«Jetzt haben wir 50 Jahre gut mit dem grünen Erdgas-Blatt gelebt. Die Gaswirtschaft wird sich weiterentwickeln müssen»
In Schottland findet die Welt zusammen und debattiert darüber, wie die Klimapolitik doch noch auf Kurs kommen kann. Warum die Gesellschaft noch nicht so richtig vorangekommen ist, dafür gäbe es unzählige Beispielgeschichten. Auch jene der Oltner Energieversorgerin gehört dazu. Während vieler Jahre setzte die Aare Energie AG (a.en) unbeirrt auf Erdgas und niemand mischte sich vehement ein. Das Gas floss. Und zwar «bequem, günstig und stabil», wie die städtische Energieversorgerin kürzlich in einem politischen Vorstoss schrieb. In den Städten florierte das Millionengeschäft mit dem Erdgas in den vergangenen Jahrzehnten. Die städtischen Betriebe bauten Gasnetze bis in die Agglomerationen. Die Gasbranche positionierte sich als neue grüne Energiebringerin, die das Öl ein Stück weit ablöste.
Ich will es genauer wissen: Die Klimabilanz der Energieträger
Heizöl weist die schlechteste Klimabilanz aus. Pro Kilowattstunde Wärme stossen Ölheizungen durchschnittlich 347 Gramm CO2 aus, wie aus einer Studie von zwei führenden Energieberatungsfirmen hervorgeht. Erdgas ist im Vergleich dazu um rund einen Viertel klimaschonender – daher kommt der ursprünglich gute Ruf. Gasnetzbetreiberinnen wie die sbo boten in den letzten Jahren zunehmend Biogas an. Wer bereit ist, mehr zu bezahlen, kann heute bei der a.en 100 Prozent Biogas beziehen. Nur: Dabei handelt es sich grösstenteils um über Zertifikate zugekaufte Anteile aus dem Ausland. Durch die Leitung fliesst weiterhin fast ausschliesslich Erdgas. Es lässt sich derzeit noch nicht rückverfolgen, ob beispielsweise eine deutsche Produzentin das Biogas ein zweites Mal verkauft. Das Potenzial für die Biogasproduktion ist in der Schweiz arg limitiert. Gemäss Berechnungen des Bundes könnte sie maximal zehn Prozent des heutigen Verbrauchs decken. Beim Biogas entsteht heute gegenüber Erdgas rund die Hälfte der CO2-Emissionen. Durchschnittlich sind dies 130 Gramm CO2-Äquivalente. Bei der Produktion entweicht jeweils Methan – ein Treibhausgas. Bei technisch optimierten Anlagen – über eine solche verfügt ein Solothurner Klärwerk – sind sehr tiefe Emissionswerte möglich, nur sind diese nicht die Norm. Die Gasbranche hofft für die Zukunft auf die synthetischen Gase. Konkret: Wasserstoff. Aus überschüssigem Strom aus der Solar- und Windenergie könnte dieser über das «Power-to-Gas-Verfahren» produziert werden. Bereits heute wird er limitiert als Treibstoff für Lastwagen verwendet. Auch für Hochtemperatur-Industrieprozesse könnte Wasserstoff dienen. Das Problem: Wasserstoff ist auf dem Markt noch kaum verfügbar. Als Stromspeicher oder für Gebäudeheizungen ist er nach heutigem Stand der Wissenschaft in der Gesamtbilanz noch sehr ineffizient.
In Olten hob die Energieversorgerin mit dem Gasgeschäft nicht von Beginn weg ab. Und weil der Betrieb im Stadthaus geführt wurde, diskutierte das Parlament bei seinen Sitzungen regelmässig den Gaspreis. Die Politik nahm sich selbst den direkten Einfluss, schickte die Städtischen Betriebe Olten in die Selbständigkeit und gab dem verschuldeten Unternehmen gewissermassen als Startkapital Bauland mit. Die Aare Energie AG entstand 2001 als entkoppeltes Unternehmen, das im Auftrag der sbo die Betriebsaufgaben wahrnimmt und die Stadt mit Gas, Wasser und Strom versorgt. Ein rapider Aufstieg begann.
