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Harpas fröhliche Kampflust

Die Oltner Handballerinnen wollen in die höchste Liga aufsteigen. Harpa Rut Jónsdóttir ist ihre neue Verstärkung. Über Teamgeist, Auswandern und den Spass am Kämpferischen.
16. Februar 2022
Text: Jana Schmid, Fotografie: Timo Orubolo

Es ist die Position, die am meisten abbekommt. Dort, wo geklemmt, gedrängt und gezerrt wird wie sonst nirgendwo auf dem Handballfeld: Kreisläuferin. 

Harpa Rut Jónsdóttir wollte nie etwas anderes sein, seit sie als Kind die isländische Herren-Handball-Nationalmannschaft im Fernsehen gesehen hat. «Da war ein Kreisläufer dabei, der sah aus wie ein Wikinger. Und verhielt sich auch so. Ich dachte mir: Das kann ich auch – in weiblich.»

Seit Januar ist Harpa die neue Kreisläuferin des HV Olten. Und will dem Team zum Aufstieg in die höchste Schweizer Liga «Spar Premium League» (SPL1) verhelfen. 

Es ist Montag, 17 Uhr und es regnet. Harpa kommt von der Arbeit, hat zwei Stunden Zeit, bis das Training beginnt. Sie trägt ihre blonden Haare offen, ist dezent geschminkt, strahlt Herzlichkeit und Wärme aus.

«Ich bin brutal kämpferisch», sagt sie. Das sei eine Stärke im Handball, wenn auch nicht ihre grösste. «Am besten kann ich das Team pushen. Wenn ich auf der Bank sitze, bin ich die Lauteste. Ich motiviere, wenn es schlecht läuft, und juble und tanze bei Erfolgen, damit die anderen dranbleiben. Das ist extrem wichtig für einen Matchverlauf.»

Nach Olten aufs Feld

Auf der Bank wurde sie vergangene Saison Schweizermeisterin und Cupsiegerin mit dem LK Zug. Und war dort so laut und enthusiastisch, dass sie prompt zum Publikumsliebling gewählt wurde – obwohl sie kaum je auf dem Spielfeld stand. Denn da, auf dem Feld, spielte fast immer eine von zwei Kreisläuferinnen, die jeweils vor ihr zum Einsatz kamen.

«Das waren riesige Erfolge. Aber auf lange Sicht war es frustrierend, so wenig spielen zu dürfen», sagt Harpa und erzählt von einer sportlichen Krise, die es ausgelöst habe, sechsmal die Woche zu trainieren und doch an den meisten Spielen 60 Minuten (so lange dauert ein Spiel) auf der Bank zu sitzen.

Es ist schwierig, sich diese Frau, deren Augen strahlen, wenn sie über Handball spricht, in einer sportlichen Krise vorzustellen.

«Deshalb habe ich von Zug nach Olten gewechselt – von 60 Minuten Bank zu, je nach Spielverlauf, bis zu 60 Minuten Spielfeld pro Match. Das hat mich gerettet.» Der HV Olten spielt zwar eine Liga tiefer als Harpas alter Verein, aber er hat ein klares Ziel: der Aufstieg in die SPL 1. Der Hauptrundensieg ist seit vorletzter Woche gesichert, bald beginnt die Aufstiegsrunde. 

Nach Luzern unter Tränen

Wenn Harpa sagt: «Es braucht klare Ziele. Das pusht», dann weiss sie, wovon sie spricht. Aufgewachsen in einer isländischen Kleinstadt, wusste sie schon als 14-Jährige, dass sie nach Dänemark wollte, um dort Handball zu spielen. Also arbeitete sie, sobald es irgendwie legal war, ihre Sommerferien in Restaurants durch oder putzte Spitäler nach der Schule, die sie im Fernstudium absolvierte. Als genug Geld zusammen war, schrieb sie sich an einer dänischen Sportschule ein. Mit 17, für ein halbes Jahr. Und kehrte nie mehr nach Island zurück. 

Heute ist sie 24 und gibt Interviews in Olten, auf Schweizerdeutsch, fast ohne Akzent. 

