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Es wächst, wie es will

Mit ihrem Naturgarten will sie Vorbild sein. «Es ist kein böser Wille, die Leute wissen es einfach nicht besser», sagt Doris Känzig. Geht es nach der ehemaligen SVP-Gemeinderätin, müsste die Stadt die Menschen für Gärten sensibilisieren, welche die Biodiversität fördern.
12. Oktober 2020
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo

Zuerst will sie uns zeigen, wie sie ihren Garten nie haben möchte. Doris Känzig geht über den tief geschnittenen Rasen auf dem Nachbargrundstück. «Wir dürfen das, ich hab vorgängig gefragt», sagt sie. Ein Holzgehege markiert eine klare Grenze zu ihrem Grundstück. Dahinter gedeiht ihr Naturgarten.

Äste, die über den Hag wuchsen, sind gestutzt. Ein Holzelement fehlt seit Kurzem, lässt eine Lücke im Gehege offen. «Mein Nachbar sagt, unser Garten entspreche nicht seiner Vorstellung», erzählt die zierliche Pensionärin. «Ich soll den Hag schnellstmöglich wieder schliessen.» Die Diskussionen mit der Nachbarschaft, wie der Garten zu bewirtschaften sei, halten seit Jahren an. Episoden kann sie viele erzählen. «Gället Sie, es wächst, wie es will», haben ihr die Vorfahren des Nachbarn einmal gesagt. «Wie Gott es will», erwiderte Känzig und provozierte, im Wissen um deren religiösen Hintergrund. Darüber hinaus verstünde sie sich gut mit den Nachbarn, versichert sie. Wenn es darum geht, sterile Gärten zu bekämpfen, scheut sie den Konflikt jedoch nicht.

«Warum braucht eine Stadt wie Olten mehr Naturgärten?»
«Ein Argument ist die Klimaerwärmung. Unser Naturgarten macht das Leben viel angenehmer, hier kannst du dich auch bei Sommerhitze aufhalten. Abgesehen davon geht es darum, die Biodiversität zu steigern. Das macht mein Leben interessant. Bei uns läuft etwas.»

«Und wieso denken Sie, mögen manche Menschen lieber Rasen oder gar Schotter?»
«Sie wollen wohl wie drinnen in der Wohnung alles schön aufgeräumt haben.»

An diesem sonnigen Oktobermorgen tragen die Eiben in Känzigs Garten Früchte.

Vor 36 Jahren kaufte das Ehepaar Känzig das im Bauhausstil errichtete Haus im Säliquartier, das die Stadt in einer Broschüre aus dem Jahr 1991 als avantgardistisches Haus anpreist. Im Garten gabs nur Rasen und Rosen. «Am Anfang haben wir auch Thuja und Sommerflieder gepflanzt», erzählt sie. «Weil wir uns nicht gut auskannten.» Dann aber wichen die Känzigs von exotischen und im Fachjargon als invasive Neophyten bekannten Pflanzen ab und gaben einheimischen Arten den Raum.

Eiben und Efeu

Heute verschluckt der Garten das Haus. Die Känzigs überlassen vieles der Natur. Würden sie nichts zurückschneiden, übernähmen einzelne Pflanzen das Diktat. Eine Oase ist der Naturgarten nicht nur für das kinderlose Ehepaar und die vielen Wildtiere, sondern auch für ihre Katze Sina. Beim Rundgang durch den Garten weicht sie nicht von der Seite ihrer Herrin. Vor vierzehn Jahren nahm Doris Känzig das verwaiste Tier bei minus zehn Grad auf, wie sie erzählt.

Doris Känzig am Holztisch, der mehr Lebensraum als Tisch ist.

