Wie benommen steh ich da. Stehen wir da. Inmitten der tausenden, tobenden Menschen. Wieder jubeln die Falschen. Rauchschwaden unter dem Hallendach. Die blauen Leibchen verschwimmen im Oval zu einem Band. Weit unten übersähen die Handschuhe, Stöcke und Helme das Eisfeld. Die Kloten-Spieler liegen sich in den Armen. Eine euphorische Menschentraube in Blau wiegt auf dem Eis hin und her.
Und die Weissen knien am Boden. Stützen sich an der Bande oder auf dem Stock. Ausgelaugt. Ihre Reise endet hier. Olten bleibt sieglos. Bleibt die ewige Verliererin: ohne Meistertitel seit zwei Generationen.
Der Adrenalinspiegel sackt ab, plötzlich vernebeln die paar Bier aus den drei Stunden davor den Geist. Wie in Trance heben wir in der kleinen Oltner Kurve ein letztes Mal den Schal über den Köpfen. Die Arme wiegen schwer. «Grüen-wiss, grüen-wiss, du besch euses Läbe, Läbe. Mir singes immer witer, witer» …. «EHC Oute, mir stöi zu der, stöi immer hinter dir» … «Kämpfe Oute, kämpfe!».
Durchhalteparolen. «Einisch Oute, immer Oute», schreiben die Fans am Tag danach in den Foren.
Wieder nichts
Dabei hatte ich dieses Jahr wahrhaftig daran geglaubt. Hatte ich die Vorstellung wieder zugelassen: Das Kleinholz-Eis von einer Menschenmasse bedeckt, mittendrin dieser orangenfarbene Pokal. Die ganze Stadt im Siegestaumel.
Wer mich kennt, weiss: Im Bann des Eishockeyspiels bin ich ein anderer Mensch. Mich bindet eine Amour fou zu diesem Sport. Bis heute konnte ich nicht ergründen, woher die Faszination, die bisweilen fast an Besessenheit grenzt, herrührt.
Seit unsere Mutter uns damals Ende der 90er-Jahre ein erstes Mal ins Kleinholz nahm, hat das Eishockey mich nicht mehr losgelassen. Im Pyjama huschte ich frühmorgens zum Briefkasten, um im Oltner Tagblatt das Resultat vom Vorabend nachzulesen. Als Teenager kurvte ich dann mit Wunderkind Denis Malgin auf dem Eis herum. Im Maturajahr machten wir uns einen Spass daraus, über eine Saison an fast jedes Auswärtsspiel der Oltner zu fahren.
Das Eishockey öffnete mir die Tür zum Journalismus. Immer mal wieder schrieb ich über den EHCO, das Monument des Sports in der Region Olten. Auch wenn in mir drin das Fansein aufschrie, konnte ich Distanz wahren. Die Rolle des nüchternen Betrachters spielen. Die Liebe zum Sport stand in diesen Momenten über meiner Nähe zum Klub. Aber als Sportjournalist machte ich mir nicht vor, vollkommen neutral zu sein. Wusste, wenn diese Nacht käme, würde ich auf dem Eis stehen und die Hand nach dem Pokal ausstrecken.
Aber Olten muss warten.
Wer mit diesem Klub mitleidet, beginnt in den schwierigen Stunden sich dem Schicksal hinzugeben. Zu grübeln, was nun Sieg oder Niederlage ausmacht. Fühlt sich, als hätte die Welt sich verschworen gegen Olten. Alle haben sie schon was gewonnen. Nur Olten verliert. Warum?
Im Februar begebe ich mich auf die Suche nach Antworten: Was braucht es, um endlich, endlich einmal den Titel zu gewinnen?
Leuenbergers Geheimnis
Trainer kamen und gingen. Sie alle wollten dem Lauf der Geschichte einen anderen Twist geben. Das Los des ewigen Verlierers aufbrechen. «Das ist ein DNA-Wechsel, den wir machen», sagt Lars Leuenberger bei unserem ersten Treffen und spricht von «Winnermentalität». Er sagt: «Was es braucht, ist einfach unglaublich harte Büez.»
