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Antikörper für die Mitte

Das gesellschaftliche Immunsystem schützt uns vor den Risiken der Zukunft. Diese bedrohen unsere Körper, Unternehmen, Medien und Maschinen. Was kann die Mitte tun, um sich besser zu schützen? Zum Beispiel könnte sie ihre Menschen, ungenutzten Räume und unsere Vergangenheit besser sichtbar machen.
18. März 2021
Text: Joël Luc Cachelin, Illustration: Karsten Petrat

Im letzten Gedankenspiel zur Zukunft habe ich über neue Märkte für die Mitte nachgedacht. Ebenso könnte man über das künftige Zusammenleben nachdenken. Ein wichtiger Aspekt dieser Perspektive ist die Frage, wie sich die Mitte gegen die Risiken der Zukunft absichert. Diese bedrohen unsere Körper, Unternehmen, Medien und Maschinen. Wie könnte die Mitte ihr gesellschaftliches Immunsystem stärken? Ich habe drei Vorschläge, die unser Zusammenleben und dadurch unsere Zuversicht verbessern könnten.

Menschen und ihre Ideen sichtbar machen

Wir schützen uns erstens vor sozialen Risiken, indem wir einander wahrnehmen und miteinander sprechen. Möglichst wenig Menschen sollen sich einsam fühlen, sich in Internetforen düsteren Verschwörungserzählungen hingeben. Das setzt einerseits attraktive und bezahlbare Treffpunkte voraus, wo wir gerne Zeit miteinander verbringen. Ein schönes Kaffee an der Aare – mit selbst gemachten Süssigkeiten. Ein attraktiver Spielplatz – ohne Plastik, ohne Red-Bull-Dosen am Boden. Hier lernen wir im Idealfall auch neue Leute kennen. Anderseits braucht es digitale Plattformen wie Kolt. Wenn wir sehen, wer in unserer Nähe lebt, schafft das Vertrauen und Gelegenheit, etwas gemeinsam zu unternehmen, etwas gemeinsam neu zu erfinden. Genauso könnte es an Bahnhöfen und Busstationen Bildschirme geben, wo Menschen aus der Stadt sich in ein paar Sätzen vorstellen. Ein QR-Code könnte zu ihrem Profil in den sozialen Medien führen.

Räume zwischennutzen, Abfälle verwerten

Wir schützen uns zweitens vor ökologischen Risiken, wenn wir unsere Ressourcen zusammen besser nutzen. Zwar gibt es globale Kräfte, die wir als Mitte nur wenig beeinflussen können. Aber wir alle können etwas dazu beitragen, dass es weniger leerstehende Fabriken und Häuser gibt, dass weniger Bohrer und Scanner ungenutzt rumstehen, dass weniger weggeworfen wird. Unser aller Ziel könnte es es sein, dass irgendwann nichts mehr verbrannt wird. Die Mitte sollte wöchentlich unser Altglas, -aluminium und -plastik einsammeln. Sie sollte eine Plattform haben, auf der wir unsere Räume zur Zwischennutzung anbieten können. KMUs vernetzt sie miteinander, um die Kreislaufwirtschaft in Gang zu bringen. Für das Café sind Orangenschalen Abfall, jemand anderes kann daraus Verpackungsmaterial herstellen. Genauso lässt sich aus Kaffeesatz Dünger produzieren. Gemeinsam genutzte Häuser und Ressourcen schaffen überraschende Anlässe, uns zu unterhalten.

Aus der Vergangenheit lernen

Zukunft hat viel mit Vergangenheit zu tun. Einerseits ist unsere Gegenwart durch die Ereignisse, Menschen und Ideen der Vergangenheit entstanden. Anderseits verbergen sich in unserer Geschichte ungenutzte Innovationspotenziale. Sie finden sich vor allem dort, wo frühere Ideen aus irgendwelchen Gründen verworfen wurden. Die Verwaltung, die Unternehmerinnen und Expertinnen der Mitte könnten deshalb prüfen, wie man sich vor 50, 100 oder 150 Jahren die Zukunft von Aarau, Olten, Zofingen und Däniken vorgestellt hat. Welche Visionen gab es für das Gastgewerbe, die Mobilität, die Museen? Wie dachte man, dass wir uns ernähren, übernachten, uns amüsieren würden? Um diese Vergangenheit sichtbar zu machen, könnten wir uns in Archiven umsehen und diese darin unterstützen, ihre Bestände in digitale Verzeichnisse zu bringen.

Die Mitte – was meine ich damit?
Meine ganz persönliche Mitte liegt in der Nähe meiner beiden schwarzen Katzen, meines Schlaf- und Schreibzimmers – und die befinden sich in Dulliken. Zu dieser Mitte gehört auch der Bahnhof Olten, der mich vom elften Gleis nach Bern, vom siebten nach Zürich, vom zwölften nach Luzern und vom zehnten nach Basel führt. Diese Mitte liegt in Zwischenräumen. Es ist ein Viereck mit den Ecken «Lenzburg», «Liestal», «Sursee» und dem Moment, wo ich auf der Neubahnstrecke Richtung Bern in den ersten Tunnel eintauche.


Wie können wir lokal das Zusammenleben verbessern?

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