Skip to main content

Ferienfeeling an der Autobahn

Der Camping Wiggerspitz in Aarburg bietet alles Nötige – plus Verkehrslärm. Seine Lage zwischen Strasse und Bahngeleisen mag seltsam erscheinen. Die meisten Gäste fühlen sich trotzdem wohl.
17. Juni 2021
Text: Isabel Hempen, Fotografie: Timo Orubolo

Eingeklemmt zwischen der viel befahrenen Hauptstrasse von Aarburg nach Rothrist und den über der Aare schwebenden SBB-Geleisen liegt der Camping Wiggerspitz. Wenige hundert Meter weiter folgt die Autobahn: Ein eigentümlicher Standort für einen Campingplatz. Weder ein See noch Berge verleiten hier zu einem Zwischenstopp. Der Camping grenzt zwar direkt an die Aare, doch ist der Verkehrslärm nicht zu überhören. Dennoch herrscht auf dem Durchgangscamping mit einer überschaubaren Grösse von 120 Aren von April bis Mitte Oktober Betrieb.

Eine Tafel beim Eingang weist auf das Restaurant im Innern des Campings hin, «Chez Ridha» bietet «durchgehend warme Küche 7.00 Uhr – 22.00 Uhr». Von einem eisernen Tor, das sperrangelweit offensteht, führt ein schnurgerader Weg zur Rezeption und zum Restaurant. Rechts des Weges reiht sich auf einem Wiesenstück Wohnwagen an Wohnwagen, manch einer davon mit Vorzelt, andere scheinen noch unbewohnt. Der Weg verzweigt sich nach links und führt einmal rund um den Campingplatz. Er umgibt eine Wiese, in deren Mitte sich das Sanitärhäuschen mit Duschen, Toiletten und Waschbecken und Waschmaschine befindet. Darum herum weitere Wohnwagen und ein paar Zelte.

«Chez Ridha»: Ridha Baccouch wirtet seit sieben Jahren im Camping Wiggerspitz.

Es ist halb zehn Uhr morgens. Die Sonne brennt bereits so stark herunter, dass man gerne Schutz unter dem Dach und den Sonnenschirmen von Ridhas Beizli sucht. Seit sieben Jahren wirtet Ridha Baccouch hier. Für die Badi gleich nebenan betreibt er auch einen Kiosk. «90 Prozent meiner Gäste sind Einheimische», sagt er, während seine Mitarbeiterin in der Küche hantiert. Und die kommen auch wegen ihm, kennen sie ihn doch noch aus der Zeit, als er in Aarburg das «Pöstli» führte. Susanne Richner etwa. Die 77-Jährige hat sich an einen der Festbänke gesetzt. Sie ist keine Camperin, jedenfalls heute nicht mehr. «Ich geniesse nur die gute Bewirtung und die Ambiance hier – richtiges Ferienfeeling eben», sagt sie lachend und giesst Mineralwasser in das Glas vor sich. «Ridha weiss, dass ich Vegi bin, und empfiehlt mir jeweils ein Gericht. Wie man es gerne hätte von einem guten Wirt.» Auf der Karte an der Durchreiche stehen Salate, Wienerli, Chicken Nuggets, Fischknusperli.

Susanne Richner ist aus Aarburg. Wie viele Aarburgerinnen und Rothrister, sagt sie, käme sie häufig hierher: auf ein Getränk, zum Mittag- oder Abendessen. Und das seit der Eröffnung des Campingplatzes im Jahr 2000. Zwei- bis dreimal die Woche, zu unterschiedlichen Tageszeiten. Hier trifft sie Bekannte und kommt mit Touristen ins Gespräch. «Ich bin alleinstehend, das macht Spass so.» Die 70-jährige Gisela Gueffroy setzt sich ihr gegenüber, sie ist eine Freundin aus Aarburg. Sie stellt eine Kaffeetasse und eine Schorle auf dem Tisch ab, in der Hand hält sie ein Gipfeli. Auch sie zieht es im Sommer regelmässig zu Ridha ins Restaurant. «Leute aus allen Schichten kommen hierher», sagt sie, und ihr Gegenüber ergänzt lachend: «Sie zum Beispiel ist High Society und ich bin Büezerin.» – «Nein, nein, es ist umgekehrt.»