Das Konstrukt der öffentlich-rechtlichen sbo und der privatrechtlich organisierten a.en, die aber gleichwohl der Stadt gehört, sorgte immer wieder für politischen Diskussionsstoff. Vor allem weil die a.en bis vor einem Jahr nicht alle Zahlen offenlegte. Im Fokus standen zudem die Verwaltungsratshonorare. Die Öffentlichkeit störte sich an den üppigen Entschädigungen, welche die Mitglieder des Verwaltungsrats kassieren. Hinzu kommt, dass sie doppelt vergütet sind, weil die beiden Verwaltungsräte der sbo und a.en identisch besetzt sind. Einigen Lokalpolitikern missfällt bis heute das Doppelkonstrukt, weil dies dem Parlament die Kontrollmöglichkeit nehme. Indem die Tochtergesellschaft der sbo dem politischen Druck nachliess und die stillen Reserven offenlegte, erfüllte sie einen grossen Wunsch der Kritiker. Zur Ruhe kommt die Energieversorgerin dennoch nicht. Lange Zeit interessierte sich die Lokalpolitik fast nur für die finanzpolitischen Aspekte. Seit einem Jahr aber erhöht sie den Druck auf die sbo und a.en, die Energiewende anzugehen.
Was hast du für ein Heizsystem? Und: Fernwärme als Zukunftsmodell
Auf diese Frage wissen viele Menschen, die in der Stadt oder Agglomeration eine Wohnung mieten, meist nicht einmal die Antwort. Die Heizung funktioniert nach unserem Selbstverständnis einfach, die Wärme strömt durch den Boden oder die Heizkörper, wenn’s draussen kalt wird. Viele der Mietwohnungen sind bis heute gerade im städtischen Raum an das feingliedrige Gasnetz angeschlossen, oder im Keller steht eine Ölheizung. Die beiden fossilen Energieträger sollen künftig ganz verschwinden. Einen radikalen Weg gehen die Industriellen Werke Basel (IWB) – auf Druck der Politik. Die Energieversorgerin sorgte für Aufsehen, als sie aus dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie austrat. In den nächsten 15 Jahren investieren die IWB rund eine halbe Milliarde Franken ins Fernwärmenetz. Fernwärmenetze sind jedoch nur in dicht besiedelten Gebieten wirtschaftlich sinnvoll. Die Wärme gelangt dabei über ein Warmwassernetz in die Wohnungen. Um das Wasser aufzuwärmen, gibt es eine Vielzahl an möglichen Energieträgern:
- Industrielle Abwärme oder auch jene einer Kehrichtverbrennungsanlage
- Wärmepumpen
- Kalte Fernwärme: Durch die technische Entwicklung genügt die Temperatur von Seen oder vom Grundwasser, um sie in Fernwärmenetze einzubinden
- Blockheizkraftwerke, beispielsweise mit Holzschnitzel, Pellets oder Biogas betrieben
- Geothermie (Versuchsbohrungen in Basel wurden gestoppt, nachdem sie ein Erdbeben ausgelöst hatten)
Dass die Zeiten der roten Zahlen bei den Städtischen Betrieben weit zurückliegen, ist derzeit in der Mülimatt ersichtlich. Es ist ein Novembertag, an dem die feuchte Kälte bis in die Knochen vordringt. Ein Lastwagen bohrt mit Spezialvorrichtung das Loch für eine Erdwärmesonde. Nebenan entsteht der neue dreigeschossige Bau der a.en. Noch ist er halbnackt – eingekleidet mit Dämmungsmaterial. Im Annexbau wird der operative Betrieb unterkommen. Das Dach versieht die a.en mit einer grossen Photovoltaikanlage. Die Energieversorgerin baut sich ein Gebäude, das den neusten energetischen Ansprüchen gerecht wird.
Ein Bau mit Symbolkraft, der eine neue Ära der Energiewende einläutet? Der Geschäftsführer Beat Erne gibt sich vorsichtig. «Das kann man vielleicht so betrachten», sagt er. Gemeinsam mit Verwaltungsratspräsident Daniel Probst führt er die Oltner Energieversorgerin in die Zukunft. Mit grünen Helmen weisen sie erstmal auf der Baustelle den Weg.