Leuenberger hat in der vergangenen Saison die Hoffnung neu keimen lassen in der Kleinstadt. Wie im Rausch eilte der EHCO unter ihm bis ins neue Jahr von Sieg zu Sieg. Alle Zeitungen riefen den Oltner Trainer an und schrieben die gleiche Geschichte nieder. Sie handelte davon, wie er im Sommer gekommen war und die Spieler ans Limit gebracht hatte. Wie die Mannschaft klagte, vom hohen Tempo überfordert war.
Erst am Anfang dieses Jahres musste sich die neue Mannschaft ernsthaft mit dem Verlieren auseinandersetzen. Eine kleine Baisse kam.
Als Lars Leuenberger Mitte Februar im Restaurant der ehemaligen Curlinghalle sitzt, die den Charme einer Walliser Après-Ski-Hütte hat, stehen noch zehn Qualifikationsspiele bevor. Das Haar hat er wie immer nach hinten gekämmt. Im mit bernischen Einflüssen durchsetzten Ostschweizerdialekt erzählt er.
Vom Prozess, den eine Mannschaft durchläuft, bis jeder einzelne Spieler sein Maximum abrufen kann. «Mein Ziel ist es, jeden dorthin zu bringen, wo er sein Limit selbst sucht. Ohne mein Zutun. Nicht jedem wohnt diese Charaktereigenschaft inne.»
Er selbst will sie vorleben. Den Ehrgeiz brachten ihm seine Eltern bei. «Mein Vater hat mir schon früh gesagt, wenn ich was erreichen wolle, müsse ich wissen, welchen Weg ich einschlage.» Gegen seinen sechs Jahre älteren Bruder zu verlieren hasste er.
Später erlebte Lars Leuenberger als Eishockeyspieler einen Schlüsselmoment, als er «vom Weg abkam», wie er sagt. Mit 31 Jahren hörte er auf mit dem Hockeyspielen – überraschend, ohne Vorankündigung, ohne offenkundigen Grund. Warum seine Profikarriere so früh endete, hat er bis heute nie öffentlich gemacht. Und auch im Kleinholz schweigt er dazu. Er sagt bloss: «Ich schwor damals, dass ich nie mehr zulassen werde, was mir widerfahren war. Diesen Gedanken will ich auf meine Mannschaft übertragen.»
Und so tanzte sich Olten durch die Qualifikation. Mal furios, zerzausten sie ihren Gegner mit wirbligem Sturm und Drang. Mal zermürbten sie ihn, indem sie vor dem eigenen Tor nichts zuliessen, um dann vorne zuzuschlagen.
«Was hast du mit ihnen gemacht? Das ist ja wie Tag und Nacht, wie diese Mannschaft sich entwickelt hat», habe er aus der Eishockeyszene immer mal wieder zu hören bekommen, erzählt Leuenberger. Das schönste Kompliment.
Die Goldbarren im Tresor
Gut einen Monat später sind die Playoffs angelaufen. Die historische Qualifikation mit Punkterekord brachte Olten Rang zwei hinter Kloten. Die beiden Teams waren in einer eigenen Sphäre unterwegs.
Doch der Quali-Tanz ist vorüber. Die Leichtigkeit des Hockeys verflogen. Im Playoff zählt gegen jeden Gegner nur noch: Wer gewinnt zuerst vier Spiele? In diesen Serien, die zu einem Drama aus sieben Akten werden können, stehen kleine Mannschaften manchmal auf und grosse versagen. Der Davoser Trainer-Papst Arno Del Curto sagte einst: «Wer dieses Format erfunden hat, ist ein Genie. Denn in einer solchen Serie kann auf der psychologischen Ebene unheimlich viel passieren.»
Lars Leuenberger jagt anfangs März seine Mannschaft übers Eis. Er lässt das Überzahlspiel trainieren, das den Oltnern schon in den ersten zwei Spielen gegen den HC Sierre zum Sieg verholfen hat. Auch an diesem Donnerstagabend werden die Oltner über die Walliser hinwegrollen und einen 8:2-Sieg einfahren. Und das vor bloss 3000 Zuschauerinnen – irgendwie scheint es, als warte die ganze Stadt und Region bloss auf das Finale.
