Timmermahn knöpft sich die Liebe vor
Die gute Nachricht zuerst: Timmermahn ist wieder unterwegs. Die schlechte: er ist bereits weitergezogen. Schwarzer Kapuzenpulli drunter, lässige Jeansjacke drüber und mit einem Haarschopf gesegnet, von dem sich das Gros seiner Altersgenossen bereits vor Jahrzehnten verabschiedet haben dürfte – so nimmt Timmermahn Platz am kleinen Tisch auf der Bühne des Theaterstudio Olten und wirkt, als wäre er schon immer dort gesessen. Ohne grosses Tamtam beginnt er mit dem, wofür sein Publikum die Maske ohne zu stänkern auch gerne eine Stunde länger aufsetzen würde. Und ehe die Gäste sich verhören, hängen sie an Timmermahns Lippen, schmunzeln, lachen und schütteln bisweilen die Köpfe ob seiner Formulier- und Fabulierkraft und der wahnwitzigen Wendungen in seinen Geschichten.
Timmermahn könnte einen Abend lang über Nachttöpfe, Krankenkassenwechsel oder Konfektionsgrössen schwadronieren, ohne dass beim Publikum nur ein Hauch von Langeweile aufkäme. In seinem aktuellen Programm «Love Stories» widmet der Erzähler, Maler, Autor und Regisseur sich jedoch einem gehaltvollen Thema, nämlich der Liebe. In sechs zusammenhangslosen Kapiteln nimmt er die Zuhörerinnen mit auf eine sonderbare Reise, unter anderem auf die Balearen, wo sich die adelige Rosmary von Bergen kurz vor ihrer Heirat in den braungebrannten, wassermelonenjonglierenden Strandboy Carlos Rodriguez verguckt. In einer anderen Geschichte verlässt Heidi ihren Grossvater und den Geissenpeter, um der Enge der Bergwelt zu entkommen. Mit einem gewissen Henry Miller bezieht sie im Pariser Vorort Clichy eine kleine Wohnung und findet dort ihr Glück.
Bei «Love Stories» sind nur Programmtitel und hie und da die Namen der Protagonisten englisch gefärbt. Alles andere kommt im heimeligen Berndeutsch daher, das für Oltner Ohren nicht allzu fremd klingen mag, «in Zürich aber schon Exotenstatus geniesst», wie Timmermahns Agentin, Katha Langstrumpf, nach der Show erzählt. Es sei ein gutes Gefühl, nach der Coronapause endlich wieder mit Timmermahn auf Achse zu sein. Gleich zweimal hintereinander hat Timmermahn Anfang Oktober in Olten seine Geschichten zum Besten gegeben. «Love Stories» hätte bereits vergangenen April im Theaterstudio aufgeführt werden sollen, wäre nicht die Pandemie dazwischengekommen und hätte den Liebesgeschichten ein Ende gesetzt, bevor sie in Fahrt kommen konnten. «Wir spüren noch immer eine gewisse Zurückhaltung beim Publikum», sagt Daniel Hoch vom Theaterstudio zum Ticketverkauf für die Timmermahn-Vorstellungen. Seit Mitte September zeigt das Theater wieder Produktionen. Das Publikum trägt Maske und zwischen den Besuchergruppen bleibt jeweils ein Sitz frei.
Typisch für Timmermahns Geschichten sind unter anderem seine absurd in die Länge ausschweifenden Aufzählungen. Derer bedient er sich vorzugsweise, wenn er Mahlzeiten beschreibt, aber auch die Sommerluft am Meer duftet bei Timmermahn nicht einfach nur nach «Salz und Wasser», sondern nach «Kapuzinerblumen, Verveinen–, Granium- und Heliotrop- und Asphodelusblüten, Türkenbundlilien, Hibiskus, Orchideen, Strauchmalven, Rotklatschdahlie, Malven- und Lavendelrosen, Iristrichter, Winterziermohn, Beduinen, Rhododendron und Passionsblumen». Zum Abschluss des Abends, nachdem Timmermahn das letzte Kapitel seiner Liebesgeschichten geschlossen hat, folgt ein langer Videoabspann, in dem er einer Hundertschaft «Involvierter» dankt. Darunter dem «Nabucco-Chor Olten», der «Autobahnraststätte Deitingen» und «Roscher Federer». Die Ideen scheinen bei Timmermahn unendlich zu sprudeln und es sieht danach aus, als denke er nicht so schnell daran, mit dem Erzählen aufzuhören. In zwei Jahren, im Oktober 2022, feiert er seinen achtzigsten Geburtstag in seinem Stammlokal, in der Mühle Hunziken in Rubigen. Die Tickets zu Timmermahns grosser Birthdaysause sind bereits jetzt erhältlich.