Mobiler Sozial- und Ordnungsdienst: Was uns der Sommer lehrt
Der Anspruch an die öffentliche Sicherheit ist in der Schweiz gross. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Sicherheitsfirmen in den letzten Jahren eine Inflation erfuhren. Mit über 800 Sicherheitsfirmen und rund 20’000 Angestellten gab es 2017 mehr private Sicherheitskräfte als Polizisten. Für Ordnung sollen sie sorgen, wobei ihr Handlungsspielraum eingeschränkt ist. Oft wirken sie auch im Auftrag von Gemeinden.
Auch in Olten wurden verschiedentlich Rufe laut, die Stadt müsse auf den öffentlichen Plätzen für mehr Ordnung sorgen. Im Fokus stehen meist stigmatisierte Menschengruppen. Jugendliche und suchtkranke Menschen, die Alkohol oder härtere Drogen konsumieren. Die SVP lancierte in den letzten Jahren verschiedene Vorstösse. Sie forderte mehr Sicherheit am Ländiweg, regte ein Alkoholverbot in der Innenstadt an. Auch die Oltner Geschäfte schalteten sich ein. Im vergangenen Mai richtete sich der Gewerbeverband mit einem Brief an die Stadt. Die Wortwahl war harsch:
«Es darf nicht sein, dass sich auf den öffentlichen und schönsten Plätzen der Stadt Randständige immer breiter machen und sich an keine Verhaltensregeln halten.»
Der Druck auf den Stadtrat nahm zu. Im vergangenen Frühling legte er dem Gemeindeparlament einen Nachtragskredit für eine SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) vor. Für eine Organisation also, die sich im städtischen Raum bewegt und sich dort für ein friedliches Zusammenleben einsetzt. Sie übernimmt zugleich ordnungspolitische Aufgaben und leistet mobile Sozialhilfe. Nicht nur Grossstädte wie Zürich oder Luzern vertrauen seit Jahren auf eine Interventionsgruppe dieser Art. Auch Langenthal, das im Fall Oltens als konkretes Beispiel diente, verfügt über eine SIP. Es war der Langenthaler Trägerverein ToKJO, der 2018 nach Olten kam und eine Sozioanalyse durchführte. Diese bildete die Grundlage für die dreijährige SIP-Pilotphase im Umfang von 450’000 Franken, wie sie der Gemeinderat im vergangenen Mai guthiess.
Noch im gleichen Jahr wollte der Stadtrat das Projekt lancieren. Jedoch verlief die öffentliche Ausschreibung erfolglos. Er habe kein Unternehmen finden können, das sowohl die ordnungspolitische Aufgabe als auch die mobile Sozialhilfe wahrnimmt, begründete der Stadtrat. In diesem Sommer reagierte er dennoch und installierte eine Sicherheitsfirma als temporären Ordnungsdienst.
Lob von vielen Seiten
Mit orangefarbenen Leuchtwesten zog seit August eine luzernische Sicherheitsfirma durch Oltens Strassen, dies in Rücksprache mit der Kantonspolizei. Olten jetzt! äusserte im Sommer Bedenken. Ein privates Unternehmen, das die Hausordnung durchsetzt? Eine Softpolizei im Auftrag des Gewerbes? «Da ist die Repression dann doch nicht mehr allzu weit weg», schrieb Olten jetzt! Anfang August. Im Spätherbst ist die Skepsis verflogen. Die Stadt hatte mit dem Auftrag an die LU-Sicherheitsdienst AG offensichtlich ein gutes Händchen bewiesen.
