Ein Hoch auf die Belgitude
Sie sind farbig, kommen in Gruppen und machen einen Höllenlärm: Brüssels Papageien. Ja genau, Papageien. Tausende davon gibt es in der belgischen Hauptstadt. Ihre korrekte Bezeichnung lautet «Psittacula krameri» oder zu Deutsch «Halsbandsittich». Eigentlich leben die giftgrünen Vögel mit dem roten Schnabel in Subsahara-Afrika oder in Indien. Aber auch im Innenhof, auf den ich von meiner Terrasse blicke, gefällt es ihnen vorzüglich. Im Winter bauen sie grosse Nester in die Bäume. Und jetzt, wo es wieder wärmer wird, schiessen sie wie Pfeile durch die Luft.
Aber wie geht das, dass in Brüssel eine Papageienkolonie entstehen konnte? Die Antwort kommt in Form einer Geschichte, an der man so einiges ablesen kann über das Land Belgien, die Lebensart seiner Bewohner oder eben die sogenannte «Belgitude».
In den 70er-Jahren fand der junge Direktor eines Brüsseler Zoos, die Stadt könne einen etwas bunteren Anstrich vertragen. Inspiriert durch das Lied «La Cage aux Oiseaux» («Der Vogelkäfig») des französischen Sängers Pierre Perret («Ouvrez, ouvrez la cage aux oiseaux, regardez-les s’envoler c’est beau»), entschied er sich, gegen vierzig Papageien die Freiheit zu schenken. Am Anfang versuchte man noch, sie an den Zoo zu binden. Man stutze ihnen die Flügel oder schmierte sie mit Schwarzseife ein. Doch schon bald zeigte sich, dass sich die freien Vögel nicht mehr halten liessen. Sie schwärmten aus in die Stadt und kamen nie mehr zum Zoo zurück.
Anders als angenommen fanden sich die Papageien mit dem belgischen Klima gut zurecht. Ungefähr 9000 leben heute in der Stadt. Das wirft natürlich Fragen der Biodiversität auf: Verdrängen die bunten Einwanderer die angestammten Populationen? Nehmen sie den heimischen Vögeln das Fressen und die Nistplätze weg? Nein, meint entschieden die lokale Tier- und Naturschutzorganisation Natagora. Die Halsbandsittiche würden sehr gut mit den belgischen Vogelarten koexistieren. Die Frage komme bloss immer wieder auf, weil die Papageien mit ihrem grünen Gefieder so auffallen. Insofern trage die Debatte Züge der «Bio-Xenophobie».
Wie dem auch sei: Die Brüsseler Papageien haben längst auch ihr literarisches Denkmal erhalten. In «Les Perroquets de la Place d’Arezzo» («Die Liebenden der Place d’Arezzo») erzählt der französische Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt die vielfältigen Liebesgeschichten und Affären der Anwohnerinnen rund um einen Platz im Brüsseler Nobelviertel Uccle, der auch von Papageien bevölkert wird. Ich habe das Buch nicht gelesen. Auf unsere Papageien übertragen aber könnte die Botschaft lauten: Ob grün oder gelb oder was auch immer – in Brüssel sind sie alle willkommen.
*Remo Hess (35) lebt und arbeitet seit 2016 als Journalist in Brüssel.