Experten aus der Oltner Energiebranche und -politik finden, Sie seien um Ihre Aufgabe nicht zu beneiden.
Daniel Probst: Das kann ich nicht bestätigen. (lacht) Wir stehen vor grossen Herausforderungen, ja. Vieles verändert sich derzeit. Mit der Energiestrategie 2050 bekennen wir uns zur Dekarbonisierung. Dafür werden wir mehr Strom brauchen. Wärme brauchen wir auch, denn unser Land kommt nicht ungeheizt durchs Jahr. Dass wir mit Anforderungen und Wünschen konfrontiert sind, empfinde ich als partnerschaftliches Interesse. Die Eigentümerin, die Stadt und auch das Parlament haben Ideen und möchten die Zukunft der sbo mitgestalten. Das Wichtigste ist unser Kerngeschäft als Versorgungsfirma. Die Menschen klatschen zwar nicht jeden Morgen, wenn sie Licht haben, das Wasser bedenkenlos trinken oder warm duschen können. Das sicherzustellen gehört aber zu unseren Hauptaufgaben.
Beat Erne (zeigt auf ein Kreisdiagramm, das die Tätigkeitsfelder der Aare Energie AG abbildet): Das ist für uns der «Kompass». Da ist alles drauf, was wir alles leisten, ohne die einzelnen Punkte zu gewichten. Die Wünsche sind vielfältig. Die einen möchten vielleicht mehr Solarkraft, die andern wünschen sich den Fokus bei der Wasserqualität. Wir müssen versuchen, dies im Gleichgewicht zu behalten. Und wenn wir von der Energiestrategie 2050 sprechen, haben wir viele Aufgaben vor uns: Gas, funktioniert das überhaupt noch? Wie schaut die Wärmeversorgung der Zukunft aus? Vielleicht hätten wir schon früher Antworten suchen müssen. Wir sind jetzt dran. Ich denke nicht, dass wir zu spät kommen.
Andere sagen, Sie hätten schon vor 10 Jahren beginnen müssen. Ein Experte zeichnete eine passende Metapher: Mit den fossilen Energieträgern verhalte es sich wie mit einem Erbe. Wer das Erbe einfach verprasst, ohne es in die Zukunft zu investieren, hat bald nichts mehr davon. Sie haben die Transition miterlebt und sind jetzt in der Geschäftsführerposition. Warum hat sich die a.en auf dem Erbe ausgeruht?
Erne: Wenn man zehn Jahre zurückschaut, haben wir bereits einiges getan. Wir betreiben einen der grössten Wärmeverbünde im Kanton mit Holzpellets, Erdgas und Biogas im Bornfeld und Kleinholz. Wir haben unsere Produkte ökologisiert. Alle Kunden kriegen 100 Prozent erneuerbaren Strom. Und wir liefern standardmässig einen grossen Biogasanteil. Klar, dabei handelt es sich vorwiegend um Zertifikate aus dem Ausland. Auch für Olten Südwest haben wir wärmemässig eine Projektstudie erstellt. Wir haben der Eigentümerschaft eine Offerte machen können, ihr ein Konzept zur Grundwassernutzung mit Wärmepumpen eingereicht. Wenn wir in Olten Südwest einen Wärmeverbund realisieren könnten, würden wir mehr bewirken, als wenn wir in einem bestehenden Quartier dreissig Einfamilienhäuser mit Fernwärme versorgen.
Probst: In der Region haben wir – anders als in Solothurn – keine Kehrichtverbrennungsanlage. Also brauchen wir eine eigene Wärmeerzeugung. Wenn wir in ein bestehendes Quartier gehen, müssen wir erst einen Standort für die Wärmeerzeugung finden und dann beispielsweise für den Bau einer Holzschnitzelheizung Akzeptanz finden. Zudem braucht zunächst niemand die Fernwärme, weil alle bereits ein Heizsystem installiert haben. Da kommt die Frage auf: Investieren wir dort, obwohl niemand anschliesst?
