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Die fetten Jahre der Kultur sind vorbei

Über zwanzig Jahre lang profitierte Starrkirch-Wil von einer Kulturstiftung. Mit ihren Projekten brachte sie Farbe ins Dorf und überraschte die Menschen. Nun geht der Stiftung das Geld aus. Wer füllt die Lücke?
27. Oktober 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Fridolin Hubers Skulptur «Feuer und Flamme» erinnert vor der Starrkirch-Wiler Traditionsbeiz an den ersten Skulpturenweg der Stiftung.

Plötzlich standen Übersee-Schiffscontainer auf dem Feld in Starrkirch-Wil. Die für diese Umgebung fremden Körper bildeten im Sommer 2009 zwischen dem Oltner Siedlungsrand und der Gemeindeverwaltung eine Kunsthalle auf Zeit. «Das gibt Aufregung, das führt zu Dorfgesprächen – ich finde das wichtig», sagt Joe Birchmeier.

Mit buntem Foulard schreitet der Präsident der Starrkirch-Wiler Kulturstiftung am lauen Oktobernachmittag durch die Ortschaft mit der Postleitzahl 4656. Die Kulturstiftung Starrkirch-Will hat die identitätsstiftende Zahl als Wiedererkennungsmerkmal für ihr Wirken gewählt. Sie prangt auf ihrem Logo und stand in den letzten zwanzig Jahren auch für die kulturelle Eigenständigkeit der Kleingemeinde. Joe Birchmeier setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass sein Wohnort Kultur initiiert und ihr Freiräume gibt. Er erzählt dies, während er dem «grünen Gürtel» entlang schreitet. Der Hügelzug trennt den Vorort und die nahe Stadt. Das Herbstlicht verleiht Olten von hier aus betrachtet ein charmantes Gesicht. Nach Osten gibt das Weideland den Blick zum Niederamt frei. «Dies soll auch so bleiben», sagt Birchmeier. Durch die Zäsur behält Starrkirch-Wil auch räumlich noch ein klein wenig seinen Dorfcharakter.

Das kulturelle Wirken in der Gemeinde sieht Birchmeier aber bedroht. Das Stiftungskapital neigt sich dem Ende zu. Fürs nächste Jahr plant die örtliche Kulturstiftung mit einer Serie von Kurzfilmen ihr elftes Projekt, das zugleich das letzte sein wird. Seit 2001 leistete die Stiftung alle zwei Jahre einen Beitrag ans kulturelle Leben. Sie verstand ihre Aufgabe darin, Impulse zu setzen und die Dorfbevölkerung, aber auch viele Menschen aus Nachbargemeinden zu überraschen und anzulocken. «Es war immer unser Anspruch, alle Kunstrichtungen anzusprechen. Den Schwerpunkt setzten wir auf vergängliche Kunst», erzählt Birchmeier auf dem Weg zum Restaurant Wilerhof. Vor der Traditionsbeiz steht eine Skulptur des Künstlers Fridolin Huber. Die in Kalkstein geformte Figur erinnert als eines der wenigen Objekte an die Projekte der Stiftung. Sie gehörte dem ersten Skulpturenweg kurz nach der Stiftungsgründung an.

Der wohlwollende Mäzen

Hier in der Traditionsbeiz erhielt die Stiftung 2003 vorzeitig zusätzlichen finanziellen Schub. Bei einem Helferessen der Kulturstiftung war auch der Stifter Fritz Rentsch anwesend. Birchmeier erinnert sich, wie begeistert er sich ob den ersten Projekten zeigte. Der betagte Fritz Rentsch habe das Wort verlangt, sei aufgestanden und habe angekündigt: «Ich überweise der Stiftung nochmals 100’000 Franken.» Ob dies bloss eine der Euphorie geschuldete Ansage war, hatte sich Birchmeier damals gefragt. Wenige Tage später war das Geld auf dem Konto der Stiftung.

«Ich sagte ihm: Solche Gaben gefallen meist nicht allen. Gründen Sie doch eine Stiftung mit dem Geld.»

