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«Es muss übers Portemonnaie laufen»

Die Stadt Olten hofft, mit Raumpatenschaften und Sensibilisierungsaktionen das Litteringproblem in den Griff zu bekommen. Der Oltner Pascal Troller und der Hägendörfer Thomas Hänggi sehen in solchen Massnahmen nur Symptombekämpfung – auch wenn sie selbst herumliegenden Abfall einsammeln. Sie fordern eine politische Lösung.
28. Mai 2021
Text: Isabel Hempen, Fotografie: Timo Orubolo

Herr Troller, man kann Sie seit Jahren dabei beobachten, wie Sie in der Stadt Abfall einsammeln …

Pascal Troller: … nicht Abfall generell, sondern vorwiegend Wertstoffe, also rezyklierbare Materialien wie Glas, Alu und PET. Wenn ich welche am Boden oder in einem Mülleimer liegen sehe, sammle ich sie ein und entsorge sie sachgemäss. Täglich kommt so etwa ein 60-Liter-Sack zusammen, einfach im Vorbeigehen, wenn ich einkaufen gehe oder sonst in der Stadt zu tun habe. Auch wenn ich einen Waldspaziergang mache, habe ich immer einen Sack dabei. Nach meiner Einschätzung ist jeder Mülleimer der Stadt etwa zu einem Drittel des Volumens mit Wertstoffen gefüllt.

Pascal Troller sammelt in Olten seit Jahren rezyklierbaren Abfall ein. Damit füllt er täglich einen 60-Liter-Sack.

Wieso tun Sie das?

Ich will klar betonen, dass das nicht meine Aufgabe ist oder jene von anderen Privatpersonen. Aber ich tue das, weil mich der herumliegende Abfall stört. Die Raumpatenschaften in Olten kommen ja nicht von ungefähr und zeigen deutlich, dass die Bewältigung des Litteringproblems den Einwohnern ein grosses Anliegen ist. Leider verhält sich die Politik bis zum heutigen Zeitpunkt eher passiv. Haushaltsabfall wird sackweise in öffentlichen Mülleimern deponiert. Und es gibt die Schlaumeier, die immer noch nicht begriffen haben, dass Zigarettenstummel nicht auf den Boden gehören. Oder die Ewiggestrigen, die Altglas und weitere Wertstoffe nach wie vor im Abfallsack entsorgen.

Was sollte auf politischer Ebene Ihrer Meinung nach geschehen?

Auf Bundesebene sollte ein angemessen hohes Depot für Wertstoffe eingeführt werden, beispielsweise auf Glas und Aludosen. Um das Problem auf nationaler Ebene zu lösen, sollten die Politiker von Olten via Solothurn bis nach Bern endlich aktiv werden. Ich bin jetzt 65. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, würde ich mich selbst politisch betätigen. Aktionen wie Plogging und Raumpatenschaften sind gut und recht und leisten einen Beitrag zu einem sauberen Stadtbild und zur Lebensqualität. Aber das Grundproblem ist damit nicht gelöst.

Sie sagen also: Es braucht den finanziellen Anreiz. Respektive die finanzielle Abschreckung …

Ja, es muss übers Portemonnaie laufen. Abfallsünder, die erwischt werden, sollten konsequent zur Anzeige gebracht und mit einer hohen Busse belegt werden. So würde die Vermüllung des Raums mit grosser Wahrscheinlichkeit rasch ein Ende finden. Nur müssen diese Bussen letztlich auch verteilt werden.

Der Oltner Werkhof unternimmt ja recht viel gegen Littering.

Ich tausche mich regelmässig mit dem Werkhof aus. Ihm kann man keinen Vorwurf machen, denn die Lösung muss von der Politik kommen, und zwar schlagartig. Es gehen Unmengen von Wertstoffen verloren. Littering und der damit verbundene Verlust von Wertstoffen ist bekanntlich kein Oltner Problem, sondern ein weltweites.

Über die Jahre haben Werkhof und Stadt unzählige Massnahmen und Aktionen gegen Littering lanciert. Was halten Sie davon?

Die Massnahmen kosten viel Geld und bringen wenig. Mit einer jährlichen Plogging-Aktion bewirkt man aus meiner Sicht nicht sehr viel. Selbstverständlich sollen die Leute sensibilisiert und schon die Kinder dazu erzogen werden, ihren Abfall nicht liegenzulassen oder illegal zu entsorgen. Aber diejenigen, die dabei erwischt werden, sollten nach dem Verursacherprinzip richtig viel bezahlen müssen.

Pascal Troller tauscht sich zuweilen mit Thomas Hänggi aus Hägendorf aus. Der 56-Jährige lancierte im Dorf ein Raumpatenschaften-Projekt, das grosse Unterstützung erfährt. Er geht mit Pascal Troller jedoch einig, dass die Lösung des Abfallproblems von der Politik herbeigeführt werden muss. Er trägt sich mit dem Gedanken, selbst politisch aktiv zu werden.

