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«Gott sei Dank hab’ ich Physik studiert – das Warum wäre mir viel zu kompliziert»

Was Kometen über unsere Herkunft erzählen. Warum die Erde ein komischer Planet ist. Was unsere Existenz beenden könnte. Glück, Zufall oder doch eine höhere Macht? Über all dies spricht Kathrin Altwegg im grossen Interview.
8. Oktober 2021
Text: Yann Schlegel, Fotografie: Timo Orubolo
Kathrin Altwegg, eingepackt im antistatischen Gewand, in einem Laborraum der Universität Bern.

Du willst zuerst mehr über Kathrin Altwegg erfahren? Hier gehts zum Porträt.

Sie begannen in den 80er-Jahren mit der Weltraumforschung und waren Teil der Halley-Mission. Ein aussergewöhnlicher Komet. Was war für Sie die interessanteste Erkenntnis?

Zu jener Zeit wussten wir nicht einmal, ob ein Komet einen Kern hat. War er innen bloss eine Wolke oder war er fest? Wir hatten das Gefühl, ein Komet besteht aus Wasser und Staub. So waren wir erstaunt darüber, was wir vorfanden. Als Erstes merkten wir, dass das Wasser viel mehr schweren Wasserstoff beinhaltet. Im Wasser auf der Erde ist pro 10’000 Teilchen eines schwer, das schmecken Sie nicht. Bei Halley sind es dreimal mehr. Damit eliminierten wir die Theorie, dass das Wasser auf der Erde von Kometen stammt. Später ergaben Messungen von Wasserteilchen bei einem anderen Kometen das exakt gleiche Verhältnis wie auf der Erde, womit dies plötzlich wieder möglich war. Mit Chury gaben wir dieser Theorie jedoch den Todesstoss. Chury und andere Kometen, die wir seither erforscht haben, verfügen über noch mehr schweren Wasserstoff als Halley. Auf Halley hatten wir andere schwere Moleküle ausgemacht. Nur konnten wir sie nicht identifizieren. Auf Chury haben wir dies nun geschafft.

Aus den Einsen und Nullen, die der Computer ausspuckt, finden Sie heute heraus, woraus die Moleküle bestehen. Wie finden Sie in all den Messdaten die Nadel im Heuhaufen?

Der Computer spricht nicht Klartext. Zudem haben wir das meiste nicht vorausgesehen. Wir wussten zwar, dass es schwere Moleküle gibt, aber wir haben sehr viel komplexere Dinge gefunden, als wir uns vorgestellt hatten. Darum müssen wir auch heute noch Substanzen aus dem Labor nehmen, durch die Maschine lassen und schauen, wie viele Nullen und Einsen es ergibt.

Glossar

  • Galaxie: Sternensystem, das durch Schwerkraft zusammengehalten wird. Der Durchmesser kann mehrere hunderttausend Lichtjahre betragen. Wir leben in der Milchstrasse. Die Forschung schätzt aktuell, dass es im beobachtbaren Universum über eine Billion Galaxien gibt.
  • Lichtjahr: Längenmass, definiert als Strecke, die das Licht im Vakuum zurücklegt. 300’000 Kilometer pro Sekunde ergeben aufs Jahr hochgerechnet 9,5 Billionen Kilometer.
  • Supernova: Explosion eines sterbenden Sterns. Dabei gibt er seine Materie ab, woraus ein neuer Stern entstehen kann.
  • Sternengeneration: Ein Stern der ersten Generation besteht nur aus Wasserstoff. Explodiert er als Supernova bilden sich schwere Atome wie Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen. Unsere Sonne ist ein Stern der zweiten, vermutlich gar der dritten Generation.
  • Komet: Kleinplanet aus Staub und Eis. Wenn er sich der Sonne nähert, werden Gase freigesetzt, was zum Schweif führt.
  • Asteroid: Zwillingsbruder zum Kometen, aber ohne Eis, da innerhalb der Jupiterbahn geblieben.
  • Molekül: Einheit aus zwei oder mehr Atomen, die chemisch verbunden sind. 
  • Spektroskopie: Experimentelles Verfahren, bei dem die Farben von Lichtquellen zerlegt und untersucht werden. So lassen sich die Eigenschaften der Strahlenquelle festlegen. 

