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Wo der blaue Schatz schlummert

Was trinken wir denn da? Was einfach so aus dem Wasserhahn kommt, steht mit den beiden Agrarinitiativen zur Debatte. Die grosse Wasserkammer der Region Olten liegt unter der Dünnern. Auf der Spur eines fragilen Systems.
27. Mai 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Die Geschichte beginnt da, wo die Segelflieger abheben. Da, wo sich viele Menschen vom Arbeitsalltag erholen und mit Hunden spazieren, sich sportlich betätigen. Und da, wo die Sonne an Sommerabenden von Westen her die Stadt Olten in ein aussergewöhnliches Licht hüllt. Das Gheid ist Oltens überhöhte Ebene, welche das natürliche Wasservorkommen der Kleinstadt hütet. Kaum jemand denkt an diesen Ort, wenn er daheim den Wasserhahn aufdreht und einen kräftigen Schluck nimmt. Alles, was Olten trinkt, kommt von ein und demselben Grundwasserträger. Wer vom Wasserschloss Schweiz spricht, denkt an die Alpen und die vielen Quellen. Sieht den Rhein, die Aare, die Rhone, den Inn und die zahllosen Seen vor sich.

Aber der Wasserreichtum der Schweiz liegt auch in der Tiefe. Zum Beispiel im Gheid. Da fliesst das Grundwasser, das von versickertem Niederschlag, dem Karstwasser aus dem Jura und infiltriertem Dünnernwasser gespiesen wird.

Der Pionier

Erst seit etwas mehr als einem Jahrhundert bildet das Grundwasser unsere Lebensgrundlage. In Olten war Louis Giroud jener Pionier, der 1902 das 15 Meter unter dem Gheid lagernde Dünnerngrundwasser mit dem ersten Pumpwerk erschloss. Noch heute zeugt der stattliche Bau von den Anfängen der Grundwasser-Entnahme. Mit hohen Fenstern und roten Fensterläden erinnert der Bau an ein Feuerwehrmagazin, das gar verloren in der Landschaft steht. Heute wirkt der Bau wie ein Prestigeobjekt aus der damaligen Zeit. Als habe die Stadt das moderne Werk manifestieren wollen.

Denn das Grundwasser-Pumpwerk löste die Quellwasserleitung vom Allerheiligenberg ab, welche die Stadt Olten Ende des 19. und anfänglich des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit mit Wasser versorgt hatte. Wäre es nach dem Oltner Ehrenbürger Louis Giroud gegangen, hätte die Kleinstadt wohl schon früher aufs Grundwasser gesetzt. Bereits 1866 hatte Giroud eine mechanische Werkstätte in Olten gegründet, die unter anderem Pumpen und Wassermotoren produzierte. Später gehörte er zu den Mitbegründern des Elektrizitätswerks Olten-Aarburg, der nachmaligen Atel und heutigen Alpiq.

Giroud fehlte als Verfechter des Grundwassers lange der Rückhalt. Und dies, obwohl in trockenen Jahren in Olten Wasserknappheit normal war. Bei einem Bahnhofsbrand im Jahr 1896 musste die Feuerwehr tatenlos zusehen, weil das Löschwasser knapp war. Dieses historische Ereignis gab den Plänen des ETH-Ingenieurs in der politischen Debatte entscheidenden Schub.

Über ein Jahrhundert später haben wir uns bereits so sehr an das qualitativ hochstehende Wasser gewöhnt. Die Wasserversorgung ist im Zuge unseres Fortschritts selbstverständlich geworden. Sie steht sinnbildlich für unseren Wohlstand, der uns von den weniger entwickelten und wasserärmeren Weltregionen unterscheidet. Rund ein Viertel der Weltbevölkerung hat keinen regelmässigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 785 Millionen Menschen haben noch nicht mal eine Grundversorgung mit Trinkwasser.

Beat Erne am Cartier-Brunnen im Gheid.

Derweil sind Brunnen für uns heute mehr Zierobjekt als Nutzquelle. Das frisch gepumpte Grundwasser sprudelt bei den Hangars der Segelflieger im Gheid aus dem Cartier-Brunnen, der an den gleichnamigen Flugpionier erinnert. Wir treffen hier Beat Erne. Als wir telefonisch einen Termin vereinbarten, fragte ich ihn, wo sich die Grundwasser-Pumpwerke am besten sehen lassen. Ich wisse gar nicht, wo genau das Oltner Wasser entnommen werde. Das sei bewusst so, erklärte er mir. Da gäbe es oberirdisch gar nicht so viel zu sehen.

