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Solothurns starke Kerlinnen

Bevor 1971 auf eidgenössischer Ebene das Frauenstimmrecht angenommen wurde, haben Generationen von Frauen für die Gleichstellung gekämpft. Eine Eigenproduktion des Historischen Museums erzählt von entschlossenen Solothurnerinnen in einer unrühmlichen Geschichte.
9. November 2020
Text: Adrian Portmann, Bilder: zVg

«Mamme wenn kunsch haim?», fragt das leicht verwahrloste Mädchen mit gläsernem Blick und geknickter Blume in der Hand auf einem Abstimmungsplakat. Dieses ruft mit seinem grosslettrigen roten «Nein!» dazu auf, gegen das Frauenstimmrecht an die Urne zu gehen. Zusammen mit weiteren Affichen bildet das Plakat den Auftakt zur Sonderausstellung «Pionierinnen. Eine Würdigung» im Historischen Museum in Olten.

Fünfzig Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene widmen sich die Ausstellungsmacherinnen jenen Solothurnerinnen, die in verschiedenen Bereichen und auf unterschiedliche Art und Weise einen Beitrag zur Gleichstellung der Frau geleistet haben. Angefangen im Mittelalter bis in die Gegenwart. Eine Würdigung, die es in dieser Form noch nie gab.

Drei Oltnerinnen mit Pioniergeist

Eine von über dreissig in der Ausstellung vorgestellten Pionierinnen des Kantons ist Anna Heer. Sie wurde 1863 in Olten geboren und besuchte im Hübelischulhaus den Primarschulunterricht. Nach dem Staatsexamen an der medizinischen Fakultät in Zürich eröffnete sie in der Limmatstadt eine gynäkologische Praxis. Mit 38 Jahren gründete sie zusammen mit einer Kollegin die «Schweizerische Pflegerinnenschule mit Frauenspital». Heer gilt als erste Chirurgin der Schweiz.

Die erste Chirurgin der Schweiz, Anna Heer, ist das Gesicht der Ausstellung.

Nicht minder engagiert und vernetzt war Maria Felchlin. Die umtriebige Oltnerin diente während des Zeiten Weltkriegs als Sanitätsoberleutnant des Luftschutzes und galt im Schiesssport als zielsichere Schützin. Felchlin war die erste praktizierende Ärztin im Kanton und schrieb als Redakteurin unter anderem für die Oltner Neujahrsblätter. Heute erinnert vor der Friedenskirche eine Büste an die Vorkämpferin für das Frauenstimmrecht.

Das Historische Museum Olten verdankt der vielseitig interessierten Maria Felchlin eine erste Inventarisierung der Keramiksammlung.

Eine Oltnerin, die sich für das Frauenstimmrecht einsetzte und sich bis auf Bundesebene Verhör verschaffte, ist Lilian Uchtenhagen. 1928 geboren hatte sie als junge Frau eine akademische Laufbahn eingeschlagen, ungewöhnlich für die damalige Zeit. Sie kandidierte 1983 für den Bundesrat und wurde von dem nicht nominierten Parteigenossen Otto Stich, man kann es fast nicht anders ausdrücken, ausgestochen, oder wie die NZZ im Nachruf zum Tod von Lilian Uchtenhagen 2016 schrieb: er hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Beinahe wäre Uchtenhagen die erste Bundesrätin der Schweiz geworden.

Die SP-Politikerin Lilian Uchtenhagen studierte in Basel und London Staatswissenschaften und war Mitglied zahlreicher Frauenorganisationen.

Für Museumsleiterin und Kuratorin der Ausstellung Luisa Bertolaccini und ihre Mitarbeiterinnen war die Informationsbeschaffung kein Leichtes. «In den Archiven finden sich zwar zahlreiche Einträge und Dokumente zu weiblichen Persönlichkeiten, aber oftmals sind sie nicht erschlossen. Das heisst, es existiert nur wenig Grundlagenarbeit, auf die man in nützlicher Frist aufbauen könnte», sagt Bertolaccini. «Man müsste wohl zwei Jahre Zeit haben, um alle Daten zusammenzutragen und aufzubereiten.» Erschwerend kam hinzu, dass Bertolaccinis Team wegen des Lockdowns erst ab Mitte Juni mit der Recherche in den Archiven beginnen konnte.

Patriarchen links wie rechts

Neben den vorgestellten Solothurnerinnen haben es auch Männer in die Ausstellung geschafft. «Unsere drei Quotenmänner», wie Bertolaccini sie im Scherz bezeichnet. Darunter der christkatholische Priester Emil Meier aus Olten, der 1905 einen progressiven Vortrag zur Frauenfrage hielt und damit über kirchliche Kreise hinaus Beachtung auslöste. Dies in einer Zeit, in der im Zivilgesetzbuch noch schwarz auf weiss stand, die Ehefrau habe die Pflicht, ihrem Gatten, dem Haupt der Gemeinschaft, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und den Haushalt zu führen.

«Man muss schon sehen, dass alle Pionierinnen, die gegen vordefinierte Geschlechterrollen vorgingen, Männer an ihrer Seite hatten, die den Kampf für die Gleichstellung unterstützten oder zumindest tolerierten», sagt Bertolacci. «Ob Patriarch oder nicht, lässt sich nicht anhand der politischen Gesinnung der Männer definieren.»

Alles andere als ein Patriarch war beispielsweise Urs Dietschi, der nach dem Zweiten Weltkrieg für die FDP im Nationalrat sass und sich für das Frauenstimmrecht einsetzte. Seiner Sache ganz sicher war aber auch er nicht, wie ein Zitat aus der Ausstellung verdeutlicht: «Ich bin dafür und dagegen zugleich […]. Der Frau würden auch Lasten auferlegt, unter denen sie als sensibles Wesen leiden könnte.»

Gedanken, wie Dietschi sie formuliert hat, mögen heute grotesk wirken. Doch ist es noch nicht lange her, dass Frauen nur die Wahl blieb, sich entweder mit der Bevormundung abzufinden oder aber entschlossen dagegen aufzulehnen und für die Gleichstellung ihres Geschlechts einzustehen. Ohne Gewissheit, ob sich ihr Einsatz einst bezahlt machen würde.

Pionierinnen. Eine Würdigung
Eine Sonderausstellung des Historischen Museums Olten
30. Oktober 2020 bis 5. April 2021
Haus der Museen, Konradstrasse 7, 4600 Olten