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Aus dem Takt geraten

Der Holz- und der Möbelbauer, die Metallwerkstatt, der Landschaftsgärtner und die Schokoladenfabrik: Wie spüren die Betriebe aus der Region die globalen Lieferengpässe?
17. November 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Jederzeit alles kriegen, wann immer wir möchten. Für uns war es das neue Normal. Selbst bei Luxusgütern. Bei Dingen, die wir nicht für unseren alltäglichen Bedarf benötigen. Die Pandemie rüttelte an dieser Gewohnheit. Der Warenfluss begann zu stocken. Lieferketten stauen sich. Güter sind knapp geworden.

Der Grund war teilweise offensichtlich – wie etwa beim Toilettenpapier, wo Angstkäufe eine Knappheit erzeugten. In unserem alltäglichen Konsum hat sich die Situation mittlerweile weitgehend normalisiert. Hinter den Kulissen aber ist der Welthandel noch lange nicht im Lot.

Zu spüren bekommen dies alle Branchen, die vom Rohstoffhandel abhängig sind. Auch die lokalen Handwerker, Baufirmen und die Industriebetriebe aus der Region Olten, die weltweit tätig sind. Die Mechanismen, die hinter den Lieferengpässen stecken, sind vielseitig und komplex. Staus vor Häfen, Mangel an Containern und Lastwagenchauffeusen: Die NZZ veranschaulichte, wo die Probleme liegen. Und das Oltner Tagblatt berichtete, wie sich die Wirtschaftslage auf Transportfirmen ausgewirkt hatte.

Holzbau: Angstkäufe trieben den Preis

Mit den unmittelbaren Folgen haben die Produktionsbetriebe zu kämpfen. Die Stimmungslage ist unterschiedlich, die Probleme je nach Branche oder gar je nach Unternehmen individuell, wie unsere Umfrage bei den Firmen zeigt. In gewissen Bereichen hat sich die Lage bereits entspannt. Etwa im Holzbau. Als der Holzpreis in den USA vor ein paar Wochen wieder sank, wirkte sich dies unmittelbar auf den Markt in Europa aus, erzählt der Geschäftsführer eines der führenden Holzbau-Unternehmen in der Region. Er möchte nicht mit Namen genannt sein, weil das Geschäft gut läuft und er nicht für den eigenen Betrieb werben möchte. «Wir können im Moment gar nicht alle Offerten beantworten.»

Der neue Hauptsitz der Aare Energie AG. Der Bau ist im Fahrplan – mit den Rohstoffpreisen hatte man teilweise zu kämpfen.

Trotz gutem Geschäftsgang hat der lokale Holzbauer ein turbulentes Jahr hinter sich. «Materialien, für die wir zuvor Lieferfristen von nur einer Woche hatten, erhielten wir plötzlich erst innerhalb von zweieinhalb Monaten», erzählt der Geschäftsführer. Der Preis für gewisse Holzarten lag zwischenzeitlich bei 250 Prozent verglichen mit dem vorherigen Handelspreis. Statt 16 kostete ein Quadratmeter plötzlich 40 Franken. «Es verhielt sich wie beim WC-Papier», sagt er. «Auch wir haben Angstkäufe gemacht.» Der Markt werde nun versuchen, den Preis hochzuhalten, glaubt der Holzbau-Unternehmer. Deshalb würden sie auf keinen Fall grössere Lagerbestände anlegen, um den Druck auf die Händler zu erhöhen. Die meisten Preise haben sich normalisiert. Für aus dem Ausland gelieferte Holzwerkstoffplatten sind die Lieferfristen jedoch hoch geblieben – bei rund drei Monaten.

Nicht bloss die Lieferketten verzögerten auf dem Bau die Arbeit, glaubt der Geschäftsführer der lokalen Holzbau-Firma. Auch die Planerarbeiten gerieten in Rückstand. Der Grund ist für ihn naheliegend: «Im Homeoffice war die Leistungsfähigkeit der Leute weniger gross.»

Die rasche Rückkehr zur «Normalität» überraschte den Geschäftsführer daher. Sein Unternehmen habe davon profitiert, dass es wenn immer möglich Schweizer Holz verbaut. Zudem pflege man die Beziehung zu den Lieferanten. «Wir bezahlen alle Rechnungen immer pünktlich, so bist du nicht am Ende des Rattenschwanzes, wenn es darauf ankommt.» Viele Schweizer Schreinereien seien mit Anfragen überhäuft worden.

Weniger angespannt war die Lage für die lokale Möbelbau-Firma «made by innenausbau augsburger». Holzwerkstoffe seien für ihre Produkte mehrheitlich verfügbar und zahlbar geblieben, schreibt Beat Augsburger auf Anfrage. Auch weil sie ihre Produkte im inländischen Markt einkaufen, der sich hauptsächlich durch europäisches Holz speise. Nur die Lieferzeiten haben sich verändert. «Wir werden nicht mehr so verwöhnt wie früher.» Bis am späteren Nachmittag bestellte Ware erhielt der Betrieb zuvor meist schon am nächsten Tag. Tempi passati. Für das System sei dies nicht unbedingt negativ, findet Augsburger. Lager anlegen sei für seine Firma keine Option. «Wir müssen die Lager der Holzproduzenten so voll werden lassen, dass diese die unfaire Marktverzerrung mit künstlich knapp gehaltener Ware nicht weiterführen können.»

