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«Olten ist keine Weltstadt, die 24 Stunden am Tag Halligalli bieten muss»

Wohnen, arbeiten, ausgehen: In der Innenstadt treffen unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander. Konflikte gibt es da praktisch um die Ecke. Im Interview erzählt der langjährige Altstadtbewohner Claude Schoch, wie er das Nachtleben vor seiner Haustür wahrnimmt und wie ein harmonisches Zusammenleben aussehen könnte.
4. Februar 2021
Text: Adrian Portmann, Fotografie: Timo Orubolo

Mittendrin zu wohnen, hat vielerlei Vorteile. Die Wege könnten kürzer nicht sein, das gesellschaftliche Leben spielt unmittelbar vor der eigenen Haustür und die Stimmung in der historischen Altstadt ist einmalig. Doch wo viele Menschen sich treffen und unterwegs sind, kommt es vor, dass die Geräuschkulisse den behaglichen Pegel übersteigt.

Seit zwanzig Jahren lebt Claude Schoch gemeinsam mit seiner Frau in der Oltner Altstadt. An schöner Lage im Oberen Graben besitzen sie ein Altstadthaus, das sie als alleinige Partei bewohnen. Im Erdgeschoss vermieten sie ein Ladenlokal, das als Coiffeursalon genutzt wird. Nach drei Jahrzehnten mit eigener Firma in den Bereichen Organisations- und Teamentwicklung ist Schoch vor zwei Jahren in den Ruhestand getreten. Die Wohnung in der Altstadt sei schon immer als Alterswohnsitz gedacht gewesen. Vor dem Umzug an den Oberen Graben wohnte das Paar auf der rechten Stadtseite nicht weit von der Friedenskirche.

Bis vor vier Jahren amtete Schoch als Leiter der Oltner Kabarett-Tage; heute ist er Mitglied des Programmteams, das jeweils im Frühling bereits bewährte, aber auch neue Künstlerinnen aus der deutschsprachigen Kabarettszene auf die Oltner Bühnen holt. Schoch sass eine Zeit lang im Gemeindeparlament und war auch in der Fasnacht aktiv. «Wenn du Politik machst, kennst du die eine Hälfte in Olten, wenn du Fasnacht machst die andere Hälfte», blickt er zurück. Die Chancen, dass man jemanden kennt, der einem bei einem Problem oder Anliegen weiterhelfen kann, stehen gut. Trotzdem gibt es auch für den bestens vernetzten Oltner Angelegenheiten, die sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen. Die Rede ist vom Lärm, von dem Schoch ein Lied singen kann, wo er doch einen ruhigen Schlaf bevorzugen würde.

Herr Schoch, wie lebt es sich im historischen Zentrum von Olten?

Meine Frau und ich sind Freunde kurzer Wege. Wir schätzen es, dass wir die meisten Dinge im Alltag problemlos zu Fuss erledigen können. Vom Einkaufen auf dem Markt bis zum Besuch des Theaters oder eines Restaurants. Kaum ist man aus der Wohnung, ist man so gut wie am Ziel. Einfach spontan vor die Tür gehen, um im Café Grogg einen Kaffee zu trinken, das ist wunderbar. Uns gefallen dieses Überschaubare und die Nähe zu allem Wichtigen. Darum wohnen wir gern mittendrin. Als wir noch am Pfarrweg auf der anderen Stadtseite zu Hause waren, kam es nie vor, dass wir spontan etwas trinken gingen, und für den Theaterbesuch nahmen wir das Auto. Heute müssen wir zusehen, dass wir unser Fahrzeug von Zeit zu Zeit bewegen, damit kein Standschaden droht.

Wo Licht ist, ist auch Schatten.

Spontan fällt mir der fehlende Garten ein, den die Wohnlage hier halt nicht hergibt. Umso mehr schätzen wir unseren Mini-Balkon, der gross genug ist, um zu viert draussen am Tisch zu sitzen. Ach, und manchmal wird es uns zu laut in den Nächten.

Wie hat sich die Altstadt in den letzten Jahren verändert?

Wenn man den Zeitraum etwas grösser fasst und ein paar Jahrzehnte zurückblickt, wird der Wandel sichtbar. Als ich Kind war, gab es in der Altstadt noch grosse Ladengeschäfte. Beim heutigen Optiker Bartlomé war der Möbel Lang einquartiert, und zwar bis ganz runter an die Dünnern. Ich denke auch an das Warenhaus Victor Meyer, wo heute die Suteria beheimatet ist. Neben weiteren Grössen wie Bernheim und PKZ gab es zahlreiche kleinere Geschäfte. Im Erdgeschoss wurde eingekauft, während in den Stockwerken darüber gewohnt wurde. Das war die Uridee der Innenstadt. Auch als wir unser Haus umbauten, haben uns die Behörden ans Herz gelegt, im Erdgeschoss wieder Platz für ein Gewerbe zu schaffen. Das haben wir dann auch so gemacht. Und dann gibt es noch die Beizen, von denen die meisten bis heute existieren.

