Die Ebbe vor dem Murgang
Freitagabend vor dem Abstimmungswochenende. Sommer da, Schweiz grillt. Und Nachbar giftelt. Mit ein paar Freunden sitzen wir in einem Garten in Dulliken beim Bier. Nebenan bespritzt Nachbar Ruedi – nennen wir ihn mal so – mit einer Engelsmiene minutiös jeden Ast des kleinen Kirschbaums. Wenig später ist der Rasen dran. Wie ein stramm gegliedertes Heer ragen die dicken Grashalme aus dem Boden. Jetzt weiss ich, was Bauer Christoph Hümbelin damit meint, wenn er sagt, er störe sich besonders daran, dass Private in ihrem Garten Pestizide spritzen dürfen, wie ihnen behagt, aber die Bauern wegen der Umweltverschmutzung am Pranger stehen.
Nun denn, seit gestern wissen wir: Ruedi wird auch künftig spritzen dürfen – was auch immer er da in seinem Garten austrägt. Weder die Trinkwasserinitiative noch die Pestizidinitiative fanden eine Mehrheit an der Urne. Unser Kolumnist Kilian Ziegler kommentierte die Abstimmung auf Twitter so:
Und die Medien analysierten und rätselten über die Stadt-Land-Kluft. Doch hört sich dies nicht nach einem grossen Paradox an: Wie kann ausgerechnet die Landbevölkerung die drei Umweltvorlagen bachab schicken? Der Term «Land» mag implizieren, dass die Menschen da draussen in den Dörfern noch mit dem Boden und der Natur verbunden sind. Warum also wollen etwa viele Gäuer und Thaler die Umwelt nicht schützen? Sind die Landschweizer verbundener mit der Natur als Städter? Fragen über Fragen.
Aber lassen wir das Gedankenspiel. Fakt ist: Die städtische Bevölkerung stimmte wuchtig für das CO2-Gesetz. In den Grossstädten erhielt die Vorlage bis zu drei Viertel Zustimmung. Solothurn und Olten passten mit je rund 66 Prozent Ja-Stimmen in dieses Schema. Aber Grenchen – die Uhrenstadt hatte eben noch bei den Wahlen einen Rechtsrutsch erfahren – bildete eine Ausnahme.
Triumphieren durfte die SVP – und mit ihr einer der führenden Köpfe der Gegenkampagne: Christian Imark. Der Solothurner SVP-Nationalrat hatte am Sonntag gut lachen. Da interessierte es auch niemanden mehr, dass er es mit den Argumenten nicht immer so genau genommen hatte. In der SRF-Arena hatte der Schwarzbube eine Grafik gezückt, welche daraufhin der ETH-Professor Remo Knutti zerpflückte. Imark bezeichnete den Wissenschaftler daraufhin als Aktivisten.
Vom Tsunami zur Ebbflut?
«Ist die grüne Welle gebrochen?», fragte die SRF-Hintergrundsendung «Echo der Zeit». Womöglich ja, bilanzierten die Zeitungen der CH Media und NZZ. Nicht einmal zwei Jahre nach der grossen Klimademonstration in Bern machten sie das Nein zum CO2-Gesetz als eine potenzielle Umkehr des politischen Klimas fest. Im «Echo der Zeit» ordnete die Umweltpolitik-Wissenschaftlerin Karin Ingold das Nein als antizyklisch ein. Aber sie hielt fest, dass seit längerem eine «grosse Diskrepanz» bestehe zwischen dem, was wir zu Hause tun, und dem Bild, das wir international abgeben. «Die nationale Klimapolitik ist schon lange nicht mehr ambitioniert», sagte sie. Ingold spricht denn auch nicht vom Stadt-Land-Graben, sondern von einer Kluft zwischen pro Ökologie und pro Ökonomie.
Das Benzin wäre pro Liter 12 Rappen teurer geworden. Zahlen wie diese standen als Beispiel der dominierenden Kostendebatte. Nach dem kühl-nassen Frühling zeigte sich einmal mehr das Kurzzeitgedächtnis der Menschen. Niemand stellte noch die Frage, was es uns kosten wird, wenn die Gletscher ganz wegschmelzen oder Murgänge Dörfer zuschütten.
Schulhaus und Stapi
Anders als auf nationaler Ebene blieben in Olten Überraschungen am Abstimmungswochenende aus. Das neue Schulhaus mit Dreifachturnhalle erhielt eine klare Zusage von über 70 Prozent. Nach dem grossen Lärm um die anhaltende Kostensteigerung hatten sich doch fast alle Parteien hinter das Projekt gestellt. Und die Bevölkerung wusste um die Dringlichkeit des Schulhausprojekts.
Noch weniger Nervenkitzel bot die Stadtpräsidiumswahl. Olten hat mit Thomas Marbet erstmals in der Geschichte einen Sozialdemokraten als Stadtpräsidenten. Die Wahl war fast nur Formsache, hatte er doch keine Konkurrenz um das Vollamt. Nur die Klippe des absoluten Mehrs musste er schaffen und das gelang mit einer Reserve von über 1000 Stimmen locker. Immerhin 25 Prozent legten einen leeren Wahlzettel ein. Ob es ein Misstrauensvotum gegenüber dem SP-Mann oder gegen das System war, bleibt das Geheimnis der Wählerin. «Ich als Stadtpräsident stehe aber eher in der Mitte, da ich die ganze Stadt repräsentiere», sagte ein erleichterter Marbet beim Bier nach der Wahl zum OT. Ob Marion Rauber (SP) oder Raphael Schär-Sommer (Grüne) ihn im Vizepräsidium assistieren, kommt erst beim zweiten Wahlgang im September aus.
Im Schilder-Dschungel
Für mehr Zündstoff sorgt da schon das Parkleitsystem, das die Stadt momentan für rund anderthalb Millionen Franken installieren lässt. Parkplätze und der Weg zu ihnen – mit dem Leitsystem soll dies nur noch Formsache sein. Und im Idealfall könnte dies mithelfen, den Verkehrsstau durch Olten ein wenig zu entflechten. Wenn denn die Tafeln auch am rechten Fleck stehen und verständlich sind. Der kritischen Beobachter gibt es in Olten genug. Da war die Posse um die falsch montierten Schilder, welche zu nah an einer Ampel standen und diese verdeckten. Eine Geschichte, die es zur Belustigung vieler bis ins Gratisblatt «20 Minuten» schaffte. Für Irritation sorgten auch die Beschriftungen «Olten Ost», «Zentrum Süd» und «Zentrum» am Ortseingang. Wie sich denn ein Auswärtiger und selbst Ortskundige so orientieren sollten, empörte sich jemand. In der Stadt wird das Parkleitsystem aber dann feingliedriger und die Tafeln sind nach Parkhäusern benamst. Und sonst gilt, seit die Römer untergingen, bekanntlich: «Alle Wege führen nach Olten».