Das ist wie ein Kreuzworträtsel.

Wie ein Puzzle, pflege ich zu sagen.

Kennen wir alle Stoffe, die Sie finden konnten, oder gibt’s im Weltall welche, die Sie nicht zuordnen können?

Die Elemente, die Atome sind dieselben. Aber Moleküle haben wir relativ viele, die auf der Erde nicht stabil wären. Dort oben ist’s minus 240 Grad kalt. Dort oben findet eine andere Chemie statt als bei uns. Etwa Kohlenstoffmonoxid gibt’s bei uns, aber es ist nicht stabil. Es wird zu CO2 und reagiert (zum Beispiel mit Wasser / Anm. der Redaktion). Solche Moleküle hat es auf Chury sehr viele.

Der Komet Chury, Originalaufnahme durch die Kamera Osiris auf der Raumsonde Rosetta, 2015. Quelle: zvg

Welches sind die bisher unerwarteten Moleküle?

Etwa Aminosäure. Sie braucht es für das Leben. Oder auch Phosphor. Die Erde hat Phosphor in den Mineralien der Gesteine. Aber diesen Phosphor kann das Leben nicht brauchen, weil er gewissermassen eingeschlossen ist. Das heutige Leben nutzt rezyklierten Phosphor von toten Pflanzen und toten Tieren. Also muss der Phosphor irgendwann zugänglich gewesen sein. So wie wir ihn auf dem Kometen gefunden haben. Das Phosphormonoxid würde bei uns reagieren und es gäbe eine Verbindung, die wir für das Leben nutzen könnten. Die Kometen sind vermutlich gleich alt wie unsere Erde, also 4,5 Milliarden Jahre alt. Nun haben wir den Phosphor weiter zurückverfolgen können. Bis in jene Zeit, in der es noch keine Sterne gab. Im Prinzip zu jener Supernova zurück, bei der das Atom erst gebildet wurde. Wir können den ganzen Weg bis zur Erde nachvollziehen.

Das klingt abenteuerlich. Wie lässt sich dies zurückverfolgen?

Wir arbeiteten mit Forschern, die die Sternformationsregionen beobachten. Dort, wo jetzt neue Sterne entstehen. Dann gingen wir weiter zurück zu den dunklen Molekülwolkenzeiten, als es noch keine Sterne gab. Und noch weiter zurück, zur Supernova. Überall sahen wir das Phosphormonoxid. Möglich ist dies mit einem Teleskop und Spektroskopie des Lichtes. Daraus ergeben sich charakteristische Sequenzen, die auf Phosphor rückschliessen lassen.

Nun müssen Sie noch erklären, weshalb der Mensch Phosphor braucht, um zu leben.

Wir nehmen ihn mit dem Essen auf. Wir brauchen ihn für die DNA und den Energieumsatz. Die Kohlenhydrate können wir nur mithilfe von Phosphor verbrennen. Leben braucht noch viele andere Moleküle. Sie sind alle auf dem Kometen vorhanden. Darum ist die Theorie, dass die Kometen nicht das Wasser, aber möglicherweise die Substanzen brachten, die das Leben auf der Erde ermöglichten, sehr viel wahrscheinlicher.

Vergeht kein Tag, ohne dass Sie an «Ihren» Kometen denken?

Kaum ein Tag (lacht). Im Moment bin ich am Salz. Chury hat Salz, aber nicht Kochsalz, sondern Ammoniumsalz.

Und Sie sind nach all den Jahren noch immer aufgeregt bei der Suche nach neuen Geheimnissen?

Ja. Es ist wie beim Puzzeln. Ich fühle mich wie Sherlock Holmes, der einer Spur folgt.

Was ist Ihre längste Durststrecke ohne neue Entdeckung?

Ein paar Wochen. Aber wenn ich dran bin, kommen die Resultate nahe hintereinander.