Die wohlbehütete Ebene

Als Geschäftsführer der Aare Energie AG (a.en), welche die Städtischen Betriebe Olten (sbo) operativ führt und somit die Stadt und mittlerweile auch weitere Teile der Region mit Energie und Wasser versorgt, verwaltet Erne gewissermassen das Erbe von Louis Giroud. Die a.en nimmt die Aufgabe als Hüterin unseres Wassers ernst, wie ich bald spüre. Mit misstrauischem Blick beobachtet Beat Erne, wie eine Frau mit ihrem Hund übers Gheidfeld zieht. «Wir möchten keine Kolibakterien im Grundwasser», sagt er.

Mit den Segelfliegern hat die Wasserversorgerin eine langjährige Vereinbarung abgeschlossen. Andere Nutzungen versuchen die städtischen Betriebe bestmöglich zu unterbinden. Sie würden nicht zulassen, dass die Gheidebene zur Picknickwiese würde. Die Tennisplätze im Gheid müssen in den nächsten Jahren ebenfalls ausweichen, weil sie in der 1998 definierten Schutzzone liegen. Der Tennisclub prüft derzeit – auch im Gheid ausserhalb der Schutzzone – Alternativen. Spätestens wenn der Baurechtsvertrag 2031 ausläuft, muss er eine Lösung gefunden und die bestehende Anlage verschoben oder zurückgebaut haben.

Die Ansprüche an den Grundwasserschutz haben über das letzte Jahrhundert hinweg zugenommen. Im Gheid lässt sich diese Entwicklung an den Pumpwerk-Bauten ablesen. Deren vier sind heute im Gheid in Betrieb. Auf den auffälligen Bau von Louis Giroud folgten 1946 zwei weitere Pumpwerke. Die Aare Energie AG sanierte sie eben erst komplett und stattete sie mit einer Photovoltaikanlage aus. Wie gut getarnte Einfamilienhäuser stehen sie von Hecken umgeben und sicher umzäunt mitten in der Gheidebene. Von den beiden neusten Pumpwerken aus den 90er-Jahren ist aus der Ferne kaum was zu sehen. Ein begrünter Schutzwall verdeckt die Betonbauten, deren Architektur an den Kalten Krieg erinnert.

Erst Nitrat, dann Chlorothalonil …

Es ist wie bei einem Eisberg. An der Oberfläche sehen wir nur einen kleinen Teil des Systems. Aber wir verstehen es immer besser, die Geheimnisse unseres in den Tiefen lagernden Wassers zu entschlüsseln. Parallel zum technischen Fortschritt wuchs seit Giroud der Druck auf die Natur. Nicht nur durch die Landwirtschaft. Die Siedlungen wuchsen ins Grün hinaus und bedingten Abwasserleitungen, Strassen und andere Infrastrukturen. All dies gefährdet das Grundwasser und führte zu Schutzzonen um die Wasserfassungen.

Gleichzeitig sind die strengen Schutzauflagen dadurch getrieben, dass wir immer genauer messen können, was in unserem Wasser drin ist. Und auch besser wissen, wie sich die Grundwasserströme verhalten. «Wie wir anhand der Nitratwerte sehen konnten, ist das Wasser sehr langsam unterwegs. Es dauert lange, bis es vom Gäu nach Olten kommt», sagt Beat Erne. Das vom Menschen als Dünger ausgetragene Nitrat verursacht erhöhte Werte im Trinkwasser. Wie Forscher nachweisen konnten, führt das Nitrat zu einem erhöhten Risiko für Darmkrebs, wenn es im menschlichen Körper verstoffwechselt wird.

Seit den 80er-Jahren ist die erhöhte Nitratkonzentration bekannt. Trotz Massnahmen sind die Werte im Mittelland aber vielerorts noch immer überhöht. In Olten liegt er nach langjährigen Bemühungen der Nitratkommission Gäu-Olten nahe am Zielwert und deutlich unter dem Toleranzwert. «Nitrat ist auch ein Indikator, wie stark das Trinkwasser durch die Landwirtschaft beeinflusst wird», erklärt Erne. «Auch deshalb wird das Trinkwasser engmaschig auf Nitrateinträge kontrolliert.»

Vor zwei Jahren gelangte ein neuer Stoff in den Fokus: das Pflanzenschutzmittel mit dem komplizierten Namen Chlorothalonil. Das Mittel schützt Gemüse vor Pilzbefall und wurde in der Landwirtschaft seit den 1970ern eingesetzt. Erst 50 Jahre später wissen wir, dass der Abbaustoff «wahrscheinlich krebserregend» sein soll, wie der Bund 2019 kommuniziert hatte. Seit vergangenem Jahr ist das Pestizid verboten. Im Schweizer Lebensmittelrecht ist ein Höchstwert für die «relevanten» Abbaustoffe von 0,1 Mikrogramm pro Liter festgehalten.

