Der Wein verschwand, die Schmids blieben
Als ob er im Restaurant Rathskeller stehen würde, dreht sich Hans Schmid um die eigene Achse. Mit dem Zeigfinger sticht er Luftlöcher und zählt vor dem inneren Auge die Weinfässer ab, die damals an den Kellerwänden der Traditionsbeiz standen. «Um die 22 müssten es gewesen sein», sagt er. Dass dort unten mindestens 16 Weinfässer lagerten, kann er in seinem eigenen Keller belegen. Zwei der ovalen, massiven Eichenfässer, die sein Grossvater schuf, hat er aufbewahrt. Auf einem prangt die Nummer 16. Jahrgang 1923. Am Kopf ist der Name Hans Schmid eingraviert.
Wenn Peter Schmid durch den Keller führt, scheint er noch immer der Bube seiner Kindheit zu sein, der Grossvater und Vater ihrer Fertigkeiten wegen bewunderte. Denn wie in dieser Zeit üblich, trugen Vater und Sohn nicht nur den gleichen Namen. Hans Junior übernahm auch dessen Berufung. Sie beide waren Küfer.
Eingraviert und eingebrannt
Das änderte sich mit der Industrialisierung. Hans Junior nannte seinen eigenen Sohn Peter. Und Peter erlernte nicht den Küfer-Beruf. Ob er denn nicht gerne Küfer geworden wäre? «Nie im Leben», sagt der heute 88-Jährige. «Das ist ein Beruf, der einging.» Er schaut auf seine Hände und zählt vor, dass heute schweizweit noch 6 Küfer übriggeblieben seien. Peter Schmid ging zur PTT, der heutigen Post. 41 Jahre lang wirkte er als Briefträger und Chauffeur, übte «einen Beruf aus, den jeder erledigen kann», wie er abwertend sagt. Der alte Mann fügt an, dass er ja eigentlich Drechsler hätte lernen wollen. Sein ausgebliebener Berufswunsch lässt spüren: Gerne hätte er die eigene Familiengeschichte der begabten Handwerker weitergeschrieben.
Vielleicht auch darum verspürte er den Drang, das Werk seiner direkten Vorfahren zu bewahren. Eine Prise Nostalgie schwingt in der Stimme mit, wenn er vom Beruf der Küfer erzählt. Davon, wie der Vater die Fässer bei Vollmond schlug. Wie er das Berufsgeheimnis wahrte. «Das war eine Wissenschaft», sagt Peter Schmid. Er zieht ein Buch aus dem Regal und blättert durch die mit komplexen geometrischen Berechnungen geschmückten Seiten, die von der Kunst des Fassbaus handeln. An den Wänden hängen dutzende Werkzeuge, die nur ein Jahrhundert später antik wirken.
1880 war Peter Schmids Grossvater als Küfermeister aus dem aargauischen Hägglingen nach Olten gezogen. «Der alte Lang kaufte den bloss drei Wochen gegärten Wein im Wallis. Dann war er am günstigsten», erzählt Schmid, wie sein Grossvater im Dienst von Werner Lang-Bürgi arbeitete, der das Traditionsrestaurant 1901 übernommen hatte. Die Langs kauften von den Rebsorten Fendant und Johannisberg und liessen die Trauben durch die Schmids keltern. Peter Schmid erinnert sich, wie sie den Wein stundenlang vom einen Fass ins andere pumpten. «Das musste richtig gemacht werden, sonst konnten 600 Liter Wein zu Essig werden.»
Mit zehn an Vaters Seite
Peter Schmid begleitete seinen Vater schon als Bub täglich in die Weinkeller und half mit, die Flaschen fürs Restaurant zu verkorken. Nicht nur im Rathskeller verdienten die Schmids ihr Geld. Auch im Salmen, Löwen und im Kreuz unterhielten sie die Weinfässer. Zudem zählten die wohlhabenden Oltner zu ihren Kunden. Zahnärzte, Ärzte und Chefredakteure besassen im Keller den eigenen Wein aus dem Wallis oder dem Burgund. «Das war eine Prestigeangelegenheit», sagt Peter Schmid. Ein weiterer Erwerbszweig der Küfer war die Landwirtschaft. Für die Bauern bauten sie etwa die Holzgüllenfässer.
Die Bilder aus den Weinkellern und Beizen haben sich in Peter Schmids Gedächtnis eingebrannt. Wenn er als Bub mit dem Vater in den «Chöbu» kam, sassen da die «alten vornehmen Geschlechter» – Büttiker, Stuber, von Arx und wie sie alle hiessen – am runden Stammtisch. Sie alle hatten ihren eigenen Stuhl. «Der Rathskeller war ein Traditionsrestaurant, die Kundschaft nicht gemischt wie heute, wo sich Arm und Reich treffen.»
Durch seinen Beruf verkehrte sein Vater mit der noblen Gesellschaft. «Früher ging er im Schweizerhof mit dem Kranen-Stirnimann essen», erzählt Peter Schmid auf der Gartenterrasse am Hausmattrain, die den Blick auf die Oltner Altstadt und die Schützenmatte freigibt. «Mein Vater war ein stolzer Küfer.» Das Hotel am Bahnhofquai galt als Spitzenadresse, in der sich nur «die Crème de la Crème» abgab. Auch im Schweizerhof überwachten die Schmids den Wein.
Auf immer verbunden
Als Mitglied der Stadtschützen war Vater Hans Schmid auch in der Freizeit mit dem «Chöbu» verbunden. Der Rathskeller war schon immer ihr Lokal gewesen. Werner Lang-Bürgi schenkte den Stadtschützen die erste Kanone – ein Dank an die treuen Stammgäste. Nicht nur als Küfer genoss Hans Schmid derweil hohes Ansehen. Bei den Stadtschützen machte er sich einen Namen, weil er der Erste war, der mit einer Kanone schoss.
Peter Schmid führte das Erbe seiner Vorfahren nicht fort, aber er bewahrte es. Noch heute prangt an der Küfer-Werkstatt, die Hans Schmid senior aufgebaut hatte, das Originalschild. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hing es noch am Kronenplatz, wo der Grossvater einst seine Werkstätte eröffnet hatte. Auch diese hat Peter Schmid dokumentarisch festgehalten. Im Wohnzimmer hängt ein Bild der Oltner Altstadt in ihrer ursprünglichen Form. Am Abhang der heutigen Mühlegasse erstreckte sich damals noch ein zusätzlicher Gebäudezug, in welchem die Familie Schmid daheim war. Später zogen die Küfer hoch an den Hausmattrain. Die Weinfässer verschwanden in den 50er-Jahren aus dem Chöbu-Keller. Peter Schmid blieb als Zeitzeuge und als Stammgast. Noch heute kehrt er hin und wieder auf ein Bier im Rathskeller ein. «Der Chöbu hat viele Höhen und Tiefen durchgemacht», sagt er. In seinen 88 Lebensjahren hat er viele miterlebt.
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