Funktionieren Sie als emeritierte Professorin als Einzelmaske, oder sind Sie noch immer ins Team eingebunden?

Wer in der Wissenschaft Erfolg haben will, muss publizieren. Die Papers werden gezählt. Leider Gottes ist dies der Lauf der Dinge. Ich brauche definitiv keine Papers mehr (lacht). Erstens habe ich viele, zweitens liegt meine Karriere hinter mir. Ich nuele in den Daten. Ich weiss, wo ich schauen muss, weil ich die ganze Mission miterlebt habe. Die Doktoranden, die jetzt kommen, waren bei der Mission nicht dabei. Ich sage ihnen: Schaut mal dort, da sind die guten Daten. Das ist jetzt mein Auftrag. Sie schreiben dann das Paper.

Sie sind die gute Fee, die es ins Ohr flüstert.

Genau, das braucht es. Ich hatte auch Mentoren und gebe mein Wissen nun gerne weiter. Eine junge Chemikerin arbeitet mit uns. Sie hat ein Kind und ist am Anfang ihrer Karriere. Ob sie es schafft, ist nicht sicher. Sie doktorierte in Chemie und hatte danach Mühe, ausserhalb der Akademie eine Stelle zu finden. Auch, weil sie einen Teilzeitjob suchte. Über das RAV kam sie zu uns. Wir haben sie nach einem Praktikum angestellt und mittlerweile ist sie drei Jahre bei uns. Sie ist super und bringt das chemische Wissen mit, das mir teilweise fehlt. Heute könnte ich die Chemie brauchen, die ich damals nicht studieren wollte. (lacht)

Computer mit Baujahr 1996: Die Kopie dieses Exemplars kam auf dem Kometen Chury zum Einsatz und lieferte die Daten.

Die Geschichte der jungen Chemikerin hat Parallelen zu Ihrer Geschichte, die Sie selbst zur Frauenförderin machte. Das Bild der Forscherin, die Tag und Nacht ein Problem zu lösen versucht, ist tief in den Köpfen drin. Konnten Sie sich damals von der Arbeit lösen, als Sie eine 35-Prozent-Stelle innehatten?

Ich musste. Ich hatte Kinder und konnte nicht einfach hierbleiben und sie daheim vor der Tür stehen lassen. Ich sage es immer wieder: Oft ist dies auch gut. Dazu erzähle ich gerne eine Anekdote: Als wir für Chury ein Instrument in der Weltraumsimulation testeten, ging ein Teil kaputt. Wir standen kurz vor dem Ablieferungstermin an die ESA. Je ein französisches und ein deutsches Team waren für den Test bei uns. Wir sahen, was kaputt war, aber wussten nicht, wieso. Es war ein Freitagmorgen. Um 12 Uhr sagte ich, entschuldigt mich, ich muss gehen, meine Kinder warten. Am Montag komme ich wieder. Die armen Cheibe haben das Wochenende durchgearbeitet. Wir machten am Samstag mit der Familie einen Ausflug. Und wie wir unterwegs waren, fiel das Zwänzgi runter. Plötzlich wusste ich, wieso das Instrument kaputt ging. Am Montag rief ich zu einer Sitzung – sie hatten die Ursache nicht herausfinden können. Das Gute war, dass ich eben nicht die ganze Zeit an das Problem gedacht hatte.

Sie begannen mit 30 Jahren, sich mit dem Weltraum zu beschäftigen. Einmal sagten Sie, am Anfang kamen Sie sich so klein vor. Machen Ihnen die grossen Fragen zum Universum noch immer Angst?

Überhaupt nicht mehr … Am Anfang, als ich mir überlegte, wie kurzlebig wir sind, fühlte ich so. Die 80 Jährchen, die wir haben, sind nichts.

Dasselbe dachten wir, als wir im Erdgeschoss an der CO2-Kurve vorbeiliefen, die 800’000 Jahre abbildet.

