Mediengesetz mal nüchtern
Nein, meine folgenden Sätze sind nicht ohne Eigeninteresse. Ich bin sehr interessiert an einer Annahme des neuen Mediengesetzes, über welches wir am 13. Februar abstimmen. Politisch würde ich mich ultraliberal und gleichzeitig gesellschaftlich sozial bezeichnen. Die Partei, wo ich hingehöre, gibt es nicht. Grundsätzlich stehe ich öffentlichen Subventionen (und Verboten) zuerst immer skeptisch gegenüber.
Es gibt jedoch durchaus Gründe für den Entscheid, eine Branche oder eine bestimmte, gewünschte Entwicklung zielorientiert zu fördern. Am besten befristet und mit klaren formalen Kriterien geregelt. Beispielsweise dann, wenn ihre Existenz von öffentlichem Interesse ist. Wenn sie für unsere Demokratie und für unser gesellschaftliches Funktionieren relevant ist und ohne unsere Unterstützung in ihrer Existenz gefährdet wäre. Und genau diese Frage müssen die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger beantworten.
Soll die Schweiz mit möglichst wenig Geld und zeitlich befristet das Fortbestehen des Lokaljournalismus erhalten und fördern?
Das vorliegende Gesetz ist ein klassischer, austarierter Schweizer Kompromiss und erreicht das obengenannte Ziel: Förderung von Lokaljournalismus, Vielfalt und Qualität. Es ist befristet auf 7 Jahre und wird bereits nach 4 Jahren auf seine Wirkung überprüft. Und es ist so klug ausgearbeitet, dass kein Verlag zu viel, aber genau so wenig finanzielle Unterstützung erhält, dass ihm ermöglicht wird, während den nächsten Jahren sein Geschäftsmodell für Lokaljournalismus weiterzuentwickeln.
Schweizer Presseförderung seit 1849, und: wie das neue Gesetz funktioniert
Wir sind uns seit 1849 einig, dass der Journalismus für die Schweizer Demokratie eine derart wichtige Funktion spielt mit seinem kritischen Blick auf das politische Geschehen und für die öffentliche Meinungsbildung, dass wir ihn bisher gezielt förderten. Bisher war das Werkzeug dafür die sogenannte «indirekte Presseförderung»: Das Geld fliesst pro Exemplar erst, wenn die Zeitung auch an den Leser zugestellt wird. Und es fliesst eben nur indirekt: Die Post vermittelt diese Subvention via vergünstigte Zeitungsversandpreise.
Diese indirekte Presseförderung soll bei Annahme des Gesetzes bestehen bleiben und der Gesamtbetrag über einen Zeitraum von 7 Jahren aufgestockt werden. Und weil sich die Zeiten geändert haben, soll der Bund nicht nur gedruckte Zeitungen, sondern neu auch Online-Medien mit direkter Förderung unterstützen. In der ganzen Vorlage gilt der Grundsatz: Publikationen mit kleinerer Reichweite profitieren im Verhältnis zu ihren Lesereinnahmen stärker. Und es sollen bewusst diese Inhalte gefördert werden, die von der Leserschaft bezahlt werden. Insbesondere Lokaljournalismus in den Regionen und Gemeinden würden gefördert. Die Gegner der Vorlage kritisieren, dass dieses Ziel nicht erreicht werde und die «grossen» Verlage insgesamt viel stärker profitieren. Diese Kritik ist ungenau. In absoluten Zahlen würden Verlage mit grösseren Umsätzen insgesamt zwar eine grössere Summe erhalten. Im Verhältnis zu deren Lesereinnahmen sind die Beiträge gering. Die viel wichtigere Frage ist, ob die kleinen und mittelgrossen Verlage effizient gefördert würden.
Wird die Unabhängigkeit der Medien vom Staat bei Annahme der Vorlage weiterhin gewährleistet?
Der Journalismus hat in der Demokratie grundsätzlich die Aufgabe, als Kontrollorgan politische und gesellschaftliche Prozesse kritisch zu beobachten. Kurz: Geht alles mit rechten Dingen zu? Wie werden Steuergelder eingesetzt? Damit die Redaktionen diese Arbeit leisten können, müssen sie zwingend unabhängig von äusseren Einflüssen sein. Es gilt, den Verlag (das Geschäft) und die Redaktion (den Journalismus) klar zu trennen, um eine Einflussnahme von Verlag auf Redaktion zu verhindern, beispielsweise durch eine finanzielle Abhängigkeit von potenten Werbekunden.
Die Gegner der Vorlage behaupten, durch die direkte Förderung würden die Medien abhängig vom Staat. Ein wunder Punkt. Eine staatliche Einflussnahme auf den Journalismus darf niemals möglich werden. Ob die Unabhängigkeit bei der direkten Förderung im Fall der Onlinemedien gewährleistet wird, ist noch nicht beantwortet.
