Skip to main content

«Die Kräfte der Pflanzen lassen sich bewahren»

Vier Frauen aus der Region Olten haben den Verein «Kraut & Wiese» gegründet. Er will den Menschen wieder einen Bezug zur Natur geben. Seine Geburt erfuhr der Verein mit der Sonnenwendfeier, an der die Initiantinnen viele Geheimnisse zu den Pflanzen preisgaben.
28. Juni 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Yves Stuber
Anna-Lena Holm, Patricia Holm und Laila Eleganti (von links).

Wo, wenn nicht hier?

Der Hahn kräht unter dem blühenden Holunderbaum, als würde er vor dem nahenden Sommergewitter warnen wollen. Aus der Ferne dröhnt ein konstantes Donnergrollen herbei. Im Garten hinter dem Bauernhaus schiessen die Kräuter und Blumen in üppiger Vielfalt aus dem Boden. Die Kirschbäume halten ihre von der Last der Früchte nach unten gebeugten Äste im aufkommenden Wind. «Mein Herz brennt für die Natur», sagt Anna-Lena Holm, behütet von den Kirschbäumen ins Rund. Wo, wenn nicht hier, könnte sie ihr inneres Feuer für die Natur weitergeben, fragt man sich.

Anna-Lena Holm

Gut dreissig Menschen haben sich auf dem Bauernhof «Im Holz», dieser kleinen Oase oberhalb von Winznau, eingefunden. «Wir würden gern mit dem Besen heimfliegen», sagt eine Besucherin bei der Vorstellungsrunde und sorgt für Lacher. Zu Kräuterhexen werden die Anwesenden an diesem Nachmittag nicht werden. Aber sie wissen am Abend mehr über das Johanniskraut, die Schafgarbe und den Beifuss. Oder auch, dass sie sich hier auf einer Gletschermoräne befinden.

Es ist der vorletzte Sonntag im Juni und die Sonne steht kurz davor, den nördlichsten Punkt zu erreichen. Für diesen besonderen Moment gibt es viele Namen: Johannistag, Sommersonnenwende oder Midsommar, wie ihn die Schweden feiern. Litha nannten die Kelten das Jahreskreisfest, das sie bis zu zwölf Tage lang feierten. Sie taten dies mit Kräuterschmuck, einem selbstgebrauten Starkbier und ein anderer Brauch war es, sich Kräuter unters Kissen zu legen, wie Anna-Lena erzählt. Die Sommersonnenwende war in der keltischen Kultur bloss eines der acht Jahreskreisfeste. «An ihnen lässt sich gut der Naturrhythmus beobachten», sagt Anna-Lena. Darum wählte der neu geschaffene Verein «Kraut & Wiese» die Sommersonnenwendfeier als seine Geburtsstunde.

Celina Schärli

Die Oltner Fotografin Anna-Lena Holm fand durch die Fotografie einen eigenen Zugang zur Natur. Gemeinsam mit ihrer Freundin Celina Schärli begann sie, Waldspaziergänge zu unternehmen und im letzten Jahr feierten sie zu zweit die Jahresreisfeste. Anna-Lena liess sich zur Wildkräuterpädagogin, Celina zur Wildnispädagogin ausbilden. Daraus entstand die Idee, einen Verein zu gründen. Er soll eine Plattform für Naturinteressierte sein, die ihr Wissen an andere Menschen – auch «Naturneulinge» – weitergeben.

Die Augen der Initiantinnen leuchten, ein Lächeln erhellt ihre Gesichter. Es ist, als würde der Ort oberhalb von Winznau und die Verbundenheit zur Natur eine besondere Kraft ausüben. Die Besucherinnen erhalten zur Sonnenwendfeier ein Amuse-Bouche in Form von mehreren kleinen Workshops vorgesetzt. Über die Gruppenzuteilung entscheidet ein Pflanzenlos: Ringelblume, Baldrian, Johanniskraut oder Rotklee?