Auch das ist nichts. An meinen Vorträgen zeige ich oft die Temperaturentwicklung über die letzten 500 Millionen Jahre. Selbst das ist nur ein Neuntel der Existenz des Sonnensystems. Das Universum ist gar 13 Milliarden Jahre alt. Auch die räumliche Dimension – unser Meter ist verglichen mit der Galaxie oder dem Universum nichts. Definitiv winziger als eine Ameise, eher ein Staubkörnchen. Im ersten Moment wird man ein wenig verrückt, weil wir das Gefühl haben, wichtig zu sein. (lacht)

Aber …

Ehrlich gesagt sind wir nicht wichtig, ausser für uns selbst. Der Mensch hat die Verantwortung für die Erde. Was wir mit ihr machen, entscheiden wir und da hilft uns niemand. Wir haben nicht die Verantwortung für das Sonnensystem. Schon beim Mars können wir nicht mehr viel machen, weiter aussen sowieso nicht. Der Sonne können wir auch nichts anhaben. Dem Universum erst recht nicht. Es wird sich weiterentwickeln, ob es uns gibt oder nicht. Das ist beruhigend: Wir sind nicht an allem schuld, was geschieht. Auf der anderen Seite sind wir doch ein Teil von etwas Riesigem, Schönem. Das ist fantastisch. Die Atome, die uns ausmachen, werden überleben. Auch wenn die Erde nicht mehr existiert. Irgendwann frisst die Sonne die Erde auf, danach stirbt die Sonne, sie gibt das Material wieder an das Universum ab und vielleicht entsteht eine vierte Sternengeneration, vielleicht neue Planeten und wer weiss, ob neues Leben entsteht. Dann sind unsere Atome an einem anderen Ort.

Das klingt nach wissenschaftlich begründeter Reinkarnation.

Auch das Universum ist nicht nachhaltig. Das heisst, es braucht mehr Ressourcen, als es neu schafft. Das Universum verbrennt den Wasserstoff, und der Wasserstoff stammt aus dem Big Bang. Es gibt keine andere Quelle. Irgendwann braucht das Universum den Wasserstoff auf. Dann wird’s dunkel. In den letzten zwei Milliarden Jahren hat das Universum die Hälfte der Leuchtkraft eingebüsst. Am Anfang des Universums entstanden viele Sterne, die jetzt nach und nach sterben. Es entstehen immer noch neue, aber es sterben mehr, als neue entstehen.

Das Universum dehnt sich aus. Nimmt die Leuchtkraft nicht durch die grössere Dimension ab?

Nein, die Sterne werden schwächer, die Galaxien. Es hat nichts mit der Ausdehnung zu tun. Wenn wir Galaxien anschauen, blicken wir in die Vergangenheit. Je weiter weg sie sind, umso früher ist am jeweiligen Ort das Licht weg, das wir heute beobachten können. Wenn wir weit in die Ferne schauen, ist das Licht womöglich Milliarden Jahre alt. Vor zwei Milliarden Jahren hat es doppelt so hell geleuchtet wie heute.

Sie sprachen von der Verantwortung, die wir für unsere Erde haben. Was tragen Sie als Weltraumforscherin dazu bei?

Indem wir die Erde besser verstehen, merken wir, was wir an ihr haben. Es gibt keinen Planeten B. Wir können zeigen, dass es nicht funktioniert, auf dem Mars zu wohnen. Wir können auch zeigen, dass es keinen Planeten in der Nähe hat, auf dem wir sein könnten. Die Erde ist ein extrem komischer Planet. Wir können nicht erwarten, dass es viele Planeten wie unseren gibt.

Heute kennen wir bereits über 4000 Planeten – es dürften noch viele mehr sein. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass andere komische Planeten existieren, auf denen es Leben gibt.

Ja, aber vermutlich auf viel weniger Planeten, als wir denken. Leben ist wahrscheinlich. Für Mikroben braucht’s nicht viel und die gab es auch bei uns schon 700 bis 800 Millionen Jahre nach Entstehung des Planeten.

Dazu brauchte es unter anderem Phosphor.

