poste restante
In Thessaloniki wurden mein Laptop, mein Portemonnaie mit Kredit- und anderen Karten und die Kameraausrüstung meines Freundes gestohlen. Da Ersatzkarten nur in die Schweiz geliefert werden und elektronische Geräte hier teurer sind als in der Schweiz (ja, wirklich), bat ich meine Mutter, mir ein Paket zu senden. Inhalt: Kreditkarten, Führerausweis, ein ausrangierter, aber noch brauchbarer Laptop, einige Kamera-Ersatzteile, Schokolade.
Ich war mittlerweile aber nicht mehr in Thessaloniki, sondern im südlicheren Dorf Leonidio. Natürlich ohne Wohnadresse, da im Auto lebend. Macht nichts, wurde mir auf der örtlichen Poststelle versichert. Das Paket könne postlagernd hierhin gesendet werden. Jana Schmid, poste restante, 22300 Leonidio. Völlig problemlos.
Meine Mutter war derweilen bereits zum dritten Mal an einem Oltner Postschalter vorsprachig. Sie wollte wirklich sichergehen, dass das gut kam, liess sich beraten bezüglich möglicher Sendeoptionen und entschied sich nach Abwägung aller Vor- und Nachteile für die Option Priority, die zweitschnellste. Die zuständige Mitarbeiterin der Schweizer Post wies sie mehrmals darauf hin, auf dem beiliegenden Frachtbrief alle Inhalte des Pakets genau aufzuführen. Das sei wichtig, da es ansonsten Probleme am Zoll geben könne. Ausserdem sei das Paket in Höhe des auf dem Frachtbrief angegebenen Wertes gegen Verlust oder Beschädigung versichert. Das nahm meine Mutter beim Wort und rundete die Warenwerte auf dem Frachtbrief gewissenhaft auf, um im schlimmsten Fall auch wirklich versichert zu sein. So, unter Einhaltung aller Vorschriften, könne eigentlich nichts mehr schief gehen, waren sich meine Mutter und die Mitarbeiterin einig und gaben das Paket endlich auf. In drei bis sieben Tagen müsse die Sendung in Leonidio eintreffen, verfolgbar per Tracking.
Ich wartete und trackte. Bald war das Paket in Athen. Dann zeigte das Tracking folgenden Status an: HIGH VALUE GOODS – COSTUMS DECLARATION REQUIRED. Der veränderte sich dann nicht mehr. Nach einem Monat und mehreren Besuchen auf der Dorf-Poststelle («There is nothing, come again tomorrow») rief ich den Kundendienst der griechischen Post an.
Telefonieren
Es folgte ein längeres Prozedere mit verschiedenen Hürden. Die erste: Grundsätzlich nahm niemand ab. Ich versuchte also mehrere Tage hintereinander zu verschiedenen Tageszeiten, bis endlich ein «Para kalo?» (Griechisch für «Bitte?») ertönte. Hoffnungsvoll begann ich, auf Englisch mein Problem zu schildern. Dann kam die zweite Hürde: «For english, call other number», wurde ich unterbrochen. Mir wurde eine neue Nummer diktiert. Die rief ich dann wieder an verschiedenen Tagen zu verschiedenen Zeiten an, bis ich schliesslich mein Anliegen auf Englisch zu Ende schildern konnte. Die dritte Hürde: Das sei ein Problem beim Zoll, dafür sei die Post nicht zuständig. «For costums, call other number». Also zurück zu Hürde eins.
Nicht normal für ein Paket
Irgendwann, viel, viel später, erreichte ich einen englischsprechenden griechischen Zollbeamten. Als ich ihm die ersten drei Ziffern meiner Tracking-Nummer vorgelesen hatte, wusste er bereits, wovon ich sprach. Ja klar, er kenne dieses Paket. Was ich damit wolle. «Wie bitte?» – «Was wollen Sie mit diesem Paket?» – «Zum Beispiel, dass es ankommt?» Ich wurde darüber aufgeklärt, dass der Warenwert des Pakets dermassen hoch sei, dass der oberste Zollbeamte entschieden habe, es nicht weiterzuversenden. Über 1000 Euro sei nicht normal für ein Paket.
Ich wollte den obersten Zollbeamten sprechen. Das ging leider nicht, aber der Mann am Telefon versprach, mit ihm zu sprechen. Eine Stunde später teilte er mir mit, dass der oberste Zollbeamte sich entschieden habe, das Paket gegen eine Zollgebühr von 150 Euro doch nach Leonidio zu senden.
Wertlose Kleider
Eine weitere Woche später stand ich erneut am Postschalter von Leonidio. Auf einem staubigen Regal hinter einem Mitarbeiter mit freundlich gelangweiltem Gesicht sah ich das Paket liegen. Verpackungsmaterial der Schweizer Post. Meine Nackenmuskulatur entspannte sich vor Erleichterung.
Das mache dann 156 Euro, meinte der Mitarbeiter. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich diesen Preis nicht nachvollziehen könne. Dass meine Mutter ja bereits 80 CHF Versandkosten bezahlt habe und dass die Geräte in diesem Paket alle gebraucht seien und nicht etwa neu gekauft. Der Mitarbeiter deutete auf den Frachtbrief, der einen Warenwert von 1000 Euro anzeigte. Ein weiterer Mitarbeiter schaute ihm über die Schulter, beide jetzt mit weniger gelangweiltem Gesicht. Sie lachten. Ob ich denn nicht wisse, dass ich niemals den wirklichen Wert der Dinge in einem Paket angeben dürfe. Dass darauf hätte geschrieben werden sollen, es seien wertlose Kleider drin. So könnten sie leider nichts tun. Das sei Sache des Zolls. Aber fürs nächste Mal müsse ich einfach daran denken: Bei wertvollen Sachen niemals den wahren Preis angeben. Ich könne höchstens anrufen, meinten die beiden und deuteten auf die Nummer der Hotline der griechischen Post. Müsse ich aber selbst machen, sie seien hier wirklich nicht zuständig. Ich lehnte dankend ab und bezahlte.
AGB 4.4.6
Wenigstens habe ich jetzt meine Sachen, dachte ich und startete vorfreudig den Laptop. Es blinkten sofort verschiedene Farben auf und interessante Muster. Ein Netz aus feinsten Splitterlinien überzog das gesamte Display. Das Gerät hatte die Reise nicht überstanden. Unbrauchbar lag es auf meinem Bett.
Ich atmete einige Male tief durch und überlegte mir, wie ich das meiner Mutter (die sich seit einem Monat fast täglich erkundigte, ob das Paket jetzt endlich da sei) nervenschonend beibringen könnte. Ihre Empörung war gross. Die einzige Hoffnung, und deshalb war ja dieser Warenwert von 1000 Euro überhaupt zustande gekommen, war diese Versicherung. Die war ja genau für diesen Fall gedacht. Die Schweizer Post muss für diesen Schaden aufkommen. Dafür würde sie sorgen, aber ganz sicher, meinte meine Mutter. Sie schrieb sogleich eine E-Mail und erklärte den Sachverhalt. Die Antwort der Schweizer Post kam umgehend: «Danke für Ihre E-Mail. Wir bedauern, dass Ihre Sendung beschädigt angekommen ist. Für einen Laptop besteht jedoch laut AGB 4.4.6 seitens der Post keine Haftung.»
* Jana Schmid (26) ist in Aarburg aufgewachsen und lebt seit vergangenem Winter in ihrem ausgebauten Lieferwagen in Griechenland, wo sie rund drei Monate für zwei Nichtregierungsorganisationen arbeitete.