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«Auch wer sich integriert, kann etwas aus der eigenen Kultur weitergeben»

Die 23 Sternschnuppen öffnen auch dieses Jahr kulturelle Türchen in eine andere Welt. Mit der Lhakar-Tanzgruppe des Begegnungszentrums Cultibo ist auch die tibetische Kultur vertreten. Das Gesicht hinter dem Projekt: Pema Sonam.
26. November 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Wer nie ruht, vergisst die Zeit. Und altert nicht? Pema Sonam eilt durch die Eingangstür vom Cultibo. Wache Augen, faltenloses Gesicht. Wie ein Wasserfall beginnt sie aus ihrem Leben zu erzählen.

Wie lange sie schon in der Schweiz lebt? Kurz muss sie nachdenken, lachen. 18 Jahre. 18 Jahre schon in der Schweiz.

Damals kam sie nach Matzendorf ins tiefe Thal. Hinter den Jurahügeln fühlte sie sich mit ihrer Familie geborgen. Die Weite des Thals erinnert sie ein wenig an das tibetische Hochland. Pema wuchs aber als Tochter von Exil-Tibetern in Südindien auf. Die stark gläubige Mutter stammte aus dem Osttibet, der Vater aus Zentraltibet. Wenn sie sich an jene Zeit besinnt, klingt dies, als würde sie aus einem früheren Leben erzählen.

Nimmermüde

Mit einem abgeschlossenen Studium in Businessmanagement kam sie in die Schweiz. Pema Sonam sprach fliessend Englisch und ein wenig Hindi. Sie blickte kaum zurück, denn dafür hatte sie in ihren Lebensplänen keinen Platz. Aber sie vergass nicht, woher sie kommt. «Tief in meinem Herzen trage ich die eigene Kultur mit. Auch wer sich integriert, kann etwas aus der eigenen Kultur behalten und weitergeben», sagt sie.

Nach diesem Prinzip lebt sie, seit sie in die Schweiz gekommen ist. Über die bald zwei Jahrzehnte hinweg initiierte Pema Sonam eine Fülle an Projekten. Im Cultibo in Olten fand sie eine Plattform, um sich auszutauschen und ihre Ideen zu entfalten. Kaum noch vermag sie zeitlich einzuordnen, wann was in ihrem Leben vonstattenging.

Begonnen hatte sie mit dem Mittagstisch und dem Café International. Vor neun Jahren gründete und leitete sie in Olten die Tibetische Schule. Rund achtzehn Kinder besuchen heute die Schule und werden dort mit der tibetischen Sprache und Kultur vertraut gemacht. «Für jene, die nur die Muttersprache sprechen, will ich eine Brücke sein», sagt sie. Heute führt sie einen Femmes-Tisch, an welchem sich Frauen mit verschiedensten kulturellen Hintergründen austauschen und über Familie, Integration und Gesundheit sprechen. Und im Bereich der Früherziehung unterstützt Pema Sonam tibetische Familien über das Projekt «Schenk mir eine Geschichte». Es soll helfen, die Erstsprache der Kinder vor dem Kindergartenalter zu stärken, damit sie später schneller Deutsch als Zweitsprache erlernen.

23 Sternschnuppen: Zehn Jahre voller Überraschungen

Der Oltner Kultur-Adventskalender feiert in diesem Jahr seinen runden Geburtstag. Vom 1. bis 23. Dezember gilt auch dieses Jahr wieder jeden Abend: Bühne frei! Zu sehen sind 23 Kulturhappen – das Programm ist bekannt, nicht aber, wer an welchem Abend auftritt. Die Kulturanlässe finden dieses Jahr in der Stadtkirche, der Schützi und an einem Abend im Stadttheater statt (jeweils 18.15-18.45 Uhr). Den runden Geburtstag feiern die 23 Kulturveranstalterinnen mit einer «Nacht der langen Sternschnuppen» am 18. Dezember. Eintritt frei, Kollekte. Weitere Infos

Pema Sonam kennt die tibetische Gemeinschaft der Region besser als sonst wer. Und alle kennen sie. «Ich bin fast wie die Grossmutter für sie», sagt sie. Schon früh nach ihrer Ankunft in der Schweiz war sie in die diplomatische Rolle gerutscht. Wo sie nur konnte, half sie geflüchteten Familien, die nur Tibetisch sprachen, indem sie freiwillig als Sprachmittlerin fungierte. Noch heute erhält sie manchmal Anrufe – selbst aus Schwyz – von Menschen, die um ihre Hilfe bitten. Mittlerweile konnte Pema Sonam ihre sprachlichen Fertigkeiten zu ihrem Beruf ummünzen. Sie befolgte den Rat der Behörden: Sie solle die Dolmetscherschule absolvieren, der Bedarf sei gross. Und so reist die Exil-Tibeterin täglich zwischen vier Kantonen von Termin zu Termin, um als Dolmetscherin zu wirken. Mal ist es ein Arztbesuch, mal ein Behördengespräch.

Sie wirkt nimmermüde. Neben all ihren Projekten zog Pema Sonam ihre drei Kinder auf. Zwischenzeitlich hatte sie mit ihrem Lebenspartner zudem das tibetische Restaurant «Little Tibet» aufgebaut und geführt. Kurzum absolvierte sie dafür das Wirtepatent. Mit dem Tod ihres schwer an Krebs erkrankten Lebenspartners gab Pema Sonam das Lokal an eine andere tibetische Familie weiter. Selbst dieser Rückschlag konnte ihr die Kraft nicht nehmen.

Erinnerung an die Kindheit

«Aber du willst mich bestimmt noch fragen: Der Lhakar-Tanz, was ist das?», sagt sie. Ihre Wangen füllen sich, die Augen leuchten. Die Tanzgruppe ist eine ihrer neusten Ideen. Das Cultibo habe sie angefragt, ob sie nicht etwas machen könnte, um die Menschen anzuziehen, die noch zurückhaltend sind, sich nicht über den sprachlichen Austausch gewinnen lassen. «Warum nicht tanzen?», habe sie gefragt. Mit dem traditionellen tibetischen Tanz verbindet Pema Sonam Kindheitserinnerungen.

Lhakar ist in Tibet eine Bewegung – auf Deutsch «weisser glücksverheissender Mittwoch». Sie ist an den Mittwoch angelehnt, jenen Wochentag, an welchem Dalai Lama zur Welt kam. In Tibet ist er zum Tag des stillen Protests geworden, an welchem die tibetische Kultur gelebt wird. Sei es kulinarisch, mit einem Klosterbesuch oder eben dem Tanz in traditioneller Kleidung. «Wir tanzen solidarisch mit dem Tibet, indem wir die Kultur leben», sagt Pema Sonam. Der Tanz öffne die Türen für neue Menschen und dabei liessen sich andere Hormone ausschütten, lacht sie.

Die Anfrage für die 23 Sternschnuppen bedeutete ihr viel. Es wird der erste Auftritt ihrer Tanzgruppe. Sie werden ihre Tänze als bunte Gruppe mit verschiedensten privaten Trachten darbieten. Pema Sonam hat bereits die nächste Idee. «Mit der kleinen Gage, die wir erhalten, wollen wir neue Kostüme für unsere Lhakar-Tanzgruppe kaufen.»


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