Genau, ohne das geht’s nicht. Wir wissen nun, dass Kometen häufig vorkommen. Auch in anderen Sternensystemen und wahrscheinlich in anderen Galaxien. Doch es brauchte 3,7 Milliarden Jahre, bis es uns gab. Über diese Zeit muss das System wahnsinnig stabil gewesen sein. Sonst gäbe es uns nicht. Das braucht extrem viel Glück.

Sie glauben an Glück? War es Glück, das unseren komischen Planeten ermöglichte?

Ja! Ein Beispiel: In den letzten 500 Millionen Jahren hatte die Erde die längste Zeit keine Eiskappen. Also ist Eis an den Polen eine aussergewöhnliche Situation. Die Temperatur schwankte aber bloss um ungefähr 20 Grad. Jedes Mal, wenn die Temperatur zu heiss oder zu kalt zu werden drohte, geschah etwas. Ein Vulkan brach aus, ein Asteroid stürzte auf die Erde … Es ist reiner Zufall, dass dies immer im richtigen Augenblick geschah. Säugetiere entwickelten sich in einer Heissphase und wären sonst womöglich nicht entstanden. Bevor es aber zu heiss wurde, schlug es irgendwo wieder ein. Es wurde wieder kalt. Wir entstanden in der Kaltphase. Wir sind eher ein bisschen kalt, nicht wahr? (lacht) Ein anderes Beispiel ist unser Mond. Unsere Erdachse ist schräg, und der Mond stützt uns. Dank ihm gibt es an den meisten Orten auf der Erde die regelmässigen Jahreszeiten. Der Mond ist ein Bruchstück, entstanden durch den Einschlag eines anderen Planeten auf der Erde. Wissenschaftler haben beweisen können: Wäre der Monddurchmesser 10 bis 80 Kilometer grösser, gäbe es uns nicht.

Warum?

Unser System wäre seit längerer Zeit nicht mehr stabil. Jetzt hält das System noch 1,5 Milliarden Jahre. Durch die Gezeitenkräfte des Mondes wird die Erde gestaucht und gedehnt. Das braucht Energie. Die Erde nimmt sie von der Drehung. Durch diese entfernt sich der Mond ständig ein wenig von uns.

Irgendwann verlieren wir ihn?

Er kann uns nicht mehr stützen. Wenn er grösser gewesen wäre, hätte die Erde früher geschwankt und es gäbe uns nicht. Wahrscheinlich wird uns aber die Sonne gefressen haben, bevor wir den Mond ganz verlieren. Aber darüber lässt sich streiten.

Sie beschäftigen sich mit Dingen, die unvorstellbar weit zurückliegen. Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart vermischen sich im Universum. Was haben Sie für ein Verhältnis zur Zeit?

Es relativiert uns. Zeigt, wie wenig wir in dieser Zeit bewirken können. Ich zeige jeweils eine Folie von einem amerikanischen Astronomen, der die Geschichte des Universums in ein Jahr packt. Der Big Bang ist am 1. Januar und wir sind nun am 31. Dezember. In diesem Jahr gibt’s den Menschen erst seit sechs Minuten. Die Dinosaurier hielten fünf Tage durch. Ob wir es nochmal ein paar 100’000 Jahre schaffen, ist sehr fraglich.

Die Wissenschaft kommt der Antwort auf die Frage, woher wir kommen, langsam näher. Wohin wir gehen, scheint auf einen weiten Horizont von 1,5 Milliarden Jahren auch beantwortet.