Diese Menge entsprach zunächst dem tiefst messbaren Wert. Heute können die Labors bereits tiefere Gehalte nachweisen. Die Metaboliten dürften aber erst ab einer deutlich höheren Konzentration gesundheitsgefährdend sein. Vom Chlorothalonil-Produzenten, dem Agrochemiekonzern Syngenta, kam nach dem Verbot Widerstand: Er legte gegen das Verbot des Fungizids Beschwerde ein. Solange das Verfahren hängig ist, dürfen die Metaboliten derzeit nicht als toxikologisch relevant bezeichnet werden, wie das Bundesgericht im Februar verfügte.

Einmal da, kaum wegzukriegen

Auch oder gerade weil die schädlichen Stoffe nicht sichtbar sind, vertrauen viele nicht mehr bedingungslos auf unser Grundwasser. Die Bevölkerung ist sensibilisiert. Eine breite Debatte zur Frage, wie sauberes Wasser und Pflanzenschutz sich vereinen lassen, entbrannt. Forderungen nach Pestizidverboten wurden lauter und kommen im Juni mit den sogenannten Agrarinitiativen gleich doppelt an die Urne. Die eine will synthetische Pestizide verbieten. Die andere will, dass nur noch jene Landwirte staatliche Direktzahlungen erhalten, die ohne Pestizide produzieren, Antibiotika nicht präventiv einsetzen und ihre Tiere mit auf dem eigenen Hof produziertem Futter ernähren.

«Es wird Jahre dauern, bis die Pestizidverbote eine Wirkung haben», sagt Beat Erne im Gheid. Er spricht aus Erfahrung mit den Nitratwerten und dem Wissen über die langsamen Grundwasserströme. Die Aare wirkt dabei wie eine Staumauer auf das Grundwasserbecken Richtung Gäu. «Bei Niedrigwasser in der Aare ist es wie eine Schleuse, die sich öffnet, und bedeutend mehr Grundwasser geht in die Aare», erklärt Erne.

Die Reserven des Dünnerngrundwassers sind immens. Und wo die Dünnern in die Aare übergeht, da beginnt im Untergrund auch das Aaregrundwasser, welches noch mächtiger ist und sich durchs Niederamt bis nach Aarau erstreckt. Zusammengefasst zählen die Grundwasservorkommen in der Region Olten zu den grössten des Mittellands. Nur rund zehn Prozent der Wasserreserven, die im Gheid lagern, pumpt die a.en ab. Eine komfortable Situation. «Das Gheid-Grundwasser ist ein blauer Schatz, zu dem es Sorge zu tragen gilt», sagt Erne.

Quelle: Kanton Solothurn

Trotzdem ist die Versorgungssituation aus Sicht des Kantons nicht optimal. Denn Olten und die Nachbargemeinden hängen zu sehr vom Dünnerngrundwasser im Gheid ab. Im Bedarfsfall könnten die städtischen Betriebe zwar das stillgelegte Pumpwerk Dellen in Trimbach reaktivieren. Dieses liegt mitten im Siedlungsgebiet und nicht mehr in einer Grundwasserschutzzone. Da das Wasser im Aaregrundwasser gefasst wird, würde das Pumpwerk eine Ausweichmöglichkeit bieten, sollte das Gheidgrundwasser verunreinigt sein.

Wie fragil das Wassersystem ist und wie sehr der Kanton Vorsicht walten lässt, zeigte sich 2012, als der Kanton die Dünnern zwischen Wangen und Olten auf einem Abschnitt revitalisierte. Der Kanton kompensierte mit dem naturnah gestalteten Flusslauf die neu erbaute Entlastungsstrasse Region Olten (ERO). Nach erfolgtem Baustart und einem Dünnernhochwasser befürchteten die Behörden, Dünnernwasser könnte das Grundwasser im Gheid beeinträchtigt haben. Obwohl sich dies durch umfangreiche Untersuchungen und einen vorübergehenden Baustopp widerlegen liess, verschob der Kanton die zweite Etappe der Dünnern-Revitalisierung auf den übriggebliebenen 300 Metern Richtung Wangen. Erst wenn Olten nicht mehr vom Grundwasser im Gheid abhängig ist, wolle man den zweiten Teil revitalisieren, verkündete der Kanton daraufhin.

