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Bling Bling all natural

Schon mal von den tödlichen Machenschaften des Bienenwolfs gehört? Und dass in Olten ein regelrechtes Insektenparadies existiert? Katrin Luder und Bähram Alagheband kennen sich aus. Auf Käfersuche in Olten Südwest.
1. März 2022
Text: Jana Schmid, Fotografie: Timo Orubolo, Bähram Alagheband
Bienenwolf in Olten Südwest

Eine Honigbiene wird mit einem gezielten Stich gelähmt, abtransportiert und in eine vorbereitete Sandhöhle gesteckt. Noch lebt sie, ist aber wegen des Gifts in ihrem Körper unfähig, sich zu bewegen. Hilflos wird sie am ganzen Leib abgeleckt. Der Speichel sorgt dafür, dass ihr regungsloser Körper später nicht schimmelt.

Dann wird sie gefressen. Langsam, Stück für Stück, bei lebendigem Leib. Von einer Larve. 

Das alles spielt sich vielleicht vor deiner Haustür ab. Jeden Sommer, mehrmals täglich.

«Man muss nicht weit reisen, um dramatische Szenen aus der Insektenwelt zu beobachten», sagt Bähram Alagheband und packt seine Kamera und eine zusätzliche Jacke aus dem Rucksack. Noch fegt ein kalter Nordwind über Olten Südwest hinweg. Wir hoffen, dass er bald nachlässt. Insekten brauchen Sonne und Windstille noch mehr als wir. 

«Der Bienenwolf ist brutal», sagt Katrin Luder und streckt mir ein aufgeschlagenes Buch hin. Sie trägt Regenjacke und Wanderschuhe und drei Bücher im Rucksack. Dieses hier heisst «Pareys Buch der Insekten». Philanthus triangulum steht da unter der Skizze eines wespenähnlichen Tieres. Deutsch: Bienenwolf. Er ist es, der seine Larven mit Bienen füttert, die er vorher gelähmt und abgeleckt hat. Makaber? «Ja, schon. Und sehr faszinierend.» 

Das Tier wird immer seltener, sein bevorzugter sandiger Lebensraum muss in Europa zusehends Bauprojekten weichen. In Olten Südwest findet man ihn noch.

Der Himmel klärt etwas auf, während wir die Köpfe über dem Insektenbestimmungsbuch zusammenstecken. Ein gutes Zeichen. 

Das Biotop an der Dünnern

Bähram Alagheband und Katrin Luder widmen einen grossen Teil ihrer (Frei)zeit den Insekten. Er als Fotograf und Hobby-Entomologe, sie als Biologin. Als Duo «Käfer und kundig» touren die Oltnerin und der Solothurner mit bildgewaltigen Vorträgen durch die Schweiz und erzählen Geschichten aus der Insektenwelt. 

Heute nehmen sie uns mit auf eine Tour durch Olten Südwest, wo die beiden schon viele Stunden in den denkbar unbequemsten Körperhaltungen verbracht haben. 

Der Ort eignet sich nicht nur, weil Katrin in Olten wohnt und unsere Redaktion ganz in der Nähe ist, sondern primär, weil das Naherholungsgebiet in der ehemaligen Kiesgrube so etwas wie ein Insekten-Hotspot ist. 

Kieselsteine, Dornenbüsche, Sandhaufen, ein paar Tümpel – brauchen Insekten nicht eher saftige Wiesen?

«Das ist ein weit verbreiteter Irrtum», sagt Katrin. «Auch wenn die Umgebung etwas trostlos aussieht: Die Bedingungen für viele Insektenarten sind hier ideal.» 

Sie erklärt, dass es vor allem die Auenlandschaften sind, natürlicherweise Gebiete an den Ufern mäandrierender Flüsse, die in Europa fast gänzlich verschwinden. Natürliche Flussläufe haben keinen Platz mehr in der heutigen Raumplanung. Damit ist der Lebensraum zahlreicher Arten bedroht. Olten Südwest ist einer Auenlandschaft in gewisser Hinsicht ähnlich. Und weil sich hier sowohl trockene Kiesel als auch Weiher und altes Holz finden lassen, haben sich auf kleinem Raum sehr viele verschiedene Insektenarten angesiedelt. 