So viel Zeit bleibt uns nicht. Wir nehmen an, in 600 Millionen Jahren kein CO2 mehr in der Atmosphäre zu haben. Das hängt mit der Leuchtkraft der Sonne zusammen, die Leuchtkraft nimmt schon lange zu. Sprich, es wird auf der Erde immer heisser ohne menschliches Zutun. Aber natürlich nicht über 1000 oder 10’000 Jahre, sondern über Millionen Jahre. In 600 Millionen Jahren ist es wahrscheinlich so heiss, dass das Gestein mit dem CO2 aus der Luft reagiert. Ohne CO2 gibt’s keine Bäume, keine Pflanzen. Und keine Tiere, denn sie brauchen den Sauerstoff der Bäume. Das wäre das Ende – vielleicht gäbe es noch Mikroben. Hinzu kommt der feuchte Grünhauseffekt, durch den die Ozeane verdampfen. Das Wasser wäre in der Atmosphäre statt im Boden. Es würde noch heisser. Schliesslich verlieren wir das Magnetfeld. Es wird aus flüssigem Eisen im Innern durch einen Dynamoeffekt gebildet. Flüssig ist das Eisen dank der Radioaktivität, die wir im Erdinnern haben. Weil sie zerfällt, endet dieser Effekt irgendwann und das Eisen friert ein. Beim Mars ist es schon eingefroren. Ohne Magnetfeld könnte der Sonnenwind in unsere Atmosphäre eindringen und sie wegradieren. Das alles kommt wahrscheinlich, bevor wir den Mond verlieren. Die Aussichten sind nicht gut. (lacht)

Noch vorher könnte ein Asteroid oder ein Komet einschlagen und unseren Planeten unbewohnbar machen.

Asteroiden sind viel näher an der Sonne und auf Kreisbahnen, weshalb sie die Erde nicht treffen sollten. Manchmal werden sie aber abgelenkt. Wenn wir frühzeitig merken würden, dass ein Asteroid auf die Erde zusteuert, könnten wir dies vielleicht abwenden.

«Armageddon» ist also nicht blosse Fiktion. War’s da ein Asteroid oder ein Komet?

Ich weiss nicht, ob jene, die den Film machten, dies wussten. (lacht)

Wie wäre es denn bei einem Kometen?

Sie kommen extrem schnell. Letztes Jahr kam der Komet Neowise, den wir von Auge sehen konnten. Erstmals entdeckte man ihn im Mai. Im November war er am sonnennächsten Punkt. Wenn ein Komet wie dieser auf Erdkurs ist, können wir nichts machen. Fällt er auf Bern, haben wir Pech gehabt und ihr in Olten auch. Wenn er auf Australien fällt, haben nur sie Pech. Aber ein Körper wie dieser macht ein grosses Loch. Dabei geht so viel Staub in die Atmosphäre, dass es hier nach zwei Monaten dunkel wird. Bei einem nuklearen Winter – der durch Nuklearwaffen provoziert werden könnte, würde das Gleiche passieren. Darum habe ich mehr Angst vor Nuklearwaffen als vor Kometen oder Asteroiden.

Animation der Raumsonde Rosetta, die dem Kometen Chury entgegenfliegt. Quelle: zvg

Bleibt noch die fieberhafte Suche nach technologisiertem respektive intelligentem Leben auf einem anderen Planeten.

Die Chance ist relativ klein, dass es – Intelligenz gibt’s sowieso nicht (lacht) – technologisiertes Leben gibt. Und dass wir kommunizieren können, ist fast unmöglich. Erstens müsste die Zivilisation zur selben Zeit existieren. Zweitens müsste sie in unserer Nähe sein. Es gibt eine statistische Annäherung, die nicht viel mit Physik zu tun hat: Demnach könnte es heute 1000 Zivilisationen in der Milchstrasse geben, die über Technologien verfügen. Das tönt nach vielen, aber wenn statistisch berechnet wird, wo die nächste liegt, wäre sie 1600 Lichtjahre weg. Das heisst, eine Antwort käme nach 3200 Jahren.

Für Sie ist die Frage, ob es technologisiertes Leben gibt, nicht die interessanteste.

Wir werden dies wahrscheinlich nie beantworten können. Natürlich ist es spannend. Es wäre lustig, wenn dem so wäre. (lacht)

Was wir für das Leben brauchen, haben wir entschlüsselt. Das Wie bleibt weitgehend im Dunkeln.

Vielleicht ist’s besser, wissen wir nicht, wie das Leben entstanden ist. Sonst gäbe es Menschen, die das sofort zu kopieren versuchten. Das würde ungut enden. Dann müssten wir wirklich intelligent sein und nicht nur technologisiert.

