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Krieg in der Ukraine: Bombardements, Verhandlungen und Sanktionen. Plus: Der Regen­wald droht zu kippen und Gewalt gegen Frauen steigt

Wir informieren dich in dieser aussergewöhnlichen Zeit zu den Geschehnissen in der Welt – dank grosszügiger Unterstützung des Onlinemagazins Republik.
9. März 2022
Von Reto Aschwanden, Ronja Beck, Theresa Hein, Marie-José Kolly und Cinzia Venafro; Grafik: Roger Lehner

Dieses Nachrichtenbriefing wurde uns von der Republik zur Verfügung gestellt. Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur.

Krieg in der Ukraine: Die neuesten Entwicklungen

Das Kriegs­geschehen: Die Lage in vielen ukrainischen Städten ist nach über zwei Wochen Angriffs­krieg durch Russland desaströs. Immer mehr Wohn­gebiete und öffentliche Einrichtungen sind unter Beschuss. Mindestens 18 Gesundheits­einrichtungen oder ihre Mitarbeitenden sollen bisher angegriffen worden sein, vermeldete die Welt­gesundheits­organisation WHO am Mittwoch. So wurde in Mariupol unter anderem eine Geburts­klinik bombardiert, wobei lokalen Behörden zufolge mindestens 3 Personen getötet wurden. Die Hafen­stadt am Schwarzen Meer ist von russischen Soldaten umzingelt. Auch in Charkiw dauern die Gefechte an, die zweit­grösste Stadt der Ukraine ist unter Dauer­beschuss, wie auch Irpin, ein Vorort von Kiew. Vor den Toren der Haupt­stadt gelang es ukrainischen Kämpfern in der vergangenen Woche immer wieder, russische Vorstösse abzuwehren. Russland zieht derzeit weitere Truppen vor der Stadt zusammen. Die ukrainische Armee befürchtet einen baldigen Angriff.

Angst um Atom­kraftwerke: Nach Angriffen auf AKW in der Ukraine stieg diese Woche weltweit die Angst vor einem nuklearen Unglück. Vergangenen Freitag haben russische Streitkräfte die Atom­anlage Saporischschja beschossen, in der Folge ist ein Brand ausgebrochen. Dabei sei jedoch keine radioaktive Strahlung ausgetreten, meldete die internationale Atom­energie­behörde IAEA. Das Atom­kraftwerk Tschernobyl, seit dem ersten Tag der Invasion in russischer Hand, ist derweil vom Stromnetz abgeschnitten. Auch hier gab die IAEA nach anfänglicher Unsicherheit Entwarnung: Selbst ohne Strom könnten die Brennstäbe ausreichend gekühlt werden, um die Sicherheit zu gewähr­leisten. Allerdings: Bei beiden AKW ist die automatische Übertragung von Daten zur Behörde inzwischen abgebrochen. Die IAEA-Inspektorinnen können dadurch den Zustand des Kern­materials nicht mehr überprüfen.

Die humanitäre Lage: Besonders gravierend ist die Situation in Mariupol. Die Stadt ist aufgrund der russischen Belagerung seit Tagen ohne Wasser und Strom, die Nahrungs­mittel sind knapp. Fotos von ausgehobenen Massen­gräbern gingen um die Welt, das Rote Kreuz spricht von einer «apokalyptischen Situation». Auch aus Kiew und Charkiw gebe es Berichte über ausgehende Nahrungs­mittel und fehlendes Wasser, meldet das Welt­ernährungs­programm der Uno.

Russische und ukrainische Vertreter hatten sich in den letzten Tagen mehrfach auf Flucht­korridore aus Mariupol und vier weiteren Städte geeinigt, durch die sich Zivilistinnen in Sicherheit bringen sollen. Doch die Evakuierungs­versuche scheiterten immer wieder an den Gefechten. Gemäss ukrainischen Behörden sollen Putins Streit­kräfte Flucht­busse beschossen haben. Laut Uno-Angaben sind bisher über 2,3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet, die meisten ins Nachbar­land Polen. Der Schweizer Bundes­rat will am Freitag einen EU-Beschluss von vergangener Woche nachvollziehen und die Einführung des Schutz­status S beschliessen. Damit können ukrainische Geflüchtete schnell und unkompliziert ein Aufenthalts­recht erhalten. 1624 Geflüchtete sollen bisher in der Schweiz eingetroffen sein, meldete das Staats­sekretariat für Migration.

