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Einmal mit alles, scharf

Die Dönerbuden haben in den Nullerjahren die Stadt für sich erobert. Mit dem Trendlokal «Noon» sind sie nun an bester Adresse angelangt. Wie funktioniert das Geschäftsmodell mit günstigem Fastfood an einer solchen Lage? Um diese Frage zu klären, waren wir beim Oltner Dönerkönig Süleyman Nagas zu Besuch. Für den selbsternannten «Professor Doktor Kebabmann» gilt: Einmal Döner, immer Döner.
17. April 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Süleyman Nagas in seinem neuen Lokal an der Kirchgasse

Kebabbuden sind die neuen Dorfbeizen. Wo in der Provinz keine Läden mehr sind, da leuchtet durch ein Schaufenster meist irgendwo eine knallbunte Menükarte und hinter dem Tresen dreht ein Fleischspiess. In den letzten zwei Dekaden wurden die Imbisslokale zum festen Bestandteil der Gastrobranche. Vor allem Migranten mit türkischen Wurzeln versuchen ihr Glück mit Fastfood. Die Buden stehen an Strassenecken, an Bahnhöfen oder an dicht befahrenen Hauptstrassen. Sie sind überall. In manchen Städten der Schweiz wuchern sie wie Unkraut. In Olten sind sie mittlerweile schon an bester Lage in der Innenstadt angekommen.

Nicht alle haben so viel Erfolg wie Süleyman Nagas. Ein kräftiger, kleingewachsener Mann mit herzhaftem Lachen. Er hat viel dazu beigetragen, dass Olten als Kebabhochburg gilt. Gegen die zwanzig Dönerbuden soll es in der Kleinstadt mit gut 18’000 Einwohnerinnen geben. Zwei davon führt Süleyman Nagas. Den Multipoint im Bifang und nun auch das Noon neben der Stadtkirche.

Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Betreibern von Kebabbuden ist gross. Viele trauen ihnen nicht zu, dass sie sauber geschäften. Hinter vorgehaltener Hand wird Geldwäscherei, Schwarzgeld oder Steuerhinterziehung vermutet. Selbst Waffenhandel soll es in einem Oltner Lokal gegeben haben. Nur lassen sich solche Gerüchte kaum erhärten. Und am Ende essen doch alle Kebab und Pizza von der Bude um die Ecke. Vor allem die jungen Generationen zählen zu den Stammkundinnen. Sie sind nicht nur die Digital Natives, sie sind auch die Kebabkinder.

Die sanfte Ankunft der Drehspiesse

In Olten gab es die ersten Kebabs in den 90er-Jahren an einem Imbissstand vor dem Hammer, wie man sich in der Stadt erzählt. Auf der rechten Aareseite wuchs das Oltner Pizza Haus rasch zu einer Institution empor. Dann wechselte es die Strassenseite, in ein grösseres Lokal und ins Kebabgeschäft.

Ein Mal Kebab die Woche war für viele an der Kanti normal. Ein Schulfreund witzelte jeweils, er sei seines hohen Kebabkonsums wegen nicht mehr gewachsen. Damals in den Nullerjahren warteten die Schülerinnen auf der Treppe des Gymnasiums zu Dutzendschaften die Kebablieferung ab. Im Kleinwagen brausten die Kebabmänner heran und zogen die in Alu gehüllten Brote aus den Boxen. Für einen Fünfliber gabs das Taschenbrot mit Fleisch, Gemüse und Sauce, und dazu eine Dose.

Einer der Kuriere, die damals am Kanti-Hoger ihre Kebabs verteilten, war Süleyman Nagas, der mit dem Bifang-Imbiss seine erste eigene Bude führte. Alle nannten ihn Mikael. Warum, weiss er selbst nicht genau. Bis heute ist es sein Spitzname geblieben. Er selbst bezeichnet sich heute immer wieder als «Professor Doktor Kebabmann» und zeigt dabei sein breites Lachen.

«Ich liebe Kebab – ich liebe», sagt er immer wieder, während er in seinem neu eröffneten Lokal an der Kirchgasse steht. Die Geräuschkulisse setzt sich aus penetranter TV-Musik und dem Klacken der Schneidebretter zusammen, auf denen die Angestellten frische Zutaten hacken.

Bald an jeder Ecke

1994 kam Süleyman Nagas als Asylbewerber in die Schweiz und strandete im tiefen Wallis in Naters. Als Alevit gehörte er in der Türkei zu einer unterdrückten Minderheit. «Wenn du an einen guten Ort kommst, ist es schwer, sich durchzusetzen», sagt Nagas und erinnert sich an seine Anfänge in der Schweiz. Damals war man hierzulande noch nicht auf den Geschmack von Kebab gekommen.