Bei Ridha bestellen viele Brot oder Gipfeli für den nächsten Tag. Touristen, die gerade angekommen seien, kämen gerne zu ihm essen, sagt er. Seit Corona seien die Campinggäste zu 95 Prozent Schweizer, davor seien viele aus Deutschland, Österreich, Holland, Belgien, England und Italien hier abgestiegen – ein «A» ist das einzige ausländische Autokennzeichen, das an diesem Morgen zu entdecken ist. Auf dem Durchgangscamping würden häufig Monteure übernachten, die mit dem eigenen Wohnwagen ankommen oder hier einen Wagen für die Saison mieten. Und viele Reisende auf der Durchfahrt. Zwei ältere Herren setzen sich zu den beiden Damen an den Tisch. «Ach, du bist ja auch geimpft», sagt der eine, und der andere: «Jetzt hat es mit dem Treffen endlich geklappt – hoi Paul.»

Links neben der Rezeption und dem Restaurant finden sich ein Spielplatz und eine Feuerstelle, beide an diesem Morgen ungenutzt. Die rechts angrenzende Badi der Gemeinde Aarburg ist so gut wie leer, einzig ein älteres Ehepaar breitet gerade Handtücher auf den mitgebrachten Liegestühlen aus. Vereinzelt sind Menschen unter den Vorzelten ihrer Wohnwagen zu sehen. Nicht wenige Wagen aber scheinen dieses Jahr noch nicht in Betrieb genommen worden zu sein oder werden nur an den Wochenenden genutzt. Viele Fahrzeuge auf dem Platz tragen Aargauer Nummern.

Die 90-jährige Margrit Buchmann hat noch den alten Camping in Ruppoldingen erlebt. Sie ist seit 30 Jahren Mitglied des Zelt- und Wohnwagenklubs Olten.

Vor ihrem Camper in der Sonne sitzt die 90-jährigen Margrith Buchmann aus dem luzernischen Nebikon, neben ihr parkt ein Rollator. «Ich kann nicht mehr so grosse Sprünge machen», meint sie bedauernd. Aber sie habe grosse Freude, wenn die Stammgäste jeweils wieder kämen und man abends des Öftern gemütlich zusammensitze. Ihren festen Standplatz hat sie seit 21 Jahren. «Im Klub bin ich aber seit 30 Jahren, ich habe noch den alten Campingplatz gekannt.» Viel habe sich verändert am nicht mehr ganz so neuen Standort: Früher auf der Insel sei der Camping kleiner gewesen, familiärer.

Tatsächlich war der Campingplatz von 1963 bis 1996 auf einer Insel in der Aare bei Ruppoldingen angesiedelt. Als dort das Flusskraftwerk gebaut wurde, musste der Campingplatz weichen und man zog nach Aarburg. Heute befindet sich am ehemaligen Standort ein Naturschutzgebiet mit Auenlandschaft. Nur das alte Kassenhäuschen bei der Rezeption erinnert noch an die früheren Zeiten.

Die Campinganlage ist Eigentum des «Zelt- und Wohnwagen-Klubs Olten», dessen Name aus Tradition auch am neuen Ort beibehalten wurde. Das Grundstück indes gehört der Gemeinde Aarburg und wird von dieser gepachtet. Wer einen fixen Saisonplatz auf dem Camping erhalten möchte, muss Klubmitglied werden. Neben den 30 Saisonplätzen gibt es 7 Mietwohnwägen und in normalen Zeiten 50 Touristenplätze für Wohnmobile, Caravans und Zelte. Coronabedingt wurden die Touristenparzellen jedoch vergrössert, sodass deren Zahl gegenwärtig etwas kleiner ist.

Touristen sind auch Renata und Ruedi Küttel. Der 61-Jährige liegt in einem blauen Liegestuhl vor dem Camper und studiert eine Landkarte. Auf dem Campingtisch in seiner Nähe steht ein DAB-Radio, seine 52-jährige Frau tritt gerade aus dem Wohnwagen heraus. Das Paar ist aus dem schwyzerischen Studen angereist. Viermal hat es schon Ferien auf dem Camping Wiggerspitz gemacht. «Wir kommen zum Wandern her», sagt Renata Küttel. «Ursprünglich wollten wir Aarburg anschauen und fanden so den Campingplatz.» Die Lage zwischen Bahn- und Autobahnverkehr stört beide nicht. «Ich denke dann immer, zum Glück muss der Zugchauffeur arbeiten und nicht ich», meint Ruedi Küttel lachend. Hier sei auch kurzfristig immer ein Plätzchen frei, während es auf anderen Campingplätzen gerade in Corona-Zeiten schwierig sei, Platz zu finden. Küttels schätzen das freundliche Personal und den Schattenplatz unter dem Baum. Nur dürfte mehr los sein. «Es gefällt uns, wenn Kinder mit ihren Velos rumdüsen, das ist hier weniger der Fall», sagt Renata Küttel. Heute wollen die beiden nicht viel unternehmen. Vielleicht fahren sie später nach Zofingen, um sich das Städtchen anzusehen.