Die Weltraumforschung treibt unsere Technologisierung voran. Hinterfragen Sie die Entwicklung auch kritisch?

Vor allem die bemannte Raumfahrt. Was die Menschen nun machen, schnell hoch und wieder runter, um sich zu vergnügen, da habe ich sehr Mühe damit. Ich kann nicht mehr über die bemannte Raumfahrt reden und sie propagieren. Das ist auch ökologisch gesehen ein Unsinn, den sich ein paar Superreiche leisten können. Dabei könnten sie in den Europapark, um ein wenig Null G zu erleben. Ohne dass es 250’000 Dollar kostet. Hinzu kommt der ganze Müll, der im Weltall bleibt. Auf der Erde wollen wir alles mit Robotern erledigen. Ausgerechnet ins Weltall, wofür der Mensch nicht gemacht ist, will man jetzt Menschen schicken.

Hatten Sie selbst nie den Wunsch, einmal in den Orbit zu fliegen?

Früher fand ich: Einmal auf dem Mond zu stehen, das wäre schon was. Jetzt zieht mich nichts mehr dorthin.

Wer sich mit dem Weltraum befasst, wird auch mit der Frage nach einer höheren Macht konfrontiert. Sind Sie gläubig aufgewachsen?

Ich bin von Haus aus Katholikin, aber meine Eltern gingen nicht in die Kirche. Nur uns haben sie geschickt. Heute gehe ich nur noch für Vorträge in die Kirche.

Zur Aufklärung?

Nein, die Frage nach dem Glauben gehört zu unseren Themen hinzu. Wir arbeiteten interdisziplinär und hatten bei uns einen Theologen der Uni Bern angestellt. Das ist super spannend. Theologen sind nicht mehr fundamentalistisch. Bald fanden wir heraus, dass wir fast die gleichen Fragen stellen. Wir Naturwissenschaftler fragen nach dem Wie, die Theologen nach dem Warum. Ich kann Ihnen erklären, wie der Big Bang ging, wie ein Stern, ein Planet entsteht und was es braucht, dass Leben möglich ist. Aber ich kann Ihnen nicht erklären, warum. Ich sagte immer: Gott sei Dank hab’ ich Physik studiert. Das Warum wäre mir viel zu kompliziert. (lacht) Der Theologe sagte mir mal: Schau, die Bibel ist eigentlich die erste naturwissenschaftliche Publikation. Die Menschen versuchten zu beschreiben, was sie sahen. Wenn einer in 3000 Jahren meine Publikationen liest, denkt er vielleicht auch: Was hat denn die sich gedacht? (lacht)

Das Warum wäre die Frage nach den Zufällen oder dem Glück.

Wer gläubig ist, würde sagen, es war eben nicht Zufall. Jemand hat eingegriffen. Wie wollen wir beweisen, dass es Zufall war? Wir können nicht beweisen, dass es Gott gibt. Aber noch viel weniger, dass es ihn nicht gibt. Das können wir nicht messen, fotografieren oder spektroskopieren. Ich zitiere gerne Augustin von Hippo, einen Kirchenfürsten. 500 Jahre nach Christus sagte er: «Gott schuf die Welt nicht in der Zeit, sondern mit ihr.» Sprich: Ohne Welt gibt es keine Zeit. Einstein sagte genau das Gleiche 1905, nur auf physikalischer Basis. «Ohne Materie gibt es keine Zeit» – und Einstein fügte bei: «und keinen Raum». Damit ist die Frage nach dem Vorher sinnlos.

Sie sagten, unsere Atome werden so oder so bleiben. Gibt das Ihnen Ruhe?

Es geht etwas von mir weiter. Und wenn es nur ein paar Atome sind. Ich bin schon mit wenig zufrieden.


Was löst der Gedanke ans weite Universum bei dir aus? Angst, Zuversicht, Ehrfurcht … Erzähl uns deine Geschichte.

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