So anders präsentiert sich die Lage in der Gegenwart also nicht.

Der entscheidende Unterschied: Früher ist die Stadt in den Nachtstunden zur Ruhe gekommen. Die Restaurants schlossen um halb zwölf ihre Türen und die Gäste begaben sich auf den Heimweg. Doch das Ausgehverhalten hat sich über die Jahrzehnte gewandelt. Aus Restaurants wurden Clubs. Die Öffnungszeiten wurden ausgedehnt und der Abend beginnt für einige heute erst um Mitternacht. Dazu gekommen ist so auch der Lärm zum Beispiel von lauter Musik.

Wie erleben Sie als Altstadtbewohner diesen Wandel konkret?

Ein Beispiel ist die heutige Bodega.* Zu Beginn war sie bis elf, halb zwölf offen. Heute ist sie zwar immer noch ein Restaurant und kein Club, aber die Öffnungszeiten wurden erweitert und es herrscht bis lange nach Mitternacht Betrieb. Das alleine ist nicht das Problem. Was ich kritisiere, ist die Lautstärke der Musik. Vielleicht bin ich zu alt, um das nachvollziehen zu können, aber ich frage mich halt schon, wie man gemütlich essen kann, während die Räumlichkeiten mit Musik von gefühlten 100 Dezibel beschallt werden. Gehen dann die Leute zum Rauchen raus und nachher wieder rein, schwappt der Schall ins ganze Quartier und sorgt für Unruhe und Ärger bei den Anwohnern. Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf die Bodega zu zeigen. Sie ist nur ein Beispiel von mehreren. Von Freunden weiss ich, dass die Anwohnerinnen des Musigchällers an der Marktgasse mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind.

Haben Sie das Gespräch mit den Betreibern gesucht?

Wir haben immer mal wieder mit den Verantwortlichen gesprochen. Diese haben jeweils auch verständnisvoll auf unser Anliegen reagiert. Man hat uns geraten, anzurufen, wenn wir uns gestört fühlten. Nur hört bei der Lautstärke dort niemand das Klingeln des Telefons. Leider blieb es bis anhin nur bei verständnisvollen Worten, die Situation mit der lauten Musik hat sich nie zum Positiven verändert. Hinzu kommen unappetitliche Zeugnisse des Nachtlebens, auf die wir als Anwohner am Morgen danach in unseren Hauseingängen treffen. Wobei ich auch sagen möchte, dass dies weniger mit den Bodega-Betreibern zu tun hat als vielmehr mit einzelnen Gästen, die nicht wissen, wann genug ist.

Wäre die Altstadt frei von Musik und Ausgang ein besserer Ort?

Ganz und gar nicht. Im Grunde genommen geht es mir nicht um die Musik als solches. Zum Problem wird diese nur dann, wenn man als Anwohnerin und gezwungene Mithörerin nicht abschätzen kann, wann Schluss damit ist. Es fehlt einem der Anhaltspunkt, wann wieder Ruhe einkehren wird. Das ist es, was den Ärger hochkochen lässt. Entscheidend meiner Meinung nach ist auch die Art, wie eine Veranstalterin mit den Anwohnern kommuniziert.

Das klingt so, als hätten Sie auch positive Erfahrungen gemacht?

Ein positives Beispiel ist das Café Grogg, das in unserer direkten Nachbarschaft liegt. Bevor Inhaber Klaus Kaiser seine Konzertserie im Oberen Graben lanciert hat, suchte er als Erstes das Gespräch mit uns Anwohnern. Er stellte seine Pläne vor und holte unsere Meinung dazu ein. Von Anfang an war klar, dass jeweils um 23 Uhr Schluss sein würde. Wenn ich mich recht erinnere, hatte damals niemand der Anwohnenden etwas einzuwenden. Die Konzerte haben heute ihren festen Platz. Jedes Jahr von neuem werden wir vorab über das Programm informiert, verbunden mit einer Einladung zu einem Konzert. Am Ende der Konzertsaison erhalten wir als Dank einen Getränkegutschein. Das sind kleine Gesten mit einer grossen Wirkung.

Eine lobenswerte Ausnahme unter den Lokalbetreibern?