Franco Giori, Leiter der Direktion Ordnung und Sicherheit in Olten, war es, der an einer guten Adresse anklopfte. Im Frühsommer hatte er vergebens versucht, aus den nahen Ballungszentren Menschen aus dem Sozialbereich zu engagieren, wie dies Städte in solchen Fällen hin und wieder praktizieren. Die Stadt Luzern, die im Übrigen eine eigene SIP führt, verwies jedoch auf die LU-Sicherheitsdienst AG. Seit Jahren ist sie im Auftrag der Stadt in ordnungspolitische Aufgaben eingebunden. Olten und das Luzerner Unternehmen einigten sich für die Übergangsphase auf einen dreimonatigen Vertrag. Fünfzehn Tage pro Monat war ein fünfköpfiges Kernteam auf Oltens Strassen unterwegs. «Sie durften keine Kontrollen durchführen und niemanden wegweisen», stellt Giori klar.
«Wir haben keine Institution wie ein Fixerstübli, wo die Suchtkranken sauber ihre Drogen konsumieren können.»
Franco Giori, Leiter Direktion Ordnung und Sicherheit
Einer der viel diskutierten Brennpunkte ist der Sockel der Stadtkirche, wo sich alkohol- und drogensuchtkranke Menschen treffen. «Diese Menschen gehören zu uns. Wir wollten ihnen aufzeigen, dass sie jederzeit hier sein dürfen, aber auf andere Rücksicht nehmen müssen», sagt Giori. Nach jedem Besuch rapportierte der Sicherheitsdienst an den Abteilungsleiter.
Ihm sei das Projekt ein wenig ans Herz gewachsen, sagt er. Das Zusammenleben habe sich in diesen drei Monaten merklich verbessert. Rückmeldungen der katholischen Kirchgemeinde, vom Gewerbe und von der Polizei belegen dies gegenüber der Stadt. Giori gelangte selbst zu mehreren Erkenntnissen: Die Wahrnehmung der suchtkranken Menschen werde von der Gesellschaft überzeichnet. Der Ordnungsdienst beschränkte sich derweil nicht auf die vermittelnde Aufgabe. Er meldete auch Littering-Missstände. Beispielsweise wies er auf fehlende Abfalleimer im Bereich des Pontonierhauses hin. Darin sieht Giori ein willkommener Nebeneffekt dieses Engagements.
Eine zweigeteilte SIP?
«Wir haben keine Institution wie ein Fixerstübli, wo die Suchtkranken sauber ihre Drogen konsumieren können», nennt Franco Giori ein weiteres Problem, das zutage kam. Mit der Suchthilfe Ost verfügt die Stadt zwar über eine Institution mit Konsumationsräumen, allerdings stehen diese aufgrund begrenzter Ressourcen nur zu beschränkten Uhrzeiten offen. Für Giori ist nach der Testphase klar: «Die Stadt benötigt zum einen den Ordnungsdienst, zum anderen eine mobil-aufsuchende Sozialarbeit.»
«Wer beide Aufgaben wahrnimmt, ist stetig in einem Rollenkonflikt und Interessenskonflikt.»
Martin Heller, Geschäftsführer LU-Sicherheitsdienst AG
Martin Heller ist Geschäftsleiter der LU-Sicherheitsdienst AG und gehörte selbst dem Kernteam an, das sich mit der Stadt Olten auseinandersetzte. Am Telefon berichtet er uns über die Arbeit seiner Firma. Heller geht mit Giori einig, dass ordnungspolitische Aufgaben und die mobile Sozialhilfe getrennt werden sollten. «Wer beide Aufgaben wahrnimmt, ist stetig in einem Rollen- und Interessenskonflikt», sagt er. Wenn auch die Tätigkeit der LU-Sicherheitsdienst AG sich nahezu mit jener einer SIP deckt, wie Heller mit einem Beispiel aufzeigt: «Wenn jemand auf dem WC am Klosterplatz Drogen konsumiert, warten wir vor der Tür und weisen die Person darauf hin, dass dies nicht der richtige Ort ist und sie doch alles aufräumen soll. Meistens kommen wir mit drogenabhängigen Menschen ins Gespräch und können somit präventiv Verbesserungen für alle herbeiführen. Würden wir aber die Polizei beiziehen, wäre das Vertrauensverhältnis gebrochen.»
