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«Diese Rosinenpickerei kann nicht im Interesse einer Stadt sein»

Der freie Markt und damit die grossen Energiefirmen forcieren klimafreundliche Wärmesysteme. Soll die Politik ihnen das Kommando hin zur Energiewende überlassen? Energieexpertin Andrea Grüniger hat eine klare Haltung zu dieser Frage.
4. Februar 2022
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Heizen wir unsere Wohnstuben in der Stadt künftig nur noch über Fernwärmeverbünde?

Andrea Grüniger: Mit dem Netto-Null-Ziel hat das Gas im Komfortwärmebereich, also für Gebäudeheizungen und Warmwassererzeugung, keine Daseinsberechtigung mehr. Selbst erneuerbares Biogas ist zu limitiert und zu wertvoll, um Raumwärme von 22 Grad zu erzeugen. Es macht für Hochtemperaturprozesse in der Industrie und höchstens als Spitzenabdeckung in Energiezentralen Sinn. In dichtbesiedelten Gebieten sind Fernwärmenetze der ideale Ersatz für Gas.

Erneuerbare Gase wie Wasserstoff könnten aber auch Zukunftslösungen bringen.

Aber primär als saisonaler Stromspeicher. Es wird nie Wasserstoff durch die Quartierleitungen fliessen, darum werden die Gasverteilnetze in die Quartiere obsolet. Wie gesagt ist Fernwärme nicht die Lösung für alles und die Infrastruktur ist teurer als bei Gasnetzen. In Einfamilienhausquartieren lassen sich Wärmenetze kaum wirtschaftlich betreiben. Dort sind dezentrale Lösungen wie Wärmepumpen sinnvoller.

Zur Person

Andrea Grüniger ist für eine private Energieberatungsfirma in Olten tätig. Die 51-jährige Energieexpertin hat sich in den letzten zwei Jahren im Rahmen diverser Aufträge intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich der Aufbau von Fernwärmenetzen und der gleichzeitige Gasrückzug koordinieren lassen und welche Rolle die verschiedenen Akteure dabei einnehmen. Ehrenamtlich ist sie Präsidentin der Energiekommission in Suhr.

Das Beispiel der Stadt Olten zeigt: Der freie Markt erwirkt von selbst die Energiewende. Braucht es die Politik und Behörden noch?

Wo Städte die Energieplanung nicht koordiniert angehen, kommt tatsächlich der freie Markt. Da kommen externe Energieversorger, die sich auf diesem neuen Markt ein möglichst grosses Stück sichern wollen. Sie bauen da, wo es wirtschaftlich lukrativ ist. Diese Rosinenpickerei kann nicht im Interesse einer Stadt sein. Es braucht eine saubere Energieplanung und eine Rückzugsstrategie für das Gas. Die Stadt hat auch einen Versorgungsauftrag an die Bürgerinnen und Netto-Null 2050 heisst, dass jeder Haushalt bis dann von den fossilen Energien wegkommen muss. Folglich muss die Stadt aber auch für jede Liegenschaft eine erneuerbare Lösung aufzeigen können.

Die Städtischen Betriebe Olten haben eine eigene Energieplanung gemacht. Wäre da die Arbeit der Stadt nicht doppelt gemoppelt?

Dies ist legitim und ein kluger Schachzug. Ich würde jedem Energieversorger raten, so vorzugehen. Aber die Federführung müsste bei der Stadt sein. Sie muss die verschiedenen Interessen abwägen und über die Eigentümerstrategie definieren, wohin die Reise geht.

Würden Sie Gemeinden empfehlen, eine Generalkonzession zu vergeben – im Idealfall an den städtischen Betrieb?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Die Stadt kann alles an die eigene Energieversorgerin vergeben, sie kann aber Wärmeverbünde auch gebietsweise auf dem freien Markt ausschreiben, falls die eigene Energieversorgerin nicht alles abdecken kann oder will. Wichtig ist, dass die Energieplanung in den Händen der Stadt bleibt. Beim externen Energieversorger fehlt der lokale Bezug und er realisiert primär, was lukrativ ist. Hier muss die Stadt koordinieren.

Aarau gibt den städtischen Werken die Hoheit – ein Vorzeigebeispiel?

So behält die Stadt die Kontrolle und profitiert vom Gewinn, den die Werke erwirtschaften. Im Fall der Stadt Aarau würde ich mir wünschen, dass man nicht nur das Stadtgebiet, sondern das ganze Gasversorgungsgebiet des eigenen Werks, welches weit über die Stadtgrenzen hinausgeht, betrachtet. Die grossen Versorger haben oft in den Städten Netto-Null-Ziele, in den umliegenden Gemeinden wollen sie die Cashcow Gas weiterlaufen lassen. Das ist nicht ganz ehrlich.

Wann macht der Rückbau des Gasnetzes Sinn?

Wenn ein Energieversorger sowohl das Gasnetz wie auch das neue Fernwärmenetz betreibt, sollte die Parallelnetzinfrastruktur aus ökonomischen Gründen möglichst kurz aufrechterhalten werden. Aber aus Sicht der Liegenschaftsbesitzer wird eine hohe Flexibilität im Umstieg, also eine lange Übergangsfrist, vorgezogen. Wichtig ist, dass die Gasstilllegung frühzeitig kommuniziert wird und die Liegenschaftsbesitzer so genügend Zeit haben, den Umstieg zu planen.


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