Skip to main content

Sprayen gegen das Stigma

Eine Kunstform versucht, ihr negativ behaftetes Bild abzustreifen. Mitten in der Stadt öffnen sich ihr legale Räume. Ein Besuch mit Künstler Sorbe an der Graffiti-Wand im Hammer.
14. April 2022
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Yves Stuber

Bahn und Brache. Mittendrin die Wand. Graffitis auf türkisfarbenem Hintergrund. Eine Zäsur in der Landschaft, komponiert aus dem urbanen Nichts und dem noch wintergefärbten Jurahügel dahinter. Als wolle es die beiden Räume verbinden, ragt das Silo in den milchigen Himmel empor.

«Wir wollen Farbe an Orte bringen, wo sie überrascht», wird Sorbe hinterher sagen. Schwarze Sonnenbrille mit dunkeln Gläsern, schwarze Jacke und blaue Jeans, die in den schwarzen Socken verschwinden. Als wolle er explizit unscheinbar wirken, neben der Kunst. Mit unaufgeregten Schritten läuft er über die Brache hinter dem Hammerbahnhof und begutachtet das Kunstwerk vom Vortag.

Spieler & Sater, Jose, Stanco, Seife und eben er – Sorbe – haben den Sonntag an der Stationsstrasse zugebracht. Sich an der langen Wand sprayend ein künstlerisches Denkmal gesetzt. Es wird vergänglich sein – die Graffiti-Kunst sei kaum je für die Ewigkeit, erklärt mir Sorbe unter der Aprilsonne.

Er wird für uns Sorbe bleiben und seinen wahren Namen nicht preisgeben. Der in Olten heimisch gewordene Aargauer erklärt, warum er seine Identität nicht offenlegt: «Ich möchte in der Rolle als Künstler ausschliesslich mein Werk für sich sprechen lassen.»

Güterzüge rollen vorbei, kaum ein Wagen ist nicht mit Graffitis versehen. Wie ein Filmband ziehen sie an der Graffiti-Wand im Hammer vorüber und komplettieren das Panorama. Ein Bild, das aber auch für den Kontrast innerhalb der Graffiti-Kunst steht. Dort die illegal besprayten Zugwaggons. Hier die legal besprayte Wand. In der Gesellschaft dominiert das Stigma. Auch weil die Illegalität die Wurzel der Kunstform ist. Sorbe möchte das negative Bild aufbrechen und mit seiner Arbeit den Aspekt des legalen Graffitis zeigen.

«Ich wünsche mir, die Graffitis aus den düsteren Ecken der Städte an sichtbare Orte zu bringen. So können wir Menschen auf verschiedenen Wegen erreichen und sie für unsere Kunst sensibilisieren», sagt er.

An der Stationsstrasse hat er das ganze Prozedere für maximale Transparenz durchlaufen. 2020 ging er auf den Eigentümer der industriell genutzten Liegenschaft zu. Dieser war von Beginn weg offen und gab seinen Bau für das Projekt frei. Sorbe setzte sogar eine schriftliche Einigung auf. Jedes Mal, wenn er mit Künstlerinnen an die Wand geht, informiert er vorher die Polizei. Wie sensibel die Thematik ist, zeigt eine Episode aus vergangenem Jahr: Während er mit Künstlerkollegen Graffitis sprayte, fuhren plötzlich sechs Polizeiwagen vor. Jemand hatte die Polizei gerufen und dort kam es wohl zu einer Kommunikationspanne. Doch die Situation war bald geklärt.

Zum dritten Mal hat Sorbe nun schon mit Künstlerkollegen die Wand an der Stationsstrasse neu besprayt. Die neuen Kunstwerke sollen ein halbes Jahr bestehen bleiben. Diesmal kamen die Graffiti-Sprayer aus den Regionen Basel, Bern, Zürich und Olten. «Der Spot ist besonders attraktiv, weil er direkt an der Bahn wie eine Leinwand wirkt», sagt Sorbe. Er möchte an diesem Ort mehr Akzeptanz für seine Kunst gewinnen. Er sieht sie als Teil des Dialogs mit der Landschaft, der Architektur. «Mein Antrieb ist die idealistische Idee, den öffentlichen Raum mitzugestalten.»

Mit ihren ganz eigenen Stilen haben sie an der Stationsstrasse die Buchstaben ihres Künstlernamens an die Wand gebracht. Manche ganz ohne Skizze. Sorbe führt der Wand entlang und entziffert mit geübtem Auge die in Figuren und Formen verpackten Buchstaben. Von ganz nah verliert sich der Laie komplett im Detail. Der Oltner erzählt, wie er an der Wand Gefallen am Buchstaben Z fand – und so wandelte er seinen Künstlernamen, zunächst an der Wand, vor einiger Zeit zu Zorbe um. Jedes Mal, wenn er Z-O-R-B-E an die Wand malt, sucht er von Neuem nach Harmonie in Farben und Formen.

Zusammen verschmelzen sie zu einem farbgewaltigen Spiel. Zwischen Bahn und Brache.

Die Bildstrecke


Wo ist dein Lieblings-Graffiti zu sehen?

Schreiben Sie einen Kommentar