Wo die Ursprünge des Döner Kebab liegen, ist nicht vollends geklärt. Der Drehspiess soll jedoch in Anatolien eine lange Tradition haben. Wie das Fladenbrot dazu kam, ist ein kleines Mysterium. Berlin Tourismus verkauft den Döner Kebab jedenfalls gerne als eine Erfindung aus der deutschen Hauptstadt. Ein türkischer Migrant namens Kadir Nurman soll dort 1972 als erster das Fleisch in einen Fladen gesteckt haben. Später kam das Gemüse dazu. In der Schweiz dauerte es bis in die Nullerjahre, ehe der Kebab in der Schweiz endgültig ankam. Dann aber explodierten Angebot und Nachfrage richtig.

Süleyman Nagas stieg Ende der 90er-Jahre ins Fastfood-Geschäft ein, als er nach Olten kam. Erst arbeitete er im Ring- und später im Hammer-Imbiss, bevor er 2004 seinen ersten eigenen Laden im Bifang aufmachte.

Zwist in der Dönerszene

Offizielle Zahlen, wie viele Kebabbuden in der Schweiz existieren, gibt es nicht. Auch weil die Branche kaum organisiert ist. Zwar gründeten ein Dutzend Geschäftsleute aus der Kebabwelt 2016 den «Döner Kebab Gewerbe Verband» der Schweiz. Sein Einfluss blieb jedoch bescheiden. Heute ist der Dönerverband nicht mehr aktiv, er hatte in der Branche keinen Rückhalt gefunden – vermutlich, weil gewichtige Vertreter der Branche ihre Vormachtstellung auf dem Markt bedroht sahen, wie der Landbote 2016 berichtete. Der Firmeninhaber von Royal Döner, der in der Produktion der Dönerspiesse als Marktführer gilt und 2017 die nach eigenen Angaben modernste Dönerfabrik der Welt eröffnete, wollte nichts mit dem Verein zu tun haben. Die Eigeninteressen der Leute im Verband stünden im Vordergrund, begründete er.

Das führte dazu, dass die Dönerbranche bis heute wenig transparent ist. Über Zahlen sprechen die Dönerproduzenten ungern, wie ein Insider sagt, der nicht genannt sein will. Geschäftsgeheimnisse werden gewahrt, auch weil Neid und Eifersucht unter der Konkurrenz offenbar nicht selten sind. Für die Schweiz gibt es grobe Schätzungen: Der Dönerverband sprach vor fünf Jahren von rund 3000 Dönerbuden und für das Jahr 2015 von einem Dönerfleisch-Konsum von 24’000 Tonnen. Binnen zehn Jahren hatte sich das Volumen verzehnfacht. Aktuelle Zahlen lassen sich nicht finden.

Auch im beschaulichen Olten existiert der Konkurrenzkampf. Gerade durch Corona haben viele Kebabbuden arg gelitten. Wegen Fernunterricht und Homeoffice blieben bei vielen die Stammkunden weg, wie ein Mitarbeiter einer Bude auf der rechten Stadtseite berichtet. Und gleichzeitig drängen noch immer neue Lokale auf den Markt, was die Situation zusätzlich anspannt.

Einer dieser Neuankömmlinge ist Süleyman Nagas’ Projekt Noon. Während der schwierigen Zeit verharrte das fertig ausgebaute Lokal im Stillstand. Die Eröffnung schob sich hinaus. Eine sechsstellige Summe habe er an Miete bezahlen müssen, bevor er überhaupt öffnen konnte, erzählt Nagas. Im März dann war es endlich so weit: Lange Schlangen bildeten sich bis zur Stadtkirche hin. Nagas weiss, wie er die Kundinnen anlockt. Mit einer Fünfliber-Aktion, wie damals an der Kanti.

Nagas ruft einen jungen Mann herbei, der gerade einen Kebab bestellt, und bittet ihn um eine Referenz. «Er ist die Legende von Olten», sagt dieser und zählt all die Imbissbuden auf, in welchen Nagas schon gewirkt hat. Dann entfernt er sich wieder. Ein Stammkunde? «Alle sind Stammkunden», antwortet Nagas. Der grösste Trubel ist kurz nach der Mittagszeit vorüber, als die Kantonspolizei vorbeischaut und Süleyman Nagas kurz zur Seite nimmt. Sie weist ihn an, die grossen Kundenströme besser zu lenken und auf die Coronamassnahmen aufmerksam zu machen. Und dann bestellt das Polizei-Duo Kebab. «Die Leute haben Kebab gerne, weisst du. Einmal essen – bis gestorben nicht vergessen», sagt Nagas und lacht herzhaft.