Wegen dieser Unsicherheit argumentierte die a.en in der Vergangenheit jeweils, sie wolle ihr Gasnetz nicht konkurrenzieren. Etwa an der Kirchgasse verzichtete sie darauf, Leerrohre für ein potenzielles Fernwärmenetz zu installieren. Würden Sie Anschlussverpflichtungen befürworten, um Planungssicherheit zu haben?
Probst: Da bin ich sehr skeptisch. Bei bestehenden innerstädtischen Strukturen eine Anschlusspflicht durchzusetzen, würde echte Widerstände auslösen. Das sieht man bei jeder neuen Gesetzgebung. Das kantonale Energiegesetz wurde mit über 70 Prozent abgelehnt. Leider fand auch das CO2-Gesetz keine Mehrheit. Zur Energiestrategie 2050 sagten die Leute vor ein paar Jahren schnell «Ja», weil es noch sehr unkonkret war. Wenn das Benzin mehr kostet oder man zwangsweise eine Heizung ersetzen muss, lehnen die Menschen dies ab.
Erne: An der Kirchgasse ging damals alles sehr schnell. Es gab keine Abklärungen zum Wärmepotenzial (Energieträger für ein Fernwärmenetz, Anm. d. Red.) und zu den Abnehmern. Das ist entscheidend für die Dimension der Rohre, die man in die Strasse legt. Beispielsweise in der Altstadt werden Wärmeverbünde längerfristig kein Thema sein, das ist schweizweit so.
Trotzdem kündigte die a.en letztes Jahr an, sie wolle Fernwärmenetze prüfen. Können Sie hierzu heute mehr sagen?
Erne: Wir sind ein Jahr klüger. Wir haben das gleiche Büro beauftragt, welches für die Stadt Olten die Netto-Null CO2-Strategie bis 2040 plant. Die Untersuchung zeigt verschiedene Szenarien. Der Gasverbrauch wird zurückgehen, damit rechnen wir. Wir haben geprüft, welche Wärmepotenziale in Olten vorhanden sind, und etwas über zehn Gebiete definiert. Rund sechs davon würden sich für Wärmeverbünde eignen. Für innerstädtische Zentralen wären beispielsweise die Umgebung des Sälischulhauses oder der Schützenmatte geeignet. Aber wir reden von einem Zeithorizont von mindestens 10 bis 15 Jahren. Wärmeverbünde werden unsere grosse Herausforderung sein. Wir sind aber überzeugt, dass auch Gas weiterhin eine Rolle spielt.
Probst: Der Verwaltungsrat hat die Strategie noch nicht festgelegt. Aber wir möchten im Bereich der Wärmeverbünde vorwärtsgehen. Damit sie Sinn machen, müssen wir jeweils einen grösseren Ankerkunden haben als Basis. Solche Gebiete suchen wir.
Sehen die Modelle vor, wie die Fernwärmenetze gespiesen würden?
Erne: Pro Gebiet ist dies noch nicht festgelegt. Wahrscheinlich wird es sich um Grundwasser-, Holz- oder Geothermiesysteme handeln. Aarewasser für ein «kaltes Fernwärmenetz» zu verwenden, wäre eher schwierig, weil das Aarewasser im Winter zu kalt ist.
Probst: Abwärme von bestehender Industrie ist kein Thema?
Erne: Wir verfolgen eine Idee mit Lindt & Sprüngli. Aus ihrer Produktion haben sie grosse Mengen an Schalen von Kakaobohnen, die wir allenfalls verwenden könnten. Im Industriequartier bestehen ansonsten aber bereits viele industrieinterne Wärmeversorgungs- und -rückgewinnungssysteme.
Probst: Das ist aus anderen Städten bekannt. Ein aktuelles Beispiel sind die Rheinsalinen, wo die von Swiss Shrimps gewonnene Wärme abgeben wird.
Erne: Olten hat selbst einen kleinen Wärmeverbund im Stadthaus, an welchem die Museen, das Hübelischulhaus und die Raiffeisenbank angeschlossen sind. Die Stadt plant, beim Blockheizkraftwerk vom Gas wegzukommen. Wir haben grosses Interesse daran, diesen Verbund zu übernehmen. Je nachdem bietet sich ein innenstädtisches Fernwärmenetz an. Eine Möglichkeit wäre, Grundwasser aus der Schützi zu verwenden. Die Alternative wäre wohl eine Erdsonde.