Anna-Lena nimmt ihr Grüppchen auf einen kurzen Kräuterspaziergang mit. Sie hält eine langstielige Pflanze mit rötlichem Stängel und spitzen, fiederteiligen Blättern in den Händen. Das sei eines ihrer Lieblingskraut, erklärt sie. Ein Bündel Beifuss baumelt zudem als Kräuterschmuck an ihrem Gürtel. «Der Beifuss heisst womöglich auch deshalb so, weil er unter anderem am Wegesrand wächst», sagt sie. Die Blätter haben einen bitteren Geschmack. «Das Heilkraut soll bei innerer Unruhe helfen», erzählt Anna-Lena. Als Nächstes zeigt sie die Schafgarbe, die sich mit ihren feinen weissen, gebündelten Blüten in die Höhe streckt und kaum Blätter hat. «Sie hat eine blutstillende Wirkung und war darum auch als Soldatenkraut bekannt», weiss Anna-Lena zu berichten.

Celina Schärli hat einen kleinen Kräutertempel vorbereitet. Ein Kerzchen erhitzt die zubereiteten Kräuter. «Die Kräfte der Pflanzen lassen sich bewahren», sagt sie und zeigt der Gruppe, wie sie das Räucherbündel binden muss. Eine grosse Auswahl an angetrockneten Kräutern liegt auf dem Tisch. Im Winter werden die brennenden Bündel ihr Aroma entfalten.

Wie das Mikroskop Geheimnisse der Pflanzen aufdecken lässt, die wir mit blossem Auge nicht erkennen können, zeigt Patricia Holm, auch im Vorstand von «Kraut & Wiese» und ausserdem Professorin für Ökologie an der Universität Basel. Das zarte Johanniskraut mit den feinen gelben Blüten steht in Gläsern eingestellt neben den Mikroskopen. Hypericum perforatum ist der lateinische Name. Warum der Name den Term «perforiert» beinhaltet, zeigt sich unter dem Mikroskop: Die kleinen Blätter weisen kleine Löcher auf. «Darin bildet sich eine helle Substanz, das Hyperforin, welches eine antidepressive Wirkung hat.» Patricia Holm verrät ein weiteres Geheimnis der Pflanze: Wer die gelben Blütenknospen zerreibt, kriegt blutrotgefärbte Finger. «Das Johanniskraut ist eines der am besten untersuchten Kräuter», sagt Patricia Holm.

Hinter dem Haus hält Jürgen Holm eine geologische Karte in die Höhe, während die ersten dicken Regentropfen nur Vorboten des Gewitters sind. «Wir befinden uns hier auf einer 150’000 Jahre alten Moräne aus der vorletzten Eiszeit», sagt er. Der alte Boden bestehe aus Braunerde und sei eine gute Grundlage für Getreide. Der passionierte Hobbygeologe hat eine Auswahl an Versteinerungen auf dem Tisch liegen. Sie erzählen von einer Jahrtausende zurückliegenden Geschichte, als der Jura noch nicht gefaltet war und sich im Mittelland ein Meer erstreckte.

«Schaut mal, wie schön das eigentlich ist», sagt Joscha Boner und zeigt in die mit Obstbäumen bestückte Wiesenebene. Zusammen mit Benjamin Egli gibt er eine kurze Einführung in die Permakultur. Eine Anbauweise, die auf die Natur Rücksicht nimmt. «Wir alle sind Teil eines grossen Ökosystems», sagt Benjamin.

Das Gewitter ist vorbeigezogen und hat der Natur nach trockenen Tagen wieder Wasser gebracht. Der Verein «Kraut & Wiese» serviert zum Schluss noch ein Amuse-Bouche für den Magen: Ein Wildkräuter-Apéro, das die Besucherinnen auch noch kulinarisch inspirieren wird.


Welches ist deine Lieblingspflanze?

Schreiben Sie einen Kommentar