Marc Grieder grüsst mit der Faust und seinem Oberbaselbieterdialekt, der nach vielen Jahren auf der Jura-Südseite nur wenig verblasst ist. Er nimmt mich mit ins Stadiongemäuer: «sein Bunker», wie er es nennt. Das Sportchef-Büro aus nacktem Sichtbeton entstand bei der Stadionsanierung 2013, als Grieder noch selbst für den EHCO auf dem Eis stand.
Im Frühjahr 2018 spürte der ruppige Verteidiger, dass sein Körper nicht mehr dem Profi-Eishockey standhielt. Also schrieb er eine vierseitige Bewerbung für das Amt des Sportchefs. Eine Stelle, die damals im Verein vorübergehend gar nicht mehr existierte. Er erhielt den Job.
Eben erst war Marc Grieder noch als Spieler im Finale gegen die Rapperswil-Jona Lakers unterlegen. Nun sollte er im Sportchef-Amt mithelfen, im Folgejahr den Titel zu holen. Stattdessen erlebte er ein Erdbeben. Halbfinal-Aus gegen den späteren Meister – Erzrivale Langenthal.
Bis 2018 waren die Oltner drei Mal binnen sechs Jahren am späteren Aufsteiger gescheitert. Rapide stiegen die Zuschauerzahlen über diese Jahre hinweg und parallel dazu die Euphoriekurve. Immens war auch das Frustpotenzial, wenn Ende Saison die Hoffnungen wieder in einer letzten Niederlage zerbarsten. Im Hintergrund begann der Klub übereifrig zu agieren. Ein dreijähriger Aufstiegsplan scheiterte. Mit Spielerverpflichtungen übernahm sich die Führung, gab zu viel Geld aus. Und so folgte im Klub nach dem neuerlichen Scheitern 2019 abermals ein grosser Umbruch. Nicht zum ersten Mal in der EHCO-Historie musste der neue Verwaltungsrat die Finanzen sanieren.
«Das ist Geschichte», sagt Marc Grieder in seinem Bunker. Seine Ankunft steht auch für das neue Olten. Nach dem Erdbeben 2019 konnte der Klub sich als «Grosser» in der zweithöchsten Liga behaupten. Er operiert nach wie vor mit einem vergleichsweise hohen Budget über rund 6 Millionen Franken. Aber der Verein musste die Löhne senken, wie der Klub immer wieder betont. Obwohl der Blick auf den Kader dies kaum vermuten liesse, ist die Mannschaft besser besetzt denn je. Verhandlungsgeschick des Sportchefs oder blankes Understatement? Darauf angesprochen, gibt sich Grieder ironisch: «Jeder Spieler, der unterschreibt, kriegt bei uns einen Goldbarren. Nur weiss das niemand.» Er lacht trocken.
Wie die Finanzbücher der Klubs tatsächlich aussehen, bleibt in der Schweiz der Öffentlichkeit verborgen. Zumindest in der Swiss League habe die Pandemie die steigenden Löhne gebremst, erklärt Grieder. Zudem entwickelten sich junge Spieler wie Stéphane Heughebaert, Cédric Maurer oder Dominic Weder, welche der EHCO einst für niedrige Saläre verpflichten konnte, in Olten positiv.
Nichts zu verlieren?
Der erste Trainer, den Marc Grieder im Frühling 2019 einstellte, war der Schwede Fredrik Söderström. Der kommunikative Erfolgscoach aus dem hohen Norden erlebte inmitten der Pandemie zwei schwierige Saisons.
2020 enttäuschte Olten im Viertelfinale gegen den Erzrivalen Langenthal. Der Saisonabbruch kam gerade recht. Die Playoffs im Jahr darauf fanden ohne Zuschauer statt. In Geisterstadien schlug sich der EHCO beachtlich. Söderströms Team überzeugte im Playoff mehr denn je, scheiterte im Halbfinale knapp an Kloten.
Trotzdem entschied sich Sportchef Grieder, den Vertrag nicht zu verlängern. Kurz nach Saisonende präsentierte er Lars Leuenberger den Medien. Bald ein Jahr später, an diesem Märztag, erklärt Grieder den Trainerwechsel: «Wir verfolgen die gleiche Idee, wie eine Mannschaft auftreten soll. In unserem Spiel fehlte die Struktur, um sich weiterzuentwickeln. Lars bringt sie rein, kann die Spieler transformieren.»