Sie überraschen mich. In der politischen Debatte zeigte die a.en bisher wenig Initiative, vom Gas wegzukommen. Die Strategie blieb sehr neblig formuliert. Das klingt nun anders.
Probst: Gas ist trotzdem Teil der Energiestrategie 2050. Rund die Hälfte unseres Gases liefern wir in die Industrie, die für die Produktion hohe Temperaturen benötigt. Da wird es schwierig, das Gas zu ersetzen. Darum sagen wir: Gas ist nicht böse, Gas wird weiter notwendig sein. Wir reden jetzt sogar wieder vom Bau von Gaskraftwerken, um mögliche Stromengpässe zu überbrücken. Wichtig ist, bei Energiefragen die Scheuklappen zu öffnen, um eine 360-Grad-Sicht zu haben. Damit wir alles reinwerfen können und gemeinsam die Energiewende schaffen.
Erne (lächelt): Uns ist das politische Image schon bewusst. Der Spiegel wird uns oft vorgehalten. Mit dem neuen Präsidenten möchten wir auch in der Kommunikation neue Wege beschreiten.
Sie bestreiten aber nicht, dass Erdgas keine langfristige Zukunft hat. Und dass Gas künftig primär für Prozesswärme in der Industrie verwendet wird.
Erne: Dort und beispielsweise im Wärmebereich, wie gesagt etwa in der Altstadt. Oder um in Wärmeverbünden die Spitzen im Winter zu decken. Dort soll es aber ab 2050 erneuerbares Gas sein. Die Gaswirtschaft besteht seit über 100 Jahren. Früher verbrannte man die Kohle, um das übliche Brenngas zu gewinnen, das als Stadtgas bekannt war. Dann fand eine Transformation statt: In den 60er-Jahren kam das Erdgas. Jetzt haben wir 50 Jahre gut mit dem grünen Erdgas-Blatt gelebt. Die Welt hat sich aber weitergedreht und auch die Gaswirtschaft wird sich weiterentwickeln müssen, hin zu den erneuerbaren Gasen.
Wir sind nicht stromautark, aber auch beim Gas haben wir eine Abhängigkeit. Die zuletzt gestiegenen Preise haben gezeigt, dass der Markt unberechenbar werden könnte.
Probst: Die Versorgung war jederzeit gewährleistet. Es waren Marktkräfte, die gespielt haben. Jahrelang gingen die Preise runter, jetzt stiegen sie stark an. Die Lage scheint sich aber bereits wieder etwas zu entspannen. Ohnehin besteht bei allen Energieträgern eine Abhängigkeit.
Ist die Marge durch die gestiegenen Preise kleiner geworden?
Erne: Wir geben den Preis an die Kunden weiter. Die Marge ist unverändert, aber die Konzessionsabgabe an die Stadt und die Aussengemeinden ist prozentual an den Umsatz gekoppelt. Je höher der Gaspreis, desto höher unsere Abgaben und somit umso kleiner unsere Marge. Da wird sich die Stadt freuen.
Probst: Grundsätzlich spüre ich von der Politik eine grosse Zufriedenheit, wie sich die sbo entwickelt haben. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Die sbo liefern der Stadt Jahr für Jahr Geld ab. Wir sind ein öffentlich-rechtliches Unternehmen und wollen darum gemeinsam Lösungen finden, um der Klima- und Energiepolitik gerecht zu werden. Insofern ist der Wechsel bei der sbo/a.en mit Beat und mir in gewisser Weise schon ein Neuanfang. Vorher standen andere Arbeiten im Fokus: Nach der Verselbständigung war der Aufbau des Unternehmens im Zentrum, dann die Zusammenführung mit der AVAG (Alpiq Versorgungs AG, Anm. d. Red.) und später die Entflechtung. Jetzt haben wir andere Themen auf dem Tisch.
Die a.en ist eine Erfolgsgeschichte, aber sie verwehrte sich trotz politischem Druck lange, ihre finanzielle Lage transparent darzulegen. Warum haben Sie nicht klar gezeigt: Wir haben genügend Ressourcen, um die Energiewende anzugehen?