Zusätzlich zum Ordnungsdienst sähe Heller den Miteinbezug einer auf Schadensminderung spezialisierten Institution als sinnvoll, die sich mit den Drogenkonsumenten beschäftigt. Er denkt dabei an die bereits verschiedentlich ins Spiel gebrachte Suchthilfe Ost – die Oltner Organisation wird bereits mit anderen Aufgaben durch die Stadt beauftragt. «Sie könnte den suchtkranken Menschen die Möglichkeit anbieten, mit der Krankheit umzugehen. Insbesondere wenn es um Schadensminderung geht», sagt Heller.
Stadtrat hat andere Pläne
Innerhalb kurzer Zeit lernte das Kernteam der LU-Sicherheitsdienst AG ihr Klientel mit Namen kennen. «Seit ihr hier seid, haben wir viel weniger Krach untereinander», hätten sie als Rückmeldung erhalten. Die Stadt baute das Mandat nach erfolgreichem Start geringfügig aus und weitete den ordnungspolitischen Auftrag auf die Schulhausplätze Bifang und Säli aus. «Hier waren wir eher repressiv unterwegs und arbeiteten enger mit der Polizei zusammen», berichtet Heller. Bis Ende Jahr arbeiten seine Leute noch reduziert für die Stadt Olten.
Der Geschäftsleiter der Sicherheitsfirma verbirgt nicht: Gerne würde sie den ordnungspolitischen Auftrag weiterführen. Er lässt aber durchblicken: Die Stadt habe signalisiert, dass sie nach dieser Übergangsphase andere Pläne hat. In den nächsten Wochen will der Stadtrat den Auftrag für eine SIP an eine Organisation vergeben. Diese wird nicht mehr durch Franco Giori, sondern durch die Sozialdirektion der Stadt begleitet. Es sei wichtig, dass die Stadt das Projekt auch künftig eng begleite, führt und lenkt, findet Giori. «Nur so haben wir für dieses Geld einen Mehrwert und Nutzen.»
«Zwei Anbieter stehen bereit; was fehlt, ist ein mutiger Stadtratsentscheid – und schon hätten wir eine SIP, ganz auf Olten zugeschnitten.»
Tobias Oetiker, Olten jetzt!
Der Stadtrat möchte den Oltner SIP-Auftrag an ein Unternehmen vergeben und ordnungspolitische sowie soziale Aufgaben bündeln, wie Tobias Oetiker in einem Meinungsbeitrag für die NOZ schreibt. Der Parlamentarier von Olten jetzt! stört sich daran. Wie Giori und Heller befürwortet Oetiker eine Trennung von ordnungspolitischen Aufgaben und mobiler Sozialhilfe. Er stützt sich dabei auch auf ein Positionspapier von Avenir Social, das zu dieser Empfehlung kommt. «Zwei Anbieter stehen bereit; was fehlt, ist ein mutiger Stadtratsentscheid – und schon hätten wir eine SIP, ganz auf Olten zugeschnitten», schreibt Oetiker.
Vorzeigemodell Langenthal: Sparbemühungen münden in einem Scherbenhaufen Das Modell der Oberaargauer Kleinstadt diente Olten als Vorzeigebeispiel. Seit Jahren schon leistete die Institution ToKJO den mobilen Sozial- und Ordnungsdienst für Langenthal. Ohne Zwang schrieb der Stadtrat in diesem Jahr den Auftrag öffentlich aus, da der vierjährige Vertrag mit der ortsansässigen Organisation auslief. Und so wäre der Zuschlag plötzlich an eine Ostschweizer Firma gegangen, die ein wesentlich günstigeres Angebot machte. Doch das Parlament erteilte den Sparplänen der Stadtregierung eine Absage und lehnte den Kredit ab. Somit hat Langenthal vorläufig keine SIP mehr. |
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