Kurz vor Weihnachten sieht der Sportchef auf dem Eis, was er sich im Kopf ausgemalt hat. Ein Team zerreisst sich und holt gegen den Favoriten Kloten einen prestigeträchtigen Sieg. «Da wusste ich, es muss viel passieren, dass wir auseinanderfallen.»
Über das, was kommen könnte, mag der Sportchef fast nicht sprechen. Beim Wort «Finale» verspannen sich seine Gesichtszüge. Dann sagt er aber doch: «Wenn wir es ins Finale schaffen, gehen wir so krass als Underdog rein.» Die Vergangenheit Oltens schwingt mit. Zu gerne möchte der Klub endlich der Kleine sein, der den Überraschungscoup schafft. «Wir haben nichts zu verlieren. Nüt», wiederholt Grieder mehrfach.
Die Shitstorms sind (fast) passé
Halbfinale gegen La Chaux-de-Fonds.
Die Corbusier-Stadt, wie ein Schachbrett angelegt – von deren Struktur ist im Spiel der Neuenburger nichts wiederzuerkennen. Viel eher wie ein Wirbelwind fegen sie übers Eis. Die Mannschaft hat in lichten Momenten einen Extragang, dem Mythos nach der Höhenluft wegen. Aber Ende März lässt Olten ihr keinen Raum, die Chaux-de-Fonniers können ihr Tempo gar nicht erst entfalten. Mit einer taktisch überaus reifen Leistung gewinnt der EHCO das Auftaktspiel.
Vor dem ersten Auswärtsmatch zwei Tage später sitzt Andreas Hagmann im Café Ring. «Hagi», wie ihn alle nennen, ist beim Bezahlfernsehen MySports Kommentator. Der Oltner kennt die Liga in- und auswendig, hat zu jedem Spieler eine lange Karteikarte angelegt, pflegt Kontakte zu allen Klubs. Er weiss oft, was hinter den Kulissen läuft.
Innerlich wünscht wohl auch er sich den Oltner Meistertitel herbei. Aber er wahrt die Fassade und sagt: «Glauben tu ich gar nichts mehr, ausser wenn es so weit ist.» Es entspreche genau der Oltner Mentalität, nicht an den Titel zu glauben, konfrontiere ich ihn. Er gibt mir recht, analysiert aber lieber nüchtern, warum es für Olten in diesem Jahr klappen könnte. So wie Hagi das für den TV-Sender immer tut.
Weil die halbe Eishockeyschweiz aber weiss, dass er aus Olten stammt, wird er in den Internetforen immer mal wieder angegriffen, er nehme Partei. Hinter dem Mikrofon gibt es für ihn aber nur noch das Spiel – die tiefe Verbundenheit zum EHCO blendet er aus. So sehr, dass bisweilen der Oltner Anhang moniert, er nehme für die Gegner Partei.
Hagi nimmt dies mit einem Lächeln und Schulterzucken hin, spricht lieber über das Oltner Spiel. «Unter Söderström konnten sie die neutrale Zone nicht mehr überbrücken. Mit Leuenberger schafften sie dies nun problemlos mit langen Pässen. Eine so hohe Passqualität wie in der ersten Qualifikationshälfte hat das Kleinholz-Publikum kaum je gesehen.»
Abgesehen vom Sportlichen gibt’s für den 33-Jährigen einen Aspekt, warum Olten mitunter so lange titellos blieb: das Umfeld. «Wenn es sportlich mal lief, fand man immer einen Weg, die Mannschaft mit einem Nebenschauplatz zu destabilisieren.» In diesem Jahr aber sei eine aussergewöhnliche Ruhe da. Die Fans bombardierten den Klub nicht gleich mit destruktiven Kommentaren nach einer Niederlage. Die Klubführung tat alles, um die grün-weissen Farben in die Stadt zu tragen.
Für eine heikle Episode sorgte der Klub aber doch noch: Vor dem Halbfinal erhöhte er die Ticketpreise empfindlich stark. «Man munkelte, die Geschäftsstelle sei mit Mails bombardiert worden», erzählt Hagi. Der Klub reagierte prompt, sah davon ab und glättete die Wogen.
