«Wir lassen uns doch nicht von unserem Baby, unserem Träumli abbringen»
Ein verrostetes Eisentor erfüllt seinen Zweck noch als Balustrade am Treppenende. «Es diente als Tür zum Tresor einer Bank», sagt Marielle Studer lachend. Die Treppenstufen führen runter ins Herzstück des KultA. Ein Raum schwarz wie die Nacht. Wie eine Insel ist er umgeben von einer Tiefgarage. Der perfekte Ort, um ungestört zu sein. Für ein Konzert, ein Seminar, eine Ausstellung. Das Schlagzeug auf dem Podest kündigt an, was kommen wird. Eine neue Bühne für die Stadt ist im Untergrund des ehemaligen Camera-Kinos entstanden. Nur noch der leicht schiefe Boden erinnert an ein Kino. Eine Handvoll grosse Löcher oben in der Wand liefern die Antwort, warum der Verein APA sich noch ein paar Wochen gedulden muss, ehe es endlich losgeht. Die Lüftung lässt auf sich warten und muss speziell angefertigt werden. Die weltweiten Lieferengpässe wirken sich auch im KultA-Keller aus.
Bald zwei Jahre sind verstrichen, seit ein paar Mitglieder des APA im Coq d’Or beim Bier zu später Stunde mal wieder nach einem Lokal suchten. «Im Coq ist verdammt viel entstanden», sagt Marielle. Sie surften ein wenig im Netz und fanden das ausgeschriebene alte Kino, das zwischenzeitlich eine Freikirche genutzt hatte. Im Frühjahr startete der Verein ein Crowdfunding mit hohem Ziel. 50’000 Franken wollten sie versuchen, von den Menschen da draussen zu kriegen. Am Ende waren es 40’000. Sie hätten nicht erwartet, diese Marke zu erreichen, sagt Lea Hartmann. Die wirklichen Hürden kamen danach. Notausgang und Brandschutzauflagen, Lüftung, Besitzerwechsel. «Wir wussten ja, dass es schwierig ist, ein solches Projekt hochzuziehen. Das ist wohl auch der Grund, warum APA siebzehn Jahre brauchte, um von der Gründung bis hierhin zu gelangen», sagt Lea. «Das Projekt KultA ist organisch gewachsen.»
Was hat euch das Crowdfunding gelehrt?
Lea: Ich werte es als Erfolg, dass uns eine sehr breite Palette an Menschen unterstütze. Hilfe kam von verschiedensten Seiten, so auch von etablierten und engagierten Kulturschaffenden verschiedenster Ecken, wie etwa von den Kabarett-Tagen. Die Reaktion war nicht: Das ist APA, die sehen alle aus wie Punks. Das ist das Schöne an Olten: Weil wir die Leute kennen, sind die Hemmschwellen nicht so hoch wie andernorts. Wenn wir etwa in einer Grossstadt einen solchen Schuppen eröffnen würden, wäre dies vermutlich anders.
Das heisst, ihr bedient nicht einfach ein links-alternatives Klientel.
Lea: Wenn wir Veranstaltungen machen, dann kommen wir nun mal aus dieser Ecke. Das ist kein Geheimnis. Aber «Aktion Platz für alle» meinen wir wörtlich. Wir sind für Vermietungen sehr offen. Das KultA soll davon leben, allen einen Platz zu bieten.
Also kann bei euch der Punk mit dem SVP-Präsidenten pogen.
Lea: Oder der SVP-Präsident kann selbst einen Anlass organisieren. Wenn er eine Houseparty durchführen will, kann er sie hier machen.
Marielle: Wir haben die gleichen Regeln wie alle andern auch. Was unter der Gürtellinie oder respektlos ist, ist nicht willkommen. Das ist auch die Idee des Konzepts. Wir könnten das KultA allein nicht voll auslasten. Es ist ein Hobby von uns und soll dies auch bleiben. Vorher hatten wir den Coq-Keller, jetzt gibt’s den nicht mehr. Das war auch ein ausschlaggebender Punkt für uns. Wir wissen, wie es ist als Verein, der immer auf die Null arbeitet. Der mit Null beginnt, am Abend viel Geld einnimmt und dann wieder sehr viel ausgeben muss, um im Optimalfall am Ende wieder auf der Null zu stehen. Wir wissen, wie wertvoll solche Orte sein können.
Lea: Mit zwanzig Jahren haben einige von uns in der Schützi Reggaekonzerte organisiert. Damals erhielten wir von Geschäftsleiter Oli (Oliver Krieg, die Red.) die Möglichkeit. Er unterstütze uns sehr. Nun wollen wir hier einen solchen Raum bieten und anderen die Chance geben.
Da kommt mir unweigerlich das schöne Wort «niederschwellig» in den Sinn.
(beide lachen) Lea: Ich wollte es extra nicht in den Mund nehmen. Aber ja: Früher, als wir jünger waren, gabs noch mehr Möglichkeiten, etwas Einfaches zu organisieren. Etwa in der Paraiba oder im Vario-Club. Es gibt schon noch Räume, aber weniger für Nacht-Kultur.
Marielle: Raus kam am Ende trotzdem kaum jemand. Man machte es aus Goodwill oder aus Freude und weil es einfach wichtig ist. Es ist halt doch wichtig. Kultur lebt davon.
Verstehe ich richtig, dass ihr hier ein Stück weit einen Coq-Ersatz bieten wollt?