Joe Birchmeier

Die Entstehungsgeschichte der Starrkirch-Wiler Kulturstiftung ist beispielhaft dafür, wie in einer Gemeinde Kultur aufblühen kann. Drei Jahre vor der geschilderten Episode im Wilerhof war Fritz Rentsch an den damaligen Gemeinderat Joe Birchmeier gelangt. Der Industrielle wollte der Gemeinde ein Kunstwerk im Wert von 50’000 Franken spenden. Birchmeier erinnert sich: «Ich sagte ihm: Solche Gaben gefallen meist nicht allen. Gründen Sie doch eine Stiftung mit dem Geld.» Als dann die Statuten niedergeschrieben waren, wollte der einstige Lektor Fritz Rentsch diese nach seinem Gusto korrigieren. Dabei strich er die festgelegte Beitragssumme durch, schrieb stattdessen 200’000 Franken hin und unterzeichnete. In über zwanzig Jahren hat die Kulturstiftung mit zusätzlichen Sponsorengeldern und Beiträgen aus dem Lotteriefonds rund 650’000 Franken umgesetzt.

Das Vakuum danach

«So einen wie Fritz Rentsch suchen wir», sagt Joe Birchmeier und lächelt. Früher hatte die Gemeinde noch eine Kulturkommission. «Dann kam wie fast überall der Rotstift.» Die Kulturbeiträge fielen weitgehend weg. Die Kulturstiftung füllte zwei Jahrzehnte lang die Lücke. Und nun, wo ihr das Geld ausgeht? «Wenn wir nicht weiterbestehen, dann gibt es ein Vakuum», sagt Birchmeier. Was dann dem Dorf noch bliebe, fragt er sich. Ein Freibad, das ein wenig wie der Dorfbrunnen ist. Ein paar Dorfvereine, die wegen des Mitgliederschwunds auch zusehends mit Nachbargemeinden arbeiten.

Wenn Gemeinden nicht Geld aufwenden, würden Kulturveranstaltungen in der Agglomeration nur noch auf private Initiative entstehen, findet Birchmeier. Kultur sei eine Zentrumsaufgabe, hört der 64-Jährige oft im Dorf. «Die Agglomerationsgemeinden engagieren sich dann aber herzlich wenig, wenn es darum geht, einen Beitrag an städtische Kulturinstitutionen zu leisten», sagt Birchmeier. Er weiss dies aus seiner Perspektive als Verwaltungsratspräsident des Oltner Stadttheaters. Auch zu den Freunden des Oltner Kunstmuseums zählt er. In der Agglomeration fordert er ein stärkeres Engagement der Gemeinden. «Wenn sich in einem Gemeinderat niemand für Kultur interessiert, geht nichts», sagt Birchmeier.

Thomas Schaubs Skulptur «Gefaltet» im Zusammenspiel mit der Jurakette im Hintergrund.

Die Kirche als Wiege für Kultur?

Nach dem Rundgang um den grünen Gürtel steht der pensionierte Unternehmer vor der Gemeindeverwaltung. Auch hier hat die Kulturstiftung mit ihrem Wirken Spuren hinterlassen. Eine Skulptur von Thomas Schaub prägt das Bild vor der Gemeindeverwaltung. Der moderne Bau an exzellenter Lage verrät, dass Starrkirch-Wil finanziell gute Jahre hinter sich hat. Ist das Dorf bereit, künftig Kultur mitzufinanzieren?

«Die Agglomerationsgemeinden engagieren sich dann aber herzlich wenig, wenn es darum geht, einen Beitrag an städtische Kulturinstitutionen zu leisten.»

Joe Birchmeier

Einen Ort für Kultur will die Gemeinde zumindest schaffen. Die christkatholische Kirchgemeinde der Region Olten nutzt die historische Dorfkirche St. Peter und Paul kaum noch und will sie deshalb der Gemeinde verkaufen. Im vergangenen Jahr stimmte die Gemeindeversammlung dem Kaufvorhaben zu. Im geschichtsträchtigen Raum will der Gemeinderat der Kultur Platz geben. Für Joe Birchmeier ein positives Signal. Mit den durch die Kulturstiftung ermöglichten Filmen wird die Kirche in einem Jahr ihre Taufe als Kulturzentrum erfahren. Woher danach die kulturellen Impulse in Starrkirch-Will kommen, bleibt offen.


Ist Kultur (in der Agglomeration) eine Aufgabe der öffentlichen Hand?

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