Inhaltlich sollen gemäss Gesetzestext minimale Kriterien gelten, die verhindern sollen, dass nichtjournalistische Inhalte in den Genuss einer Förderung kommen: «Der redaktionelle Teil des Angebots enthält zur Hauptsache Informationen zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen». Anhand kolt.ch zeige ich später konkret, wie unser Modell gefördert würde und gehe auf die Frage nach der Unabhängigkeit ein.
Über den Zustand der Medien heute
Wenn wir uns einig sind, dass kritischer und unabhängiger Journalismus zentral relevant für unsere Demokratie ist, dann bleibt noch immer die Frage, ob und warum es dem Journalismus dermassen schlecht geht, dass er marktwirtschaftlich und unternehmerisch ohne Subvention nicht funktioniert.
Um diese Frage zu beantworten und die aktuelle Situation der Medien zu verstehen, müssen wir kurz in die Vergangenheit reisen: Vor zwei Jahrzehnten noch verdiente eine typische Zeitung ihr Geld zu zwei Drittel mit Werbeeinnahmen und einem Drittel mit Lesereinnahmen. Die Digitalkonzerne aus den USA, insbesondere Google und Facebook, haben den Werbemarkt über die letzten 10 Jahre auf den Kopf gestellt. Die globale Reichweite erlaubt es ihnen, spottbillige, aber zugleich gezielte Werbung anzubieten. Dadurch sahen die Verlage die Werbeeinnahmen dahinschwinden. Die Verlage reagierten – damals ein logischer, heute ein dummer Gedanke -, indem sie ihre journalistischen Inhalte kostenlos ins Netz stellten. Mit (vermeintlich) grösserer Reichweite wollten sie den Einnahmeverlust kompensieren. Die Rechnung geht nicht auf und zu diesem Übel kommt hinzu, dass die Konsumenten sich an kostenlosen Journalismus gewöhnten.
Für einen rentablen Journalismus ist ein Geschäftsmodell gefragt, das mit viel geringeren Werbeeinnahmen auskommt. Dafür benötigten die Verlage Zeit und Geld. Zeit hatten sie kaum, also erhöhten sie die Preise und reduzierten ihr Angebot, legten Redaktionen zusammen. Wir befinden uns heute noch inmitten dieses Wandels. Das Gute dabei ist: Die Leserschaft und ihr Bedürfnis werden zentral, denn die Verlage werden finanziell von der Leserin abhängig und weniger vom Werbekunden.
Der Strukturwandel im Lokalen
Diese Entwicklung können wir vor Ort auch am Beispiel des Oltner Tagblatts beobachten. Erst eine Preiserhöhung kombiniert mit einem geringeren Angebot. Der Mantelteil wird identisch mit anderen Regionen. Die Chefredaktion sitzt in Solothurn, welche von der Aarauer Zentrale geführt wird. Die lokale Identifikation und die lokalen Ressourcen schwinden massiv. Das ist die Folge eines unfreiwilligen Kostendrucks. Wenn sich deren Verlag heute noch in den schwarzen Zahlen bewegt, dann liegt der Grund nicht darin, dass sie ihren journalistischen Job gleich gut machen wie vor 15 Jahren, sondern weil er unternehmerisch alles getan hat, um zu überleben. Die Qualität und die Quantität für den lokalen Leser nahmen aber stark ab. Mit dem Mediengesetz will der Bund diesen Negativtrend über die kommenden 7 Jahre bremsen. Die Medienhäuser könnten ihr Geschäftsmodell fertig entwickeln.
Medienmillionäre? Das Gesetz ist liberal. Der Leser hat die Macht. Der Markt spielt.
Die Gegner der Vorlage polemisieren mit der Aussage, dass die grossen, profitablen Medienkonzerne und ihre Aktionäre subventioniert würden. Es handelt sich um die beiden grossen Verlagshäuser TX Group und Ringier. Sie handelten unternehmerisch intelligent und effizient, indem sie ihre Werbeverluste seit längerer Zeit mehr als wettmachen mit lukrativen nichtjournalistischen Dienstleistungsplattformen. Das stimmt. Sie mutierten zu Digital-Konzernen, für welche der Journalismus lediglich «ein Produkt» im Portfolio darstellt, welches selbsttragend, nein gewinnbringend funktionieren muss. Dass wichtige Zeitungen überleben, ist aber im Interesse der Gesellschaft.
Bereichern können sich die Besitzer der Verlage nicht. Bei der indirekten Förderung fliesst das Geld eben nur indirekt durch vergünstigte Versandpreise. Bei der direkten Förderung ist das Geld an bezahlte Abos gebunden. Die Leserin hat die Macht. Es ist ironischerweise eine sehr liberale Subvention. Sie lässt weiterhin den Markt spielen. Medien, die von der Leserschaft nicht erwünscht sind, werden nicht gefördert.