Zum Glück nicht. Als zweites Beispiel kommt mir die Spittelschüür der Säli-Zunft in den Sinn. Man kann die Räumlichkeiten für Feiern mieten. Sie grenzen direkt an unsere Wohnung. Fast jedes Wochenende finden dort gewöhnlich Veranstaltungen statt. In den zwanzig Jahren, seit wir in der Altstadt wohnen, mussten wir nur einmal das Gespräch mit den Zünftlern suchen, weil ihre Mieterschaft bis morgens um sechs Party gemacht hatte. Rita Ledermann von der Waadtländerhalle ist für mich ein weiteres gutes Beispiel. Wird es einmal laut draussen, weist sie ihre Gäste freundlich darauf hin, dass im Quartier Menschen wohnen. Wenn es nicht anders geht, schickt sie auch schon mal jemanden weg.

Müsste die Stadt die Rolle einer Vermittlerin einnehmen, die zwischen den Anliegen der Lokalbetreiber und derjenigen der Anwohnerinnen vermittelt?

Es gibt Städte, die die Vorgabe machen, dass beim Eingang zwei Türen vorhanden sein müssen, wenn Musik gespielt wird. So ist beim Betreten beziehungsweise Verlassen des Lokals stets eine Tür geschlossen. Ich kenne die Reglemente von Olten diesbezüglich nicht. Die Stadt hat sich bisher nie öffentlich zur Problematik geäussert. Daher kann ich auch nicht sagen, ob allfällige Vorgaben eingehalten werden und ob die Polizei dies kontrolliert. Wir sehen in der Regel davon ab, die Polizei zu rufen.

Trotzdem mussten Sie schon zum Hörer greifen?

In diesen zwanzig Jahren kam das nur zweimal vor. Einmal hatten wir einen Rave vor dem Haus, der am Nachmittag startete und die Scheiben in unserem Haus zum Bass zittern liess. Nach zwölf Stunden habe ich morgens um zwei Uhr bei der Polizei nachgefragt, was da los sei. Beim zweiten Anruf ging es um eine wüste Schlägerei, bei der Flaschen flogen und man sich Sorgen machen musste, dass jemand ernsthaft verletzt werden könnte.

Wie erleben Sie das Vorgehen der Stadt beim Thema Veranstaltungslärm?

Ich habe den Eindruck, dass man die Bevölkerung mit dem Problem alleine lässt. Die Stadt hat es bisher verpasst, sich zur Situation zu äussern. Die Ereignisse beim Hammer Pub und bei der Stadtmix Bar hätten dazu Anlass gegeben. Mir ist schon klar, dass es für die Betreiber kein Leichtes ist, den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Sobald die Gäste ein Lokal verlassen und es draussen laut wird, sind sie ausserhalb des Einflussbereichs der Gastgeber. Eine Möglichkeit wäre es, wenn die Beizerinnen von der Stadt mehr in die Pflicht genommen würden. Die Betreiber könnten dazu angehalten werden, dass sie auch in der Umgebung ihres Lokals für Ruhe und Ordnung sorgen müssen. Das wäre ein anderes Signal, als die Dinge einfach laufen zu lassen, wie es zurzeit der Fall ist. Die Stadt hätte auch die Möglichkeit, Beizer der unterschiedlichen Quartiere und Anwohnerinnen an einen Tisch zu bitten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Schliesslich muss sich die Behörde die Frage stellen, was sie wo zulassen will. Und sie muss sich im Klaren darüber sein, dass es auch zu Reaktionen kommt, wenn etwas zugelassen wird, das Emissionen mit sich bringt.

Lassen wir das Thema Lärm ruhen. Was schätzen Sie am kulturellen Leben in Olten?

Mit der eingeschlagenen Stossrichtung, die städtischen Plätze mehr zu beleben, bin ich absolut einverstanden. Die Kirchgasse darf nach meinem Geschmack künftig noch mehr für Anlässe genutzt werden, welche die Menschen zusammenbringen und erfreuen. Die Lokale sollen rausstuhlen und das Publikum soll unsere schöne Altstadt geniessen dürfen. Ich freue mich über jeden kulturellen Anlass, der Olten bereichert. Es stellt sich einfach immer die Frage nach dem Mass und ob die Stadt irgendwann auch mal zur Ruhe kommen darf. Denn Olten ist keine Weltstadt, die 24 Stunden am Tag Halligalli bieten muss.

* In einer früheren Version des Artikels hiess es, dass in der heutigen Bodega einst das Restaurant Adler war. Dies ist falsch. Das Haus zum Adler ist ein Nachbarhaus der Bodega.


Welche Lösungen siehst du für die nächtliche Ruhe?

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