Entsprechend besorgt blickt Katrin auf die Pfosten, die die Auszonung für eine Vergrösserung der Überbauung Olten Südwest anzeigen. 

Es werde hier wichtiger Lebensraum verloren gehen, sagt Katrin, auch wenn weiter hinten eine Fläche zur Kompensation angelegt wird. «Ein Ökosystem braucht Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, bis es das ist, was es ist. Das geht verloren, wenn es überbaut wird – Ausgleichsfläche hin oder her», sagt sie, die beruflich im Naturschutz tätig ist. «Und wo mehr Häuser sind, sind auch mehr Menschen, Hunde, Katzen, Grills und ferngesteuerte Autos, die sich im Gebiet tummeln. Auch das ist nicht gerade förderlich für die Artenvielfalt.»

An diesem Februarnachmittag sind nur wenig Menschen unterwegs. Einsam joggt ein Mann über die Fläche. Bähram und Katrin beachten ihn nicht – ihre Blicke sind gesenkt, seit wir vom Teerplatz auf den kiesigen Spazierweg gelangt sind. Magere Vegetation, Steine und Hundekot säumen den Pfad. 

«Schau hier, ein verpupptes Widderchen», sagt Bähram und kniet sich ins braune Gras. Seine Schiebermütze hat er umgedreht, sodass sie beim Fotografieren nicht im Weg ist. «Das ist nur noch der Kokon», sagt Katrin, «daraus ist schon ein Schmetterling geschlüpft». Bähram knipst trotzdem einige Fotos. Seine Kamera ist mit Blitz und einem Schirm aus Karton ausgestattet, der das Blitzlicht fein auf die Bildsujets verteilt. Wir schauen uns den rot gepunkteten Falter, der hier geschlüpft sein muss, in Katrins Buch an.

Goldwespe in Trimbach
Widderchen in Olten Südwest

Action in winzig

Im Weiher schwimmt eine Köcherfliegenlarve, die sich einen Panzer aus Schilf gebaut hat. Nur ihr Kopf ragt hervor, winzig klein unter dem mächtigen Schutzschild. Wir schauen ihr beim Tanzen zu, als sich eine Zikade mit einem rettenden Sprung auf die Wasseroberfläche vor uns, der drohenden Gefahr am Ufer, schützt. Da steht sie also, auf dem Wasser, und hofft, dass ihr Feind nicht schwimmen kann.

Katrin hält Bähram am Rucksack fest, als er sich und seine Kamera beeindruckend nah ans Wasser bringt. Bährams Fotosujets sind nie gestellt: Insekten zu berühren, umzuplatzieren oder gar zu töten sei ein Tabu, sagt er. Selbst das Gras, auf das er sich legt, stellt er mitunter wieder auf. 

Die Geschichten, die die beiden erzählen, hören sich an wie Krimis – oder wie Science-Fiction: 

Eine Gallwespe spritzt ein Sekret in das Gewebe eines Rosenbusches. Möglicherweise trennt dieses die DNA der Pflanze auf und verändert sie. Man weiss nicht genau wie, doch dem Rosenbusch wächst darauf ein nestartiges Geschwür, in welches die Wespe ihre Eier legt. 

Ein Volk von Ameisen hält sich Blattläuse wie Vieh, beschützt sie vor Fressfeinden und melkt sie regelmässig, um ihre zuckerhaltigen Ausscheidungen zu trinken. 

Eine Hornissenschwebfliege ähnelt äusserlich einer Hornisse so sehr, dass niemand bei klarem Verstand sie je angreifen würde, obwohl sie nichts als eine harmlose Fliege ist. Unbemerkt mischt sie sich lässig unter gefährliche Wespen.

Und eine Goldwespe glänzt wie ein Juwel, wenn sie ihre Eier in die Nester von Pelzbienen legt, damit ihre Nachkommen sich an deren Larven satt essen können.