Wie diese Abhängigkeit brechen? 2016 stellte der Kanton den regionalen Wasserversorgungsplan für die Region Olten-Gösgen vor. Das Schlüsselwort des Papiers: Versorgungssicherheit. Sicherstellen will der Kanton diese mit einer Transportleitung, die von Aarau bis ins Gheid reicht. Dadurch hätte die Region Aarau flexiblen Zugang zum Dünnerngrundwasser – und die Region Olten im Gegenzug zum Aaregrundwasser.

Jedem Dorf sein eigener Wasserhahn

Der Kanton ist jedoch primär für Kontrolle und Strategie zuständig – die Versorgung ist seit dem frühen 20. Jahrhundert Sache der Gemeinden. Der Kanton beteiligt sich an regionalen Projekten finanziell mit bis zu 35 Prozent. «Wir versuchen die Türen zu öffnen», sagt Rainer Hug vom Amt für Umwelt. In seiner Position ist Diplomatie gefragt. Fördern statt fordern sei sein Credo. Denn die Wasserversorgung ist eine politisch emotionale Sache. Gerade im Niederamt haben viele lokale Trägerschaften – zum Teil auch Bürgergemeinden – die Wasserversorgung in den Händen. Den Dörfern ist die Autonomie wichtig. Für eine Transportleitung, wie sie der Kanton vorsieht, ist Einigkeit gefragt.

«Wir möchten bewusst nicht den Lead übernehmen, weil ein gutes Einvernehmen besteht und wir gegenüber den kleineren Wasserversorgern nicht dominant auftreten möchten», sagt Beat Erne auf unserem Spaziergang durchs Gheid. Dass eine Vernetzung sinnvoll ist, steht für ihn ausser Frage. Obwohl sich zeigte, dass beispielsweise das Chlorothalonil-Problem durch den Verbund alleine nicht gelöst würde. Die Abbaustoffe sind im Aaregrundwasser nur unwesentlich weniger ausgeprägt vorhanden als im Gheid. «Wir können uns momentan überlegen, wo auf Oltner Boden es möglich wäre, unseren Teil der Leitung zu legen», sagt Erne.

Beat Erne vor den neusten zwei Pumpwerken im Gheid, die von einem Sicherheitszaun geschützt sind.
Bruno Eng vor dem Pumpwerk, das im idyllischen Schachen fast ein wenig an eine Kapelle erinnert.

Von der Transportleitung abgesehen, beinhaltet die regionale Wasserplanung des Kantons zwei neue Grundwasserpumpwerke. Eines haben die Gemeinden Schönenwerd und Gretzenbach im Aarefeld bereits realisiert. Das andere ist im Obergösger Schachen vorgesehen. Wir treffen Brunnenmeister Bruno Eng in der Obergösger Industriezone gleich neben der alten Aare, wo er die eigene Maschinenbaufirma führt. In Sichtdistanz ist quer übers Feld neben dem Aarekanal das idyllisch im Wald eingebettete Pumpwerk zu sehen. Seit bald dreissig Jahren schon betreut Eng die Anlage im Dienst der Bürgergemeinde.

In wenigen Jahren läuft die Konzession für das Pumpwerk aus und der Kanton wird sie nicht verlängern. Das Pumpwerk erfüllt die nach neustem Stand geltende Schutzzone nicht mehr, die Siedlung ist zu nah. Sie liegt im Grundwasserstrom, der vom Jura her kommt, wie Eng uns anhand der Karte beim Pumpwerk erklärt. Die neue Grundwasserfassung ist rund 300 Meter weiter südlich geplant, mitten auf dem Feld. Das sei der letzte freie Fleck, auf dem sich eine Schutzzone nach heutigen Massstäben einhalten liesse.

«Wir haben sehr mineralhaltiges Wasser, da sind bestimmt nicht weniger Mineralien drin als im Lostorfer Quellwasser», sagt er nicht ohne Stolz. Auch am hohen Kalkgehalt im Wasser lässt sich die Nähe zum Jura ablesen – die Pumpen sind von den weissen Rückständen gezeichnet. Bruno Eng öffnet den Schacht und leuchtet in die Tiefe hinunter. Ob denkbar wäre, dass Obergösgen auf ein neues Pumpwerk verzichtet und sich dem Aarefeld anschliesst, frage ich. «Halt, wir wollen eine eigene Wasserversorgung haben», sagt er sogleich. Sich zu vernetzen, erachtet aber auch er als sinnvoll. So bedient Obergösgen etwa auch Lostorf mit Wasser.