Bis der Hexenkessel Kleinholz brennt
Vom früheren, unruhigen Umfeld kann Romano Pargätzi ein Lied singen. Neun Jahre lang trug er die Klubfarben des EHCO. Der Bündner wurde in dieser Zeit in Olten heimisch und blieb. Heute noch streift er sich als Verteidiger das Leibchen des SC Altstadt Olten über und jagt in einer höheren Amateurliga mit anderen EHCO-Legenden wie Martin Wüthrich, Remo Meister und Cédric Schneuwly dem Puck nach. Sie alle prägten Oltens Auferstehung aus den finanziell schwierigen Nullerjahren, in welchen knapp 1000 Zuschauer ins Stadion kamen. Und trotzdem sind sie auch die «Titellosen».
Pargätzi war bei zwei der drei Finalserien dabei. «Wir sind jedes Mal an einer Übermannschaft gescheitert», sagt er. Lausanne (2013), Langnau (2015) und Rapperswil (2018) – alle siegten sie danach auch in der Ligaqualifikation und stiegen auf. Was die Oltner Fans besonders schmerzt: Über dieselbe Dekade erkämpfte sich der Erzrivale aus dem kleinen Langenthal drei Meistertitel. «Langenthal war immer in den umgekehrten Jahren zur Stelle», analysiert Pargätzi unter dem Dachstock der Usego, wo er heute als Treuhänder arbeitet.
Und eben, das Umfeld. «Der Titeldruck, die Sehnsucht danach – der Verein wollte den Erfolg zwischenzeitlich fast zu sehr forcieren. Die Strategie war aber auch verständlich, da die Zukunftsperspektive der NLB damals sehr ungewiss war.»
Daraus ergab sich immenser Erwartungsdruck, der oftmals toxisch auf die Stimmung wirkte. Pargätzi weiss, was ein tobendes Kleinholz bewirken kann. Ligaweit wusste man, wenn die Oltner mal das Publikum im Rücken haben, wird’s schwer. Die Mannschaft vermochte in jenen Augenblicken Druckphasen zu erzeugen, die auf das Tor des Gegners niederprasselten.
Wenn aber der Erfolg greifbar scheint, das Momentum jedoch zugunsten des Gegners zu kippen droht, verstummt das Kleinholz. Die prall gefüllten Ränge gleiten in eine kollektive Apathie, die Menschen schauen zu, wie die Mannschaft unten auf dem Eis mit sich selbst hadert.
Am Vorabend des Gesprächs mit Romano Pargätzi gibt es einen solchen Moment. Nach drei Oltner Siegen en suite beginnen die Chaux-de-Fonniers doch noch zu wirbeln. Gewinnen zuerst daheim und dann auch in Olten. Rund fünfzig Neuenburger machen das Kleinholz zu ihrem Tollhaus. Und den EHCO-Fans hat’s derweilen die Sprache verschlagen.
«Diese Niederlage kam für mich enorm überraschend. Oltens Konzept war nie am Bröckeln bis hierhin», sagt Pargätzi. Er weiss, wie es sich mit dem Oltner Hexenkessel verhält. «Wenn sich die Mannschaft auf dem Eis zerreisst, kann das Publikum ein Spiel noch mitentscheiden. Aber der Funken muss vom Spielfeld auf die Zuschauer übergehen. Anders als in Ambri oder in der Ajoie.»
Es tut nicht mehr weh
«Les Abeilles» – die Bienen aus La Chaux-de-Fonds sind geweckt. Aber im sechsten Akt im Neuenburger Jura findet Olten auf wundersame Art zurück zu seinem Spiel und eliminiert die Neuenburger dank drei Toren innerhalb von zwei Minuten im letzten Drittel.
Das heiss erwartete Finale ist geschafft. Mit Ligakrösus Kloten steht den Oltnern vermeintlich wieder eine Übermannschaft im Weg. Nichts zu verlieren also, wie Marc Grieder es sagte?
Im ersten Finalspiel in Kloten geht diese Maxime beinahe auf. Aber in der zweiten Verlängerung, Montagabend, kurz nach elf Uhr, liegt der Puck doch im Oltner Kasten. Im Zug heimwärts schwankt ein betrunkener Fan in den Wagon und lallt. «Uns Oltnern tut ja nichts mehr weh. Hattest du schon mal Zahnschmerzen? Das tut weh. Olten hat es nie weh getan, darum gewinnen wir nicht.» Er verschwindet im nächsten Zugwagen. Eine Szene spätnachts, die bezeichnend für die negative Mentalität der Oltner steht. Abgestumpft von den vielen zerbrochenen Träumen.