Die Morgensonne durchbricht das Geäst des Pfaffenhuts und erleuchtet das nach den Niederschlägen triefende Moos. Der saftig grüne Flaum hat den massiven Holztisch im Garten für sich gewonnen. Auch er ist ein Lebensraum. «Wir haben ihn vor über dreissig Jahren gekauft und lassen ihn nun verenden», sagt die 68-Jährige und blickt zu den Bienen hoch, die an den verwelkten Efeublüten wimmeln. Ungefähr dreissig Bergmolche und Libellenlarven haben in den drei kleinen Weihern ein intaktes Biotop gefunden. Mehrere Igel schauen täglich vorbei. Doris Känzig beobachtet und dokumentiert. Vor dem Gespräch hat sie auf einer Liste feinsäuberlich alle Tier- und Pflanzenarten festgehalten, die sie in ihrem Garten regelmässig sichtet.

Der Empathie und Einfühlsamkeit für Tiere sei ihre Naturverbundenheit geschuldet, berichtet sie. Eingebrannt hat sich in ihre Erinnerung eine Reportage aus dem Fernseher. Menschen, die Robben zu Tode schlugen. Siebzehn Jahre alt war Doris Känzig. Heute ernährt sie sich fast ausschliesslich biologisch, seit fünfzehn Jahren ist sie Vegetarierin. Den Bauern steht sie kritisch gegenüber, weil sie mit den Pestiziden unser Trinkwasser belasten würden. Känzig trinkt darum auch kein Hahnenwasser mehr.

«Wer naturverbunden ist, wird gleich in die linke Ecke gestellt», sagt Känzig. Dies erfuhr sie während ihren acht Jahren im Oltner Gemeindeparlament. «Der Grüne Ast der SVP Olten», titelte der Stadtanzeiger 2013 in einem Porträt. An den starren politischen Parteilinien und dem strikten Themenkorsett stört sie sich bis heute. Wenn die damalige Grüne-Parlamentarierin Beate Hasspacher einen Vorstoss für mehr Bäume in der Stadt einreichte, war Känzig im Clinch. «Bei Naturthemen war immer gleich klar, dass die SVP-Fraktion dagegen ist.» Also enthielt sie sich der Stimme. Heute sagt Känzig: «Es könnten doch alle Menschen zur Einsicht kommen, dass wir die Natur brauchen. Die Umweltbedingungen haben sich so verändert, dass man das Spektrum erweitern muss.»

An ihrer bürgerlichen Attitüde ändere dies nichts.

«Sie befürworten also im Sinne der SVP, dass die Schweiz die Zuwanderung begrenzen sollte?»
«Total. Aber im Sinne der Natur, weil der Platz knapp wird.»

Mit dem Kescher fischt Doris Känzig eine Libellenlarve aus dem Weiher hinter dem Haus.

Eingepackt in ihr Outdoorgilet lächelt die ehemalige Kindergarten-Lehrerin in ihrem Gartenstuhl. Die Vogelbeeren der Eberesche säumen einen roten Teppich. «Jetzt ist der Garten im Ruhezustand», sagt Känzig. Die Bergmolche haben sich für den Winter ins «Gnusch» verzogen. Sie wisse um das Privileg, über ein Haus mit Umschwung zu verfügen. Känzig sieht jene, die einen Garten haben, in der Pflicht, etwas zur Vielfalt beizutragen. «Man kann nicht ins Eigentum eingreifen, aber man kann die Menschen sensibilisieren.» Dies erachtet sie auch als eine Aufgabe der Behörden. «Die Stadt müsste etwa auf Verkehrsinseln Naturwiesen pflanzen», fordert sie. Die Menschen wollten farbige Blümchen sehen, erhalte sie jeweils als Antwort. Bäume auf der Kirchgasse wären ihr Wunsch. «Auf Dauer kommen wir nicht darum herum, Städte mit Bäumen zu bepflanzen. Sonst halten wir die Hitze nicht mehr aus.»

Dann zeigt Doris Känzig wieder rüber zum Nachbarsgarten. In den 36 Jahren, in denen sie hier wohne, habe sie noch kaum je jemanden auf dem Rasen gesehen. «In deinem Garten kann sich im Sommer kein Mensch aufhalten», habe sie ihrem Nachbarn gesagt. Er habe erwidert: «Du hast recht. Ich glaube im nächsten Frühling pflanze ich Bäume.»


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