Probst: Indem wir die stillen Reserven bei den sbo auflösten, sind wir dem Wunsch nachgekommen. Ja, wir haben dies nicht von uns aus gemacht. Für die Firma hat es nicht nur Vorteile, wenn alle Wettbewerber unsere Zahlen sehen. Aber wir verstehen, dass die Politik wissen will, wie die eigene Firma aufgestellt ist. Auch die Verwaltungsratshonorare haben wir offengelegt. Wir haben nichts zu verstecken.
Erne: Das Eigenkapital ist massiv erhöht worden. Mit 130 Millionen Franken Eigenkapital haben wir einen Selbstfinanzierungsgrad von rund 75 Prozent. Rund 30 Millionen haben wir unter anderem für Marktrisiken zurückgestellt.
Wieso hat die a.en bisher nicht klarer aufgezeigt, dass sie von der Dampflocke auf den TGV umsteigen will und die Energiewende angehen möchte?
Erne: Wenn wir unsere Sichtweise in der Politik einbringen, mag dies klingen, als ob wir komplett gegen die Energiewende wären. Dabei versuchen wir aufzuzeigen: Ja, wir sind auf diesem Weg, aber nicht bis morgen, vielleicht bis überübermorgen. Das Gas kann man nicht einfach abstellen. Darum kommen wir womöglich als bequem oder als ewiggestrig rüber. Für uns ist aber ebenso wichtig, morgens um 2 Uhr in Trimbach oder im Säliquartier auf der Matte zu stehen, wenn der Strom ausfällt oder die Wasserleitung unterbrochen ist.
In der bisherigen Wahrnehmung war die a.en ein Schäflein, das unter dem Diktat des Verbandes der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) zu agieren schien. Gegenüber der Politik bauten die sbo eine Abwehrhaltung auf.
Probst: Ich war 23 Jahre im Gemeindeparlament. Lange waren die sbo kein Thema, auch nicht als die Energiewende kam. Parlamentarierinnen haben selten die Gelegenheit, sich direkt mit den sbo auszutauschen. Die sbo sind nur präsent, wenn sie dem Rat die Rechnung vorstellt. Die Parlamentarier wollen aber mit den sbo über alles diskutieren. Hier möchten wir einen neuen Weg gehen und den Dialog verstärken. Den gesamten Stadtrat hatten wir schon zu Besuch. Im Dezember gehen wir vors Parlament. Wir wollen zeigen, wo wir heute stehen und wohin wir wollen.
Erne: Eben ist das 20-jährige Bestehen der a.en und die rechtliche Verselbständigung der sbo verstrichen. Damals ging die Verselbständigung nach kurzer Debatte mit 46:0 über die Bühne, wie den Protokollen zu entnehmen ist. Heute gäbe es dazu ganz andere Debatten und Erwartungen.
In jener Zeit gab die Politik der sbo keinen ökologischen Auftrag, sie machte nur ökonomische Vorgaben. Gerade unter der vorherigen Führung fuhren die sbo eine rigide Gasstrategie.
Erne: Stadtwerke wie die sbo, aber auch jene in Grenchen oder Frauenfeld oder anderswo waren nicht auf Alternativen angewiesen. Ganz im Gegensatz zu den Stromversorgern, die schon immer erneuerbare Wärmelösungen anboten, weil sie in ihrem Portefeuille «nur» Strom hatten (wegen der Gasmarktregulierung, Anm. d. Red.). Das ist wohl mit ein Grund, warum Stadtwerke aus heutiger Sicht im Rückstand sind. Das Mindset der Dekarbonisierung ist ein paar Jahre alt, und dem müssen wir uns jetzt stellen.
Probst: Die grossen Stromversorger gingen in andere Wärmelösungen, weil sie kein Gas hatten. Sie hatten gar keine Alternative. Wenn sie im Wärmegeschäft mitspielen wollten, mussten sie neue Wege finden. Wir hatten nun mal das Gas.
Wie will die a.en den Rückstand aufholen? Hat Olten in 10 bis 15 Jahren ein halbes Dutzend Wärmeverbünde?