Sichelheuschrecke in Olten Südwest
Büffelzikade in Olten Südwest

«Die Welt der Insekten ist unglaublich spannend, wenn man genau hinschaut», sagt Bähram. Und das genaue Hinschauen sei ihre Stärke, sagen Bähram und Katrin. Das und die Geduld. «Für ein Foto sitze ich manchmal zwei Stunden lang vor einem Grashalm», erzählt Bähram. Katrin musste ihm auch schon aufhelfen, weil ihm die Beine eingeschlafen waren.

Heute sind es eher die Finger, die am Abzug der Kamera immer kälter werden. Noch ist die Hauptsaison der Insekten nicht angebrochen, und doch bleiben wir immer wieder stehen, sehen ein Gallwespennest, eine Spinne, die auf dem Wasser läuft, ein von Parasiten befallenes Schneckenhaus. Katrin zückt ihr Buch, Bähram seine Kamera.

Der Bremse in die Augen schauen

Im Coq d’Or in Olten hielt Bähram, der schon als kleiner Junge Insekten fotografiert hatte, 2019 seinen ersten Vortrag. Da lernte er auch Katrin kennen, die damals noch im Publikum sass und Bähram auf der Bühne ins Schwitzen brachte, als er erfuhr, dass sie Biologin und Insektenkennerin ist. Die beiden merkten bald, dass sie sich gut ergänzen: Er mit Fotografie, sie mit Fachwissen, beide mit Leidenschaft. 

Die Vortragsreihe, die sie gemeinsam im November 2021 gestartet haben, heisst «Bling Bling». Mit Bildern und Geschichten aus der funkelnden Welt der Krabbeltiere wollen sie Menschen begeistern, die sich damit bisher nur nach Bienenstichen oder beim Spinnentöten beschäftigten. 

«Vielleicht schaut dann irgendjemand einer Bremse auch mal in die Augen und bemerkt, wie wunderschön die sind», sagt Bähram, der die Passion für Insekten an seinem Arbeitspensum als Journalist vorbeijongliert. 

Widderchen in Olten Südwest

«Wenn man ihre Geschichte kennt, fällt es nicht mehr so leicht, eine Wespe zu zerdrücken», sagt Katrin, die Beruf und Leidenschaft nicht wirklich zu trennen scheint. Sie erklärt, wieso der Mensch ohne Insekten gar nicht leben könnte: Nicht nur die Bienen, sondern eine Vielzahl von Insektenarten ist für die Bestäubung von Pflanzen und damit für unsere Nahrung verantwortlich. Insekten selbst sind wiederum Nahrung für grössere Tiere. Und sie bekämpfen Krankheiten, indem sie den Bestand von Parasiten regulieren. 

«Die Artenvielfalt von Insekten ist enorm wichtig für ein gesundes Ökosystem. Ausserdem sind Insekten einfach wahnsinnig interessant und noch lange nicht zu Ende erforscht: In der Schweiz vermutet man immer noch zahlreiche unbekannte Arten. Und 30’000 wurden schon entdeckt. Verrückt, oder?»

Die Sonne bricht kurz durch die schwere Oltner Wolkendecke. Irgendwo tief im Sand begraben bereitet sich eine Bienenwolflarve auf ihr Leben als Jägerin vor. 

«Käfer und kundig» in Olten

Bähram Alagheband und Katrin Luder zeigen als «Käfer und kundig» ihre Bilder und Geschichten bald in Olten: «Bling Bling» ist am 17. und am 18. März 2022 um 20:00 in der Vario Bar zu sehen. Für die Veranstaltung am 18.3. sind wegen grossen Andrangs im Vorverkauf nur noch Stehplätze und vereinzelte Sitzplätze an der Kasse vor Ort verfügbar. Für den 17.3. läuft ein Vorverkauf.

Totenkopfschwebfliege in Olten Südwest
Streifenwanze in Olten Südwest

Bist du in Olten Südwest unterwegs? Sind dir dort schon Tiere aufgefallen?

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