Der kaputte Reissverschluss

Die Verzögerungen auf dem Bau, sie sind Dominik Fischers grösste Sorge. Die Auftragslage war vielversprechend und eigentlich ging der Unternehmer davon aus, seine Metallwerkstatt wäre im zweiten Jahr der Pandemie gut ausgelastet. Es kam anders. «Wir können auf den Baustellen den Zeitplan oft nicht einhalten, weil vorausgehende Handwerker wegen fehlender Materialien in Verzug sind», sagt der Geschäftsführer der Firma aus Dulliken. «Auf einer Baustelle gehören so viele Teile dazu, bei denen der Takt nicht mehr stimmt.» Das sei wie bei einem defekten Reissverschluss, der sich wegen eines fehlenden Zahns nicht mehr schliessen lässt.

Anders als der Name der Metallwerkstatt vermuten lassen könnte, arbeitet die Firma von Dominik Fischer mit verschiedensten Materialien. «Wir sind die Handwerker, die individuell bauen, was der Kunde wünscht», sagt er. Dadurch hat er einen differenzierten Blick auf die Situation der einzelnen Rohstoffe – sein Betrieb benötigt meist nicht sehr grosse Mengen der einzelnen Materialien. Die Knappheit sei vor allem bei Holz, Glas, Kunststoffen und Textilien spürbar.

Im Bereich der Metalle sei es spezifisch unterschiedlich. Er macht dafür zwei Beispiele: Baustahl ist momentan rund 30 Prozent teurer als vor der Pandemie. Wesentlich drastischer ist die Lage auf dem Markt für Blech, das zwei bis zweieinhalb Mal teurer ist. Weshalb dies so ist, weiss Dominik Fischer nicht in jedem Fall, weil er die Lieferketten nicht weit zurückverfolgen kann. Er bezieht beispielsweise seinen Stahl von einem Händler, welcher den Werkstoff wiederum auf dem internationalen Markt importiert, ein Teil komme auch von einer Schweizer Firma. Er als Produzent müsse sich letztlich auf die Zertifikate verlassen können. Der Trend für die nähere Zukunft sei klar: Die Materialien werden tendenziell nicht günstiger werden, die Transporte schon gar nicht. Und: «Die Planbarkeit hat massiv abgenommen», sagt Dominik Fischer.

Alle wollen eigenes Obst

Abseits der Weltmärkte sorgte die Pandemie für weitere aussergewöhnliche Phänomene. Gartenbauer Oliver von Arx konnte seine Kundinnen in diesem Jahr kaum noch mit Obstbäumen versorgen. Nicht weil die Lieferketten verrücktspielten. Sondern wegen der explodierenden Nachfrage. «Die Menschen bewegten sich wegen der Pandemie in Richtung Selbstversorgung», sagt der Oltner Gartenbauer.

Die grösseren Obsthändler in der Schweiz mussten auf Baumschulen in Holland oder Deutschland ausweichen. Unabhängig der Pandemie nimmt im Gartenbaubetrieb von Oliver von Arx generell die Nachfrage nach einheimischen Arten zu. «Durch die Debatte rund um die Biodiversität wollen die Menschen vermehrt einheimisches Gehölz», sagt er. Und während früher beispielsweise Granitsteine aus China kamen, bestellen die Kunden nun eher Granit aus Portugal, Polen oder der Schweiz. Sie seien eher bereit, dafür den Aufpreis zu bezahlen.

Die Schokolade fliesst

Wie gehen die grösseren Firmen, die Rohstoffe auf dem Weltmarkt beziehen und ihre Produkte dann weiterverkaufen, mit der Situation um? Antworten darauf blieben weitgehend aus. Sowohl die Seilbahnkabinen-Herstellerin CWA wie auch die mit ihren hochwertigen Tasten, Tastaturen und Bedienelementen weltweit tätige EAO und das Haustechnik-Unternehmen Nussbaum verzichteten auf eine Stellungnahme. Vor allem aus zeitlichen Gründen. Die für den Rohstoffzukauf zuständigen Stellen seien derzeit stark ausgelastet, liess etwa die Medienstelle der EAO verlauten.

Eine schriftliche Antwort lieferte die in Kilchberg ansässige Lindt & Sprüngli, die in dieser Jahreszeit wieder die Stadt Olten mit ihrer Kakaomasse-Produktion in bittersüssen Duft hüllt. Eben erst hatte die Schokoladenfabrikantin angekündigt, den Standort in Olten auszubauen. Zum jetzigen Zeitpunkt könne Lindt & Sprüngli die Lieferkette gewährleisten. Die Firma stelle keine allgemeine Knappheit fest. Mit einer «vorausblickenden Einkaufsstrategie» würde die «langfristige Verfügbarkeit unserer Rohstoffe» abgesichert. Mit einem eigenen Farming Program kann das Unternehmen seit letztem Jahr 100 Prozent seiner Kakaobohnen zurückverfolgen (rund 80’000 Kakaobauern weltweit).

Transparenzhinweis: Die angefragten Firmen sind zufällig ausgesucht.

Erfahre mehr zu den internationalen Lieferketten: John P. Manning von der Fachhochschule Nordwestschweiz sagt im Interview, was auch kleinere Betriebe bei Lieferengpässen tun können.


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