Der Stammgast, der zum Fussballstar heranwuchs

Überliefert ist auch die Geschichte eines anderen Stammkunden. Der Tagesanzeiger schrieb vor einem guten Jahrzehnt über Nagas’ aussergewöhnliche Beziehung zum Oltner Fussballer Gökhan Inler. Lange bevor er in den grossen Ligen dieser Welt und der Nationalmannschaft zum Fussballstar heranreifte, war Klein-Gökhan einer seiner Gäste. «Er muss der Beste sein. Er isst meinen Kebab», sagte Nagas stolz zum Tagesanzeiger, als dieser ihn im Multipoint im Bifang besuchte. Das signierte Leibchen von Udinese gehörte zur Innendekoration des Ladens. 2007 war Nagas noch mit dem Auto von Olten nach Lugano gefahren, um die gesamte Nationalmannschaft mit Kebab zu beliefern.  

Seither hat Inler auf dem Fussballplatz an Glanz eingebüsst. Er spielt heute beim türkischen Klub Adana Demirspor. Er ist nicht mehr der Bub ohne Geld im Hosensack, dem Nagas einen Kebab spendieren muss. «Wenn Menschen reich werden, vergessen sie die armen Menschen», sagt Nagas. «Ich liebe ihn noch immer. Nur ist er jetzt ein reicher Mann.»

Nagas fühlt sich im kleinen Olten wohl und ist hier seinen Weg gegangen. Mit dem Multipoint ist er erfolgreich, er führt das Geschäft heute noch neben dem Noon. Im Bifang gehen pro Monat über zwei Tonnen Dönerfleisch über die Theke – jeden Tag verkauft Nagas über 200 Kebabs. «Ich habe genug Erfahrung, genug Geduld», sagt er.

Erst der Anfang?

Vom Lokal an der Kirchgasse träumte Nagas schon in den 90er-Jahren. Mit seinem Geschäftspartner Bülent Saridas – dem Inhaber der in Rothrist angesiedelten Produktionsfirma Oliva Döner AG – hat er gut zwanzig Jahre später seinen Wunsch erfüllt. Es ist nicht ihre einzige Vision. Gemeinsam mit einem weiteren Kebabgastronomen aus der Region Luzern wollen sie eine Restaurantkette aufbauen. Wegen der Coronakrise haben sie das Projekt vorübergehend auf Eis gelegt.

Mit seinen ambitionierten Plänen stösst der 49-Jährige in der Dönerszene nicht nur auf Gegenliebe. «Die Leute fürchten mich. Ich mache meinen Job gut, sehr gut sogar», sagt Nagas. Konkurrenzkampf gehöre aber zum Geschäft, erklärt er und erwähnt Lidl und Aldi, Coop und Migros, die immer Tür an Tür stünden und die gleichen Produkte anböten. «Ich liebe jeden Menschen und es ist besser, wenn jedes Geschäft läuft», sagt Nagas. Man glaubt, den Aleviten in ihm herauszuhören, der sich um ein friedliches Miteinander im Diesseits bemüht. Im alevitischen Glauben gibt es kein Jenseits und keine Auferstehung.

Schon in seiner Heimatstadt Gaziantep, in Anatolien nahe der syrischen Grenze, sei er Geschäftsmann gewesen, erzählt Nagas. Vor seiner Flucht war er ein «Kleidermann», wie er sagt. Das Geschäften habe er vom Vater gelernt, der fünfzig Jahre lang «Business» gemacht habe. Als er vor sechs Monaten wie so oft mit seinem Vater telefonierte, sei der gut beisammen gewesen und habe gearbeitet. Tags darauf war der 86-Jährige tot. «In meiner Familie sind wir krank für die Arbeit», sagt er. «Bis ich pensioniert bin, machen wir hier Kebab.»

Ein langfristiger Mietvertrag als Schlüssel

Nagas weiss um das Misstrauen seinem Berufsstand gegenüber. Die Frage, wie es möglich sei, ein Kebabgeschäft an Innenstadtlage rentabel zu betreiben, hat er erwartet. In der Stadt sprach sich rasch herum, dass die Besitzer gut 17’000 Franken Miete für das Lokal verlangen. «Die Menschen fragen sich, wie wir uns diesen Mietzins leisten können. Aber mit einem Mietvertrag über dreissig Jahre haben wir einen guten Preis herausgeholt.» Bis zu tausend Kebabs pro Tag möchte er an der Kirchgasse verkaufen, erzählt er. Sein Gesichtsausdruck verrät nicht, ob er die Zahl ernst meint. 21 Stunden am Stück, von sieben Uhr morgens bis vier Uhr in der Früh, plant er das Lokal zu öffnen, wenn die Pandemie vorüber ist. Damit will der Kebab-Geschäftsmann das Seine dazu beitragen, Olten wieder zu beleben. Das Lädelisterben, die leeren Gassen sind auch ihm nicht entgangen. «Wir müssen Bewegung bringen, Olten braucht vor allem mehr Nachtleben», sagt Nagas.

Der Döner Kebab gehört unweigerlich zum Stadtbild. An der Eingangstür zu seinem Lokal an der Kirchgasse hat Nagas sein Motto angebracht: «Ohne Kebab lebe nid!». Professor Doktor Kebabmann ist auf einer Mission. «Dafür gebe ich mein Herz.»


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