Reaktionen aus dem Ausland: Als Reaktion auf die anhaltenden Angriffe erhöhen westliche Staaten den wirtschaftlichen Druck auf die russische Regierung. Massnahmen kommen nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch aus der Privat­wirtschaft: So haben unter anderem Mastercard und Visa ihre Karten für Russland blockiert, und Konzerne wie Amazon haben nach längerem Zögern Lieferungen nach Russland eingestellt. US-Präsident Joe Biden hat derweil bekannt gegeben, alle Importe von Öl, Gas und Kohle aus Russland zu stoppen. Gross­britannien hat sich dem Entscheid angeschlossen und will bis Ende Jahr auf russisches Öl verzichten. Schon vor den Beschlüssen sind die Ölpreise in die Höhe geschossen. Die EU sieht von diesem Schritt bisher ab, denn im Vergleich zu den USA ist sie deutlich abhängiger von russischem Gas und Öl. Stattdessen hat sie weitere russische Oligarchen auf die Sanktions­liste gesetzt und drei belarussische Banken aus dem Zahlungs­system Swift ausgeschlossen.

Gegen eine immer wieder erhobene Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski sperren sich die Nato-Kräfte weiterhin: das Einrichten einer Flug­verbots­zone über der Ukraine. Gemäss Nato-General­sekretär Jens Stoltenberg würden mit einem solchen Schritt Nato-Länder direkt in den Krieg involviert, und die Situation würde weiter eskalieren.

Reaktion in Russland: Auch Wladimir Putin warnte vor einer Flug­verbots­zone: «Jede Bewegung in diese Richtung wird von uns als Teilnahme des jeweiligen Landes an einem bewaffneten Konflikt betrachtet.» Es war nicht die einzige Warnung aus Russland. Vizeregierungs­chef Alexander Nowak drohte mit der Schliessung der Erdgas­pipeline Nord Stream 1. Dies würde besonders die EU treffen: Sie bezieht 40 Prozent ihres Erdgases aus Russland. Diese Drohung ist eine direkte Reaktion auf die Sanktionen gegen Russland. Eine weitere Droh­gebärde kam vom früheren Präsidenten Dmitri Medwedew, der laut über eine Verstaatlichung von ausländischen Unter­nehmen in Russland nachdachte. Die Bevölkerung im Land begegnet dem Krieg mit immer grösser werdenden Protesten. Die Polizei hat Tausende Demonstrantinnen festgenommen.

Was als Nächstes geschehen könnte: Dmytro Kuleba und Sergei Lawrow, die Aussen­minister der Ukraine und Russlands, haben sich am Donnerstag das erste Mal seit der russischen Invasion in der Türkei getroffen. Zugeständnisse machte dabei keine Seite. Beide Minister plädierten aber dafür, die Verhandlungen fortzusetzen. Der türkische Aussen­minister bezeichnete das Treffen als «wichtigen Anfang». Nach dem Treffen versuchte sich Lawrow einmal mehr in Realitäts­leugnung: «Wir haben nicht vor, andere Länder anzugreifen. Wir haben ja auch die Ukraine nicht angegriffen», sagte er vor der Presse.

Emmanuel Macron und Olaf Scholz drängten in Telefonaten mit Wladimir Putin auf einen sofortigen Waffen­stillstand in der Ukraine.

Dauert der Krieg in der Ukraine an, könnte das in verschiedenen Welt­regionen zu Hunger­krisen führen. Russland und die Ukraine sind die beiden grössten Weizen­exporteure der Welt, besonders Entwicklungs­länder sind von diesen Lieferungen abhängig. Bereits jetzt sind die Preise für verschiedene Getreide massiv angestiegen.

