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Cony Island – American Dreamland: Fast so unterhaltsam wie die Oltner Chilbi

Wer an die Weltmetropole New York denkt, sieht die Skyline vor sich. Nicht aber das nahe Meer. Anna-Lena Schluchter nimmt uns mit an den Sandstrand, einen ihrer liebsten Orte.
5. Mai 2022
Text und Fotografie: Anna-Lena Schluchter*

Manhattan ist eine Insel. Zu Fuss dauert es knapp eine Stunde von der Westseite am Hudson River auf die andere Seite zum East River. Schnelle Fähren, schicke Segelboote und auch grosse Transportschiffe sorgen für regen Verkehr auf den beiden Flüssen, die die Insel in die New Yorker Bucht einbetten. Woran man aber vielleicht nicht gleich denkt, ist, dass New York am Meer liegt. Knapp eine Stunde mit der Subway und ich grabe meine Füsse in den Sand des Atlantischen Ozeans.

Ich liebe die Stadt New York, aber meine erste Liebe ist und bleibt das Meer. Und so nehme ich die Subway-Fahrt mindestens alle paar Monate – im Sommer wöchentlich – nach Far Rockaway oder Brighton Beach, auch Little Odessa genannt, auf mich. Mein Lieblingsausflug startet in Brighton Beach mit einem ukrainischen Lunch und führt dann über den gut vier Kilometer langen Boardwalk, gewöhnlich mit Sonne und starkem Wind im Gesicht, nach Coney Island. Coney Island ist ein spezieller Ort mit viel Geschichte. Einst Bade- und Ferienort für die Wohlhabenden im 19. Jahrhundert entwickelte sich Coney Island zu einem beliebten Strandziel für die Massen, zeitweise zum zwielichtigen Vergnügungsort und nach Jahren der Stagnation zu einem wiederauflebenden und lebendigen Platz, welcher die unterschiedlichsten Leute anzieht. 

Für mich strahlt Coney Island Nostalgie aus, ohne dass ich genau benennen könnte, wonach ich mich sehne oder an was ich mich erinnern möchte. Coney Island hat etwas Verstaubtes und Raues, aber gleichzeitig sehr Authentisches. Das Publikum ist weniger chic als in SoHo, kümmert sich nicht um die Kalorien in den berühmten Nathan’s Hot Dogs. Kreischende Kinder und Erwachsene amüsieren sich auf Bahnen. Sie bieten nicht die neusten Attraktionen, aber lösen das kribblige Gefühl im Magen aus, das die Alltagssorgen und den Stress, zurückgeblieben in der Stadt, leicht vergessen lassen. Spätestens wenn ich im 1920 eröffneten Wonder Wheel (empfehlenswert ist übrigens Woody Allens gleichnamiger Film) über diesem kleinen Mikrokosmos schwebe und auf der einen Seite auf den Atlantischen Ozean sehe und auf der anderen Seite die Skyline von Manhattan erahne, fühle ich mich ein bisschen wie im Urlaub. Oder zumindest einfach woanders.

Wer also bei einem nächsten Besuch nach New York die Stadt von einer leicht anderen Perspektive erleben will, sollte sich einen Abstecher nach Coney Island überlegen. Die Oltner Kilbi ist natürlich schwer zu toppen, aber in Coney Island bietet sich die einmalige Chance, die zweitsteilste hölzerne Achterbahn der Welt – The Cyclone –, gebaut 1927 und zugegebenermassen etwas holprig, zu fahren.

Auf der entspannten Subway-Fahrt zurück nach Manhattan habe ich nach meinem letzten Besuch vergangenen Sonntag gelesen, dass in der 90-jährigen Geschichte der Achterbahn drei Leute auf The Cyclone verstarben. Verwundert bin ich nicht. Trotzdem werde ich bald wiederkommen. Für meinen nächsten Besuch steht der Thunderbolt auf dem Programm, die erste Achterbahn aus Stahl in New York.

*Anna-Lena Schluchter (32) ist in Olten aufgewachsen und lebt seit drei Jahren in New York. Sie arbeitet als First Secretary bei der ständigen Mission der Schweiz bei der UNO.


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