Erne: Ohne dem Verwaltungsrat vorzugreifen: Als Grössenordnung dürfte dies in etwa unser Ziel sein. In Bern, Basel und Zürich werden in den nächsten Jahren bis zu einer Milliarde Franken in neue Wärmeverbünde investiert. Wir werden in Olten wohl mit Investitionen im zweistelligen Millionenbereich rechnen müssen.
Probst: Die Wende braucht eine saubere Planung. Wir haben Kunden, die von uns abhängig sind. Gegenüber ihnen müssen wir unsere Verantwortung weiterhin wahrnehmen. Wir werden uns zum Gasnetz jedoch Gedanken machen müssen. Aus der Zielnetzplanung wird hervorgehen, wo das Gasnetz in Zukunft noch Sinn macht. Nur noch dort betreiben wir es auch.
Erne: Das Gasnetz ist gebaut. Wir haben eine gewisse Sanierungspflicht, weshalb wir Leitungen altershalber ersetzen müssen. Für die Zukunft hilft es uns zu wissen: Am Standort X haben wir nach unserer Planung in 20 Jahren keine oder nur noch wenige Kunden. Dann rentiert dieser Strang nicht mehr und er wird langfristig nicht mehr saniert.
Das Netz wird also stillgelegt. Dann müssten sie aber konsequenterweise auch keine Gasheizungen mehr anpreisen.
Erne: Wir weisen noch niemanden ab. Im Neubau gibt’s schon länger nur noch höchst selten Anfragen. Im Sanierungsbereich war der Vorteil von Gas gegenüber Öl lange angesehen. Alleine in der Region Olten werden dadurch jährlich rund 30’000 Tonnen CO2 eingespart. Heute zählt dieses Argument aber nicht mehr. Wenn im Sanierungsbereich jemand eine Öl- durch eine Gasheizung ersetzt, machen wir noch einen Anschluss am bestehenden Netz. Tun wir dies, gehen wir jedoch davon aus, ab 2050 vollständig erneuerbares Gas liefern zu können.
Welche Lebensdauer hat das a.en-Gasnetz noch?
Erne: Im Schnitt sind die Leitungen etwa 30-jährig. Die Abschreibungsdauer beläuft sich auf 60 Jahre, die effektive Nutzungsdauer kann aber deutlich länger sein. Wenige Netze sind älter als 1960, das Gros ist aus den 80er- und 90er-Jahren. Im Niederamt sind die neusten, in Olten eher ältere Leitungen installiert. Die städtische Bauverwaltung zeigte auf: Wenn sie jetzt alle städtischen Gebäude CO2-neutral heizen möchte, würden Anlagewerte vorzeitig vernichtet. Dasselbe Szenario würde auch für unsere Leitungen eintreffen.
Das Szenario, die Abschreibungsdauer nicht zu erreichen, droht also.
Erne: Ja. Wenn wir die Leitungen vorzeitig stilllegen würden, hätten wir als unmittelbare Folge ein weniger gutes Unternehmensergebnis.
Hat die a.en/sbo in den letzten Jahrzehnten genug zur Seite gelegt, um die Investitionen in neue Wärmeträger angehen zu können?
Erne: Wir dürfen nicht vorsorglich Geld anlegen, um es später investieren zu können. Nur für Marktrisiken sind Rückstellungen möglich.
Probst: Das Eigenkapital ist der Gradmesser für mögliche Fremdfinanzierungen. Da sind wir ausgezeichnet aufgestellt. Aber es ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der personellen Ressourcen und Kompetenzen. Im Bereich der Wärmeversorgung werden wir diese weiter ausbauen müssen. Zudem werden wir uns überlegen müssen, was wir selbst angehen und wo wir Partnerinnen suchen. Mit der Dekarbonisierung geht uns die Arbeit auf alle Fälle nicht aus. Und ja, vielleicht hätten wir früher beginnen können.
Erne: Heute besteht die Erwartungshaltung, man müsse vom Gas weg. Wenn wir das Gasnetz bis 2050 stilllegen, wissen wir aber nicht, ob dann jemand sagt: «Die damalige Führung der Städtischen Betriebe hat das Netz zu schnell stillgelegt, heute bräuchten wir es.» Ob sich bis dann Wasserstoff oder ein anderer Energieträger durchgesetzt hat, wissen wir nicht …
Probst: Wichtig ist, dass wir uns ohne Scheuklappen bewegen und offen für Neues bleiben. Auch die Politik weiss nicht immer genau, was kommt.