Lea: Das wollen wir uns nicht anmassen. Das Coq hat ein riesiges Loch gerissen, das wir nicht füllen können. Unser Konzept bedingt, dass die Menschen etwas organisieren und ein gemischtes Publikum anziehen. Damit der Raum möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht wird. Bei uns gibt’s aber nicht immer ein Feierabendbier.
Welche Kadenz an Veranstaltungen schwebt euch vor?
Lea: Das ist noch sehr schwer zu kalkulieren.
Marielle: Wir bezahlen Miete und sie muss Ende Monat gedeckt sein. (lacht) Ideen sind verdammt viele da. Aber dann kommt die Realität, und vieles bleibt unerfüllt. Aber – ja, wir haben sogar einen Businessplan gemacht – am Ende müssen wir darauf vertrauen.
Lea: Darin haben wir Annahmen gemacht. Letztlich müssen wir schauen, was sich aus dem organischen Wachstum ergibt. Unsere Hoffnung wäre, dass sich auch regelmässige Vermietungen, wie beispielsweise für einen Tanzkurs, ergeben.
Marielle: Unsere Preisliste umfasst vom Kulturanlass über den Businessevent bis hin zur Ausstellung oder zum Kurs alles. Das KultA soll einfach mal zu leben beginnen.
Ihr habt vom Loch gesprochen, welches das Coq riss. Mit der Paraiba ging ein anderes Lokal für alternative Kultur schon vor der Pandemie zu. Wie kommt Olten aus diesem Vakuum?
Lea: Einen Beitrag zu leisten, ist unser Ziel. Indem wir machen, was uns gefällt.
Marielle: Wir haben sehr tolle Räume, zum Beispiel das Mokka-Rubin. Aber es sind eher Räume, die sich für einen Apéro oder eine Ausstellung eignen. Die Schützi ist für viele zu gross. Wir wollen vom Konzept her wie eine kleine Schwester oder ein kleiner Bruder sein. Darum schaffen wir diesen Raum im Kleinformat.
Lea: Bei uns musst du dich nicht um die Lichttechnik oder die Tonanlage kümmern, weil alles da sein wird. Das ist bei kleinen Räumen oft ein Manko.
Ihr wollt für alle offen sein. Das ist einfacher gesagt als getan.
Marielle: Wir haben schon viele Anfragen. Es hat echt weh getan, wegen den Verzögerungen vielen absagen zu müssen. Wir wollen einfach endlich mal loslegen. Die Ideen gehen uns nicht aus. An diesem Projekt sind wir gewachsen. Jetzt muss Olten daran wachsen.
Ihr lebt die Macherkultur – das Projekt lebt von eurer Eigeninitiative. Soll Kultur eurer Ansicht nach so entstehen, oder bräuchte es mehr städtische Unterstützung?
Marielle: Was ich in Olten schwierig finde: Es ist eine Stadt, die ihr Nachtleben hat und es gibt Menschen, die hier leben …
… die Lärmdiskussion …
Marielle: Ja! Olten ist so eine kleine Stadt, eigentlich ein grosses Dorf. Interessenskonflikte prallen immer wieder aufeinander. Du investierst so viel Energie, um sowas auf die Beine zu stellen, und irgendwann musst du dir überlegen: Will ich dies noch? Vorausschauend lässt sich einiges abfedern. Wir haben uns auch überlegt, wer hier wohnt. Das Kloster hat dicke Mauern. Auf die übrige Nachbarschaft gingen wir proaktiv zu, was das Verhältnis stärkt.
Lea: Für ein Konzertlokal braucht’s schon Idealismus und viel Herzblut. Darum sag ich, dass unser Projekt über Jahre gereift ist. Und wir wissen nicht, ob wir in zehn Jahren noch hier sind.
Marielle: Ich möchte hier noch meine Beerdigung feiern. (beide lachen)
Lea: Mein Vater auch, er hat schon angekündigt, hier seine Abdankung feiern zu wollen.
Aber Kultur gehört für euch in die Stadt, nicht in die Peripherie.
Marielle: Gegenfrage: Was ist Kultur? Alles, was von Menschenhand erschaffen ist. Alles, was wir machen, ist Kultur. Sie gehört nicht an einen spezifischen Ort. Kultur bringt Menschen zusammen und soll für alle zugänglich sein. Wir haben uns auch überlegt, in die Industrie zu gehen. Aber wir finden, wir gehen mit dem öV in den Ausgang, weil wir auch gerne mal eins trinken. Darum ist es gut, alles in Gehdistanz zu haben.
Lea: Wir haben mit der Familie begonnen, in Schweizer Kleinstädten Ferien zu machen. Wir waren in Brugg und Stein am Rhein. Das hat mich veranlasst, Olten mit Touristenaugen anzuschauen. Eigentlich ist’s schon eine verdammt schöne Stadt. Was das Leben betrifft, hat sich schon etwas entwickelt. Mir gefallen jene Kleinstädte, wo das Leben pulsiert. Darum sollte man, auch wenn es manchmal mühsam ist, nicht einfach sagen: Jetzt machen wir nichts.
Marielle: Dieses Jahr hätten wir Grund genug dazu gehabt, aufzuhören. Weil es uns manchmal zu blöd wurde. Doch am Ende sagten wir: Wir lassen uns doch nicht von unserer Idee, von unserem Baby, unserem Träumli abbringen. Wer so denkt, überlebt ein wenig länger, aber es braucht Kraft und Energie. Mein Mami hat immer gesagt: «Fang im Chliine a.»