschaft direkt neben dem ehemaligen Restaurant Wartburg gekauft, die laut der Stiftung mit provisorischen Büroräumlichkeiten zwischengenutzt werden soll. 

Daniel Menzis Immobilienfirma hat dieses Mal nichts mit dem Kauf zu tun. Trotzdem löste das Vorhaben in Olten eine gewisse Irritation aus. Braucht die Stiftung denn schon wieder neue Liegenschaften? Ist es die Aufgabe einer sozialen Institution, ein «Gebiet städtebaulich zu entwickeln»? Gehen hier Stiftungsgelder in Immobilienspekulationen flöten?

Diese und ähnliche Fragen erreichten Kolt in einem Input. Wir fanden, das 50-Jahre-Jubiläum ist ein guter Moment, um ihnen nachzugehen. 

Im Arkadis-Laden wird gewirkt und verkauft am selben Ort

Stiftungszweck und Ehrenkodex

Die rechtliche Lage ist eindeutig: Eine Stiftung darf prinzipiell Immobilien erwerben, veräussern und vermieten, wenn es der Erfüllung ihres Zwecks dient. Im Falle der Arkadis besteht der in der Betreuung, Begleitung, Förderung und Unterstützung ihrer Klienten. 

Ein Gebiet städtebaulich zu entwickeln, gehört da grundsätzlich nicht dazu. Das räumt auch Dagmar Domenig ein: «Das ist eine unglückliche Formulierung», sagt sie. Für den Gestaltungsplan, der damit angesprochen wird, gebe es aber eine einfache Erklärung: Die Arkadis will bauen. Die Stiftung könne einen Bedarf am geplanten Neubau nachweisen. Und um den umzusetzen, musste ein Gestaltungsplan für das gesamte Gebiet zwischen Von-Roll-Strasse und Wartburgweg eingereicht werden, so die Vorgabe der Stadt. 

Deswegen habe die Arkadis den ganzen Gestaltungsplan umgesetzt und finanziert – also auch für den Teil des Gebiets, der nicht in ihrem Eigentum ist. 

Bebauen wird sie jedoch nur das Areal des ehemaligen Restaurants Wartburg. Und das Haus daneben, das die Stiftung ebenfalls erworben hat – ein abbruchreifes Objekt, das die frühere Eigentümerin zum Kauf angeboten habe – dient dazu, bei der angrenzenden Überbauung des restlichen Areals auch «mitreden zu können», so Domenig. 

«Es ist uns wichtig, dass die Überbauung attraktiv wird und nach ökologischen Standards erfolgt. Auch, weil sie mitten in der Stadt ist», erklärt Domenig diesen strategischen Kauf. 

Das kann den Anschein erwecken, die Stiftung Arkadis sei finanziell auf Rosen gebettet. 

Unter Kontrolle

«Nein, das sind wir nicht», sagt Dagmar Domenig. «Wir können marktübliche Preise bezahlen für Immobilien – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Würden wir mit den Preisen viel höher gehen, gäbe es Probleme mit der Finanzierung durch den Kanton.» 

Die Stiftung ist zu 98 Prozent durch öffentliche Gelder finanziert. Ein Prozent machen Spenden und Legate aus, und ein weiteres Prozent wird durch die Vermietung von Liegenschaften an Externe erwirtschaftet. «Einerseits sind uns durch den Kanton Grenzen gesetzt bei der Finanzierung von Immobilienkäufen, und andererseits kontrollieren die Finanz- und die Stiftungsaufsicht genau, wofür wir unser Geld ausgeben.»

Das war etwa bei den Vorwürfen gegen Daniel Menzi von 2013 spürbar. «Da hatten wir umgehend die Finanzaufsicht und die Stiftungsaufsicht im Haus», sagt Dagmar Domenig, die sich sehr gut an den Vorfall erinnert, hatte sie doch damals gerade erst ihre Stelle als Direktorin angetreten. 

Da der Stiftungsratspräsident Menzi im Vorfeld des Liegenschaftskaufs durch die Stiftung in den Ausstand getreten war und auch sonst kein gesetzeswidriges Vorgehen festgestellt wurde, hatte die Sache keine rechtlichen Folgen für die Stiftung. Der neue Wohnort für rund zwanzig Klientinnen war jedoch eine wichtige Weiterentwicklung ihres Angebots.

«Aber natürlich gehen die Meinungen dazu auf einer moralischen Ebene auseinander», sagt Domenig. Dadurch, dass der Stiftungsrat praktisch ehrenamtlich tätig ist, seien Interessenskonflikte nicht in jedem Fall vermeidbar. «Unser Ehrenkodex sieht dazu aber klare Regeln vor – etwa den Ausstand», erklärt sie und fügt an, dass sie mit dem Alter gelernt habe, dass es manchmal Entscheide gebe, bei denen keine der möglichen Lösungen wirklich gut sei. 

«In solchen Fällen macht man sich angreifbar. Und damit muss man manchmal leben.» 

Mittendrin

Eines ist klar: Je urbaner der Raum, desto umkämpfter der Immobilienmarkt. Indem die Stiftung Arkadis sich daran beteiligt, bewegt sie sich in einem Bereich, wo viele verschiedene Interessen zusammentreffen. 

In einem solchen bewegen sich auch lokale Geschäfts- und Politikmänner und -frauen, die sich für ein Stiftungsratsmandat entscheiden. Daniel Menzi wird sein Präsidium voraussichtlich dieses Jahr an FDP-Gemeinderat Urs Knapp weitergeben.

Klar ist auch, dass dieser Bereich rechtlich abgesteckt ist und die Stiftung Arkadis, die in Olten längst zu einer bedeutenden städtischen Akteurin herangewachsen ist, bei der Einhaltung der Regeln relativ streng überwacht wird. 

Die Interessen, die sie dabei verfolgen muss, sind diejenigen ihrer Klientinnen – Menschen mit Behinderungen. Eines davon ist ihre Inklusion in der Mitte der Gesellschaft. 

Die Stiftung Arkadis feiert am Samstag, 25. Juni 2022, ihr Jubiläums-Sommerfest an der Hardfeldstrasse 37. 


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