Amazonas: Der Regen­wald droht zur Savanne zu werden

Darum geht es: Grosse Teile des Amazonas-Regen­waldes haben in den vergangenen 20 Jahren an Widerstands­kraft verloren. Das belegt eine neue Studie eines britisch-deutschen Forscher­teams. Mit der Widerstands­kraft ist die Fähigkeit des Waldes gemeint, sich von Dürren oder Bränden zu erholen. Die sinkende Resilienz, so die Studien­autoren, könnte dazu führen, dass der Amazonas-Regen­wald abstirbt. Trockene Gebiete und solche in der Nähe menschlicher Siedlungen sind besonders bedroht.

Warum das wichtig ist: Der Amazonas-Regenwald speichert erhebliche Mengen an CO2. Er macht mehr als die Hälfte des weltweiten Regenwald­gebietes aus und zählt zu den Kipp­elementen, die das Weltklima aus dem Gleich­gewicht bringen könnten. Mit dem Über­schreiten des Kipp­punktes könnte sich der Regenwald in eine Savanne verwandeln. Einer der Autoren der Studie, Chris A. Boulton, sagte, die grossen Bäume des Amazonas funktionierten wie ein gigantisches Netzwerk für Wasser­recycling, weil der Wind die von den Bäumen abgegebene Feuchtigkeit in alle Richtungen weitertrage. Weniger Wald bedeute damit auch mehr Trockenheit anderswo. Eine Savanne würde ausserdem wesentlich weniger CO2 speichern und viel weniger Tierarten Schutz bieten.

Was als Nächstes geschieht: Gemäss Schätzungen würde ein Verlust von 20 bis 25 Prozent der Wald­decke im Amazonas­becken zum kritischen Kipp­punkt führen. Wann genau der Übergang stattfinden wird, ist laut den Wissenschaftlern nicht genau ermittelbar – wenn man es beobachten könne, sei es aber bereits zu spät. In Brasilien, dem Land mit dem flächen­mässig grössten Anteil am Amazonas-Waldgebiet, schreitet die Abholzung des Regen­waldes unter Präsident Jair Bolsonaro wieder schneller voran.

Deutschland: Verfassungs­schutz stuft AfD zu Recht als Verdachts­fall ein

Darum geht es: Das deutsche Verwaltungs­gericht Köln hat am Dienstag entschieden, dass der Verfassungs­schutz die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als Verdachts­fall einstufen darf. Es gebe ausreichend Anhalts­punkte für verfassungs­feindliche Bestrebungen innerhalb der Partei, so die Begründung des Gerichts. Somit hat es eine Klage der AfD gegen diese Einstufung abgewiesen.

Warum das wichtig ist: Das Gericht stützt sich auf ein neues Gutachten zur AfD. Laut diesem üben Protagonistinnen des sogenannten «Flügels» der Partei weiterhin massgeblichen Einfluss aus. Zwar sei der Flügel formal aufgelöst worden, deren Protagonisten wie der Thüringer AfD-Landes­chef Björn Höcke würden aber weiterhin massgeblichen Einfluss haben. Im Flügel sowie auch in der Jugend­organisation Junge Alternative sei ein ethnisch verstandener Volks­begriff ein zentrales Politik­ziel. Nach diesem müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und «Fremde» möglichst ausgeschlossen werden. Dies stehe im Widerspruch zum Volks­begriff des deutschen Grund­gesetzes. Die Einstufung als «Verdachts­fall» erlaubt dem Verfassungs­schutz die Überwachung von Funktionären mit Geheimdienst­methoden wie Abhörungen, E-Mail-Überwachung und der Anwerbung von bezahlten Informantinnen.

Was als Nächstes geschieht: Das Urteil ist noch nicht rechts­kräftig. Dagegen kann Berufung eingelegt werden.

Menschen­rechte: Pandemie und Kriege verschlechtern die Lage für Frauen

Darum geht es: Zum Inter­nationalen Frauentag am letzten Dienstag meldete die Menschen­rechts­organisation Amnesty International eine dramatische Verschlechterung der Frauen­rechte in den letzten zwölf Monaten. Gründe dafür sind die Corona-Pandemie, kriegerische Auseinander­setzungen, aber auch der Regime­wechsel in Afghanistan und verschärfte Abtreibungs­gesetze in den USA.

