Skip to main content

«Über d’Ching regsch di bis nachem Tod uf»

Mit seinem neusten Solostück «Erbsache – Heinzer gegen Heinzer» eröffnete Mike Müller die Saison im Theaterstudio. Dort, wo seine Karriere begann. Der Oltner verbindet in einem Gerichtsprozess Witz und Tiefsinn.
20. September 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Wer kriegt die Ferienwohnung auf der Riederalp? Wer führt die Apotheke weiter? Am liebsten würde Kaspar Heinzer alles seiner Enkelin vermachen. Denn mit den eigenen Kindern ist’s so eine Sache. «Über d’Ching regsch di bis nachem Tod uf», sagt Mike Müller – in der Rolle als Heinzer senior post mortem. Blaues Licht.

Während Vater Heinzer im Jenseits über das Leben und das Danach philosophiert, kommt seine Erbsache vors Gericht. Dort verkörpert Mike Müller alle auf einmal. Er verpackt die Charaktere in sein Stück, wie auf den hiesigen Bühnen es nur wenige verstehen. Von der dominanten Bündner Richterin über den schnöden Zürcher Anwalt bis zu dessen Gegenspieler aus dem Wallis, der gelassen bleibt und mit lateinischen Weisheiten prahlt.

Zusätzliche Frische verleihen dem Stück die Zeugen. Die beiden Polizisten und die Spitex-Pflegefachfrau «Coco», die mit einem Balletttanz die Bühne betritt. Eine absurd-witzige Szene, typisch Mike Müller. Sie lässt die Zuschauerin kurz durchatmen und bringt den vielseitigen Protagonisten ausser Atem. Das hindert den Alleindarsteller nicht daran, die Gerichtsverhandlung in gewaltigem Tempo fortzuführen.

Auch das Spiel mit den Dialekten beherrscht der aus Olten stammende Schauspieler. Er beweist dies anhand der drei Geschwister, die sich gegenübersitzen und Wortgefechte liefern. Nur der Älteste bleibt bis kurz vor Schluss ein imaginäres Wesen. Denn: Er spricht nie. Die Schwester hingegen ist penetrant und will alles für sich. Der Jüngere interessiert sich mehr für die Ablaufdaten der familieneigenen Apotheke, um seine Drogenaffinität zu stillen. Nicht die romantische Idee vom jungen Sohn, sie könnten doch alles als Erbgemeinschaft übernehmen, obsiegt. Dafür ist das Leben nach Mike Müller zu unberechenbar. Im Jenseits kommt Kaspar Heinzer derweil zur Einsicht, dass sich durch ein Testament nicht die im Leben begangenen Fehler beheben lassen. Die Geschichte der Familie Heinzer lehrt: Das Testament als Misstrauensvotum kann wie Gift wirken.

Auf der Bühne tut Mike Müller, was ihn auszeichnet. Er hält der Schweizer Gesellschaft einen Spiegel vor. In seine Charaktere projiziert er zahlreiche typisch schweizerische Eigenschaften. Aber er versteht es, diese so zu verpacken, dass das Stück nicht zu einer Abhandlung von Klischees verkommt. Somit gelingt es ihm, das Publikum immer wieder zu überraschen.

Sie haben noch Familie in Olten. Fürchtet sich Ihr Bruder schon davor, wenn sie gemeinsam das Erbe ausmachen müssen?

Nein. Er war gestern da, wir haben nachher länger getrunken und geredet (lächelt). Aber wir haben nicht ein einziges Mal ausgehandelt, wie wir dies machen, weil es bei uns kein Problem sein wird. Da bin ich ziemlich sicher.

Wie kam es dazu, dass Sie nun auf der Bühne der Erbsache nachgehen?

Schwierig zu sagen. Ich habe immer mögliche Stoffe im Kopf. Dann überlege ich mir: Ist das eine gute Idee für ein Stück, einen Film, eine Serie, 140 Zeichen auf Twitter oder reicht es für einen Sketch? Das ist von Stoff zu Stoff unterschiedlich. Und reift dann vor sich hin. Der Prozess ist immer interessant für die Bühne.

Aber es hätte kein Erbprozess sein müssen.

Bei einem Strafprozess würde die Geschichte anders erzählt. Das Erbe interessierte mich schon immer, weil es je nach soziologischer Schicht komplett anders abgehandelt wird und eine andere Bedeutung hat. Und weil man viel über die Geschichte eines Landes und die Ökonomie, aber auch über nicht erhaltene Liebe oder unerledigte Dinge erfährt. Ich habe mich für dieses Stück intensiv mit einem Juristen getroffen, der Erbrechtsprofessor und Oberrichter war. Er konnte sehr viel erzählen, aber verstand auch, was funktioniert und was nicht. Mein Stück ist in der Realität nicht möglich, weil das Meiste über den Schriftverkehr stattfindet.

Sie pflegen zu sagen, man arbeite mit dem, was man hat. Wer dieses Stück sieht, könnte denken, Sie hätten Recht studiert.

Man recherchiert je nach Gebiet unterschiedlich. Bei einem Recherchestück wäre es nochmal anders: Da führen wir Interviews und nur was auch wirklich gesagt wurde, kommt auf die Bühne. Das ist hier nicht der Fall. Aber ich war für dieses Stück auch vor Gericht und bei Urteilsverkündungen dabei. Am Ende bin ich Unterhaltungskünstler und muss in diesen 80 Minuten etwas Interessantes machen.

Was haben Sie für ein Verhältnis zu Geld?

Das ist eine schwierige Frage. Mir kommen nur Banalitäten in den Sinn.

Oder zu Vermögen?

Ich komme nicht aus einer Schicht, in der man grosse Vermögen anhäuft, aber in der man gut lebte. Das ist auch für mich entscheidend. Luxus ist, gut zu leben. Nicht riesiges Vermögen zu akkumulieren. Das hat auch mit meinem Beruf zu tun. Ein Unternehmer muss Vermögen akkumulieren, um überhaupt unternehmerisch tätig zu sein.

Was lehrt das Schweizer Erbrecht über unsere Gesellschaftsstruktur?

Ich kann nur sagen, was ich gelernt habe. Was mein Stück den Menschen mitgibt, mag ich mir nicht gross überlegen. Mein Auftrag ist es, ein Unterhaltungsstück zu machen: so schlau und so lustig wie möglich. Was ich durch meine Recherche erfuhr, ist: In der Schweiz herrscht eine grosse Testierunwilligkeit, wie man sagt. Andererseits kann man im Testament nicht alles lösen, was man vorher verbockt hat. Das Testament ist nicht immer die Lösung.

Das transportieren Sie auch in Ihrem Stück.

Im Prinzip sollte ein Testament so geschrieben sein, dass alle einverstanden sind. Es ändert sich nun auch einiges im Testamentsrecht. Die freie Quote wird grösser, über die man verfügen kann. Bisher war der Spielraum gering. In den USA ist der Erbausschluss in gewissen Familien ein ständiges Damoklesschwert. Das ist bei uns nicht möglich, ausser du würdest was tun, was Schande über die Familie bringt. Wie etwa ein Kapitalverbrechen. Sonst kann man hierzulande niemanden vom Erbe ausschliessen. Auch wenn man Krach hat ohne Ende und einander zum Teufel wünscht.

Wenn Sie ein Testament schreiben würden, dann also nur in Absprache mit den Nächsten?

Ich habe ein Testament geschrieben. Ich muss auch, denn ich bin kinderlos. Aber wer verheiratet ist und Kinder hat, braucht eigentlich kein Testament zu schreiben. Da ist der Fall klar.


Schreiben Sie einen Kommentar