«Ich habe in Dänemark meinen Freund kennengelernt», erklärt sie. «Er ist Schweizer, ehemaliger Handballer und spielte damals in einem dänischen Team.» Zusammen mit ihm hat sie sich in Dänemark ein Leben aufgebaut, verbesserte ihr Dänisch, machte weiter mit Fernstudium, spielte Handball. Dann war ihr Freund verletzt, kämpfte mit den Folgen, erhielt plötzlich ein Therapieangebot in der Schweiz. 

«Ich muss zurück», sagte er. «Habt ihr euch getrennt?», fragte ihre Mutter, als Harpa sie einige Stunden später weinend anrief. «Nein, Mama», schluchzte Harpa, «wir gehen in die Schweiz.»

Harpa war 20, sprach kein Wort Deutsch und kannte in der Schweiz genau drei Menschen: ihren Freund und seine Eltern, die sie bis dahin dreimal gesehen hatte. 

Das Paar zog zu den Eltern nach Luzern, Harpa arbeitete als Au-pair, verlangte von allen Mitmenschen, sie ausschliesslich auf Schweizerdeutsch anzusprechen, schloss die isländische Fernschule ab und – natürlich – spielte Handball. Zuerst in Stans, dann in Zug.

Handballspielerinnen verwenden Harz, das den Ball an den Händen besser haften lässt. Am Schuh wird ein “Depot” davon angelegt, für Nachschub während dem Spiel.

«Bald waren meine Teamkolleginnen wie eine Familie. Ohne Handball hätte ich kaum soziale Kontakte knüpfen können», erzählt sie. Vom LK Zug wegzugehen habe ihr das Herz gebrochen. «Diese Frauen bedeuten mir jetzt noch sehr viel. Aber auch in Olten fühle ich mich bereits wohl. In der Gruppe fühlt es sich an, als wäre ich schon lange da. Das ist wunderschön – und brutal wichtig.»

Alles für das Team

Wenn Harpa trainiert, macht sie es fürs Team, vor allem dann, wenn ihr die eigene Motivation einmal fehlt. Wenn sie spricht, spricht sie viel darüber, was wichtig ist für ein Team. Und wenn sie schreit, dann auch fürs Team. «Mannschaftssport ist mein Ding», sagt sie, und man hätte ihr das auch angemerkt, wenn sie es nicht gesagt hätte. 

Dafür trainiert sie sechsmal die Woche an verschiedenen Standorten, spielt von September bis Mai fast jedes Wochenende einen Match und leitet am Mittwochnachmittag eine Kinderhandball-Gruppe. Daneben arbeitet sie 70 Prozent als Klassenassistentin an einer heilpädagogischen Sonderschule. 

Wenig für den Frauensport

«40 Prozent wären perfekt, aber das reicht nicht», sagt sie, und sieht trotzdem ganz und gar unerschöpft aus. Im Frauenhandball gibt es kaum Spielerinnen, die sich ein Profi-Dasein leisten können. Im Vergleich zu den Männern sei der Frauenhandball klar benachteiligt, erklärt Harpa. Das reiche von weniger finanziellen Mitteln bis zu kleineren Hallen und unattraktiveren Trainings- und Matchzeiten. 

«Natürlich nervt das», sagt Harpa. «Aber wenigstens ist damit eines klar: Handball spielen nur Frauen, die wirklich Freude daran haben. Andere Gründe gibt es nicht, die dafür sprechen.»

Sie lacht. Nicht laut, aber ansteckend. Dann packt sie ihren Rucksack, auf dem weiss eine Trikotnummer prangt, und macht sich auf den Weg ins Training. Montags ist Matchvorbereitung: 30 Minuten Aufwärmen und Kräftigung, 15 Minuten Basketball zum Einlaufen, Videos der nächsten Gegnerinnen analysieren, dann spezifische Angriffs- und Verteidigungsstrategien erarbeiten. Zum Schluss Anwendung im Handballspiel, sechs gegen sechs.

Im März beginnt die Aufstiegsrunde. Harpa freut sich auf «eine richtige Challenge», aufs «110%-Geben», wie sie sagt. Sie ist kaum zu übersehen, diese Freude am Kämpfen.


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