Ruedi und Renata Küttel aus dem Kanton Schwyz sind schon das fünfte Mal hier – sie gehen in der Region wandern.

Im Sanitärhäuschen spülen zwei Frauen das Frühstücksgeschirr. Die Wiese hinter dem Häuschen ist fast leer, eines der wenigen Zelte ist hier aufgebaut. Daneben haben Janine Meyer und Mikis Hofer eine Decke ausgebreitet. Käse, ein Brot, Aufstriche und zwei Teller liegen darauf. Die beiden 37-Jährigen aus der Ostschweiz sind seit ein paar Tagen hier und möchten eine knappe Woche bleiben. «Wir kannten den Aargau nicht und wollten deshalb mal in diese Richtung», sagt Janine Meyer. Heute werden sie einen Ausflug nach Bremgarten machen. Die beiden sind mit dem ÖV unterwegs und finden die zentrale Lage des Campings – «schnell im Städli und am Fluss» – sehr angenehm. «Nur der Rasenmäher jeden Morgen müsste nicht sein», sagt Janine Meyer lachend und blickt hinüber zum Gefährt, das neben dem Camping gerade lärmig seine Runden dreht.

Janine Meyer und Mikis Hofer sind aus der Ostschweiz angereist.

Nicht weit von ihnen haben Marco Ostermeier und Julia Haueisen aus Schaffhausen ihr Zelt abgebaut. Der 34-Jährige und die 27-Jährige in Radlerkluft haben den Campingplatz über Google Maps gefunden und eine Nacht hier verbracht. «Ein komischer Campingplatz an einer stark frequentierten Strasse, aber mit Oropax geht’s für eine Nacht», so ihr Verdikt. Sie setzen ihre Helme auf und packen die letzten herumliegenden Sachen in ihre Rucksäcke. Gleich geht es weiter an den Bielersee.

Brigitte Albiker ist ausserhalb der Saison in Hägendorf zu Hause, Urs Meier in Oftringen.

Brigitte Albiker raucht im Schatten ihres Vorzelts und unterhält sich mit Urs Meier, der seinen Kopf aus dem gegenüberliegenden Wohnwagen streckt. Die 71-jährige Hägendörferin und der 56-jährige Oftringer leben schon eine Weile hier: Sie hat ihren festen Standplatz seit sechs Jahren und verbringt die ganze Saison hier, er den seinen seit 2011. «Ich warte noch auf eine Freundin, die nächste Woche auf den Camping kommt», erzählt Brigitte Albiker. Mit ihr gehe sie abends jeweils an der Aare laufen oder im Städtli etwas trinken. Tagsüber «nusche» sie gerne etwas oder lese ein Buch.

Urs Meier erhält übers Wochenende jeweils Besuch von seiner Frau und den Kindern. «Ich war früher als Monteur in verschiedenen Ländern schon im Wohnwagen unterwegs, das wollte ich nicht ganz aufgeben», sagt der erzählfreudige Mann. Heute mache er Grossputz, und bald einmal wolle er pflanzen. Am Bord hinter seinem Wohnwagen hat er einen Pfirsich-, einen Birn- und einen Zwetschgenbaum und Rosen gesetzt. Bald sollen hier Salat und Kräuter gedeihen. «Wir haben eine gute Gemeinschaft hier», findet er, auch wenn sich unter den Stammgästen natürlich Grüppchen bilden würden. «Gestern zum Beispiel habe ich den Grill angefeuert, dann fragte Brigitte, ob sie ihre Bratwurst auch drauflegen dürfe, und schliesslich sind wir zu fünft am Tisch gesessen», meint er lachend.

In Ridhas Beizli sitzt ein Mann mit tätowierten Oberarmen und einem freundlichen Lächeln allein vor seinem Kaffee. Eine gescheiterte Ehe brachte Daniel auf den Campingplatz Wiggerspitz. Der 51-jährige Oltner verbringt nun bereits den dritten Sommer in einem Mietwohnwagen auf dem Campingplatz. Über den Winter kommt er jeweils bei Freunden in Olten unter. «Aber das ständige Hin und Her ist auf Dauer mühsam, wahrscheinlich ist das meine letzte Saison hier», sagt er. Dennoch gefällt es ihm hier. «Du kommst herein und hast Ferienstimmung», meint er begeistert. Wenn er abends von seiner Arbeit in Zofingen zurückkehrt, geniesst er die entspannte Atmosphäre hier. Auch viele der einheimischen Gäste kennt er, da er in Aarburg aufgewachsen ist. Und das Camping-Personal sei «superfreundlich». Wie so viele zieht es aber auch ihn ins Ausland. Mit seinem VW-Büssli will er bald nach Italien fahren. Darauf freut er sich schon sehr.


Schreiben Sie einen Kommentar