Vom Oltner Trübsal ist beim zweiten Finalspiel nichts zu sehen. Keine Tore über geschlagene 60 Minuten. An diesem Abend ist die Stimmung so, als wäre Olten für den Favoriten Kloten unbezwingbar. Entsprechend spielen die bärtigen Männer in den grünen Leibchen auf dem Eis. Lukas Lhotak versetzt in der Verlängerung das Stadion in Ekstase.
Hinterher sagen viele, so laut sei es im Kleinholz seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Klaus Zaugg, der polemischste Eishockey-Journalist der Schweiz, ist auch dabei und schreibt:
«[…] Es ist, als sei mit diesem Sieg ein Bann gebrochen. Als sei allen bewusst geworden, dass ein Aufstieg für die Unaufsteigbaren möglich ist. Dass Olten nicht für alle Ewigkeit in der Zweitklassigkeit darben muss. Es ist wie eine Auferstehung der Oltner Hockeykultur. Wir sind dazu in der Lage, Kloten zu besiegen, also sind wir.»
Das rätselhafte dritte Spiel
Zaugg irrt. Die Auferstehung Oltens endet am Osterwochenende abrupt. In Kloten kommt eine Mannschaft aufs Eis, die zu zweifeln scheint. Die Zürcher spüren dies und überrollen den EHCO. Lars Leuenberger wird hinterher sagen, seine Spieler seien naiv aufgetreten. Warum? Darüber wird der Trainer über das Saisonende hinaus grübeln.
Olten findet den Tritt nicht mehr, hat die mentale Stärke verloren. Im vierten Spiel folgt ein weiterer Dämpfer. Nach einem 0:3 im Startdrittel ist der EHCO angezählt. In den verbliebenen 40 Minuten fehlt die benötigte Wucht für die Wende. Kloten bringt Sieg Nummer drei heim und der Aufstieg wird für die Zürcher immer greifbarer. Einen Sieg vor eigenem Publikum brauchen sie noch.
Olten würde wieder zuschauen müssen, wie die Gegner den Pokal heben. Würde das letzte Saisonspiel abermals verlieren. Wie gross die Wahrscheinlichkeit sein mag, dass dem EHCO erneut das Verlierer-Los zufällt, frage ich mich.
Ein in sich gekehrter Lars Leuenberger kommt nach der dritten Niederlage bloss für ein zweiminütiges Interview aus der Garderobe.
Am Tag darauf hat er das Lächeln wiedergefunden. Als versuche er bewusst, Optimismus zu versprühen. «Jetzt haben wir drei siebente Spiele», sagt er in der milden Aprilsonne.
Nothing to lose. Aber Olten bleibt am Ende eben doch wieder das Los des Verlierers.
Im tobenden Schluefweg wirkt die Oltner Mannschaft allein. Sie beisst sich ins Spiel. Aber die Zürcher schaffen das 1:0. Olten versucht bis zuletzt vergebens anzurennen. Lattenschuss. Sirene. Aus.
Bärte und abgetautes Eis
Zwei Tage später, Freitagmittag. Abgetautes Eis statt Nervosität vor einem Spielabend. Weit unterhalb der Sponsorenlounge kratzt der Eismeister im aufgetauten Wasser bereits die Werbung weg. Medien und Klub finden an einem grossen Tisch zusammen – eine Männerrunde. Die Playoff-Bärte sind noch nicht gestutzt. Man verteilt sich gegenseitig Komplimente. Für eine ausgezeichnete Saison. Wieder fehlte am Ende nur das eine Quäntchen «Etwas». Man blickt zurück. Analysiert. Schöpft Zuversicht.
Als Sportchef Marc Grieder durchs leere Stadion schreitet, sagt er noch: «Gibt’s das Gewinnergen? Das würde ich sofort einkaufen.»
Olten wartet. Wie lange noch?
Was braucht der EHCO deiner Meinung nach für den Durchbruch?
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