Thomas Hänggi hat ein Ziel im Leben: Der 56-Jährige möchte eine Volksinitiative lancieren, um ein Pfand auf Wertstoffe einzuführen.

Herr Hänggi, welche politischen Schritte planen Sie?

Thomas Hänggi: Ich möchte eine Volksinitiative lancieren, um ein Pfand auf Wertstoffe einzuführen. Bisher ist das erst ein Gedankengang, aber das ist ein Lebensziel von mir und der einzige Grund dafür, dass ich mich vor nicht ganz einem Jahr der Grünliberalen Partei angeschlossen habe. Nichts wäre einfacher zu minimieren und mit weniger Massnahmen einzudämmen als das Abfallproblem. Die nötigen 100’000 Stimmen, die zusammenkommen müssten, wären in der Alterskategorie 40 bis 80 ein absoluter Klacks. Jeder flucht über den Müll.

Wo starten Sie auf Parteiebene?

Die Kantonspartei hat mir zugesichert, eine Arbeitsgruppe für Littering zu bilden. Wegen Corona hat sich das verzögert, aber das soll noch 2021 geschehen. Über die Kantonspartei hoffe ich, an die nationale Partei zu gelangen, welche das Thema dann hoffentlich aufnimmt. Das ist mein persönliches Ziel. Aufgeben ist keine Option.

Erst einmal haben Sie aber dafür gesorgt, dass Ihr Wohnort Hägendorf durch Raumpatenschaften sauber gehalten wird.

Ich habe das Projekt angerissen und eine Facebook-Gruppe zu diesem Zweck gegründet. Mittlerweile zählt die Gruppe rund 200 Interessierte und es gibt etwa 25 Raumpaten. Das Projekt geniesst eine Riesenunterstützung im Dorf, auch vom Gemeindepräsidenten und dem Werkhof. Und der Erfolg ist sichtbar. Man sieht, wo Hägendorf aufhört und wo Egerkingen, Rickenbach oder Wangen anfängt. Das ist befriedigend, weil die Strasse nicht versaut ist, wenn ich eine Velotour mache – weil ich und viele andere sie putzen. Dennoch ist das Sisyphusarbeit und Symptombekämpfung. Man müsste auf Gesetzesebene gegen Littering vorgehen.

Was versprechen Sie sich davon?

Es geht darum, den Gegenständen einen Wert zu geben. Man könnte bei einem Pfand auf Alu und PET beginnen, das ist wertvolles Rohmaterial. Doch macht die IG saubere Umwelt (IGSU), die sich selbst «Schweizerisches Kompetenzzentrum gegen Littering» nennt, Riesenopposition dagegen. Sie ist der Meinung, dass es viel weniger Rückgabestellen geben würde, wenn das Problem über ein Pfand gelöst würde. Wo heute ein Sack für PET-Flaschen genügt, müsste in Zukunft eine Maschine stehen, welche die Flasche scannt und anschliessend Geld ausgibt. Aber das stimmt doch nicht: Schaut man nach Deutschland oder Spanien, so stehen dort Rückgabestellen für Wertstoffe ohne und solche für Wertstoffe mit Depot. Menschen am Rand der Gesellschaft würden durch das Einsammeln von Dosen und PET eine Einkommensquelle erhalten. Aber die Schweiz tut nichts, die Politik schaut einfach zu. National wurden alle Bestrebungen in diese Richtung ad acta gelegt.

Wie Pascal Troller glauben Sie also, dass das Verursachen von Abfall aufs Portemonnaie schlagen sollte.

Absolut. Ich habe auf dem Weg zum Allerheiligenberg schon abartige Mengen an Wertstoffen zusammengesammelt – wäre da ein Pfand drauf gewesen, hätten meine Frau und ich mit dem Geld schon einen schönen Hotelaufenthalt geniessen können. Zwar werden etwa 85 Prozent der PET-Abfälle in der Schweiz wiederverwertet. Aber bei den 15 Prozent, die nicht eingesammelt werden, handelt es sich um Millionen von Flaschen jeden Tag, die im normalen Abfall landen. Auch hohe Bussen befürworte ich, es muss richtig schmerzen. Aber obwohl es bereits ein Litteringgesetz gibt, wird es nicht umgesetzt. Die Kantonspolizei sagt, dass sie eine Person in flagranti filmen müsste, damit sie diese büssen könnte. Dabei könnte der Kanton etwa bei der Autobahneinfahrt nach Egerkingen eine fixe Kamera installieren und so sein Kässeli mit Bussgeldern füllen. Es ist wie so oft in der Schweizer Politik: Zuerst braucht es eine Volksinitiative, die schon mal viel Zeit und Energie frisst. Danach wird diese bekämpft, was wiederum viel Geld und Energie kostet. Es ist absolut unverständlich, dass dieses Thema nicht proaktiv angepackt wird.


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