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Der Penalty des Jahrzehnts

Wer von der Oltner Hockeystadt spricht, denkt meist an den EHC Olten. Aber auch hinter dem Eishockeystadion findet Hockey statt – auf Kunstrasen: Olten war schon immer eine Landhockey-Hochburg. Mit dem NLA-Meistertitel hat der HC Olten einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Reise kann fast nur weiter nach oben führen.
5. Juli 2021
Text: Yann Schlegel
Flurina Conz versenkt im Finalspiel in Genf den entscheidenden Penalty. Fotografie: Alfred Wälti / zVg

Landhockey ist, wenn Rotweiss Wettingen gewinnt. Das galt während eines Jahrzehnts ausnahmslos. Es ist ein Sommertag Mitte Juni, als die NLA-Frauen des HC Olten dieses Gesetz brechen. Der Kunstrasen am Finalturnier in Genf glänzt im Sonnenschein. Die Nummer 15 im blauen HCO-Dress steht über den Ball gebückt am Penaltypunkt. Flurina Conz läuft zum 14. Penalty an. Mit einer Drehung um die eigene Achse verlädt sie die Torhüterin. Dann drischt sie den Ball mit der Rückhand ins verwaiste Tor. Die Oltnerinnen sind im Glück. Rotweiss Wettingen ist bezwungen.

«Wir rechneten dieses Jahr noch nicht mit dem Meistertitel», sagt René Buri. Und doch: Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, ehe die Oltnerinnen zum grossen Triumph ansetzen würden. Denn die Basis für den NLA-Titel legte der Oltner Verein vor über einem Jahrzehnt. «Wir wollten das Mädchenhockey fördern, denn eigentlich hat Landhockey als Frauensport eine lange Tradition», sagt Buri. Heute ist er Medienchef im Verein. Die Geschichte des HC Olten ist auch ein Stück weit seine Lebensgeschichte. In den 90er-Jahren feierte er als Spitzenspieler Erfolge mit den Landhockeyanern. Nach seiner Aktivkarriere gehört er zu den Meistermachern. Nicht nur, weil diese Saison seine beiden Töchter Anja (15) und Nina (17) zum NLA-Meisterteam gehörten. Während sechzehn Jahren wirkte Buri als Juniorinnentrainer im Verein. Zusammen mit seinem damaligen Mitspieler Hebi Grütter, einem ursprünglichen Kleinhölzler, baute er in den letzten sieben Jahren den starken Mädchen-Hockeynachwuchs auf. Die Frauenteams geniessen bis heute eine hohe Priorität im Verein.

8 Spielerinnen, …

… die zum Meisterteam gehören, waren vor zwei Jahren in einem denkwürdigen Spiel dabei: Es war ein Junitag 2019, als sich die beiden Mädchenteams vom HC Olten im Final um den U15-Titel duellierten. Allein die Tatsache, dass der Oltner Verein gleich zwei Mannschaften stellte und sich diese im Final begegneten, stand sinnbildlich für den Aufschwung der Oltner Landhockeyanerinnen im Nachwuchs.

«Wir hätten ein Team stellen können, das konkurrenzlos gewesen wäre», sagt René Buri. Stattdessen stellte der Verein zwei in etwa gleich starke Mannschaften zusammen, er formte eine etwas ältere und eine jüngere, nicht minder talentierte Auswahl. Die jüngere Mannschaft setzte sich damals durch. «Ich habe im Nachhinein das Gefühl, dass dies das Erfolgsrezept war», sagt Buri. Denn dies habe zu einem Kitt innerhalb des Vereins geführt, von welchem nun auch das NLA-Team profitierte. «Seit sie acht Jahre alt sind, spielen sie gemeinsam Hockey. Sie verstehen sich nahezu blind», sagt Buri.

Die U15-Mädchen vor zwei Jahren nach dem Finalduell

11 Jahre …

… liegt der letzte Meistertitel der HCO-Frauen zurück. In dieser Zeitspanne dominierte Rotweiss Wettingen die Meisterschaft. «Keine andere Mannschaft hatte den Hauch einer Chance», sagt Buri.