Die effektive Förderung am Beispiel Kolt.ch
Jetzt zu uns, dem Paradebeispiel im Paket «Onlinemedien». Wir sind mit einer Auflage von 700 bezahlten Abonnements sehr klein und profitieren deshalb besonders stark. Pro Franken aus der Leserschaft (Abo) würden wir voraussichtlich mit 60 Rappen subventioniert. Oft fällt der Satz, dass die «Kleinen» kaum was erhalten, weil die «Grossen» den «Topf» leeren. Das ist polemischer Abstimmungskampf. Diese Aussage stimmt nicht. Im Gegenteil. Prozentual würde die geschätzte Förderung Kolt enorm helfen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln:
Unser Ziel ist, möglichst viele Menschen der Region zu erreichen zu einem vernünftigen Preis mit einem möglichst grossen Nutzen für die Bevölkerung. Unser Preis ist für viele Menschen zu hoch. Das stimmt leider. Der Markt zwingt uns aktuell zu diesem Kompromiss.
Ein Wort zum Thema Unabhängigkeit
Die Lösung, über einen bestimmten Zeitraum eine Art Start-up-Förderung vom Bund direkt zu erhalten, ist im Kontext der Unabhängigkeit die sinnvollste Lösung überhaupt. Sie macht uns komplett unabhängig von einer Einflussnahme durch die lokalen Protagonisten. Redaktionell interessiert uns die nationale Politik lokal nur bedingt. Den Bund interessieren die redaktionellen Inhalte von Kolt nicht. Wir sind für den Staat aus einem demokratischen Verständnis wichtig: Weil wir eben Lokaljournalismus betreiben und unsere Funktion vor Ort wahrnehmen.
Zurück zu den Zahlen
Das Geschäftsmodell für den Lesermarkt ist dem von Netflix ähnlich: Kolt benötigt eine kritische Masse. Die benötigten, minimalen Ressourcen bedeuten hohe Grundkosten. Das ist bei CH Media und ihren Lokalzeitungen genau gleich. Kolt hat ein Budget von rund einer halben Million Franken. Um die Gewinnzone zu erreichen, benötigen wir beim aktuellen Jahrespreis von 220 Franken mindestens 1‘500 zahlende Leserinnen und Leser. Unser Ziel ist also, bei gleichbleibenden Grundkosten möglichst schnell unsere Abozahl von 700 Mitgliedern auf 1‘500 zu erhöhen. Ab dann verdient Kolt Geld.
Stand heute fehlen uns jährlich rund 190‘000 Franken. Dieses Defizit deckten wir bisher durch einen Mix aus Privatdarlehen von mir und einer Stiftung, von Stiftungsgeld und Auftragsarbeiten. Das ist auf Dauer (und das dauert doch schon eine Weile) zermürbend und nicht nachhaltig. Der Fokus aller Ressourcen muss 100 % auf der Aboakquise, Weiterentwicklung des Geschäftsmodells und einer konstant guten journalistischen Arbeit liegen.
Das Gesetz bedeutet für Kolt konkret: Wir schätzen, dass wir mit einer Subvention von 60 % unserer Lesereinnahmen rechnen dürfen. Aktuell wären dies inklusive Leserspenden knapp 100‘000 Franken. Das ist viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein, aber auch keine Defizitgarantie. Das ist tatsächlich eine Start-up-Förderung, die uns erlauben würde, uns über die kommenden Jahre zu entwickeln und ein nachhaltiges, selbsttragendes Modell für Lokaljournalismus aufzubauen. Da die Förderung zeitlich begrenzt ist, muss das Geschäftsmodell langfristig ohne sie funktionieren.
Als Unternehmer und Verleger habe ich diesen Anspruch ohnehin. Selbstverständlich würde ich lieber ohne Subvention auskommen. Nur ist sie leider notwendig, damit wir unsere gesellschaftlich relevante Arbeit langfristig auch rentabel für dich erfüllen können. Gib uns und dir selbst diese Chance.
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Ich verlinke auch sehr gern noch diese Kolumne von Rosanna Grüter https://www.ellexx.com/de/themen/bildung/mediengesetz-abstimmung-schweiz-ja-nein/
Sehr objektiv geschrieben mit guten Argumenten für beide Seiten, sodass die Leserin oder Leser in sich gehen sollte, um die Antwort für sich zu finden.
Dank Dir, Michel, für den Beitrag! Es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe für ein Nein. Oberer Text soll unsere (Kolt) Sicht erläutern. Und damit auch die Sicht derer, die ein lokaljournalistisches Gefäss realisieren möchten oder ähnlich “jung” sind wie Kolt.