Aber die Energiewende ist eng begleitet von der Wissenschaft. Die Abstimmungsresultate in der Stadt Olten sprechen eine klare Sprache: Eine deutliche Mehrheit will die Energiewende und stimmte etwa fürs CO2-Gesetz.
Probst: Da habe ich mich sehr gefreut. Aber wir sollten uns nicht auf etwas versteifen. Es braucht Zeit, ein breiter Mix an Energieträgern und Infrastrukturen. Die Herausforderung ist dermassen gross.
Wie heizt du zuhause und wie kam es dazu?
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Schade wurde in dem Artikel nicht erwähnt, dass die AEW Energie AG aus Aarau in Olten schon vor Jahren Wärmeverbundnetze realisieren wollte (https://bit.ly/3FsYheX). Unter anderem sollten dabei die Abwärme des Swisscom-Rechenzentrums und ein Grundwasserpumpwerk am Schützenmattweg neben der Badi genutzt werden. Leider wurde das Projekt nie realisiert. Gegen das Grundwasserpumpwerk am Schützenmattweg gab es Einsprachen, eine davon kam von der Stadt Olten selber. Begründet wurde die Einsprache der Stadt Olten mit einem zu hohen Volumen der Grundwasserentnahme und einem fehlenden Gestaltungsplan, obwohl der oberirdische Teil der Anlage kaum der Rede wert war (die Bauprofile dafür standen vor ein paar Jahren am Hang zwischen Badi und Hausmattrain, Bild in diesem Link: https://bit.ly/30fqma6). Ein Schelm, wer Böses denkt, aber ich habe mich damals gefragt, ob der wirkliche Grund für die Einsprache der Stadt gegen das Projekt der AEW nicht “Heimatschutz” zugunsten der klimaschädlichen Gasstrategie der eigenen a.en war. Klimawandel und Energiestadtlabel hin oder her. Diese Geschichte inklusive Sicht der AEW Energie AG wäre auch noch einen Artikel wert.
Besten Dank für den Hinweis – das AEW-Projekt ging mir bei der Recherche tatsächlich durch die Lappen. Ich gehe dem Thema gerne nach. Dass in den nächsten Jahren andere Energieversorger auf den Plan treten und Fernwärmenetze anstreben, ist durchaus ein denkbares Szenario. Wir bleiben dran und melden uns womöglich bald mit einem Nachzug zum Thema.
Danke für das informative Interview. Ich bin froh, dass die Führung von a.en/sbo die ‚Energiewende‘ überlegt und unaufgeregt angeht. Es geht um langfristige Strategien und Investitionen. Kurzfristige Zugeständnisse an die wahlperiodenorientierte Politik wäre falsch. Wir sollten aus den Fehleinschätzungen der populistischen Leuthard‘schen Energiewende lernen. Im Übrigen sollte sich Yann Schlegel mal etwas gründlicher mit der Entstehung und Entwicklung der a.en auseinandersetzen, da gäbe es auch noch ‚Lernpotential‘.
Bei aller Dringlichkeit der Energiewende darf die Versorgungssicherheit nicht aus dem Blick verloren gehen. Wenn schon die Corona-Pandemie tiefe Risse und Wunden in unserer Gesellschaft hinterlässt, wie wäre das erst, wenn partielle oder gar dauernde Versorgungsengpässe aufträten und ein Verteilkampf um Energie einsetzen würde? Die Energiewende ist wohl eher eine Aufgabe für ganze Generationen und nicht bloss von ein paar Jahren. Das entbindet uns natürlich nicht von der Aufgabe, überall die Effizienz zu steigern und auch endlich einmal die Suffizienz (sprich: Genügsamkeit) ins Gespräch zu bringen. Alles in allem glaube ich auf absehbare Zeit mehr an einen Energieverbund als nur an Wärmeverbünde. Fossile Energieträger werden wohl nie ganz verschwinden.