Bezüglich der Transportleitung nach Olten vertritt er eine klare Haltung: «Es kann nicht sein, dass wir Wasserversorger diese Leitung bauen müssen. Sie müsste über die Wasserbezüger finanziert werden», spricht er im Namen der Bürgergemeinde. Er fordert denn auch eine eigene Netz AG. Und hat noch eine kühne Idee. Weshalb die Leitung nicht einfach in den Kanal oder gar in die Aare legen? Somit müsste nicht aufwendig der Boden aufgerissen werden und die Kosten fielen wesentlich tiefer aus.

Alles hängt zusammen

Fünf Jahre sind ins Land gezogen, seitdem der Kanton die regionale Wasserplanung präsentierte. «Sie gilt noch immer als Leitlinie», sagt Rainer Hug vom Amt für Umwelt. Durch die Chlorothalonil-Problematik hätten sich die Prioritäten bei den Wasserversorgungen kurzfristig verschoben. Aber für Hug ist klar: «Die Transportleitung ist unumgänglich, um künftig bei ähnlichen Herausforderungen besser gewappnet zu sein.» Bis die Verbindung realisiert wird, dürften aber noch einige Jahre verstreichen.

Parallel plant der Kanton derzeit das Projekt «Lebensraum Dünnern Oensingen bis Olten, Hochwassserschutz und Aufwertung». Die ausbleibenden 300 Meter gegen Wangen hin seien darin enthalten, erklärt Projektleiter Roger Dürrenmatt am Telefon. Frühestens 2030 könnten die Bauarbeiten an der Dünnern beginnen. «Primär ist es ein Hochwasserschutzprojekt», betont Dürrenmatt. Im Zuge dessen wird die Dünnern zugleich auf den 19 Kilometern etappenweise naturnah aufgewertet. Unabhängig davon, welche der beiden Hochwasserschutz-Varianten umgesetzt würde. Das eine Konzept sähe eine grosse Hochwasser-Rückhaltegrube südlich von Oensingen vor – das andere bauliche Anpassungen am Dünnerngerinne, die ein «Durchleiten» eines Jahrhunderthochwassers bis nach Olten in die Aare erlauben.

Kaum noch Lebensraum: Die kanalisierte Dünnern in Olten, kurz bevor sie in die Aare mündet.

Herausforderung Klimawandel

Am Ende brauche es eine «politisch austarierte Lösung», sagt Dürrenmatt. Auch hier ist vom Kanton Diplomatie gefragt. Denn die Ansprüche sind ungemein vielfältig. Die Landwirtinnen befürchten durch den naturnahen Ausbau des Flussbetts grössere Landverluste. Umweltverbände fordern einen grosszügigen Ausbau im Sinne der Biodiversität. Und zugleich gilt es, für das Projekt den Spagat des Klimawandels zwischen den Extremereignissen zu bewältigen.

«Jene Tage, an welchen die Dünnern wenig Wasser hat, machen viel mehr aus als die Hochwasser-Ereignisse», sagt Dürrenmatt. Darum brauche es auch eine Niederwasserrinne, um einen konzentrierten Abfluss bei geringer Wassermenge sicherzustellen. Seit der Melioration – also der Kanalisierung der Dünnern – in den 40er-Jahren gab es keine grösseren Hochwasser mehr im Gäu. Und doch plant der Kanton ein derart umfangreiches Hochwasserschutzprojekt? Roger Dürrenmatt erklärt die Wahrscheinlichkeit für ein Jahrhunderthochwasser mit einem Bild. «Es ist wie Würfeln mit hundert Seiten. Du kannst achtzig Jahre daran vorbeiwürfeln, aber irgendeinmal kommt das Hochwasser. Und dann müssen wir unsere Hausaufgaben erledigt haben.»

Dem gegenüber stehen lange Trockenphasen, wie die Klimamodelle sie prognostizieren. Ab 2060 muss der Kanton im Gäu mit einer negativen Wasserbilanz rechnen. Könnte die Landwirtschaft, wenn dieser Fall eintritt, womöglich auf die reichen Grundwasserreserven zurückgreifen? «Momentan ist dies noch keine Option», sagt Rainer Hug vom Amt für Umwelt. Die Trinkwassernutzung hat Priorität. Zudem will der Kanton zunächst untersuchen, wie sich die Grundwassermengen künftig entwickeln könnten und wie gross der Wasserbedarf der Landwirtschaft sein könnte. «Es sollten nicht mehr als zwischen zwanzig und dreissig Prozent des Grundwassers entnommen werden, um die Reserven langfristig nicht zu übernutzen», sagt Hug. Noch sind unsere natürlichen Reservoirs weit mehr als halbvoll.


Pflanzenschutz und sauberes Trinkwasser: Glaubst du, dass beides möglich ist?

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