18,3 Jahre

… ist das Durchschnittsalter des aktuellen Meisterteams. Gleich mehrere Spielerinnen feiern dieses Jahr erst ihren 16. Geburtstag, die Teamseniorin ist 31 Jahre alt. Das Potenzial der Oltnerinnen scheint immens. Ist das der Anfang einer grossen Dominanz des HC Olten im Schweizer Landhockeysport der Frauen? «Wenn sie zusammenbleiben, könnten sie zu Serienmeisterinnen werden», sagt Buri, der selbst lange die Elite U15 trainierte. Der Erfolg hatte sich im Nachwuchs abgezeichnet: In den letzten fünf Jahren gewannen die Nachwuchsfrauen des HC Olten rund 80 Prozent der Titel.

Das junge Team fand zusammen, weil wegen der unsicheren Lage durch die Pandemie gleich mehrere etablierte NLA-Spielerinnen dieses Jahr auf eine Teilnahme an der Meisterschaft verzichteten. Die Lücke füllten junge Talente aus dem eigenen Nachwuchs. In der nächsten Saison wird Trainer Marcus Ventar nach der Rückkehr der gestandenen Stammspielerinnen über ein breites Kader von über zwanzig Spielerinnen verfügen. Auch bei Rotweiss Wettingen verzichteten mehrere Stammspielerinnen. «Die Qualität unserer Juniorinnen war ein bisschen besser», analysiert Buri den kleinen Unterschied, der dem HCO zum Titel verhalf.

Für Nora Wintenberger war der Meistertitel besonders speziell. Als Teamseniorin gehört sie zum Grundgerüst der Mannschaft, die lange auf den grossen Erfolg wartete. «Wir mussten oftmals für Roweiss Wettingen klatschen, darum war dieser Moment, als wir den Pokal stemmen durften, für mich so unglaublich», sagt sie. Ein paar Wochen nach dem Finalsieg zehrt sie noch immer von den starken Gefühlen. «Die Jungen brachten eine gewisse Lockerheit rein. Vorher waren wir ein wenig verbissen und setzten uns gegen die grossen Konkurrentinnen unter Druck. Jetzt spielten wir einfach Hockey.»

Quelle: Alfred Wälti / zVg

22 Meter

Das Penaltyschiessen im Landhockey ist ähnlich wie in anderen Hockeysportarten. Der entscheidende Unterschied: Die Spielerinnen haben 8 Sekunden Zeit, um vom 22 Meter vom Tor entfernten Penaltypunkt loszuziehen und das Tor zu erzielen.

Die 50er- und 60er-Jahre …

… waren die erste Blüte des Landhockeysports in Olten. Damals spielte der Verein noch auf dem Rasen der Badiwiese. Mit bisweilen über tausend Zuschauern feierte der HCO mehrere Meistertitel. «Zuerst gingen die Leute in die Kirche, danach an den Hockeymatch», erzählt Buri, was ältere Klubmitglieder zuweilen überliefern. Der HC Olten war 1923 als Sektion des Fussballklubs gegründet worden und hatte sich ab 1930 als eigenständiger Verein positioniert. Anfangs der 80er-Jahre zog der Klub ins Kleinholz und 1989 baute die Stadt einen der ersten Kunstrasen der Schweiz.

Quelle: Alfred Wälti / zVg

91,4 x 55 Meter

Dies sind die Masse des Spielfeldes. Der Sport wird längst standardmässig auf Kunstrasen gespielt. Nur in der Schweiz heisst er Landhockey – wo der Sport einen höheren Stellenwert hat, spricht man üblicherweise vom Feldhockey (engl.: field hockey). In der Schweiz weichen die Landhockeyaner in den Wintermonaten auf die Halle aus und spielen auf dem Handballfeld. Während draussen wie beim Fussball elf Spielerinnen gegeneinander antreten, sind es in der Halle bloss deren sechs.

92 bis 95 Zentimeter …

… lang ist der Landhockeystock, der im Vergleich zu anderen Hockeystöcken seiner kurzen, rund gebogenen Keule wegen einzigartig ist. Heute sind die Schläger aus Karbon und somit leichter als früher. Eine weitere Eigenheit der Landhockeystöcke ist, dass alle auf die gleiche Seite gebogen sind und es nur Rechtsausleger gibt.