Warum das wichtig ist: Krisen treffen Frauen oft noch stärker als Männer. So gab es während der Pandemie mehr häusliche Gewalt, und der Zugang zu Gesundheits­diensten war an vielen Orten eingeschränkt. In Afghanistan verloren die Frauen nach der Macht­übernahme der Taliban viele Rechte, insbesondere im Bildungs­bereich. Im äthiopischen Bürger­krieg übten sowohl Soldaten, die aufseiten der Regierung kämpfen, wie auch Rebellen­truppen massive sexuelle Gewalt aus. In den USA wurde in mehreren Bundes­staaten das Recht auf Schwangerschafts­abbrüche eingeschränkt. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die Reaktionen darauf schreibt Amnesty International: «Die zunehmende Militarisierung des Alltags durch die Verbreitung von Waffen, die Eskalation von Gewalt und die Umlenkung öffentlicher Mittel in Militär­ausgaben stellen einen hohen und unhaltbaren Preis für das tägliche Leben von Frauen und Mädchen dar.»

Was als Nächstes geschieht: Neben den Verschlechterungen beobachtet Amnesty International auch Fortschritte: In mehreren europäischen Ländern laufen Reformen für strengere Gesetze gegen sexuelle Gewalt. In Ländern wie Kolumbien oder Mexiko wurden die Abtreibungs­gesetze liberalisiert.

Zum Schluss: Alles für die Frau

Wer sich in sozialen Netzwerken herum­treibt, wird sie in den letzten Tagen bestimmt gesehen haben: herz­erwärmende, engagierte Posts von Unternehmen, die zum Welt­frauentag am 8. März für die Rechte der Frauen einstehen. Wichtig! Wenn es da nicht diesen einen Twitter-Account geben würde, der den Unter­nehmen ganz schön die Show vermiest: der «Gender Pay Gab Bot». Der Account macht sich ein seit 2018 in Gross­britannien gültiges Gesetz zunutze: Firmen ab 250 Angestellten müssen demnach die Lohn­unterschiede zwischen Männern und Frauen ausweisen. Und genau diese Lohn­unterschiede stellt der Account zu den Welt­frauentag-Posts der Unternehmen – so als reality check. Fast noch köstlicher als diese Konfrontationen sind die Reaktionen der Unter­nehmen, gesammelt in diesem Twitter-Thread.

Was sonst noch wichtig war

Die Top-Storys

Die nigerianische Mafia Sie kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie finden Drogen­kriege, Zwangs­prostitution und leben in ständiger Angst vor dem Juju-Zauber: Eine investigative Dokumentation, zu sehen auf Arte, zeigt, wie die nigerianische Mafia junge Frauen aus ihrer Heimat nach Europa lockt und sie von Land zu Land verschleppt.

Zwei wie Pech und Schwefel Brüder, die sich so ähnlich sehen, das man meinen könnte, es seien Zwillinge. Dabei hätten Vitali und Wladimir Klitschko in ihrer Kampf­technik unterschiedlicher nicht sein können. Ebenfalls auf Arte zu sehen ist jetzt der Dok-Film «Klitschko». Veröffentlicht 2011, gibt er einen detail­reichen Einblick in das Leben zweier Ausnahme­talente aus der Ukraine, die gescheit genug waren, einen Vertrag mit Boxpromoter-Legende Don King auszuschlagen, und trotzdem, oder genau deshalb, Weltruhm erlangten.

Ein Paar zu viel Wenn es nicht mal zwei Paar­therapeutinnen schaffen, ihre Beziehung zu retten, dann klingt das nach einer Geschichte, die man lieber nicht liest, sofern man nicht alle romantischen Hoffnungen zu Grabe tragen möchte. Die Interviews im «NZZ Magazin» mit dem getrennten Paar­therapeuten-Paar lohnen sich aber genau deshalb: weil sie so schön unromantisch sind – und dadurch wirklich lehrreich.


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