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«Ich wollte meine eigene Chefin sein»

Die Musik als Ventil: Wenn Olivia Bärtschi singt, nähert sie sich ihren eigenen Wurzeln an. Dabei schafft die Dullikerin soulige Klänge, die mit voller Wucht ankommen.
19. April 2022
Text: Yann Schlegel, Fotografie: zVg

Diese leicht säuselnde Stimme, in der gleichwohl eine ergreifende Wucht und Tiefe liegt. Wenn Sury ihre Lieder ins Mikrofon schmettert, geht wohl bei mancher Hörerin ein Bild auf. Ein Bild dieser ikonischen Sängerin. Tief geschminkte Augenlider. Wuchtig dunkle Haarpracht. Ja, Amy Winehouse. Diese eigentlich unvergleichbare Stimme der grössten Bühnen der Welt, die nach einem Leben voller Abgründe und ebenso vieler Höhen 2011 verstarb.

Es ist das Schicksal der kleinen Musikerinnen, mit den grossen Idolen verglichen zu werden, die so unerreichbar scheinen. Aber Olivia Bärtschi verwehrt sich der Anlehnung nicht. Im Videoclip zu ihrer Single «Doll» – zu Deutsch: «Puppe» – singt Sury frontal aus der Porträtperspektive in die Kamera und erinnert durch das Make-up auch optisch stark an die britische* Sängerin.

Die 31-Jährige lächelt fast schon schüchtern, wenn sie den Namen Winehouse hört. «Lieder von mir bewegten sich schon immer in diesem Genre», sagt Olivia mit Blick auf die Oltner Altstadt. Spricht sie, bleibt die wuchtige Gesangsstimme verborgen. Zurückhaltung schwingt mit. Auf der Bühne wird sie zu Sury. Da verblasse ihr introvertierter Charakter, erklärt Olivia. «In der Musik getraue ich mich, aus mir rauszukommen.»

Das Gefühl dafür hat sich bei ihr damals im Schulchor eingeprägt, als sie ein Solo singen musste – und dies erst noch vor Menschen, die sie alle kannte. Es sollte jener Abend sein, der in ihr ein Ventil löste. «Seit ich denken kann, habe ich gesungen. Nur wusste ich nicht, ob ich es auch kann oder nicht.»

Die Musik und die Liedtexte dazu schaffen für Olivia Bärtschi einen Zugang zu ihrer eigenen Vergangenheit. In «Doll» singt sie von der ausgeloschenen, ausweglosen Liebe und davon, dass sie nicht zur Marionette verkommen will, die in einer Ecke landet. Auf ihrem ersten Album «Do My Thing» verarbeitet Sury auch ihre vaterlose Kindheit. «Daddy’s Girl» widmet sie ihrem aus Indien stammenden Vater, den sie kaum kennt, obwohl er im Nachbardorf lebt.

Die migrantischen Wurzeln ihres Vaters blieben für Olivia unerschlossen, weil sie mit ihrer alleinerziehenden Schweizer Mutter in Dulliken aufwuchs. Sie lernte weder die Sprache, noch reiste sie je nach Indien. Erst vor kurzem begann sie einen Bezug zur indischen Kultur aufzubauen, als eine Halbschwester sie kontaktierte. «Es war eindrücklich zu sehen, wie grundverschieden wir aufgewachsen sind. Meine Halbschwestern sind völlig in der indischen Kultur verankert», erzählt Olivia. Das rühre daher, dass auch deren Mutter aus Indien stamme. Vom Gefühl dieser ersten Begegnung mit den beiden Halbschwestern singt sie im Lied «Flashback».

So wenig sie ihre Wurzeln begreifen konnte, so sehr waren sie doch irgendwo ein Teil von ihr, auch ihrem dunklen Timbre wegen. Mit ihrem Künstlernamen Sury – angelehnt an ihren zweiten Familiennamen Surinder – stellte sie einen Bezug her. Der Drang, sich mit der ihr unbekannt gebliebenen Familiengeschichte zu identifizieren, war immer da. «Um nach Indien zu reisen, fehlte mir bisher der Mut», sagt Olivia. Jetzt nähere sich der Punkt, an welchem sie sich bereit dazu fühle.

Auch dank der Musik. Sie hat Olivia seit dem Teenageralter begleitet. Als Mädchen hätte sie gerne Geige, Klavier oder Schlagzeug gespielt. «Wir waren nicht so reich und meine Mutter hatte ein Saxophon, also spielte ich eben dieses Instrument», erzählt sie. Durch eine Bekanntschaft am Greenfield-Festival im Berner Oberland fand sie erstmals eine Band. Sie sang Rock und Metal. Aber in sich trug sie auch die Soul-Stimme. Vor vier Jahren lancierte sie ihre Eigenständigkeit als Künstlerin Sury. «Ich habe mich weiterentwickelt und wollte meine eigene Chefin sein», sagt sie. Seit einer Weile schon begleitet Roger Peier (Gitarre) sie bei ihrem Projekt. Für die erste eigene Platte kamen Martin Stebler (Schlagzeug) und Jonas Lüscher (Bass) hinzu.

In ihrer neuen Identität als Sury nahm Olivia Bärtschi auch wieder das Saxophon der Mutter aus der Ecke hervor und baute es bei einigen Liedern des neuen Albums ein. Die Klänge des souligen Instruments könnten besser zu ihrer Stimme nicht passen. Und mit ein paar Jahren Distanz hat Sury auch Gefallen an ihrem Saxophon gefunden. Sie nimmt es auch jetzt wieder hervor, wenn sie neue Lieder komponiert.

Sury Live: Am Samstag, 23. April, präsentiert Sury ihr Debütalbum «Do My Thing» in der Vario Bar in Olten. Zwei Tage später ist sie am 25. April live am Kolt-Treffen zum Oltner Nachtleben im Terminus Club zu hören.

*Korrigendum: In einer ersten Version schrieben wir irrtümlicherweise, Amy Winehouse sei eine US-amerikanische Sängerin gewesen. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler.


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