«Früher war die Rückhand verpönt», weiss Buri. Heute ist die sogenannte «argentinische Rückhand» ein probates Mittel, um Tore zu erzielen, weil der Schuss für den Goalie verdeckt kommt. Dabei darf der Ball jedoch nie mit der Rückseite des Stocks geschlagen werden. Mit dem Spiel auf Kunstrasen wurde der Sport viel schneller und auch technischer. «Vorher war das Spiel auf Naturrasen viel mehr von Zufallsbällen geprägt», sagt Buri.

Quelle: Alfred Wälti / zVg

Rund 100 Juniorinnen …

… spielen beim HC Olten in den Nachwuchsmannschaften bei den «Hockey-Kids» der unter 8-Jährigen (U8) und unter 12-Jährigen (U12) sowie bei den Junioren U15 und U18. In allen Kids- und Junioren-Ligen spielen die Geschlechter gemischt. Für die Förderung des Mädchenhockeys führte der Verband ab 2014 zusätzlich reine Mädchen-Meisterschaften durch. Beim HCO sind die Mädchen auf allen Stufen in der Mehrheit. «Die Frauen sind mit fünfzehn Jahren oft weiter als die Jungs», sagt Buri. Erst nach diesem Alter mache sich ein physischer Unterschied bemerkbar. Die Alterskategorien umfassen anders als in anderen Sportarten drei Jahre. Vor allem, weil in der Randsportart Landhockey vielen Klubs die Breite fehlen würde, um Mannschaften zu bilden.

250 Mitglieder …

… zählt der HC Olten heute. Damit gehört er nicht nur zu den grössten Sportvereinen in der Stadt, sondern auch zu den grossen Landhockeyklubs der Schweiz. Das Kleinholz bildet einen Schmelztiegel für den Hockeyklub: Allein aus den Quartieren rund um die Sportstätten zählt der Klub ungefähr 50 Mitglieder.

«Die Hockeywelt ist eine kleine Welt», erzählt Buri. Im Familiensport Landhockey kennt man sich schweizweit. Auf die 16 Schweizer Klubs verteilen sich insgesamt rund 1700 aktive Spielerinnen. Der Spitzensportgedanke stehe nicht an erster Stelle, sagt Buri. «Bei uns gibt’s für jede und jeden ein Plätzchen.»

René Buri und Hebi Grütter im Gespräch

1997 und 1999 …

… feierte die NLA-Männermannschaft des HC Olten die letzten beiden Meistertitel. René Buri war damals als Feldspieler mit dabei. 2006 holten die Männer noch den Cupsieg – ein Wettbewerb, den der Verband mittlerweile wegen der vielen Termine aus dem Kalender strich. 2001 feierte der HCO europäisch den grössten Erfolg, als er den Europacup auf dem fünften Platz beendete. Nach ihrem Meistertitel werden nächstes Jahr die HCO-Frauen am Europacup teilnehmen dürfen.

Die Region Olten ist traditionell ein Epizentrum fürs Landhockey: Bis in die Nullerjahre gab es mit Blauweiss Olten gar ein Stadtderby und in Schönenwerd war eine weitere NLA-Mannschaft. «Wir hatten damals einen grossen Hype», erinnert sich Buri. Danach habe die Sportart stagniert.

Rund 10’000 …

… Landhockeyspieler in rund 40 Hockeyclubs gibt’s alleine in Berlin, das als eine der grössten Hockeystädte gilt. Gegenwärtig spielen auch sechs Mannschaften aus Deutschlands Hauptstadt in der 1. Bundesliga. Zahlen, die aufzeigen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine kleine Nummer ist. Immerhin: Neulich durfte der HC Olten im Berliner Hockeyradio von der kleinen Landhockeyszene in der Schweiz erzählen. Der Oltner Klub erhofft sich durch die Präsenz in Deutschland zusätzlichen Schub bei der Trainersuche für die NLA-Männermannschaft.


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